Das neunzehnte Kapitel
in dem das Kloster Besuch bekommt
Die Mönche, die schon lang in Einsiedeln sind, können einem schon am Morgen sagen, wie reichhaltig das Abendessen sein wird. Zuerst habe ich nicht verstanden, wie sie das machen, aber dann habe ich gemerkt: Sie müssen dafür nur in den Heiligenkalender schauen. An Tagen mit einem wichtigen Heiligen gibt es Fisch und bei einem sehr wichtigen sogar Fleisch, wenn auch meistens kein gutes, sondern es ist ganz stark mit Knoblauch und Bohnenkraut gewürzt, damit man nicht merkt, dass es eigentlich schon stinkt. Die meisten Heiligen sind aber nichts Besonderes, und an ihren Tagen bekommen wir nur Hirsebrei. An Sankt Kunibert hatten wir uns alle schon auf magere Kost eingestellt, und trotzdem hat es an diesem Tag ein Festessen gegeben, so viel von allem, dass sogar bei uns Abtsmündeln noch halbvolle Schüsseln angekommen sind. Die Küchen-Fratres haben extra ein Schwein gemetzget, das fetteste von allen; der Balduin und ich haben ihm aus Spaß Bruder Korbinian gesagt, weil der Cellerarius so heißt, und der hat einen richtig dicken Bauch. Ich habe ein Stück Brustspitz erwischt, da muss man zwar lang daran herumkauen, aber es ist schön fett, und man wird satt davon. Ich hatte schon fast vergessen, wie das ist, überhaupt
keinen Hunger mehr zu haben. Auch Bier haben wir bekommen, nicht wie sonst das dünne Zweitbier, das aus der schon einmal ausgekochten Maische gebraut wird und das die jüngeren Mönche Seichwasser nennen, sondern von dem dunklen, das einem den Mund verklebt und das es sonst nur an Festtagen gibt. Der Hubertus und ich haben jeder einen ganzen Krug davon getrunken, und hinterher war mir trümmlig.
Das Besondere an dem Tag war, dass das Kloster wichtigen Besuch bekommen hatte, »wichtiger als jeder Heilige im Kalender«, sagt der Hubertus. Ich habe vor dem Tor Blätter zusammengefegt, und so habe ich den Trupp heranreiten sehen, auf so mächtigen Rössern, dass das stärkste Pferd vom Eichenberger daneben ausgesehen hätte wie eine Hauskatze neben einem Luchs. Der Hubertus sagt, richtige Schlachtrösser seien das aber nicht, die seien noch viel größer, was ich kaum glauben kann. Nicht auf jedem Pferd ist jemand gesessen, manche haben auch nur das Gepäck getragen. Einer der Reiter hat ein Banner dabeigehabt, ein roter Löwe, der auf den Hinterbeinen steht, und ein anderer hat eine Koppel Hunde mitgeführt, mit langen Leinen am Sattelknauf angebunden. Die Hunde waren aber nicht zahm, nicht so wie der vom Kryenbühl, sondern es waren Riesentiere, vor denen auch ein Wolf davongelaufen wäre. Alle Reiter waren vornehm angezogen, am reichsten ihr Anführer, der hatte seinen Mantel vorne mit einer Agraffe verschlossen, die war aus richtigem Gold, oder es hat doch so ausgesehen. Der Bruder Zenobius, der mit der schönen tiefen Stimme, ist für die Ställe zuständig und hat mir später gesagt: Nur schon für das Geld, das das Sattelzeug von
den Reitern gekostet hat, könnte man hundert Bettler ein ganzes Jahr lang durchfüttern, und zwar nicht nur mit Haberbrei. Bei jedem anderen hätte ich gedacht, er übertreibt, aber das ist nicht dem Zenobius seine Art, sondern was er sagt, ist immer gut überlegt. Ich habe läuten hören, dass ihn der vorherige Abt zum Cellerarius machen wollte, aber der Zenobius hat gebeten, ihn bei seiner bescheidenen Aufgabe zu belassen, es sei ihm wohl damit, weil sie ihm genügend Zeit zum Nachdenken und zum Beten lasse.
Am Abend im Refektorium ist dann ein rotgelbes Wams so richtig herausgeleuchtet zwischen all den Mönchshabits. Der Anführer der Besucher hat auf dem Ehrenplatz sitzen dürfen, und man hat ihm alle Schüsseln zuerst hingestellt, noch vor dem Fürstabt und dem Prior. Die anderen von seinem Trupp sind etwas weiter unten gesessen, aber immer noch bei den hochadligen Mönchen, und während dem Essen haben sie so laut geredet und gesungen, dass man den Vorleser nicht mehr gehört hat. Sogar der Bruder Fintan, dem die Regeln sonst so wichtig sind, hat aus voller Kehle mitgesungen, als ob er nicht der Novizenmeister wäre, sondern der Doctor cantus.
Der Hubertus sagt, das Wappen mit dem roten Löwen bedeutet, dass der Oberste von den Besuchern ein Habsburger sein muss, ein Vetter oder ein Neffe vom Herzog Leopold. Ich muss jedes Mal staunen, dass er solche Sachen weiß, so viel älter als ich ist er doch gar nicht. Der Abt und der Prior müssten sich bei so einem Habsburger einschmeicheln, wie sie nur könnten, hat er gesagt, sie müssten ihm, wenn er es verlangen würde, sogar die Füße waschen, weil, wenn er dem Herzog erzählt, dass sie nicht nett zu ihm
waren, dann muss der nur mit den Fingern schnippen, und schon sind sie wieder gewöhnliche Mönche. Über den Herzog Leopold selber hat er so gut Bescheid gewusst, als ob der ihn jede Woche zum Essen einladen würde, dass man ihm »der Glorwürdige« sagt oder auch »das Schwert Habsburg«, dass sein Vater ermordet worden ist und dass er einen Bruder namens Friedrich hat, der König werden will. Diesen Wunsch wird sich der Hubertus aber ausgedacht haben, er ist ja nicht der Beichtvater von diesem Friedrich. Um noch mehr herauszufinden, auch warum sie hierher ins Kloster gekommen sind, wollte er sich mit einem aus dem Harst anfreunden und mit ihm plaudern, er hatte sich auch schon einen dafür ausgesucht, nicht den Obersten, die seien zu vornehm, aber auch nicht den Untersten, die würden sich nicht trauen, etwas zu sagen. Wissen sei immer nützlich, meint der Hubertus, auch wenn man nie im Voraus sagen könne, für was es sich einmal brauchen lasse.
Diese Anfreunderei hat dann eine blöde Auswirkung gehabt, auch für mich. Der Mann, den er angeredet hat, hat nämlich gemeint, es sei gerade günstig, dass sie ins Gespräch kämen, er brauche jemanden, der etwas für ihn mache, und der Hubertus scheine ihm genau der Richtige dafür zu sein. Ihr Trupp sei jetzt schon ein Weilchen unterwegs, und es sei nie Zeit dafür gewesen, aber jetzt wollten sie mindestens noch zwei Tage bleiben, und da ginge es sich gut aus. Er habe nämlich, weil sie immer kampfbereit sein müssten, ein Kettenhemd in seinem Gepäck, das habe ihm schon mehr als einmal das Leben gerettet, aber er habe es lang nicht mehr anziehen müssen und deshalb habe es Rost angesetzt, das komme davon, wenn die Feinde schon den
Schwanz einzögen, wenn sie einen nur von weitem sähen. Dieses Kettenhemd solle der Hubertus für ihn in Ordnung bringen, es sollten ihn auch ein paar Batzen nicht reuen, wenn es nachher nur wieder richtig glänze. Der Hubertus hat gesagt, er müsse zuerst den Novizenmeister um Erlaubnis fragen, obwohl er mir doch selber erklärt hatte, wir vom Kloster müssten den Besuchern jeden Wunsch erfüllen. Der Grund war aber, dass er die Arbeit nicht allein machen wollte, und weil er gefragt hat, wurde auch ich dazu eingeteilt. Dabei hätte ich mich lieber zum Verdauen in den Schober verkrochen, ich bin es nicht gewohnt, so richtig satt zu sein.
Ich wusste nicht, wie man den Rost von einem Kettenhemd abmacht, und der Hubertus, dieser Alleswisser, hatte auch keine Ahnung; er beschäftigt sich lieber mit Sachen, bei denen man sich nicht die Hände dreckig macht. Aber der Cellerarius kannte sich aus. Er hat ein altes Fass gebracht, bei dem sich die Dauben verzogen hatten, so dass es für Bier nicht mehr zu brauchen war, von dem wurde der Deckel abgemacht, und das Fass zur Hälfte mit Sand gefüllt. Das war schon einmal die erste schwere Arbeit, weil wir den Sand in Eimern vom Ufer der Alp holen mussten. Der Hubertus wollte in seinen Eimer jedes Mal viel weniger einfüllen als ich in meinen, aber das habe ich nicht zugelassen, wenn er uns schon so eine Suppe einbrockt, habe ich gesagt, dann muss er zum Aufessen auch einen gleich großen Löffel nehmen. Es war ein großes Fass, und bis wir genug Sand zusammen hatten, mussten wir ein paar Mal laufen. Dann wurde das Kettenhemd hineingelegt. Es war so schwer, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie man
sich darin bewegen kann. Der Cellerarius hat den Deckel wieder draufgenagelt, und dann ging die Anstrengung erst richtig los: Wir mussten das Fass auf dem Hof hin und her rollen, damit sich die Kettenglieder an dem Sand reiben und so wieder sauber werden konnten. Auf dem holprigen Boden war es nicht leicht, das Fass zu bewegen, und besonders schwierig wurde es jedes Mal, wenn man die Richtung wechseln musste. Natürlich hat der Hubertus auch hier wieder nur so getan, als ob er sich anstrengt, und die wirkliche Arbeit mir überlassen.
Wie wenn das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, hatten es sich ein paar von den Besuchern in der letzten Herbstsonne bequem gemacht und schauten uns zu. Weil sie sich gelangweilt haben oder weil sie schon vor dem Mittag betrunken waren, fingen sie an, sich über uns lustig zu machen und uns anzutreiben, wie man Pferde antreibt, wenn sie nicht schnell genug rennen wollen. Mit Stecken haben sie uns gegen die Beine geschlagen, nicht fest, aber unangenehm war es doch. Und dann ist es richtig gefährlich geworden, und das kam so: Als wir wieder einmal am Ende des Hofes angekommen waren und die Richtung wechseln mussten, haben wir das Fass fast nicht mehr in Bewegung bekommen, und sie haben zuerst gerufen: »Hopp das Fass! Hopp das Fass!«, und dann nur noch »Fass! Fass! Fass!«, und das hat einen von ihnen auf eine Idee gebracht. Er ist weggegangen und mit den Hunden zurückgekommen. Nun sind die aber so dressiert, dass sie, wenn man »Fass!« ruft, auf Menschen losgehen, und obwohl die Männer die Leinen manchmal zu zweit festgehalten haben, ist es mir mehr als einmal vorgekommen, als ob wir gleich
totgebissen würden, so haben sie die Tiere auf uns gehetzt. Ich habe immer mehr Angst bekommen, und darüber haben sie immer lauter gelacht und die Hunde immer näher an uns herangelassen. Der Hubertus und ich haben versucht, das Fass so schnell zu stoßen, wie wir nur konnten, aber es war immer zu langsam, man konnte an den Waden schon den Atem von den Tieren spüren. Vielleicht habe ich mir das mit dem Atem aber auch nur eingebildet.
Zum Glück ist dann gerade noch rechtzeitig ein Anführer von den Leuten auf den Hof gekommen und hat ihnen befohlen, sie sollen mit dem Blödsinn aufhören, nicht weil er Angst gehabt hat, wir könnten gebissen werden, das wäre ihm egal gewesen, sondern weil er gemeint hat, es ist schlecht für die Hunde. Der Hubertus und ich sind erschöpft auf dem Boden gelegen, und für einmal war es ihm egal, dass sein Habit dreckig wurde.
Als der Cellerarius dann später den Deckel von dem Fass wieder abgemacht hat, war an dem Kettenhemd tatsächlich keine Spur von Rost mehr zu sehen. Er hat es dann noch mit Leinöl eingerieben, und da hat es richtig geglänzt.
Die Besucher sind drei ganze Tage im Kloster geblieben, und für die Mönche war das eine gute Zeit, weil es jeden Tag feines Essen gegeben hat. Der Vornehmste von der Truppe, von dem der Hubertus unterdessen überzeugt ist, dass er ein Bruder vom Herzog Leopold sein müsse, davon gebe es nämlich eine ganze Menge, ist jeden Tag mit dem Abt zusammengesessen, und zweimal ist auch der Klostervogt dazugekommen. Was die drei miteinander besprochen haben, weiß niemand, aber der Hubertus, der immer für alles eine Erklärung hat, meint, dass es etwas mit dem Marchenstreit
zu tun haben muss, und die Habsburger sind natürlich auf der Seite des Klosters.
Die anderen Besucher hatten den ganzen Tag nichts zu tun und wären gern auf die Jagd geritten, aber das durften sie nicht, weil sie in der Nähe ihres Anführers bleiben müssen. Sie haben dann ihre Pferde gepflegt, und das war ein beeindruckender Anblick. Wenn ein Trupp solcher Rösser auf mich zugeritten käme, ich würde davonlaufen, so schnell ich nur könnte, und wenn meine Seite deswegen den Krieg verlöre, wäre mir das egal. Aber ewig kann man an einem Pferd nicht herumreiben oder seine Mähne flechten, und die Männer haben angefangen, allerlei Blödsinn anzustellen, Ringkämpfe miteinander und solche Sachen. Einmal haben sie zwei Güggel aus dem Hühnerhof geholt und wollten sie aufeinanderhetzen und einen Hahnenkampf veranstalten, aber die Tiere hatten nur Angst, und zu einem Kampf ist es nicht gekommen. Und dann ist etwas passiert, bei dem ich für einmal besser war als der Hubertus.
Der Mann mit dem Kettenhemd hat ihn nämlich gefragt, ob er Schachzabel kann, und der Hubertus, der immer am Aufschneiden ist, hat ja gesagt, obwohl ich gerade erst angefangen habe, ihm die Regeln beizubringen. Aber schon ganz am Anfang wollte er mit einem Pferd geradeausreiten, wo es doch immer um die Ecke gehen muss, und da hat der Mann ganz schnell gemerkt, dass er nicht drauskommt. Der Hubertus hat eine gewaltige Ohrfeige eingefangen, und die habe ich ihm gegönnt für seine Großtuerei. Ich habe dann all meinen Mut zusammengenommen und zu dem Mann gesagt, wenn er wolle, würde ich gern einmal ein Spiel mit ihm probieren. Den ersten Krieg habe ich dann tatsächlich
gewonnen, mehr aus Glück als aus Gescheitheit, und der Mann hat gesagt, ich sei der einzige vernünftige Mensch in diesem Kloster. Er hat aber nicht einfach »Kloster« gesagt, sondern hat vorne an das Wort noch etwas anderes, Unanständiges drangehängt. Wir haben dann noch ein paar Schlachten gekämpft, und ich habe mir vorgestellt, dass der Poli uns dabei zuschaut. Der hat mich immer ausgelacht, weil ich so etwas Unnützliches wie Schachzabel lernen wollte, und jetzt hat sich gezeigt, dass es eben doch etwas Nützliches ist. Der Mann hat mir nämlich eine Flöte geschenkt, die hatte er aus Italien mitgebracht, und hat gesagt, wenn er das nächste Mal nach Einsiedeln komme, müsse ich ihm eine Melodie darauf vorspielen.
An dem Tag, an dem die Besucher wieder weggeritten sind, mussten sich alle Mönche zum Spalier aufstellen, das hatte der Prior so angeordnet. Der Soldat, mit dem ich Schachzabel gespielt hatte, hat mir von seinem Pferd aus zugewunken, aber vielleicht hat er mit dem Winken auch gar nicht mich persönlich gemeint, sondern es war mehr allgemein. So ein Trupp Reiter ist ein beeindruckender Anblick, und wenn ich auch in keinen Krieg ziehen möchte, kann ich doch verstehen, warum der Poli davon träumt, Soldat zu werden.