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Sitze in einer Vernehmung.
Die Antwort kam nach Fabians drittem Versuch, Theodors Verteidigerin Jadwiga Komorowski zu erreichen. Rufe an, sobald wir fertig sind. Wir haben einiges zu besprechen.
Er machte sich ohnehin Sorgen um Theodor, und Komorowskis Nachrichten machten es nicht besser. Wenn er nur irgendetwas hätte tun können. Er hätte alles stehen und liegen lassen und wäre ihm zu Hilfe geeilt. Aber er konnte nichts tun. Er musste warten, bis Theodor sich meldete.
Bei den dreistöckigen roten Häusern in der Skaragata fuhr er auf den Parkplatz. Im Schatten einer großen Eiche erkannte er Stubbs’ rundliche Silhouette. Aus der unruhigen Art, mit der sie
mit verschränkten Armen auf und ab ging, schloss er, dass sie schlechte Laune hatte.
Wie viele Meter es bis zur Wohnung im zweiten Stock in Aufgang zwölf war, wo Mattias Larssons Freundin Hanna Brahe mit ihren Eltern wohnte, wusste er nicht. Deren Befragung war nämlich der offizielle Grund, warum er hier war. Wie exakt der GPS-Sender zwischen seinen Schulterblättern war, wusste er natürlich auch nicht, und daher konnte er letztendlich nur hoffen, dass Molander sich nicht über seinen Aufenthaltsort wunderte.
Er stellte seinen Wagen auf einem Besucherparkplatz ab und hatte gerade den Motor ausgeschaltet, als sein Handy vibrierte.
Es war zwar keine der Nummern, die er in seinen Kontakten abgespeichert hatte, aber er kannte sie aus der vergangenen Nacht. Er wies den Anruf ab und ging zu Stubbs hinüber, die ihn böse anguckte.
Es war nicht schwer zu erraten, was die Leute von der Küstenwache von ihm wollten, und er konnte verstehen, warum man dort empört war und höchstwahrscheinlich Anzeige gegen ihn erstatten würde. Alles andere wäre verwunderlich gewesen. Auch wenn die Pistole gesichert gewesen war, hatte er ein Verbrechen begangen, als er die Männer damit bedrohte.
»Hallo«, rief er. »Entschuldige die Verspätung, aber …«
»Hallo«, fiel Stubbs ihm ins Wort. »Sehe ich aus wie ein Beichtstuhl?«
»Wie bitte?«
»Genau. Also tu uns beiden einen Gefallen und erspar es mir, dir deine Sünden vergeben zu müssen. Wir haben nämlich nicht alle Zeit der Welt. Die Sache ist die. Ich war gerade im …«
Obwohl sein Handy lautlos gestellt war und in seiner Tasche nur vibrierte, störte es Stubbs, die demonstrativ
die Arme ausbreitete, woraufhin er den Anruf der Küstenwache erneut abwies.
»Sprich weiter.« Fabian steckte das Handy wieder ein.
»Man kann’s ja mal versuchen.« Stubbs ließ sich zu einem flüchtigen Grinsen herab. »Ich war heute im Gefängnis Fosie und habe mit Conny Öhman gesprochen. Abgesehen davon, dass ich den halben Tag auf dich gewartet habe.«
»Und wer ist Conny Öhman?«
»Ein Säufer aus Munka-Ljungby, der regelmäßig seine Frau verprügelt hat und jetzt im Knast sitzt, weil er sie umgebracht haben soll. Jedenfalls ist er dafür verurteilt worden. In Wirklichkeit hat Molander den Mord begangen.«
»Und was hat Molander mit diesem Conny oder seiner Frau zu tun?«
»Wahrscheinlich gar nichts.« Stubbs zuckte mit den Schultern. »Außer dass Conny der perfekte Sündenbock war, weil seine Frau ihn bereits mehrfach wegen schwerer Körperverletzung angezeigt hatte. Und jetzt habe ich es also geschafft, Conny klarzumachen, in was für einer Lage er ist, und er hat sich bereit erklärt, gegen Molander auszusagen.«
»Okay, ich verstehe es aber immer noch nicht. Wenn die beiden nichts miteinander zu tun haben …«
»Er war wohl auf Entzug, was weiß ich«, sagte Stubbs achselzuckend. »Genau wie bei Ingela Ploghed. Meines Wissens hatte er sich zwei Jahre am Riemen gerissen und musste mal wieder Dampf ablassen. Solange solche Leute Kinder sind, spricht man von Hummeln im Hintern. Aber überlassen wir das den Psychologen. Wir haben jetzt genug gegen ihn in der Hand, um ihn festzunehmen. Also fahr bitte sofort ins Präsidium und geh mit Tuvesson in Klausur.«
Fabian schüttelte den Kopf. »Geht
leider nicht.«
»Wie, geht nicht? Natürlich geht … Dieses Mistding schon wieder.« Stubbs zeigte auf seine Hosentasche. Das Aufleuchten des Bildschirms war durch den Stoff zu sehen.
Es war schon wieder die Küstenwache. »Das muss jetzt warten«, sagte Fabian gereizt. »Jetzt hör mir mal gut zu. Molander hat nämlich …«
»Nein, ich weigere mich, hier mit einem beschissenen Handy um deine Aufmerksamkeit zu konkurrieren. Entweder machst du es jetzt ganz aus, oder du gehst ran und schaffst die Sache aus der Welt.«
Fabian nickte und sammelte sich einen Moment. »Hier spricht Fabian Risk.«
»Und hier spricht Gert-Ove Helin von der Küstenwache in Helsingborg.«
»Das habe ich mir fast gedacht. Und bevor Sie anfangen, möchte ich nur schnell sagen, dass ich wirklich verstehe, wenn Sie über die Vorfälle in der vergangenen Nacht verärgert sind.« Er wandte Stubbs und ihren nervigen Seufzern den Rücken zu.
»Ja, also so was habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört …«
»Gert-Ove«, unterbrach ihn Fabian. »Ich möchte nicht unfreundlich erscheinen. Aber ich sitze gerade in einer wichtigen Besprechung, und wenn es weiter nichts ist, dann erstatten Sie jetzt einfach Ihre Anzeige, und ich werde mich kooperativ zeigen. Einverstanden?«
»Ja, ja, das wird schon. Wissen Sie, ich kenne Bengan und Sylen ja seit zwanzig Jahren, und die beiden können richtige Heulsusen sein, wenn man sie auf dem falschen Fuß erwischt. Ich sage immer, sie haben Klimakteriumshysterie. Verstehen Sie? Nicht Klima-, sondern Klimakterium.«
Gert-Ove lachte laut.
Stubbs stellte sich vor Fabian, tippte auf ihre Armbanduhr,
und Fabian deutete mit einer rotierenden Handbewegung an, dass der Mann am anderen Ende redete wie ein Wasserfall.
»Ich habe jetzt Kontakt zu unseren dänischen Kollegen aufgenommen, um herauszufinden, was eigentlich passiert
ist«
, fuhr Helin fort. »Und man kann den Dänen ja vieles nachsagen, aber zu Ingolf Bremer, dem höchsten Tier bei den Seestreitkräften, habe ich ein gutes Verhältnis. Er hat zwischen den Zeilen durchblicken lassen, dass der Befehl, Ihnen den Zugang zu dänischem Gewässer zu verweigern, von noch höherer Stelle kam.«
»Ich weiß genau, wer den Befehl gegeben hat, und das war auch der Grund meines Handelns. Es soll keine Rechtfertigung sein, aber ich sah keine andere Möglichkeit.«
»Ich höre, was Sie sagen. Sie müssen aber auch meine Situation verstehen.«
»Nee, Fabian, weißt du was?« Stubbs seufzte demonstrativ. »So geht das nicht weiter. Mach du deinen Kram, und ich mache meinen.«
»Nein, warte.« Fabian hielt Stubbs am Arm fest.
»In was für einer Welt würden wir leben, wenn wir uns nicht hin und wieder in die Lage des anderen versetzen würden.«
»Ganz genau, und deswegen schlage ich vor, dass Sie tun, was Sie tun müssen.«
»Noch vor einer Viertelstunde sah ich keine andere Möglichkeit, als diese Anzeige zu erstatten. Aber nachdem nun erwiesen ist, dass Sie von Anfang an recht hatten, habe ich beschlossen, die Sache zu den Akten zu legen. Das wollte ich Ihnen nur sagen.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie richtig verstanden habe.« Fabian streckte die Hand aus, um sich vor dem Wutanfall zu schützen, mit dem Stubbs zu ringen schien. »Womit hatte ich recht?«
»Haben Sie nicht von dem
Schiff gehört?«
»Was für ein Schiff?«
»Das ist ja nicht zu fassen. Ich dachte, solche Dinge werden sofort an die Kripo weitergeleitet.«
»Was für Dinge denn?« Fabian spürte, wie sein Körper Adrenalin bereitstellte.
»Ich weiß nicht, ob es Ihnen gestern aufgefallen ist. Aber das Frachtschiff mit dem Namen
MS Vinterland kreuzte ungefähr zu dem Zeitpunkt, als Sie mit den beiden Heulsusen unterwegs waren.«
»Doch, daran erinnere ich mich genau.« Da ihm dämmerte, worauf das Gespräch hinauslief, ging er in Richtung Auto. »Das Schiff war sogar so nah, dass es minutenlang die Sicht auf das Schlauchboot verdeckte.«
»Fabian!«, rief Stubbs ihm hinterher. »Soll das ein Witz sein?«
»Ich erkläre es dir im Auto!«, rief er. »Beeil dich!«
»Da oben im Norden sind wir eigentlich gar nicht zuständig, aber wir haben uns gewundert, dass der Frachter ein paar Stunden später vom Kurs auf Fredrikshamn abwich und in Richtung Osten fuhr. Unsere Funkrufe wurden nicht beantwortet.«
Stubbs blieb im Schatten der Eiche stehen und sah Fabian hinterher, der beim Auto angekommen war und die Fahrertür aufriss. Schließlich gab sie sich einen Ruck und lief ihm nach.
»Bis vor fünfzehn Minuten.«