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»Ach, sieh mal einer an.« Molander breitete die Arme aus. »Beliebt es dem verlorenen Sohn, endlich hier aufzukreuzen?«
Fabian nickte. »Jetzt bin ich ja da.« Es gelang ihm weiterzulächeln, wie er es im Fahrstuhl geübt hatte, und seinen Kollegen sogar noch zuzuwinken.
»Du siehst ein wenig abgearbeitet aus, obwohl du dir wahrscheinlich mehr Schönheitsschlaf gegönnt hast als wir alle«, fuhr Molander fort. »War deine Nacht unruhig?«
Fabian wandte sich Molander zu, der ihn, wie so oft, sarkastisch angrinste. Früher hatte er das Blitzen in seinen Augen für harmlos und im Grunde liebevoll gehalten. Seine Art, die Stimmung aufzulockern, bevor sie zu schwermütig wurde. An seinem Blick hatte sich nichts verändert. Aber er sah darin jetzt nur noch die dunkle Seite, die das Messer am liebsten noch einmal umgedreht hätte.
»Das dürfte dich doch am wenigsten überraschen.« Fabian beobachtete, wie Molander für einen Augenblick die Klappe runterfiel, bevor er mit leicht zitternder Oberlippe sein Grinsen wieder aufgesetzt hatte.
»Ach ja? Wie soll ich das verstehen?«
»Das weißt du nicht?« Fabian sah Molander durchdringend an und wartete ab, bis das Schweigen im Raum mit Händen zu greifen war. »Soweit ich weiß, hast du Sonja geholfen, das Kunstwerk abzuholen, nachdem du ihr bislang gedroht hast, es nach der Untersuchung sofort zu vernichten«, sagte er schließlich. »Nach allem, was sie mit diesem Werk erlebt hat, müsste dir, und den anderen übrigens auch, klar sein, dass uns dieser Schritt, vorsichtig ausgedrückt, um den Schlaf bringen würde.«
»Entschuldige. Das hätte mir natürlich klar sein müssen.« Molander nickte. »Ich kann es nur mit meinem eigenen Schlafmangel rechtfertigen.«
Fabian sagte nichts. Er würde mitspielen und sich vor allem Molander gegenüber keine Blöße geben. Der würde ihn sonst bei der erstbesten Gelegenheit bei lebendigem Leib schlachten.
»Na gut, dann sollten wir langsam anfangen, bevor der halbe Tag vorbei ist«, sagte Tuvesson. »Wir sind, wie gesagt, spät dran, und ich muss bald los.« Sie sah Fabian an. »Was heute Nacht auf dem Öresund los war, musst du uns also später erzählen. Wenn ich es richtig verstanden habe, wissen wir nicht, ob Milwokh ertrunken ist oder es geschafft hat, sich an Land zu retten.«
»Das stimmt.« Fabian nickte. »Ich würde fast sagen, es spricht mehr dafür, dass …«
»Ich sage schon Bescheid, wenn ich fertig bin, keine Sorge«, unterbrach ihn Tuvesson. »Sofern er noch lebt, verhält er sich vorerst hoffentlich etwas ruhiger. Deswegen dürfen wir aber noch lange nicht auf der faulen Haut liegen. Wir hinken nämlich in fast allen Punkten hinterher.« Sie drehte sich zu den vollen Whiteboards um. »Längst überfällige Vernehmungen müssen durchgeführt werden. Tatorte müssten gründlich untersucht und technische Beweise müssen gesichert werden.«
Tuvesson hatte natürlich recht. Sie hatten unendlich viel zu tun, und die Zeit drängte, weil die Spuren zu verblassen drohten. Doch nichts davon war annähernd so wichtig wie Molanders Beweissammlung. Ohne sie war ihre bisherige Arbeit nichts wert.
»Irene«, fuhr Tuvesson fort. »Du stattest Milwokhs Adoptiveltern einen Besuch ab.«
Lilja nickte.
»Ich weiß, dass du vor einigen Monaten schon einmal dort warst. Aber da ging es um ihre Tochter, und jetzt meldet er sich möglicherweise bei ihnen, weil er nicht mehr in seine Wohnung kann. Und Klippan, du fährst bitte zu diesem Bootsverleih.«
»Kein Problem.«
»Darf ich was fragen?«, meldete sich Fabian zu Wort.
»Wenn es schnell geht. Wie gesagt, die Zeit drängt.«
»Wie sieht es mit den technischen Beweisen aus?«
»Ach ja, genau.« Tuvesson wandte sich an Molander.
»Ganz ausgezeichnet, würde ich sagen.« Molander lächelte. »Abgesehen vom letzten Mord können wir ihn im Grunde mit allem eindeutig in Verbindung bringen. Und ich bin mir ganz sicher, dass wir in der Badewanne auch noch irgendein Haar oder dergleichen von ihm finden.«
»Im Grunde mit allem?«, wiederholte Fabian. »Könntest du dich etwas konkreter ausdrü cken?«
»Seid unbesorgt. Ich habe alles im Griff.«
»Wer hat was von Sorgen gesagt? Ich finde nur, du solltest uns endlich präsentieren, was du schon hast und was noch fehlt. Dann wissen wir, worauf wir uns konzentrieren müssen. Deswegen schlage ich vor, wir gehen jetzt gemeinsam in dein Labor, wo du die Beweise doch wohl aufbewahrst.«
»Gute Idee.« Tuvesson sah auf ihre Armbanduhr. »Ich muss sowieso in die Richtung.«
»Moment mal!« Molander hob die Hände. »Es tut mir leid, wenn ich mich unklar ausgedrückt habe. Momentan können wir seine Anwesenheit an allen Tatorten nachweisen, nur nicht in der Wohnung in Planteringen. Und deshalb werde ich mich jetzt damit beschäftigen, anstatt euch unten im Labor einen Vortrag zu halten. Dafür habe ich jetzt keine Zeit.«
»Okay, was sagen die anderen dazu?«, fragte Tuvesson. »Wollen wir es später machen?«
»Von mir aus.« Klippan zuckte mit den Schultern.
»Ich habe auch nichts dagegen«, sagte Lilja. »Aber ich würde gerne wissen, wann du seine Wohnung untersuchst. Meinem Gefühl nach müsste sie höchste Priorität haben.«
»Das gilt auch für das Schlauchboot«, sagte Klippan.
»Sobald ich dazu komme. Ihr hört es ja«, sagte Molander. »Wir haben viel zu tun. Also, was haltet ihr davon, wenn wir jetzt Schluss machen und endlich anfangen.«
»Klar. So machen wir’s.« Fabian ließ Molander nicht aus den Augen.
»Gut. Ingvar wird schon wissen, was er im Tiefkühler hat.« Tuvesson sammelte ihre Unterlagen ein, während Molander und die anderen aufstanden. »Ach, Fabian. Fahr du bitte zu Hanna Brahe.«
»Wer ist das?«, fragte er, während er mit seinen Gedanken bei Molanders Haus und dem Tiefkühlschrank unten im Keller war.
»Die Freundin von Mattias Larsson. Sie hat ihn in der Badewanne gefunden und uns angerufen. In der Nacht konnte sie nicht vernommen werden, weil sie unter Schock stand, aber jetzt hat sie sich gemeldet und gesagt, sie möchte gerne mit uns sprechen.«
Warum war er nicht früher darauf gekommen? Natürlich verwahrte Molander die technischen Beweise dort unten.
»Okay.« Er ging hinter den anderen zur Tür. »Schick mir ihre Nummer, ich rufe sie im Laufe des Tages an.« Er musste so schnell wie möglich hinfahren. Egal, ob Molander ihn mithilfe dieses GPS-Senders verfolgte oder nicht.
»Nein, nicht im Laufe des Tages. Jetzt sofort, bitte.«
Fabian nickte und verließ den Raum. Die Verabredung mit Stubbs musste warten. Alles andere musste jetzt warten.