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Wo bleibst du? Hatten wir nicht Preem im Södra Hunnetorpsväg gesagt?
Fabian bog in Molanders Einfahrt ein, würgte den Motor ab und schickte Stubbs eine Antwort. Sie hatten sich an einer Tankstelle verabredet, um Molander vorzugaukeln, er würde tanken. Es gab dort auch eine Autowaschanlage und eine Pizzeria, die ihnen zumindest zwanzig einigermaßen unverdächtige Minuten verschafft hätten.
Werde es nicht schaffen.
Mittlerweile nützte es nichts mehr, dass Auto irgendwo stehen zu lassen und stattdessen mit dem Bus oder dem Fahrrad zu fahren. Molander würde trotzdem genau sehen, wo er sich aufhielt. Aber wenn sich sein Verdacht bewahrheitete, würden sie auf der Stelle die Festnahme einleiten können.
Was ist passiert? Kann ich dich anrufen?
Er rannte hinters Haus und steckte den weiß markierten Schlüssel mit dem sechsstelligen Code ins Schloss der Terrassentür. Molander hatte seinen letzten Besuch offensichtlich bemerkt und musste damit rechnen, dass er wiederkam. Trotzdem passte der Schlüssel noch und ließ sich mühelos umdrehen.
Kann ich jetzt nicht erklären. Wir treffen uns in 40 Minuten Skaragata 12.
Vielleicht hatte er es nur noch nicht geschafft, das Schloss auszuwechseln. Vielleicht befand auch er sich in einem Wettlauf gegen die Zeit. Vermutlich war das alles gar nicht so gut durchgeplant, wie es den Anschein hatte. Der Hinterhalt in der vergangenen Nacht konnte ebenso gut ein verzweifelter Versuch gewesen sein, das Schlimmste zu verhindern, nachdem Milwokh überraschend zugeschlagen hatte, während er selbst Mattias Larssons Todesqualen in der Badewanne beiwohnte.
Dass er die Formeln absichtlich auf seinem Nachttisch platziert hatte, um ihn in die Falle zu locken, hatte er sich wahrscheinlich in der Anspannung zurechtgelegt.
Die Wanzen bei ihm zu Hause hingegen musste er sorgfältig geplant haben, und auch die Drohung, alle technischen Beweise gegen Milwokh zu zerstören, erschien nicht wie aus der Hüfte geschossen. Offenbar hatte er also schon länger vermutet, dass der Verdacht gegen ihn nicht gemeinsam mit Elvin das Zeitliche gesegnet hatte.
Er warf einen Blick ins Wohnzimmer, das sich seit seinem letzten Besuch nicht verändert zu haben schien. Allerdings waren seitdem auch erst vierundzwanzig Stunden vergangen, und vielleicht war Molander noch gar nicht dazu gekommen, einen Fuß ins Haus zu setzen.
In dem Wissen, dass Molander möglicherweise auf irgendeinem Bildschirm jeden seiner Schritte verfolgte, ging er die Kellertreppe hinunter. Hoffentlich war der Kollege zu beschäftigt, um hierherzukommen und ihn aufzuhalten. Als er unten war, steckte er den Finger in das kleine Loch in der Wand, öffnete die Luke und gab den Code ein, der auf dem Schlüssel stand, woraufhin die Metalltür zur Seite glitt.
Natürlich waren die Beweise gegen Milwokh hier. All diese Regale, Schaukästen und Vitrinen voller beschlagnahmter Waffen und Beweismaterial aus früheren Ermittlungen waren ja genau dafür angeschafft worden.
Fabian durchquerte den Raum und öffnete den Tiefkühlschrank auf der anderen Seite.
Er war nicht leer. Im Gegenteil. Trotzdem stimmte hier etwas nicht. All die beschrifteten Kunststoffbehälter in verschiedenen Formen und Größen waren noch immer dieselben. Oder etwa nicht? Plötzlich verunsichert, nahm er eine der Dosen heraus.
Gertruds Leberpastete.
Er nahm den Deckel ab und stellte fest, dass tatsächlich eine Art von selbst gemachter Leberpastete in dem Behälter war. Einen Geruch nahm er jedoch nicht wahr. Vorsichtig tippte er mit dem Finger auf die Pastete. Sie war gefroren. Als er jedoch etwas fester zudrückte, drang er mit seinem Finger mühelos bis zum Boden der Dose vor.
Die Pastete war nur oberflächlich gefroren, und das konnte nur bedeuten, dass die Behälter erst kürzlich Gertruds Lebensmittelresten aus dem Kühlschrank gewichen waren. Er öffnete noch ein paar Dosen, aber egal, ob es sich um Gertruds Kartoffelgratin oder um Gertruds Lasagne handelte, alles war nur von einer dünnen Eisschicht bedeckt.
Die Stimme klang, als würde vor dem Haus ein Mädchen vorübergehen, während es in sein Handy sprach. Oder nein, es war nicht irgendein Mädchen. Dafür war ihm die Stimme zu vertraut. Plötzlich bemerkte er, dass die Stimme gar nicht von draußen, sondern aus einem der vielen fest montierten Regale kam.
»Bist du hier? «, hörte er die Stimme sagen, als er direkt vor dem Regal stand.
»Hallo?«, rief er. »Hier ist Fabian Risk. Ist da jemand?«
»Sag mir bitte, ob du hier bist. «
Es klang fast wie seine eigene … Aber das konnte nicht sein.
»Greta, ich weiß, dass du hier bist. Vielleicht willst du nicht, wenn Esmeralda nicht dabei ist. «
Und sie war es doch. Wenn er nicht vollkommen den Verstand verloren hatte, war das Matilda. Seine eigene Tochter.
»Ich flehe dich an. Bitte antworte. Ich muss es wissen. «
Er begriff nur nicht, wie es sein konnte. Und warum.
»Greta. Kannst du dich nicht wenigstens zeigen? «
Im Regal fand er eine Axtsammlung und mehrere braune Fläschchen mit verschiedenen Flüssigkeiten. Aber keine Erklärung.
»Es wird nicht lange dauern. Versprochen.«
Die fand er erst, als er die Seitenteile in Augenschein nahm, die ganz und gar nicht an der Wand festgeschraubt waren.
»Gib mir einfach ein Zeichen. Irgendeins. Ganz egal.«
Abgesehen davon, dass sich das rechte Seitenteil des Regals einen Millimeter bewegte, als er abwechselnd daran zog und dagegendrückte, wurde zwischen Regal und Wand auf beiden Seiten ein Spalt sichtbar.
»Ich habe nur eine Frage. Wenn du sie beantwortet hast, lasse ich dich in Ruhe. Versprochen. «
Ohne genau zu wissen, wie, musste er auf die richtige Stelle gedrückt haben, denn plötzlich machte es klick, und das Regal klappte wie eine Tür zur Seite.
»Bitte, mir zuliebe. Ich halte es nicht länger aus, es nicht zu wissen. «
Der fensterlose Raum hinter dem Regal war nur wenige Quadratmeter groß und mit einem vollgepfropften Regal, einem alten Schreibtischstuhl und einem Schreibtisch eingerichtet, auf dem ein Desktop-Computer mit Lautsprechern rechts und links vom Bildschirm stand.
»Bitte, Greta, ich flehe dich an.«
Auf dem Bildschirm war das gleiche Soundverarbeitungsprogramm wie auf Elvins Computer zu sehen. Ein Programm, das von Matildas Stimme zum Leben erweckt worden war und diese nun auf die Festplatte überspielte.
»Wer A sagt, muss auch B sagen.«
Er betrachtete die Frequenzkurven in dem Kanal, der den Namen Keller trug.
»Ich frage dich jetzt zum letzten Mal «, fuhr Matilda fort. »Und dann rufe ich dich nie wieder
Die anderen Kanäle hießen Oberer Flur, Unterer Flur, Wohnzimmer, Bad, Küche, Schlafzimmer, Kinderzimmer 1, Kinderzimmer 2 und Atelier .
»Wer aus meiner Familie … wird sterben? «
Die Zeit, seine Gedanken, der Raum, in dem er sich befand. Alles drehte sich. Der Boden begann wieder unter seinen Füßen zu schwanken, und er musste sich auf den Schreibtischstuhl setzen, um nicht umzukippen.
»Wer, Greta? Sag mir einfach, wer es ist. «
Er hatte das gesamte Haus durchsucht. Trotzdem hatte er nicht bemerkt, dass praktisch jeder Raum verwanzt war. Mithilfe der Maus versuchte er, den Zeitmarker zurückzubewegen, um zu sehen, wie weit die Aufnahmen zurückgingen. Doch während der Aufnahme schien diese Funktion nicht verfügbar zu sein.
Stattdessen näherte er den Cursor einem Kamerasymbol in der rechten oberen Ecke, das ihm in Elvins Programmversion nicht aufgefallen war. Als er es anklickte, öffnete sich ein neues Fenster, das wiederum in neun Rechtecke unterteilt war. Neun bewegte Bilder, auf denen verschiedene Bereiche seines Hauses zu sehen waren.