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Die Teleskopschlinge glitt ungehindert durch den Briefschlitz, und schon beim zweiten Versuch bekam er den Knauf an der Innenseite der Tür zu fassen. Er brauchte ihn nur noch umzudrehen und einzutreten.
Irgendetwas sagte ihm, dass dies vielleicht seine letzte Chance war. Dass das, was einst mit einer Übersprunghandlung begonnen und sich dann langsam, aber sicher zu einer schweren Abhängigkeit ausgewachsen hatte, unweigerlich seinem Ende entgegenging.
Die Wohnung sah aus wie erwartet. Zwei Zimmer, Bad und
Küche. Ziemlich renovierungsbedürftig. Ikea-Möbel, ein Bücherregal ohne Bücher und an den Wänden Tarantino-Poster. Ein Fernseher mit Spielkonsole, zwei Hanteln und eine zusammengerollte Yogamatte.
Genau deshalb war es so wichtig, dass alles stimmte. Nicht nur oberflächlich, sondern bis ins kleinste Detail. Sein Plan war komplex und enthielt viele Schritte, die schiefgehen konnten. Doch wenn alles funktionierte, würde er nicht nur die Energie ausleben können, die sich in ihm angestaut hatte, schließlich war das letzte Mal über zwei Monate her, es würde auch niemand Verdacht schöpfen. Nicht einmal Risk würde misstrauische Blicke in seine Richtung werfen.
Der Sicherungskasten war im Flur, und auch wenn die einzelnen Sicherungen nicht markiert waren, hatte er schnell herausgefunden, welche zum Bad gehörte.
An sich hatte er nämlich gar keine Zeit für so etwas. Obwohl es schon Abend war, hatte er noch so viel zu tun, dass er eigentlich gar nicht in der Lage war, ein Projekt dieses Kalibers zu planen und durchzuführen, und daher war er im Grunde gegen jeden Verdacht erhaben.
Nachdem er die Sicherung herausgeschraubt und durch die präparierte ersetzt hatte, ging er in die Küche und kramte in Schränken und Schubladen, bis er das Gesuchte gefunden hatte.
In Bezug auf das Opfer hatte er nur ein einziges Kriterium aufgestellt: Es sollte sich ausreichend von Moonif, Molly und allen anderen unterscheiden, um ins Gesamtbild zu passen, und er hatte nicht lange in den verschiedenen Registern stöbern müssen, um den perfekten Kandidaten zu ermitteln.
Der Eimer war zu einem Drittel gefüllt. Er schüttete die Hälfte des Pulvers ins Spülbecken, spülte es hinunter
und mischte sein eigenes unter den Rest. Anschließend drückte er den Deckel auf den Eimer und stellte ihn wieder ganz hinten in den Küchenschrank.
Mattias Larsson in der Tryckerigata 27B. Die Straße lag in Planteringen, einem von breiten Zubringern umgebenen und ein wenig in Vergessenheit geratenen Stadtteil in der Nähe des Helsingborger Industriehafens. Die Wohnung befand sich im zweiten Stock eines Backsteingebäudes mit Loggien.
Da es am Waschbecken im Badezimmer keine Steckdose gab, musste er ein Kabel von der Lüsterklemme unter der Decke bis zur Badewanne hinunterziehen.
Mattias Larsson war siebenundzwanzig Jahre alt, ausgebildeter Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechniker und arbeitete als Klempner. Eine öffentliche Facebookseite hatte er nicht, und für findige Freundschaftsanfragen war keine Zeit gewesen. Heute, oder besser gesagt, heute Abend sollte es passieren.
Er schälte die Gummihülle von den letzten zwei Metern des Kabels und entfernte am braunen und blauen Ende die Isolierung. Anschließend befestigte er eins mit starkem Klebeband über dem Fußende der Badewanne und das andere auf derselben Höhe am Kopfende.
Glücklicherweise war Mattias Larsson auf Instagram aktiv. Er hatte sogar ein öffentliches Profil, wo er regelmäßig peinliche Trainingsselfies postete. Falls man Instagram Glauben schenken durfte, malträtierte er seinen armen Körper täglich mit Kraftübungen, und dienstagabends waren üblicherweise die Beine dran.
Die Badewanne zu erden war eine etwas kompliziertere Angelegenheit, weil auf dem Fußboden dunkelgrünes PVC verlegt und das Abflussrohr aus Kunststoff war. Es blieb ihm daher nichts anderes übrig, als das gelbgrüne Kabel an die
Erdung in der Lüsterklemme anzuschließen und das andere, ebenfalls geschälte, Ende am Boden der Wanne festzukleben.
Nachdem er den Überlaufschutz mit Silikon abgedichtet hatte, brauchte er nur noch den Zweikomponentenkleber anzurühren, die Öse am Boden der Badewanne zu befestigen und auszuprobieren, wie weit er den Hahn aufdrehen musste, damit ungefähr drei Liter Wasser pro Minute herausflossen, bevor er sich auf den alles andere als sauberen Fußboden setzen und in Ruhe abwarten konnte.
Ausgerechnet heute Abend wollte Mattias Larsson seine Freundin Hanna Brahe zum Essen ausführen, weil sie sich nämlich vor genau drei Jahren verlobt hatten. Zumindest wenn man der Freundin Glauben schenken durfte, die ebenfalls ein öffentliches Instagramprofil hatte und wie er im Fitnessstudio zu wohnen schien.
Er brauchte nicht lange auf dem Badezimmerfußboden auszuharren. Schon nach sechseinhalb Minuten hörte er, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde, und eine Sekunde später wurde die Wohnungstür wieder zugemacht und abgeschlossen.
Mattias Larsson war ganze zwanzig Minuten früher als vorausberechnet nach Hause gekommen. Vielleicht wollte er sich nur besonders schick für den Abend machen. Oder er hatte keine Lust auf das komplette Beinprogramm gehabt. Völlig egal, es war alles bereit.
Wenigstens war er allein gekommen. Es ertönten keine Stimmen, sondern nur ein dumpfer Knall, mit dem die Sporttasche auf den Boden fiel, und ein etwas schiefes Summen, das vermutlich die Sommerplage »Someone that I used to know« interpretierte.
Als er den Song zum ersten Mal im Radio gehört hatte, gefiel er ihm richtig gut, obwohl er normalerweise keine Musik aus den
letzten dreihundert Jahren mochte. Doch schon nach wenigen Wiederholungen hing er ihm so zum Hals heraus, dass er schlechte Laune bekam, sobald das Gitarrengezupfe des bescheuerten Intros ertönte.
Doch diesmal nicht. Diesmal freute er sich über die gesummte Melodie, die immer lauter wurde, je weiter Mattias Larsson in die Wohnung hineinging.
Es klang, als würde er vor der offenen Badezimmertür stehen bleiben. Er kam jedoch nicht herein, sondern blieb im Flur, zog, den Geräuschen nach zu urteilen, seine Sportklamotten aus und schleuderte sie ins Bad. Sogar die verschwitzte Unterhose.
Die Kopfhörer hingegen nahm er offenbar nicht ab, denn das Summen bewegte sich in die Küche, wo eine knarrende Schranktür geöffnet und der Eimer mit dem Nahrungsergänzungsmittel herausgenommen und auf die Arbeitsfläche gestellt wurde.
Zuerst verstummte er. Wahrscheinlich fiel ihm auf, dass der Eimer fast leer war. Nach kurzer Zeit sagte er sich jedoch offenbar, dass er sich geirrt haben müsse, denn er nahm das Summen wieder auf, füllte eine Flasche mit Leitungswasser und schüttelte sie kräftig. Als er gierig daraus trank, war das Schlucken bis ins Bad zu hören.
Es dauerte nicht lange, bis die Flasche klirrend auf dem Boden landete, und kurz darauf sackte der durchtrainierte Jüngling mit seinen fünfundachtzig Kilo hörbar zu Boden.