Das dreiundfünfzigste Kapitel
in dem der Sebi doch mitmachen muss
Ich bin wirklich ein jämmerlicher Ins-Hemd-Scheißer. Ich habe nicht einmal genügend Mut, um richtig feige zu sein. Da bin ich aus dem Dorf weggelaufen, weil ich auf gar keinen Fall ein Teil von dem sein wollte, was in Einsiedeln passieren soll, und jetzt bin ich doch dabei. Ich habe mich nicht getraut, dem Stof‌fel-Schmied zu widersprechen, weil ich einfach Angst vor ihm hatte, so sehr hat er sich verändert. Der Herr Kaplan hat einmal vom Teufel erzählt, dass der umhergeht wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge, und genau daran hat mich der Stof‌fel erinnert. Der heilige Hieronymus hätte gewusst, wie man so einem Raubtier den Dorn aus der Pfote zieht, aber ich bin kein Heiliger.
Wahrscheinlich ist in meinem Lebensplan festgeschrieben, dass ich bei diesem Überfall dabei sein muss, ich hätte bis ans Ende der Welt davonlaufen können, und es hätte mir nichts genützt.
Mein Plan war gewesen, mich beim Stof‌fel-Schmied vor dem Onkel Alisi zu verstecken, aber es ist anders gekommen. Als ich noch dem Stof‌fel sein Lehrbub und falscher Vetterssohn war und bevor das mit dem Kätterli passiert ist, habe ich nie Angst vor ihm gehabt, auch wenn er mir manchmal die schlimmsten Sachen angedroht hat, zum Beispiel: Wenn ich mich weiter so ungeschickt anstelle, werde er mich an dem Haken über der Esse aufhängen. Er hätte das auch gekonnt, stark, wie er ist, mit einer Hand hätte er mich hochheben können, aber ich habe immer gewusst, dass er es nicht wirklich tut. Jetzt wäre ich nicht mehr so sicher. Es ist nicht wie beim Löwen vom Hieronymus ein lästiger Dorn, der ihn so wütend hat werden lassen, aber eine böse Erinnerung kann noch viel mehr weh tun. Ich stelle mir das vor wie ein Feuer, das die ganze Zeit in ihm brennt, und jedes Mal, wenn er es zu löschen versucht, wird es noch heißer. Früher hat er sich am Abend gern mal einen halben Krug Wein gegönnt oder auch einen ganzen, aber richtig betrunken habe ich ihn nie erlebt, nur müde ist er davon geworden, und hinterher hat man ihn schnarchen hören. Jetzt hat er auf dem Boden neben seinem Amboss einen Krug mit Räuschling stehen, den trinkt er aber nicht mit Genuss, sondern wie eine bittere Medizin. Bisher hat sie nicht geholfen, aber er hofft immer noch, mit der doppelten oder dreifachen Dosis werde es ihm irgendwann schon bessergehen. Das Trinken macht nicht mit jedem Menschen das Gleiche; wenn der Rogenmoser Kari besoffen ist, sieht er überall Dämonen oder Teufel, und am nächsten Morgen erinnert er sich daran und ist stolz darauf, dass er so besondere Sachen erlebt hat. Der Stof‌fel muss nur daran denken, was man dem Kätterli angetan hat – und er denkt die ganze Zeit daran –, dann überfällt ihn die Wut, und er versucht, sie zu ertränken. Aber es ist halt schon so, wie unsere Mutter immer gesagt hat: »Sorgen können schwimmen.«
Als er mich hat hereinkommen sehen, hat er mich umarmt und an sich gedrückt, aber nicht auf angenehme Art, nicht wie einer, der sich freut, sondern als ob er sich an etwas festhalten müsse. »Du bist genau der Richtige, um mich ins Kloster zu begleiten«, hat er gesagt. Ich habe zuerst gemeint, wir wollten nach Schwyz gehen, um das Kätterli bei den Magdalenerinnen zu besuchen, aber er hat ein anderes Kloster gemeint; er weiß Bescheid über den Überfall und will unbedingt mitmachen. Ein Mönch habe seine Tochter ins Unglück gebracht, sagt er, und jetzt wolle er sich an den Mönchen dafür rächen. Ich glaube, er denkt, wenn er seine Wut einmal herauslasse, gehe es ihm dann besser.
Er hat es für selbstverständlich genommen, dass ich auch dabei sein wolle, und in meiner Feigheit habe ich es nicht fertiggebracht, ihm zu widersprechen. Ich könne ihnen nützlicher sein als mancher andere, hat er gesagt, schließlich habe ich im Kloster gelebt und kenne deshalb alle geheimen Verstecke, in die sich die Mönchlein, diese Ratten, sonst vor der gerechten Strafe verkriechen würden.
Das Treffen ist auf Mitternacht abgemacht, und so mussten wir in die Dunkelheit hinein losgehen. Der Stof‌fel hat den Weg so sicher gefunden, als ob unsere Pechfackel geleuchtet hätte wie der Stern über dem Stall von Bethlehem. Die Fackel habe ich getragen, weil ich keine Waffe habe. »Du brauchst keine«, hat der Stof‌fel gesagt, »weil du nicht als Kämpfer mitkommst, sondern als Späher, wie die beiden, die von Josua ausgesandt wurden, bevor er Jericho überfallen hat.« Er selber ist mit etwas bewaffnet, das ich vorher noch nie gesehen habe, ich glaube, es hat noch gar keinen Namen. An einer Stange hat er dieses seltsam geschmiedete Eisen befestigt, das er mir damals am Tag vom Kätterli seinem Unglück gezeigt hat. »Dein Halbbart hat sich das ausgedacht«, hat er mir erklärt. »Schade, dass er heute nicht dabei ist. Er würde bestimmt gern sehen, wie sich seine Erfindung bewährt.«
Als wir uns Einsiedeln genähert haben, hat man immer mehr Lichter gesehen, und als wir dann zum Galgechappeli gekommen sind, haben so viele Fackeln und Kienspäne gebrannt, dass es fast taghell geworden ist. Der Stof‌fel-Schmied ist herzlich begrüßt worden, auch von denen, die ihn nicht gekannt haben; wenn man in einen Kampf ziehen will, freut man sich über jeden, der so groß und stark ist wie er. Seine neuartige Waffe haben sie bestaunt wie die Zuschauer damals im Gerichtssaal das künstliche Bein. Der Stof‌fel musste immer wieder erklären, zu was man sie alles brauchen könne, zum Stechen ebenso wie zum Zuschlagen, und mit dem Haken, der mich an einen Gertel erinnert hat, könne man einen Reiter vom Pferd reißen. Man hat den Leuten angesehen, dass sie nicht nur beeindruckt waren, sondern auch neidisch; ein paar haben zwar Streitkolben und sogar Armbrüste dabei, aber viele nur ganz einfach Spieße oder sogar Dinge, die gar keine richtigen Waffen sind, Dreschflegel oder hölzerne Mistgabeln. Einige haben auch Säcke mitgebracht, und einer hat ein Reff auf dem Rücken, wie man es braucht, um etwas Schweres zu tragen. Ich glaube, der Marchenstreit interessiert die meisten viel weniger, als was man im Kloster für Beute machen kann.
Der Stof‌fel ist so sehr damit beschäftigt, den anderen seine Erfindung vorzuführen, dass ich mich ins Dunkle hinein zur Seite drücken konnte, so wie ich es gemacht habe, wenn der Alisi Gäste hatte. Mir ist es am wohlsten, wenn ich nur zuschauen kann und nicht selber mitmachen muss. Manchmal denke ich, ich gehöre nirgends richtig dazu, aber vielleicht hat der Halbbart ja recht, und das ist einfach ein Teil vom Erwachsenwerden.
Es sind schon viele Männer da, und es kommen immer noch mehr. Aus unserem Dorf habe ich noch keinen gesehen, und von den anderen ist mir nur ein Einziger von früher bekannt, der Glatzkopf, der mit dem Messer auf den Poli losgehen wollte. Es sind überhaupt viele alte Soldaten dabei, man muss sie nicht kennen, um ihnen das anzusehen. Die Leute sind aufgeregt, weil sie gleich einen Überfall machen sollen, in einem Moment flüstern sie miteinander, und im nächsten reden sie lauter als nötig.
Je nachdem, wie sie ihre Fackeln halten, sieht man von manchen Männern nur den halben Körper oder sogar nur das Gesicht, so dass sie einen mehr an Gespenster als an Menschen erinnern. Ich habe versucht, noch weiter von ihnen wegzukommen, in der Dunkelheit bin ich an einen Pfahl gestoßen, und als ich hinaufgeschaut habe, sind die Wolken für einen Augenblick aufgerissen, und über mir war im Mondlicht das Rad, das zum Galgenhügel gehört. Ich konnte nicht sehen, ob ein Mensch oder ein Überrest von einem Menschen daran hing, aber Angst hat es mir trotzdem gemacht, und in meinem Kopf haben sich lauter wüste Gedanken gedreht. Wie macht es eigentlich der Blutrichter, wenn er jemanden aufs Rad flechten muss? Bricht er ihm schon unten auf dem Boden die Knochen und schleppt ihn dann über eine Leiter hinauf? Oder holt er das Rad herunter, bricht dem Verurteilten damit die Glieder und macht es dann mit dem Mann daran wieder oben fest? Kann er das allein, oder hat er Leute, die ihm dabei helfen?
Je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto schlechter ist es mir gegangen. Schon als Bub haben mich meine eigenen Phantasien oft so erschreckt, dass ich gar nicht mehr aufhören konnte zu weinen. Unsere Mutter hat mir dann geraten, ich solle mir ganz schnell eine schönere Geschichte ausdenken und damit die hässlichen Gedanken verjagen. Jetzt, unter dem Rad, habe ich das probiert, aber die einzige Geschichte, die mir eingefallen ist, war auch nicht schöner als die Wirklichkeit.
Der Teufel, habe ich mir ausgedacht, hat einen Karren mit ganz vielen Rädern, mit dem fährt er in der Hölle herum. Der Karren wird aber nicht von Pferden gezogen, sondern von armen Sündern, die er mit der Peitsche antreibt; das sind alles Leute, die vor Gericht falsches Zeugnis abgelegt haben. Auf jedes Rad, darum ist mir die Geschichte wohl so eingefallen, sind Menschen geflochten, Richter, die ungerechte Urteile gefällt haben oder sich haben bestechen lassen. Ihre gebrochenen Knochen tun ihnen für alle Ewigkeit weh, und sie jammern, wie nur arme Sünder jammern können. Für den Teufel ist so ein Wehklagen die schönste Musik, und zum Lachen bringen sie ihn außerdem, weil sie auch in der Hölle nicht aufhören, ihre Unschuld zu beteuern. Als er wieder einmal so unterwegs war, ist ein Rad von dem Karren abgefallen, und es hat den Teufel kopfvoran herausgespickt, er ist mit den Hörnern im Boden festgesteckt, und seine Unterteufel mussten ihn an den Beinen wieder herausziehen. Er hat furchtbar geschimpft und befohlen, dass das Rad sofort wieder angemacht wird, aber kaum war er wieder eingestiegen und losgefahren, ist es ein zweites Mal abgefallen. Diesmal ist er in einem Kessel mit siedendem Öl gelandet, was ihn nicht weiter gestört hätte, der Teufel genießt alles, was mit Feuer zu tun hat, aber er war unterwegs zu seiner Großmutter und hatte dafür sein schönstes Wams angezogen, das war jetzt voller Öl. Die Unterteufel haben ihm aus dem Kessel herausgeholfen, er ist zurück in seinen Karren gestiegen und hat die Peitsche geschwungen. In den Anneli-Geschichten passieren die Dinge immer dreimal, und darum ist das Rad wieder abgefallen, und es hat ihn wieder herausgespickt. Diesmal ist er auf einem angespitzten Baumstamm gelandet, die braucht man in der Hölle, um unkeusche Mönche daran aufzuspießen. Der Spitz ist ihm zum Arschloch hinein, habe ich mir ausgedacht, und dort, wo bei den Menschen der Bauchnabel ist, wieder heraus, er hat aber keinen Nabel, weil er ja nicht geboren wurde, sondern erschaffen. Ein Mensch wäre verblutet, aber in den Adern des Teufels fließt kein Blut, sondern Gift. Die Unterteufel haben ihn von dem Baumstamm abgemacht, und da hat er gesehen, dass sein schönes Wams jetzt nicht mehr nur dreckig war, sondern auch noch ein Loch hatte, das hat ihn satansmäßig wütend gemacht. Er wollte das Rad, das an allem schuld war, in einem See aus glühend heißem Eis versenken, aber da hat man plötzlich eine Stimme gehört, die hat gesagt …
Weiter bin ich mit dem Erfinden nicht gekommen, weil mich ein so heftiger Schlag im Rücken getroffen hat, dass ich beinahe hingefallen wäre. Es war der Alisi, der mich so grob begrüßt hat. Er habe schon gemeint, ich wolle mich drücken, hat er gesagt, aber jetzt merke er, dass ich es als echter Schwede vor Vorfreude auf den Kampf nicht ausgehalten habe und deshalb vorausgelaufen sei. Zusammen mit ihm war der Poli mit seinem ganzen Fähnlein gekommen, der kleine Eichenberger hatte sich aus einem Tuchfetzen ein Banner gemacht, der Schwämmli durf‌te ihre Fackel tragen, und außerdem haben sie den Tschumpel-Werni mitgebracht, was ich überhaupt nicht verstehen kann, wo es doch um einen Überfall geht. Er hat zwar nur einen halben Verstand, aber er ist der friedlichste Mensch von der Welt; auch wenn ihn die Leute zäukeln, lacht er nur und ist ihnen nicht böse.
Der Poli hat seinen Bogen dabei und der kleine Eichenberger ein Messer, das sein Vater sonst zum Metzgen braucht; ich glaube, es ist dasselbe Messer, mit dem er damals dem Geni das Bein abgeschnitten hat. Nur der Alisi ist ohne Waffe gekommen, das lohne sich nicht, hat er gemeint, so einen Mönch reiße er auch mit bloßen Händen in Stücke.
Es wird wohl bald losgehen.