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Fabian war zurück im Innern des Dunkels. Tief dort drinnen spielte es keine Rolle mehr, ob er die Augen schloss oder öffnete. Lichtblicke gab es ohnehin nicht mehr. Er hatte es zwar geschafft, Tuvesson zu erreichen, die wiederum versprochen hatte, sich um einen guten Verteidiger zu bemühen, aber das war auch alles. Nun konnte er nur noch hoffen, dass Theodor nach seinem ersten Tag in Untersuchungshaft ein vorübergehendes Tief gehabt hatte und dass alles irgendwie wieder in Ordnung kommen und bald hinter ihnen liegen würde.
Wie es Sonja ging, konnte er bloß erahnen. Während der Rückfahrt über den Sund hatte das Schweigen die Alleinherrschaft im Auto übernommen. Zu Hause angekommen, hatte er gefragt, ob es okay wäre, wenn er noch einmal zur Arbeit führe, und sie hatte gesagt, er solle ruhig tun, was er tun müsse, um seine Zweifel zum Schweigen zu bringen.
Wie immer hatte sie ihn schneller durchschaut als er sich selbst. Sosehr er sich auch gewünscht hätte, es wäre anders gewesen, konnte doch nur die Arbeit ihn so absorbieren, dass seine Angst für eine Weile gedämpft war.
Momentan jedoch war seine Arbeit ein lebensbedrohlicher Tanz auf einem Minenfeld. Aufgrund des GPS-Senders unter dem Auto riskierte er ständig, Molanders Misstrauen zu wecken. Dass der Wagen vor dem Besuch bei Theodor fast zwei Stunden zu Hause in der Pålsjögata gestanden hatte, machte die Sache nicht besser.
Molander hatte bereits gestichelt, er wirke bei der Ermittlungsarbeit so unkonzentriert, und irgendwo hatte er recht. Seine privaten Ermittlungen gegen den Kollegen waren in einer so intensiven Phase angelangt, dass es mehr oder weniger unmöglich geworden war, sich bei den gemeinsamen Besprechungen nichts anmerken zu lassen.
Doch genau darauf kam es im Moment an. Er musste so tun, als würde er sich hundertprozentig auf den Fall konzentrieren, an dem das gesamte Team arbeitete .
Aus diesem Grund parkte er im Kärngränd vor dem Haus, in dem die kleine Ester Landgren gewohnt hatte, ging die Treppe hinauf und betrat die Wohnung, obwohl es schon halb neun am Abend war.
Es hätte jede x-beliebige Wohnung sein können. Ein ganz normales Zuhause mit dem unvermeidlichen Chaos, das keiner Familie mit kleinen Kindern erspart blieb. Ein Zuhause, in dem die Kinder endlich in ihren Betten lagen und schliefen, nachdem das Zähneputzen, das Pipimachen und das Vorlesen überstanden waren. In dem die Eltern gemeinsam den Abwasch erledigten, bevor sie sich mit ihren Teebechern auf das Sofa kuschelten und die Nachrichten schauten.
Aber die Plane, die im Flur vom Eingang bis zu der Tür ausgerollt war, auf der mit bunten Holzbuchstaben Ester geschrieben stand, verriet, dass dies kein Zuhause wie alle anderen war.
Laut Tuvesson hatten die Eltern einen zu schweren Schock erlitten, um vernommen zu werden, und es fragte sich, welche Fragen man ihnen überhaupt stellen sollte. Der Täter war bereits identifiziert, und nun musste nur noch Beweismaterial gesichert werden.
Der Teil war einfach. Rechtzeitig vorauszuberechnen, wo er das nächste Mal zuschlagen würde, war dafür umso schwieriger.
Vor der geschlossenen Kinderzimmertür angekommen, sammelte er sich einige Sekunden, damit er Molander gefasst gegenübertreten und in die Augen schauen konnte.
Das Problem war nur, dass Molander in dem unordentlichen Zimmer nicht zu sehen war.
»Hallo, wo habt ihr denn Molander gelassen?«, fragte er die beiden Assistenten in den weißen Schutzanzügen, die Proben nahmen und Fotos machten .
»Gute Frage. Hier ist er jedenfalls nicht«, sagte der eine und beförderte mithilfe einer Pinzette ein Haar in einen kleinen Plastikbeutel.
»Okay. Ist er erst vor Kurzem gegangen?«
»Nein, das kann man eigentlich nicht behaupten. Er ist mehr oder weniger sofort gegangen, als wir am Nachmittag hier ankamen. Oder, Fredde?« Der Assistent wandte sich an seinen Kollegen, der das ungemachte Bett mit dem eingetrockneten Ring auf dem Laken fotografierte.
»Ja. Er sagte, er hätte noch was im Labor zu erledigen, und wir sollten schon mal ohne ihn anfangen.«
»Aha.« Es sah Molander gar nicht ähnlich, seinen Assistenten die Untersuchung eines Tatorts zu überlassen. »Habt ihr denn schon was gefunden?« Andererseits war hier natürlich einiges zu tun.
»Ja, haben wir. Das Übliche.« Der Assistent steckte die Klarsichtbeutel mit den Beweisen in eine Tasche. »Fingerabdrücke und eine ganze Menge verschiedener Haare. Aber bevor die nicht analysiert worden sind, sagen sie natürlich nichts aus.«
»Und habt ihr schon eine Erklärung, wie das Ganze vor sich gegangen sein könnte?«
»Wir wissen nur, dass er sie ertränkt haben muss, und dazu könnte er ja alles Mögliche benutzt haben. Ich würde allerdings tippen, dass er es an der Bettkante gemacht hat. Wenn man genau hinschaut, erkennt man hier einen runden Abdruck.« Er ging in die Hocke und richtete die Taschenlampe auf den Teppich. »Ich glaube, er stammt von einer Art Schüssel oder Schale, die mit Wasser gefüllt war.«
»Unter dem Bett ist ein getrockneter Wasserfleck«, sagte der Assistent mit der Kamera. »Am Staub kann man deutlich erkennen, wo es entlanggelaufen ist. «
Fabian hörte nicht mehr zu. Zwischen all den Farbstiften, dem Malpapier und den Bügelperlenplatten auf dem Tisch hatte er etwas ganz anderes entdeckt. Einen Gegenstand, der ihn an das erinnerte, was in dem Überwachungsfilm aus dem Ica-Supermarkt in Hyllinge in der Hand des Täters aufgeblitzt war.
Er ging zum Tisch hinüber, nahm den Gegenstand mithilfe eines Taschentuchs in die Hand und betrachtete ihn. Im Gegensatz zu all den Würfeln, mit denen er als Kind Monopoly, Mensch ärgere Dich nicht oder Yahtzee gespielt hatte, war dieser weder aus Holz noch aus Plastik, sondern aus gebürstetem Metall. »Liegt der hier schon die ganze Zeit auf dem Tisch?«
»Nein«, sagte der Assistent mit der Kamera. »Er lag unter dem Bett. Ich musste ihn da wegnehmen, um die Wasserspuren im Staub zu fotografieren.«
Der Zufall. Konnte es wirklich so einfach sein?
Sechs Seiten. Sechs Möglichkeiten.