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Drei Tote und eine Schwerverletzte.
Bis jetzt
, dachte Jan Hesk, quittierte die Meldung des Tivoli-Wächters mit einem kurzen Nicken und ging weiter zur Rasenfläche vor der großen Bühne.
Sobald sich der Schreck gelegt und der Rauch sich verzogen hatte, würden die Analysen beginnen. So sicher wie das Amen in der Kirche. Man würde sich fragen, wie so etwas hatte passieren können. Ob das öffentliche Leben nach all den vergangenen Anschlägen inzwischen nicht hätte sicherer sein müssen und ob es Warnsignale gegeben hätte.
Kein Stein würde auf dem anderen bleiben, und die kritischen Fragen würden sich immer tiefer in den Dreck bohren. Verschwörungstheorien würden aufkommen, die besagten, dass die Polizei von dem bevorstehenden Massaker gewusst und alles getan hätte, um diesen Umstand zu verschleiern. Teile davon würden wahr sein.
Aber nur Teile. Niemand würde wirklich begreifen,
dass sie letztendlich auch nur Menschen waren. Menschen mit Fehlern und Schwächen. Ganz normale Menschen, die ihre Miete und die Leasingrate für das Auto bezahlen mussten. Die ihr Bestes gaben, obwohl ihr Chef ganz andere Dinge im Sinn hatte.
Nichts davon würde jedoch als mildernder Umstand bewertet werden, wenn erst ans Licht gekommen war, dass die Schweden alles getan hatten, was in ihrer Macht stand. Dass sie mit der dänischen Polizei Kontakt aufgenommen hatten, sobald ihnen der Verdacht gekommen war, im Tivoli könnte etwas passieren. Dass sie immer wieder versucht hatten, eine Kooperation zustande zu bringen.
Und jetzt stand er hier mit runtergelassener Hose knietief in der Scheiße und lief Gefahr, über die eigenen Beine zu stolpern, sobald er sich bewegte. Ein falscher Schritt, und er würde ins Exil gehen müssen.
Doch so finster es auch für ihn aussah, hatte er doch noch immer eine Chance, das Ganze zum Positiven zu wenden. Wenn er die nicht nutzte, war er selbst schuld.
Wo Sleizner steckte, wusste niemand. Er ging seit vierzig Minuten nicht ans Telefon. Normalerweise hätte das seine Magenschleimhautentzündung angekurbelt, aber im Moment war es ihm schnuppe, oder vielmehr war es die beste Voraussetzung, um das Ruder in die Hand zu nehmen und zu beweisen, wozu er fähig war.
Die Beunruhigung, die er noch vor einer Stunde verspürt hatte, war größtenteils von ihm abgefallen. Im Grunde war er erleichtert, dass er sich nicht mehr den Kopf zerbrechen musste, denn das Unglück war jetzt in vollem Gange und er tatsächlich gefordert.
Die Atmosphäre im Vergnügungspark war definitiv anders als sonst. Panik war zwar glücklicherweise nicht ausgebrochen,
aber unter der Oberfläche brodelte es, und die Stimmung konnte jeden Moment kippen.
Eine Massenpanik wollten sie unbedingt vermeiden, denn wenn eine ausbrach, gab es keinen Weg zurück, und wenn die fünfundzwanzigtausend Besucher sich auf dem Weg zu den Ausgängen gegenseitig niedertrampelten, würde die Zahl der Toten bald in den zweistelligen Bereich steigen.
Aus diesem Grund hatten sie, abgesehen vom Riesenrad und der alten Achterbahn, die meisten Attraktionen nicht abgeschaltet. Das Wichtigste war jetzt, die Leute so unaufgeregt wie möglich nach draußen zu befördern, ohne dass ihnen der Täter durch die Sicherheitskontrollen schlüpfte. Es war eine Gratwanderung, aber aus seiner Sicht unter den gegebenen Umständen die einzige Möglichkeit.
Wenigstens rannte niemand mit einem Maschinengewehr durch die Gegend und knallte wahllos Leute ab. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätten sie es schon nach einer Viertelstunde mit Hunderten von Toten zu tun gehabt. Dafür zog sich der Vorgang in die Länge, und der Täter war schwerer zu lokalisieren.
Hier kam Fabian Risk ins Spiel. In Wirklichkeit ging es um ihn. Diesen Schweden, der ohne die geringsten Hemmungen mit gezogener Waffe angestürmt gekommen war, als ob nichts und niemand ihn aufhalten könnte.
Er hatte es gespürt, sobald sie sich in einem Raum befunden hatten. Das Dunkle in ihm und diese Entschlossenheit, aufs Ganze zu gehen.
In gewisser Weise beneidete er Risk. Er selbst hatte immer eher die Konsequenzen als das eigentliche Ziel im Blick gehabt. Er war kein Held, und er würde auch nie einer werden. In Wirklichkeit war er ein mittelmäßiger Typ, aber er war clever, und diesmal überließ er es gerne anderen, den Helden zu spielen.