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Der Nebel und die Dämmerung. Sie hatten ihm zugespielt.
In ihrer Begleitung konnte er wie unter einer großen Tarnkappe in den Helsingborger Hafen einfahren. Die KB 202
der Küstenwache, die die ganze Nacht nach ihm gesucht hatte, lag nur etwa fünfzig Meter weiter links von ihm, aber sehen konnten sie sich nicht.
Fast drei Stunden hatte er bei ausgeschaltetem Motor reglos im Rettungsboot der MS Vinterland
gelegen, um seine Position nicht zu verraten. Einige Male wäre er beinahe entdeckt worden. Das Glück war jedoch auf seiner Seite gewesen. Er hatte nur ruhig im Boot sitzen und abwarten müssen, bis die anderen im milchigen Nebel verschwunden waren.
Vielleicht war es aber auch kein Glück, sondern einfach der Lohn für seine Mühen. Nach allem, was er durchgemacht hatte, lief es endlich wieder bei ihm, und er war zum ersten Mal seit Langem wieder richtig stolz auf sich.
Er bog direkt hinter der ersten Seebrücke rechts ab und steuerte einen kleinen Steinstrand an, wo er das Boot hinaufziehen und mit einer Plane abdecken konnte.
Nahezu alles hatte sich gegen ihn gerichtet, und natürlich waren ihm manchmal Zweifel gekommen. Aber letztendlich hatte er jede Niederlage in einen Erfolg verwandelt. Und bald hatten ihn vor allem die Schwierigkeiten gereizt.
Es kam ihm fast so vor, als wäre das Ganze ein einziger großer Test gewesen. Eine Herausforderung, bei der er beweisen sollte, dass er die Gunst des Würfels auch wirklich verdient hatte.
Woran jetzt kein Zweifel mehr bestand. Er hatte es nicht nur geschafft, den Auftrag zu erledigen, er hatte ihn mit
Bravour erfüllt.
Das Blatt hatte sich in dem Moment gewendet, als ein großes Frachtschiff der Polizei die Sicht versperrte. Er hatte den Gashebel mit Klebeband umwickelt, war ein Stück neben dem Frachter hergefahren, der sich ungewöhnlich langsam vorwärtsbewegte, und hatte am Schiffsrumpf auch noch eine stählerne Leiter entdeckt, die er hinaufsteigen konnte, als ob ihm jemand einen roten Teppich ausgerollt hätte.
Eine gute Stunde später war er aus seinem Versteck gekommen und auf die Kommandobrücke gegangen. Und als diese Kapitänin auf die dumme Idee gekommen war, die Heldin zu spielen, hatte ihm das Schwert endlich gute Dienste geleistet.
Anschließend hatte sie nach seiner Pfeife getanzt und seine Instruktionen genau befolgt. Kurze Zeit später konnte er die Hallberg-Rassy mit bloßem Auge erkennen und hatte, nachdem er ihren Verband erneuert und sich vergewissert hatte, dass sie nicht verbluten würde, das letzte Stück in einem Rettungsboot zurückgelegt.
Die Sonne stand hoch am Himmel, und der Nebel, der wenige Stunden später alles in graue Zuckerwatte hüllen würde, machte sich noch nicht bemerkbar. Da es ohnehin nicht möglich gewesen wäre, sich unbemerkt zu nähern, stellte er sich hin und winkte dem Vater freudestrahlend zu.
Der Mann hatte natürlich Gas gegeben und versucht, die Polizei zu rufen. Sein Handy hatte sich jedoch mit keinem Mobilfunkmast verbunden, und bevor er das Funkgerät eingeschaltet hatte, war er bereits neben der Hallberg-Rassy gewesen.
Ganz ruhig hatte er dem Familienvater erklärt, der Würfel habe ihn auserwählt, und er selbst könne da leider gar nichts machen. Zu seiner Verwunderung hörte der Mann ihm zu und ließ ihn an Bord, während er ihm auseinandersetzte, dass es unter den gegebenen Umständen das Beste sei, sich
ohne unnötige Gegenwehr, die seine Qualen ohnehin nur verlängern und im schlimmsten Fall auch den Rest der Familie in Mitleidenschaft ziehen würden, zu ergeben.
Der Mann hatte widerstandslos genickt, und dann war alles seinen Gang gegangen. Im Gegensatz zu seinem ersten Besuch, bei dem er nicht nur ungeübt, sondern auch eingeengt gewesen war, schwang er die geschliffene Waffe nun ungehindert, als ob sie eine Verlängerung seines Arms wäre.
Das Ganze war wie ein improvisierter Tanz gewesen. Jeder Hieb saß. Um das Leiden des Mannes auf ein Minimum zu reduzieren, begann er mit dem Kopf. Siebenmal musste er zuschlagen, und das Geräusch, mit dem der Kopf schließlich auf den Teakholzboden knallte, während aus der Halsschlagader immer noch Blut pumpte, hatte ihn angestachelt, weiterzumachen, bis kein Körperteil mehr heil war.
Das einzig Ärgerliche war die Ehefrau gewesen. Als sie aufgewacht war und begriffen hatte, was vor sich ging, fing sie an, hysterisch herumzuschreien. Am Ende war er so genervt gewesen, dass er mittendrin aufhören und sie bewusstlos schlagen musste. Wenigstens das Kind war klug genug gewesen, die Klappe zu halten, bis er die Sache zu Ende gebracht hatte.
Auf dem Weg zurück nach Helsingborg hatte er sich das Gesicht und die Hände gewaschen, aber aus dem Anzug bekam er das Blut nicht heraus. Zum Glück war der Hafen menschenleer gewesen, und erst als er über die Fußgängerbrücke gegangen war und hinter dem Amtsgericht auf die Carl Krooks Gata gelangte, sah er irgendwelche Leute, die im Abendnebel vorbeihuschten und nicht ahnten, wer da auf sie zukam.
Im Boot hatte er überlegt, wo er nun hinsollte, nachdem die Polizei ihn identifiziert hatte und ihm auf den Fersen war. Man brauchte keinen Hochschulabschluss, um sich auszurechnen,
dass die Polizei annahm, er wäre auf der Flucht und würde sich so unauffällig wie möglich verhalten. Was ja auch das einzig Vernünftige gewesen wäre. Vielleicht hatte der Würfel deshalb entschieden, dass er genau das Gegenteil tun sollte.
Die üblichen Arbeitszeiten waren zwar vorbei, aber der Abend war noch jung, und daher bestand ein gewisses Risiko, dass seine Wohnung gerade untersucht wurde. Andererseits war es nur eine Frage der Zeit, bis sie das Segelboot finden würden, das dann vermutlich ihre gesamte Aufmerksamkeit auf sich zöge. Doch wie immer hatte es keinen Sinn, sich den Kopf über ungelegte Eier zu zerbrechen.
Er schaltete kein Licht im Treppenhaus an und nahm zwei oder drei Stufen auf einmal. Als er nur noch sechs Stufen entfernt war, blieb er stehen. Die Wohnungstür war immerhin geschlossen. Er sah und hörte niemanden, der Wache hielt, und wagte sich schließlich hinauf.
Wie er bereits festgestellt hatte, als er die Wohnung einen Tag zuvor verlassen hatte, war das Loch in der Tür mit mehreren Schichten Klebeband verschlossen worden, und da zudem der Schließzylinder ausgewechselt worden war, musste er die Sperrpistole benutzen. So einfach und schnell, dass sie verboten werden müsste
, hatte in der Beschreibung gestanden, und bislang konnte er nichts Gegenteiliges feststellen. Das Gerät hatte ihn noch kein einziges Mal enttäuscht.
Als er mit seinem Gepäck in der Wohnung war, machte er die Tür hinter sich zu und sah sich um. Die Badezimmertür und die Tür zu seiner Kleiderkammer waren wir üblich geschlossen. Halb geöffnete Türen konnte er nicht leiden. Abgesehen von der Beschädigung seiner Wohnungstür konnte er auf den ersten Blick keinen Hinweis darauf entdecken, dass die Polizei seine Wohnung durchsucht hatte. Es roch zwar ein
wenig anders, aber das ließ sich sicher beheben, indem man ordentlich lüftete.
Im Wohnzimmer ließ er zuerst die Hockeytasche fallen und nahm den Rucksack ab, bevor er sich seitlich ans Fenster stellte und vorsichtig hinaussah. Nichts an der gegenüberliegenden Fassade deutete darauf hin, dass die Wohnung observiert wurde. Das war nach allem, was vorgefallen war, merkwürdig. Vielleicht waren sie unterbesetzt und hatten zu viele andere Dinge zu tun.
Auch das Schlafzimmer sah mehr oder weniger unberührt aus. Waren sie überhaupt hier gewesen? Eigentlich sah es gar nicht danach aus. Vielleicht hatten sie mit ihren Pinzetten nur ein paar Haare aufgesammelt, oder sie waren in Eile und daher schlampig gewesen.
Im Kleiderschrank hing alles noch genauso da wie vorher. Trotzdem konnte er erst, nachdem er den Schrank von innen zugemacht, einen Finger in das kleine Loch in der Rückwand gesteckt, die längliche Metallplatte an der Rückseite zur Seite geschoben und in seinen verborgenen Raum hineingegangen war, wirklich aufatmen.