Die meisten Übergewichtigen oder Fettleibigen entwickeln mit der Zeit eine leichtgradige Entzündung im Körper, die oft als silent inflammation, »stille Entzündung« oder »niedriggradige systemische Entzündung« bezeichnet wird. Diese Begriffe beschreiben einen Zustand, der sich durch eine Erhöhung verschiedener Entzündungsmarker im Blut bemerkbar macht.
Lange Zeit hielten die Mediziner dies für unbedenklich, da der Anteil vieler Entzündungsmoleküle im Blut nur leicht erhöht ist. Manchmal ist auch von einer »subklinischen« Entzündung die Rede. Dies deutet an, dass eine solche Entzündung klinisch unbedeutsam ist. Es sind zwar mehr Entzündungsmarker im Umlauf, aber sie erreichen keineswegs Dimensionen, wie man sie von Infektionen kennt. Deshalb werden sie oft nicht in die Diagnose und die daraus folgende Behandlung einbezogen.
Besonders einem Faktor wird bisher zu wenig Beachtung geschenkt: Normalerweise ist eine Entzündung ein kurzer, vorübergehender Prozess, der ausgelöst wird, die Heilung unterstützt und wieder abgestellt wird. Wir haben es dabei mit einer funktionellen Reaktion des Immunsystems zu tun. Dagegen ist die niedriggradige Entzündung im Kontext von Stoffwechselstörungen chronisch. Das heißt, es kommt zu einer kontinuierlichen Erhöhung oder sogar einer schrittweisen Hochregulierung dieses Prozesses, ohne dass es zu einer Auflösung kommt. In der Folge wird der ganze Körper in einen leichten, aber dauerhaften Entzündungszustand gebracht. Das Blut verteilt die Entzündungssignale, sodass alle Gewebe und Organe einer stetigen leichten Belastung ausgesetzt sind.
Inzwischen werden diese Prozesse mit gesundheitlichen Folgen wie Gefäßerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und sogar Tumorkrankheiten in Verbindung gebracht. Es besteht auch insofern ein Zusammenhang zwischen systemischer Entzündung und Übergewicht, als sie die vorhandene Stoffwechselstörung und Resistenz gegen Gewichtsverlust verschärft.
Manche Übergewichtige entwickeln bereits sehr früh eine Entzündung, andere erst nach vielen Jahren. Letztere wurden medizinisch lange Zeit als metabolisch gesunde Übergewichtige bezeichnet. Doch auch hier zeigt sich: Früher oder später entsteht eine Entzündung, die Folgeerkrankungen begünstigt. Wie schnell und in welchem Ausmaß im Rahmen einer Stoffwechselstörung Entzündungen entstehen, hängt von mehreren Faktoren ab, unter anderem dem Fettverteilungsmuster.
Es ist seit Langem bekannt, dass die Verteilung des Körperfetts einen erheblichen Einfluss auf das Gesundheitsrisiko hat. Grundsätzlich werden zwei Haupttypen der Körperfettverteilung unterschieden: das androide (oder »apfelförmige«) und das gynoide (oder »birnenförmige«) Muster.
Bei der androiden Körperfettverteilung lagert sich das Körperfett vor allem im Bereich des Bauchs, der Brust und des Oberkörpers ab. Diese Form der Fettverteilung kommt eher bei Männern vor und hat wegen des höheren Anteils an Bauch- und Organfett auch ein höheres Risiko für chronische Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Herzerkrankungen und Schlaganfall zur Folge. Frauen entwickeln dieses risikoreichere Fettverteilungsmuster meist erst nach der Menopause.
Eine gynoide Körperfettverteilung liegt vor, wenn das Fett hauptsächlich um die Hüften, die Oberschenkel und das Gesäß herum gespeichert wird. Diese Art der Fettverteilung ist häufiger bei Frauen anzutreffen und gilt im Allgemeinen als gesundheitlich weniger risikobehaftet.
Das Bauchfett, fachsprachlich auch viszerales Fettgewebe genannt, ist unterhalb der Bauchmuskulatur in der Bauchhöhle angesiedelt. Es unterscheidet sich vom Unterhaut- oder subkutanen Fettgewebe dadurch, dass es sehr stoffwechselaktiv ist. Entsprechend haben Menschen mit einem höheren Anteil an Viszeralfett oft auch schlechtere Blutfettwerte, da hier ständig Fett eingelagert und auch wieder abtransportiert wird.
Das Viszeralfett ist aber zunächst ein sehr effektiver Energiespeicher. Wenn zu viele Kalorien über die Nahrung aufgenommen und aufgrund von mangelnder Bewegung nicht verbrannt werden, werden sie zunächst hier eingelagert. So können sie in Zeiten des Fastens oder erhöhten Energiebedarfs schnell mobilisiert werden und stehen als Energiequelle zur Verfügung. Ist man also sportlich aktiv, lassen sich die Fette zur Energiegewinnung aus diesem Gewebe holen, sodass es wieder schrumpft. Daraus folgt, dass die Menge des Viszeralfetts auch ein Stück weit die Blutfettwerte prägt.
Darüber hinaus gibt es weitere Prozesse, die das Viszeralfett zu einem gesundheitlichen Risiko machen. Es ist eben nicht nur ein Energiespeicher, sondern über zahlreiche Hormone und Signalmoleküle auch mit anderen Organen vernetzt. Die Fettzellen senden Signalstoffe aus, über die das Fettgewebe mit vielen anderen Geweben kommuniziert. So teilt es unter anderem seinen »Füllstand« mit und informiert darüber, ob Energie bereitgestellt oder eingelagert werden muss.
Als Signalgeber dienen unterschiedliche Botenstoffe. Hormone und andere Signalmoleküle aus dem Fettgewebe werden in diesem Sinne als Adipokine bezeichnet. Dies sind Stoffe, die von den Fettzellen selbst produziert werden. Ihre Bezeichnung geht auf den englischen Begriff adipose tissue, »Fettgewebe«, zurück.
Eines der bekanntesten Adipokine ist das bereits beschriebene Leptin (siehe >). Als Regulatorhormon des Energiehaushalts und des Appetits teilt es dem Gehirn gewissermaßen in Echtzeit direkt aus dem Fettgewebe mit, ob bei einer ausreichenden Menge Speicherfett die Nahrungsaufnahme zu reduzieren, zu erhöhen oder der Energieverbrauch anzupassen ist. Die Höhe des Leptinspiegels im Blut ist somit unmittelbar vom Körperfett abhängig und verhält sich direkt proportional dazu: Je höher der Körperfettanteil, desto höher ist auch der Leptinspiegel.
Grundsätzlich ist Fettgewebe eine Art von Bindegewebe, das Energie in Form von Triglyceriden in Fettzellen einlagern kann. Die Triglyceride sind die chemische Speicherform des Fetts. Daraus folgt, dass sich das Fettgewebe vorwiegend aus Fettzellen zusammensetzt, fachsprachlich Adipozyten.
Adipozyten sind kugelförmige Zellen und bestehen aus einem zentralen Lipidtropfen, der von einer dünnen Schicht Zellplasma umgeben ist. Sie sind von einem Netz aus Blutgefäßen umhüllt und werden von Bindegewebsfasern zusammengehalten. Das subkutane – also unter der Haut liegende – Fettgewebe dient nicht nur als Energiespeicher, sondern auch zur Isolierung und Polsterung des Körpers. Das viszerale Fettgewebe spielt im Stoffwechsel und bei der Hormonregulation eine größere Rolle. Fettgewebe enthält unter anderem auch Präadipozyten (also Zellen, die zu Fettzellen werden können), Immun- und Nervenzellen.
Lange Zeit dachte man, braunes Fettgewebe sei beim Menschen lediglich bei Säuglingen zu finden. Die Beschreibung von brown adipose tissue (BAT), »braunem Fettgewebe«, ist ein relativ neuer und bedeutender Fortschritt auf dem Gebiet der Stoffwechselforschung. Vor etwa 15 Jahren hat die Weiterentwicklung verschiedener Forschungsmethoden dazu geführt, dass auch bei erwachsenen Menschen braunes Fettgewebe entdeckt wurde. Ermöglicht wurde dies durch den Einsatz der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und der Computertomographie (CT), da dadurch Zonen mit erhöhter Glukoseaufnahme und stärkerer Wärmeproduktion im Bereich des Fettgewebes aufgespürt werden konnten. Besonders im Nacken und im oberen Brustbereich verbrennt braunes Fettgewebe Energie, die als Wärme abgegeben wird.
Seither haben weitere Studien das Vorhandensein von braunem Fettgewebe an verschiedenen Stellen des Körpers bestätigt, unter anderem im Bereich des Schlüsselbeins, am Hals, unter den Achseln und entlang der Wirbelsäule. Die Entdeckung von braunem Fettgewebe beim Menschen hat neue Wege zur Erforschung seiner Rolle im Stoffwechsel und im Energiehaushalt sowie seiner therapeutischen Bedeutung eröffnet.
Das subkutane und das viszerale Fettgewebe werden in Abgrenzung vom braunen Fettgewebe als weißes Fettgewebe bezeichnet. Dies ist auch sinnvoll, denn weißes und braunes Fettgewebe haben unterschiedliche Eigenschaften. Während weißes Fettgewebe unser primärer Energiespeicher ist, ist braunes Fettgewebe ein Energieverbraucher.
Diese Unterschiede ergeben sich auch aus der Struktur der Gewebe und Zelltypen. Optisch wirkt das weiße Fettgewebe weiß oder gelblich, während das braune Gewebe aufgrund seiner besseren Gefäß- und damit Blutversorgung sowie seines höheren Gehalts an Mitochondrien braun erscheint. In den Kraftwerken der braunen Fettzellen wird die entstehende Energie effektiv verbraucht – durch Wärmeproduktion. Braunes Fett ist also weniger Energiespeicher als vielmehr ein metabolisch sehr aktives Gewebe. Weißes Fett enthält kaum Mitochondrien, dafür aber die beschriebene Fettblase, die fast das gesamte Zellvolumen ausfüllt. Braunes Fettgewebe enthält ebenfalls Fett, das aber in kleinere Bläschen verpackt im Bereich der wärmeproduzierenden Mitochondrien angesiedelt ist.
Da dem Fettgewebe eine entscheidende Aufgabe bei der Energiespeicherung zukommt, spielt es selbstverständlich auch für die Entwicklung von Übergewicht eine entscheidende Rolle.
Wenn bei einer positiven Energiebilanz mehr Energie aufgenommen als verbraucht wird, speichert der Körper den Überschuss im Fettgewebe. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieser Überschuss durch die übermäßige Aufnahme von Fetten oder Kohlenhydraten entstanden ist. Auch ein übermäßiger Kohlenhydratverzehr kann zu einer Zunahme an Fettgewebe führen. Denn Kohlenhydrate werden im Körper in Glukose umgewandelt, und der Teil davon, der nicht zur Energiegewinnung herangezogen wird, wird in Form von Glykogen in Leber und Muskeln gespeichert. Sind diese Glykogenspeicher voll, werden weitere Überschüsse als Triglyceride im Fettgewebe eingelagert.
Wenn man viele, insbesondere einfache Kohlenhydrate wie raffinierten Zucker und Getreide verzehrt, kann dies dazu beitragen, dass die Fettdepots wachsen. Begünstigt wird dieser Prozess dadurch, dass einfache Kohlenhydrate rasch in den Blutkreislauf aufgenommen werden, was den Blutzuckerspiegel ansteigen lässt und die Insulinproduktion erhöht. Insulin ist an der Regulierung des Blutzuckerspiegels beteiligt (siehe >), fördert aber auch die Fetteinlagerung. So kann die kohlenhydratreiche, ballaststoffarme Ernährung die Ansammlung von Fettgewebe begünstigen.
Der zentrale Vorgang, der das Fettgewebe zunächst wachsen lässt, ist die Ausdehnung der Fettzellen – die Hypertrophie der Adipozyten. Während man im Fall der Muskelhypertropie von einem Wachstum der Muskelzellen spricht, nimmt bei der Entstehung von Übergewicht das Volumen der Fettzellen zu. Sie nehmen mehr Triglyceride auf, sodass der zentrale Fetttropfen und damit die Zelle selbst größer wird. Da dies mit Tausenden von Zellen gleichzeitig geschieht, vermehrt sich auf diese Weise das gesamte Fettgewebe.
Neben dem Wachstum der einzelnen Fettzellen kann sich bei der Entwicklung von Übergewicht die Anzahl der Fettzellen erhöhen – die sogenannte Hyperplasie. Man geht davon aus, dass auch die Vermehrung von Fettzellen eine Reaktion auf eine erhöhte Energiezufuhr ist. Bedeutsamer aber ist das Wachstum der bereits vorhandenen Zellen.
Führt man dem Körper immer weiter zu viele Kalorien in Form von Kohlenhydraten und Fett zu, gerät das Fettgewebe über kurz oder lang unter Stoffwechselstress. Die überschüssige Energie kann dann nicht mehr problemlos in den Fettdepots gespeichert werden.
Dies hat problematische Auswirkungen auf den Körper. Zunächst kommt es zu einer Fehlfunktion im Fettgewebe selbst, denn wie wir bereits wissen, ist es kein isoliertes Depot für überschüssige Energie, sondern steht über Hormone und andere Botenstoffe ständig in Kommunikation mit dem ganzen Körper (siehe >). Besonders, wenn das Fettgewebe längerfristig überfordert wird und dadurch Stress entsteht, verändern sich die Signalhormone. Zunächst reagieren die Fettzellen immer weniger empfindlich auf regulierende Signale aus ihrer Umgebung. Sie stumpfen regelrecht ab. Es wird insgesamt weniger Fett verstoffwechselt und es kann auch nicht mehr so viel Fett eingelagert werden. Dadurch kann weniger Fett zur Energieerzeugung herangezogen werden, obwohl es in großen Mengen vorhanden ist.
Weil es immer schwieriger wird, das Fett im Fettgewebe unterzubringen, behilft sich der Körper damit, dass er Fette in andere Organe einlagert. Die Wissenschaft bezeichnet dies als »extra-adipozytäre Fettablagerung«.
Möglichkeiten zur Fettspeicherung bieten auch Organe, die intensiv am Stoffwechsel beteiligt sind: Muskulatur und Leber. Die massive Zunahme von Fett in der Leber wird als nichtalkoholische Fettlebererkrankung (non-alcoholic fatty liver disease, kurz NAFLD) bezeichnet. Während diese im Frühstadium oftmals keine spürbaren Symptome verursacht, können im weiteren Verlauf Entzündungen, Narbenbildung und Leberschäden (nichtalkoholische Steatohepatitis, kurz NASH) entstehen. Am Ende dieser Entwicklung können schwere Erkrankungen wie Leberzirrhose, Leberversagen und Leberkrebs stehen. Übermäßige Fettansammlungen in der Skelettmuskulatur sind mit einer verminderten Muskelkraft und -funktion, einem gestörten Zuckerstoffwechsel und Insulinresistenz assoziiert, der Vorstufe von Typ-2-Diabetes.
Das Athleten-Paradox
Schon vor längerer Zeit haben Forscher entdeckt, dass in der Muskulatur von Marathonläufern viel Fett eingelagert ist. Dies wirkt zunächst widersprüchlich, da Übergewichtige und Marathonläufer im Hinblick auf ihre Stoffwechselsituation nicht viel gemeinsam haben. So entstand der Begriff vom »Athleten-Paradox«. In der Muskulatur von Marathonläufern finden sich viele kleine Fetttröpfchen, die jedoch unmittelbar mit den ebenfalls sehr zahlreichen Mitochondrien verbunden sind. So können die Fette zur effektiven Energiebereitstellung in der Muskulatur auf direktem Weg in die Mitochondrien transportiert werden. Bei Diabetikern oder Menschen mit starkem Übergewicht finden sich eher größere Fettbläschen und eher wenige Mitochondrien, sodass die Muskulatur eher als Fettdepot dient.
Neben der Einlagerung von Fetten in andere Gewebe des Körpers sorgt der anhaltende Stoffwechselstress nach einigen Jahren für ein weiteres Problem: Die ständigen Stresssignale werden in den Fettzellen zu Entzündungssignalen. Es ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt, wann und wie sich der Zellstress der Fettzellen in einen Entzündungsprozess verwandelt. Man nimmt jedoch an, dass sich die Versorgung der einzelnen Fettzellen verschlechtert, wenn sie sich immer weiter aufblähen. Außerdem nimmt die Fettblase im Zentrum der Zelle irgendwann so viel Platz ein, dass sie nicht mehr richtig funktioniert. Der entstehende Entzündungsprozess lockt Immunzellen an, um die beschädigte Zelle zu beseitigen.
Womöglich sterben einzelne Fettzellen sogar ab, sodass noch stärkere Entzündungssignale ausgelöst werden. Die Stress- und Entzündungsfaktoren, die zunächst im Fettgewebe freigesetzt werden, gelangen schließlich ins Blut und werden auf diesem Weg zu anderen Organen und Geweben transportiert. Die Entzündung wird systemisch, es kommt zu einer Immunaktivierung im ganzen Körper.
Lange Zeit glaubte man, diese Nebenwirkung des Übergewichts sei ohne weitere Bedeutung. Das Entzündungsgeschehen wurde wegen seines subklinischen Charakters unterschätzt, da der Anteil vieler entzündlicher Zytokine, der molekularen Botenstoffe des Immunsystems, im Blut nur leicht erhöht ist. Entzündungsmerkmale wie das C-reaktive Protein (CPR) sind eben nicht wie bei einer Infektion 200-fach, sondern nur 2- bis 3-fach erhöht. Das Gefährliche an der niedriggradigen systemischen Entzündung ist, dass sie chronisch ist, also nicht abklingt und ununterbrochen Signale an viele Organe und Gewebe sendet.
Wird dieser Prozess nicht unterbunden, verstärkt er sich selbst. Die entzündungsfördernden Signalstoffe locken immer mehr Immunzellen ins Fettgewebe, die wiederum Entzündungssignale freisetzen. Besonders wenn Immunzellen wie die Makrophagen (Riesenfresszellen) einwandern, entsteht eine Flut von Zytokinen, die auch andere Organe erreicht.