»Ist das zu fassen? Weshalb dauert eine rechtsmedizinische Untersuchung plötzlich so lange?« fuhr Paul Konter seinen Gesprächspartner durchs Telefon an. Scheinbar herrschte akuter Personalnotstand an der Humboldt-Universität, zu der das »Leichenhaus« – wie das Institut immer noch im Volksmund hieß – gehörte.
»Was heißt hier, der Fall kann warten?«, ereiferte sich der Kommissar weiter. »Der Leichnam wurde Ihnen vor vier Tagen überstellt, und seither ist nichts geschehen.«
Druwe hatte einen Kaffee besorgt und versuchte, seinen Vorgesetzten mit einer Geste seiner flachen Hand zu beschwichtigen.
»Ich weiß, dass die Frau tot ist!«, schrie Konter in den Hörer, und Druwe schien zu ahnen, dass hier jede Vermittlung zu spät kam. »Unerhört. Sie impertinentes Subjekt!« Der Kommissar schlug den Hörer derart heftig in die Gabel des Fernsprechapparats, dass es schepperte. »Dieser Kretin! Er sagt, der Dekan hätte allen Chirurgen untersagt, in der Pathologie und Gerichtsmedizin auszuhelfen. Bis Mitte November! Weil es ungewöhnlich viele Krankheitsfälle gibt, hätten jetzt die Lebenden Vorrang vor den Toten. Dieser Hanswurst von Institutsassistent will mich belehren!«
»Der Kaffee ist gut, Chef«, meinte Druwe. »Zwei Löffel Zucker und nur wenig Sahne.« Er reichte Konter, der von seinem Stuhl aufgesprungen war, den Pott, aus dem Dampf aufstieg. »Die Bohne direkt ab Rösterei Schoening. Frisch gemahlen.«
»Wie sieht es mit Ihrem Schwager aus, Jens?« Tatsächlich legte sich Konters Erregung nach dem ersten Schluck etwas.
»Erstens hat er ebenfalls eine Hauptanstellung als Chirurg, und somit gilt die Weisung auch für ihn.« Druwe zuckte mit den Schultern. »Zweitens absolviert er gerade eine Gastassistenz bei Sauerbruch in München.«
»Dann mache ich es eben selbst, verdammt!«
Die fachlich qualifizierte Untersuchung von Leichnamen war gerade ihren Kinderschuhen entwachsen. Noch vor einem halben Jahrhundert hatte es Landstriche und Kleinstädte gegeben, in denen ein »Leichenkommissar«, meist wegen chronischer Trunkenheit auf diesen Posten abgeschoben, für die Begutachtung der Verblichenen verantwortlich gewesen war. Später hatte sich wenigstens ein Arzt die Verbrechensopfer angesehen, kaum besser waren jedoch die daraus gewonnenen Erkenntnisse gewesen.
»Ganz ruhig, Chef. Ich versuche, meinen Schwager ans Telefon zu bekommen. Er wird schon einen illegalen Bader oder Steinschneider kennen, der uns die Leiche öffnet.«
»Mir ist ganz und gar nicht nach Scherzen zumute, Jens.«
Druwe gelang es tatsächlich, am Nachmittag mit dem Mann seiner verstorbenen Schwester zu sprechen. Dr. Schmid sagte zu, zügig einen begabten Assistenten zu finden, der für ein Handgeld endlich eine fachliche – wenn auch inoffizielle – Leichenschau durchführen würde. In diesem Fall wäre eine Obduktion ohne Anordnung allerdings eine Straftat, so dass die Polizisten auf eine Öffnung des Körpers vorerst würden verzichten müssen. Konter und er hatten die letzten Tage damit verbracht, die Mitarbeiter der Ufa zu befragen, die in den Ateliers an der Oberlandstraße beschäftigt waren. Dazu kamen Freischaffende und Zulieferer, Handwerker, Fotografen und »Springer«. Letztere eilten mehrmals täglich zwischen Babelsberg und Tempelhof hin und her, um Anweisungen von Regisseuren und Bühnenbildnern zu überbringen und deren korrekte Ausführung zu überwachen.
Bereits am Montagmittag nach dem Leichenfund hatte Paul Konter eine erhebliche Abneigung gegen die Filmleute entwickelt. Mit den einfachen Arbeitern kam er gut zurecht, aber ansonsten sahen sich alle Mitwirkenden als Künstler und Intellektuelle und zeigten entsprechende Allüren.
»Sie kennen das ja, Herr Kommissar! Man muss auf sich achtgeben. Nicht auszudenken, wenn das Haar nicht sitzt oder die Theaterschminke verläuft! Da kann ich nicht jeden Toten rechts oder links bemerken. Nein, nein, das können Sie nicht von mir verlangen«, war die Aussage eines hageren Mannes, der in einem geplanten Film eine Dreißig-Sekunden-Einstellung bekommen würde.
»Ick bin hier für jute Latüchten«, meinte ein Beleuchter. »Ohne Licht is duster, wa? Mir is ejal, wat inne Ecke passiert. Da knutschen se. Oder fummeln rum. Und nu is eener hin? Ick weeß jar nüscht, ick mach nur die Lampen.«
»Die Leute rauben mir den letzten Nerv.« Konter strich sich über die Stirn und massierte die Schläfen, an denen sich bei Anspannung die Adern wölbten. »Wie viele sind es noch?«, fragte er Druwe.
»Elf Leute haben wir befragt, vier Aussagen fehlen.«
Es war eine Sisyphos-Arbeit. Gerade wenn es schien, als hätten sie eine Spur, stellte sich heraus, dass es sich nur um üble Nachrede oder Klatsch handelte. Niemand hatte etwas bemerkt, alle wünschten allen das Schlechteste, wobei die Scheinheiligkeit schon fast Übelkeit erregte.
»Ich muss zum Zahnarzt«, sagte Konter entnervt und warf seine Notizen auf Druwes Tisch. »Sie schaffen das schon, Jens.« Es hatte eben auch Vorteile, wenn man Vorgesetzter war.
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Der Arzt, der die beiden Polizisten am Gerichtsmedizinischen Institut erwartete, konnte kaum älter als dreißig sein. Im Gesicht trug er neben letzten Pusteln einer jugendlichen Akne auch einen Schmiss, der das eigentlich schöne Gesicht verunstaltete.
»Dr. Pahl?«, fragte Druwe und zeigte seinen Dienstausweis. Der Mann nickte. »Ich bin KA Jens Druwe von der Kripo. Bertholds Schwager.« Er gab dem Mann einen Umschlag, in dem sich dreißig Mark befanden.
»Und die Sache ist wirklich nicht illegal?«, fragte der Arzt zurück. Es war Abend, und er roch nach dem Schweiß eines langen Arbeitstages und dem Karboldunst der OP‑Säle.
»Keine Sorge. Ich habe das Vorgehen mit der Rechtsabteilung des Präsidiums besprochen«, log Druwe. Er war zwar sicher, dass eine äußere Leichenschau durch einen Arzt in Anwesenheit von zwei Kripobeamten völlig rechtens war. Aber er hatte auch keine schlafenden Hunde wecken wollen, indem er bei den Juristen dämliche Fragen stellte.
Sie gingen ins Innere des Instituts. Ein Pförtner wollte gerade seine Schicht an den diensthabenden Gehilfen übergeben, ließ sie aber noch ins Gebäude. Über der Szenerie lag eine unheimliche Atmosphäre, als der Mitarbeiter des Instituts die drei Männer durch einen langen Gang ins Souterrain führte. Traditionell lag in dieser Art von Gebäuden der Kühlbereich hinter dicken Mauern, oft auch eingelassen ins Erdreich. Das Licht war von der Tagesschicht bereits auf die Notbeleuchtung umgeschaltet, so dass lange Schatten zwischen den Lampen an die Wände des Gangs geworfen wurden. Konter fühlte sich an Nosferatu erinnert. Hin und wieder bestand Toni darauf, dass er mit ihr ins Kino ging. Aber wer fürchtete sich schon vor einem bleichen Grafen mit zu langen Zähnen und ungepflegten Fingernägeln? Das wahre Leben war schließlich um einiges schrecklicher. Wenige Augenblicke später zeigte ein Brummen an, dass sie an den Aggregaten der Kühlung vorbeigingen.
»Muss praktisch sein, darin im Sommer das Bier kalt zu stellen«, murmelte Druwe. »Inge hat gelesen, dass Ingenieure in den Staaten sogar an einem Schrank arbeiten, der in eine Wohnung passt.« Er zeigte zum Kühlraum. »Nicht solche Ungetüme.«
Der Arzt wies die beiden Beamten an, am Eingang zum Seziersaal zu warten. Er schloss einen Stahlschrank auf, in dem sich das »Gästebuch« befand. Druwe hatte sich bereits an den makabren Sprachgebrauch dieser Unterwelt gewöhnt. Er und Konter hörten kurz darauf ein Klappern im Kühlraum.
Eine Viertelstunde später standen sie vor einem Tisch aus poliertem Edelstahl. Und darauf lag die Leiche einer Frau. Der Erkennungsdienst hatte den Körper noch am Tatort aus der Pappmaschee-Holzleim-Puppe befreit. Als die Kollegen auch die mehreren Lagen Bandagen entfernen wollten, hatte Konter vehement darauf bestanden, dass diese Arbeit von einem Gerichtsmediziner ausgeführt wurde. Trotz des Leinenverbands war allerdings bereits am Fundort endgültig klar gewesen, dass es sich um ein weibliches Opfer handelte.
Der junge Assistent der Chirurgie wurde selbstsicherer, da er sich jetzt in seinem Element befand. Er drehte den Körper der Toten jeweils zu den Seiten und musterte den Rücken, das Gesäß und den Beinbereich. Dann folgte die Vorderseite.
»Keine durch die Verbände sichtbaren Blutungen, keine Stich- oder Schusswunden. Ich werde jetzt die Umwicklung aufschneiden müssen.« Er blickte Konter fragend an, der zustimmend nickte.
»Woher kommt dieser Geruch?«, fragte Druwe.
»Eine Formalinlösung«, antwortete der Arzt. Er nahm die ersten Verbände ab und hielt sie sich ein paarmal an die Nase. »Der Mull wurde nicht darin getränkt, er riecht nur schwach.«
Plötzlich schrak der Mann zurück. Er hatte gerade die letzte Schicht des Stoffs aufgeschnitten und den Brustbereich der Leiche freigelegt.
»Mein Gott, sie wurde bereits obduziert!« Er drehte sich zu den Kriminalbeamten um. »Was soll das? Ist die Sache eine Prüfung? Oder ein Scherz? Sie sagten mir, dass im Moment niemand eine Autopsie durchführen könne.«
Die beiden Polizisten wirkten gleichermaßen erstaunt und bestürzt. Der Leichnam wies einen typischen Y‑Schnitt von Schlüsselbein zu Schlüsselbein und mittig nach unten zum Schambein auf. Der Arzt zerschnitt nun auch die Bandage am Kopf, die Stirn und Hinterhaupt bedeckt hatte.
»Schädelhöhle ebenfalls eröffnet«, sagte er und deutete auf den Schnitt quer über den Hinterkopf. »Ein sogenannter Skalpierungsschnitt. Etwas dilettantisch ausgeführt.« Bei diesen Worten zeigte er auf die Nähte, mit denen der Brust-Bauch-Schnitt verschlossen worden war. »Unregelmäßige Knotenform, Einstichweite und Tiefe wechselt, Zug an mehreren Stellen zu stark.«
»Also ist der Täter ein Laie«, folgerte Konter.
Dr. Pahl schüttelte jedoch den Kopf und drehte sich nun ganz zu den beiden Männern um. »Meine Herren, wenn ich mich nicht täusche, handelt es sich bei dem Leichnam um einen Lehrkörper.«
»Wie bitte?« Druwe war vollkommen verdutzt. »Sie meinen eine Lehrkraft? Die Tote war … Lehrerin?«
»Körper, Herr Druwe. Ein Lehrkörper wird an der Universität für den anatomischen Unterricht eingesetzt.«
»Ach.« Der jüngere Kripobeamte war aus dem Tritt gekommen und sah seinen Vorgesetzten hilfesuchend an.
»Die Leichen werden einbalsamiert, da sie über Wochen und Monate zu Lehrzwecken gebraucht werden«, fuhr der Mediziner fort. »Sie würden ansonsten trotz Kühlung verwesen.«
»Können Sie etwas zum Todeszeitpunkt sagen?«, fragte Konter zögerlich. Er wollte unbedingt souverän wirken, da sein Mitarbeiter eben leicht gepatzt hatte.
»Unmöglich. Zwischen Tagen und Monaten, wie ich bereits sagte. Vielleicht könnte ein pathologisches Präparat darüber Aufschluss geben. Denn trotz der Einbalsamierung zersetzt sich das Gewebe. Wenn auch sehr viel langsamer.«
»Todesart?« Konter ahnte die Antwort bereits.
»Irgendwann ist ein Herz-Kreislauf-Stillstand eingetreten«, antwortete Pahl süffisant. Er schien die Verunsicherung der Polizisten zu genießen. »So viel ist sicher. Ich sehe keine Strangulationsmarken, aber das haben Sie sicher schon selbst überprüft. Da andere Wunden fehlen, könnte es vielleicht eine Vergiftung gewesen sein. Oder die Dame wurde mit einem Kissen erstickt.«
»Ein natürlicher Tod wäre also ebenfalls denkbar?« Druwe versuchte, Punkte gut zu machen.
»Sicher. Eine Thrombose, ein Herzfehler, Nierenversagen, Zuckerkrankheit. Da käme vieles infrage.«
»Was ist mit dem Gesicht? Ist es üblich, dass es so präpariert wird?«
»In der Tat ungewöhnlich.« Der Arzt kratzte eine dünne Schicht von der Wange, die aussah wie geronnenes Eiweiß. »Können Sie mir schildern, unter welchen Umständen Sie den Leichnam aufgefunden haben?«
Konter nickte Druwe zu, der in aller Kürze die Umstände am Fundort beschrieb.
»In einer Hülle aus Pappmaschee, sagen Sie?« Pahl wirkte nachdenklich.
»Und etwas Festerem. Wie Holzmasse, die man zum Ausbessern von Fehlstellen nutzt. Nur großflächig.«
»Aber ja! Es wurde offenbar ein Abdruck angefertigt«, sagte der Arzt. »Dafür reicht es beim Korpus aus, ihn fest mit dünnem Stoff zu umwickeln. Beim Gesicht ist es schwieriger. Will man die Feinheiten erhalten und wiedergeben, muss man es mit einer …« Er zeigte auf die Spatelspitze, an der das milchig durchscheinende Material hing. »Man hat das Gesicht mit einer Klebemasse überzogen, um eine Art Totenmaske anzufertigen.«
»Es wurde ein Abdruck angefertigt?«, fragte Konter. »Wir haben die Tote allerdings in der fertigen Puppe gefunden.«
»Dann hat jemand den Körper später in die Puppe gesteckt. Erst braucht man den Gipsabdruck, also ein Negativ. Dann folgt der Guss des Originals. Da es eine Holzmasse war, würde ich eher von Modellieren sprechen.«
Der Mediziner schloss die äußere Inspektion des Leichnams ab, ohne dass er weitere Auffälligkeiten bemerkte. Konter forderte ihn schließlich auf, die Nähte zumindest teilweise zu öffnen.
»Keine Sorge, Dr. Pahl. Sie obduzieren ja nicht, Sie öffnen nur bereits vorhandene Öffnungen«, versuchte der Kommissar, den Mann zu beruhigen.
»Die inneren Weichorgane fehlen«, meinte Pahl, nachdem er die Nähte am Y‑Schnitt entfernt hatte. »Ich denke, dass es beim Gehirn ebenso sein wird.«
»Es klingt, als wäre dies nicht ungewöhnlich?«, fragte Druwe.
»Um die Verwesungsprozesse aufzuhalten, werden mehrere Liter des Konservierungsmittel in den Körper injiziert. Organe wie Lunge, Leber, Darm oder Gehirn wären aber nicht hinreichend vor dem Verfall geschützt. Deshalb werden sie entnommen und gesondert konserviert.«
»Nett. Also tatsächlich wie bei den alten Ägyptern.«
»Und wie sieht es nun aus?« Druwe zeigte auf die klaffende Körperhöhle. Aus dem Krieg kannte er Blut. Viel Blut. Und Dreck. Aber dieser Leichnam wirkte auf seltsame Weise sauber. Das Muskelfleisch hatte einen braunen Ton mit einem Stich ins Rote. Weiß-bläulich schimmernde Bänder und Sehnen überlagerten die Knochen. Die breite Bauchschwarte wies eine gelb unterlegte Schicht auf. »Irgendetwas Ungewöhnliches?«
»Hören Sie, eine gute Obduktion dauert mindestens zwei Stunden. Und ich soll hier in ein paar Minuten …« Dr. Pahl verdrehte die Augen. »Nein, ich sehe auf den ersten Blick keine verdächtigen Veränderungen. Eine recht schlanke Frau, etwa dreißig Jahre alt, ohne erkennbare Verletzungen oder Krankheiten. Aber wie schon gesagt, eine Lungenentzündung könnte sie umgebracht haben, eine allergische Reaktion. Es bleiben ein Dutzend Todesarten, die wir nicht ausschließen können.«
»Eine letzte Frage«, sagte Konter. »Was ist mit den Augen?«
»In der Tat die nächste Auffälligkeit. Der Augapfel trocknet beim Konservierungsprozess ein, die Linsen und Häute werden trübe. Meist werden die Lehrkörper so hergerichtet, dass die Lider geschlossen sind.« Der junge Chirurg nahm eine schmale Knopfsonde und stieß damit vorsichtig gegen den linken Augapfel der Toten. Ein feines Klacken war zu hören. »Glas. Und bevor Sie fragen, nein, diese Vorgehensweise ist im universitären Lehrbereich nicht üblich.«
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Niemand interessierte sich für den Fall. Außer dass er Anlass bot zu allerlei Spott, der sich über Konter und Druwe ergoss. Selbst Gennat hatte mitleidig gelächelt, als Konter ihm die Umstände des Leichenfunds und die Ergebnisse der ersten Autopsie mitteilte.
»Was untersuchen wir eigentlich, Paul? Die Sache fällt gar nicht in unsere Zuständigkeit, wenn ich es recht bedenke«, hatte er gesagt. »Sollen doch die Kollegen der Orpo herausfinden, in welchem Kabinett der Stadt ein Leichnam fehlt.« Er lachte donnernd und hob theatralisch dozierend den Zeigefinger. »Aber ein Leichnam ist per definitionem bereits tot, so dass es kein Mordfall sein kann. Warten Sie noch die offizielle Obduktion ab. Wenn der Gerichtsmediziner doch Hinweise findet, die auf ein gewaltsames Ableben hindeuten, dann nehmen wir den Fall wieder auf.«
Kommissar Grote und dessen Intimus Buber, die Konter seinen erfolgreichen Quereinstieg in der Mordabteilung neideten, begannen, zu witzeln.
»Kollege Konter erschien offenbar etwas zu langsam am Tatort«, ließ Grote verbreiten. »Und zwar so langsam, dass die Leiche bereits seziert war, als er eintraf. Nun sucht er noch den dazugehörigen Sarg.«
Kurz nach dem Gespräch mit seinem Chef hatte sich Konter noch eine Einschätzung der zuständigen Rechtsabteilung bei der Kripo eingeholt. Danach hatte er eine Weisung an die Zentralkartei gegeben. Gab es in den vergangenen Jahren ähnliche Fälle? War aktuell – so merkwürdig es klang – ein Leichnam als vermisst gemeldet? Führten die Angaben zur Person auf die Spur einer Vermissten?
Der Kripobeamte ging zurück zu seinem Zimmer, in dem bereits Druwe auf ihn wartete. Immerhin hatte er Kuchen und Saft besorgt.
»Wir sind zunächst nicht mehr zuständig«, meinte Konter resigniert. »Und dafür der ganze Aufwand.« Er blickte auf die Protokolle der Zeugenvernehmungen, die sich auf seinem Tisch stapelten.
»Dachte ich mir schon. Und wem übergeben wir den Fall jetzt? Raub, Diebstahl, Betrug oder Sitte?« Druwe lachte.
»Jetzt fangen Sie auch noch an, Jens. Gennat hat grünes Licht gegeben, dass wir zwei Orpo-Kollegen bekommen, die sich nach einem vermissten Leichnam erkundigen werden. Nach einem vermissten und präparierten Leichnam.«
»Um welches Delikt handelt es sich eigentlich? Schändung oder Diebstahl, Störung der Totenruhe?«
»Nichts dergleichen«, gab Konter brummend zurück. »Ich war beim Justiziar. Er meinte, eine Leiche ist laut Gesetz immer herrenlos, so dass Eigentumsdelikte ausgeschlossen sind. In ihrer Ruhe wurde die Tote auch nicht gestört, da sie ohnehin für Ausbildungszwecke vorgesehen war. Sie wurde bisher ja noch nicht bestattet. Schändung wäre es, wenn jemand eindeutig sittenwidrige oder vorsätzlich menschenverachtende Handlungen an dem Körper vorgenommen hätte.«
»Chef, wollen Sie sagen, jeder könnte einen Toten aus dem Präpariersaal der Universität entwenden, ohne belangt zu werden?«
»Vielleicht können wir den Täter wegen groben Unfugs belangen.« Konter seufzte. »Aber Schluss jetzt, Jens. Sie kümmern sich darum, dass wir zwei Kollegen bekommen, die die Nachforschungen anstellen. Und wir warten die offizielle Nach-Obduktion ab, die wohl in frühestens einer Woche stattfinden wird. Bis dahin ist Ruhe im Puff. Grote, Buber und Hinrichs gehen mir mit ihren Sticheleien schon genug auf die Nerven.«