»Es gibt viel zu besprechen!«, waren nach seiner Rückkehr die ersten Worte beim Sonntagstreffen des Syndicats gewesen. Es mochte der Unerfahrenheit seiner jungen Jahre oder aber der Tatsache, dass er nie längere Zeit in Lohn und Brot gestanden hatte, geschuldet sein, dass Franz Sass kein Gespür dafür besaß, dass diese Worte nur allzu oft Ärger heraufbeschworen. Manch Fabrikdirektor war erholt von einem Ostseeurlaub vor seine ausgepumpten Arbeiter getreten, um eben mit diesen Worten »frischen Wind und neue Ideen« anzukündigen. Um dann festzustellen, dass die Begeisterung bei jenen, über deren Köpfe dieser Wind blies, eher mäßig war. Entsprechend belämmert hatte er in die Runde geschaut, als die anderen Teilhaber zunächst betreten schwiegen.
»Das kann heiter werden«, entfuhr es Anna schließlich, und sie sprach allen Anwesenden damit aus dem Herzen.
Toni lächelte. Ihr Neffe hatte immer noch den ausgeprägten jugendlichen Schwung, den sie beneidete. Sie hingegen hatte die Erfahrung. Und gemeinsam war es ihnen in den vergangenen Jahren gelungen, das Syndicat zu einer Größe in der Berliner Halbwelt zu machen, mit der man rechnen musste. Zwar nicht bedrohlich für die Ringvereine, aber respektabel für gute Geschäfte.
»Glückwunsch, dass ihr vor dem Winter doch noch den Weg nach Hause zurückgefunden habt«, meinte sie. »Und danke für das Vertrauen, uns für zehn Wochen die Geschäfte zu überlassen.« Insgeheim war sie heilfroh, das Syndicat nicht mehr allein führen zu müssen. Aber zugeben wollte sie es noch nicht.
»Der Wagen musste unbedingt eingefahren werden«, gab Franz etwas kleinlauter zurück.
Susanne und er hatten es gerade noch über den Brennerpass geschafft, bevor der erste Schnee gefallen war. Danach lockten jedoch die milde Bodenseeregion, Baden-Baden und die Weingebiete der Mosel. Erst durch den Wetterumschwung vor einer Woche war ihre Entscheidung bestärkt worden, wieder nach Berlin zurückzukehren.
»Bestimmt steckst du voller Ideen«, sagte Toni. »Aber bitte nicht mehr in diesem Jahr.«
»Den Plan, in der Stadt ein Kino in der Kanalisation zu eröffnen, konnte ich ihm Gott sei Dank ausreden«, meinte Susanne feixend.
»Ein Kino? In der Kanalisation?« Paul Konter war derart überrascht, dass er Franz anstarrte und sich gedankenlos vier Teelöffel Zucker in den Kaffee schaufelte.
»Ich sehe schon die Werbung«, feixte Erich Sass, der jüngste Bruder. »Kintopp-Kloake unterm Zoo. Da kann die Ufa mit ihrem Palast am Zoo dichtmachen.«
»Der Stadt fehlt ein ordentlicher Spielbetrieb«, sagte Franz, ohne auf die Bemerkung einzugehen. »Paris, London, Rom, New York. Überall wird mit Karten, Würfeln und Roulette eine Menge Geld verdient.«
»Der Berliner braucht etwas Handfestes zum Wetten«, meinte Toni. »Pferde, Fußball und Boxen.« Das Syndicat hatte immer noch eine kleine Beteiligung an der Rennbahn Hoppegarten, allerdings waren die Einnahmen durch staatliche Regulation und Steuerpflichten stark zurückgegangen. Das Boxgeschäft hingegen brummte unter der Leitung von Erwin Volkmar, der in diesem Jahr selbst Amateurmeister geworden war. Alles in allem waren die Umsätze allerdings nicht weltbewegend.
»Mag sein, aber die Musik spielt schon jetzt mehr bei den Touristen und den gelangweilten Bonzen«, erwiderte Franz. »Sogar der Adel kriecht wieder aus den Löchern. Allesamt Leute mit mächtig Penunze uff de Tasche.«
»Ganz unrecht hat er nicht«, sagte Katja. »Wenn ich an die Gepflogenheiten der Empfänge und Abendgesellschaften denke. Sehr oft verabschieden sich die Damen schon gegen elf. Und die Herren wissen nichts mit sich anzufangen. Sie rauchen, trinken und sterben vor Langeweile. Wenn es einen Klub gäbe, der bis drei Uhr ein wenig Nervenkitzel verspricht, würde wohl so mancher noch dorthin aufbrechen.«
»Kein Klub«, widersprach Franz. »Ein Casino! Ein Baden-Baden bei Berlin.«
»Soweit ich weiß, vergibt die Stadt dafür keine Lizenzen«, meinte Konter.
»Bei Berlin«, wiederholte Franz triumphierend. »Direkt am Stadtrand, aber außerhalb. Legale Konzession. In bester Lage und mit ausgewähltem Personal. Ein Geschäftsfreund in Neapel hat mir einen Vorschlag gemacht.«
Franz begann, den anwesenden Teilhabern seine Pläne für ein Spielcasino zu erläutern. Dabei betonte er das Interesse der Italiener an einer stillen Beteiligung. Er hatte allerdings beschlossen, einige Details zunächst auszulassen, um die Stimmung nicht unnötig gegen sich aufzubringen. Dass die Gepflogenheiten der Familienclans in Kampanien die Berliner Ringvereine wie eine Laienspieltruppe aus Kleinganoven aussehen ließen, erwähnte er vorerst lieber nicht.
»Du tust ja gerade so, als ob das Geld da unten wie Zitronen an den Bäumen wächst«, erwiderte Toni, als er eine Pause eingelegt hatte.
»Auch dort unten wird hart gearbeitet.« Franz zwinkerte sie an. »Aber im Ernst, das einzige Problem ist die erste Finanzierung. Wir müssten eine geeignete Immobilie kaufen und umbauen. Rosenbaum wäre das ideale Bankhaus für eine solche Unternehmung.«
»Du willst meinen Schwager und meine Nichte in dieses Geschäft hineinziehen?«, fragte Josef Sternwein. Der alte jüdische Kaufmann war sichtlich aufgebracht. Franz hatte ihn bereits vor ihrem Treffen in die neuen Pläne eingeweiht. Er brauchte Geld für sein Vorhaben. Eine Menge Geld, das ihm das Bankhaus Rosenbaum leihen sollte. Zumindest schien ihm diese Lösung am naheliegendsten.
»Warum nicht?«, fragte er. »Wir brauchen eine ganz normale Hypothek. Was ist schon dabei? Ich habe eine wunderbare Gelegenheit aufgetan.« Kaum zurück hatte Franz gleich bei der Liegenschaft und den Amtsgerichten angefragt, ob Grundstücke zur Veräußerung standen. »Ein Nebengebäude von Schloss Glienicke steht zum Verkauf. Herrlicher Blick, beste Lage. Ein phantastischer Ort für die feine Gesellschaft, um auszuspannen und ein paar Hunderter beim Spiel zu verlieren. Vielleicht lässt sich dort später sogar ein Hotel bauen. Von der Innenstadt aus ist es nachts nur eine halbe Stunde Fahrt. Im Moment kauft doch alle Welt Immobilien, Josef.«
»Glienicke? Also doch ein Casino in Berlin! Paul sagte doch, dass du niemals eine Genehmigung dafür bekommst«, ereiferte sich Sternwein und strich mit seiner faltigen, leicht zitternden Hand durch das weiße, dünne Haar.
»Klein Glienicke.« Franz schüttelte den Kopf. »Liegt zwar auf der Berliner Seite, gehört aber zu Potsdam. Alles schon bedacht.« Er tippte sich gegen die Schläfe. »Man muss nur über die Havelbrücke und ist bereits in der Vorstadt. Das Umland, insbesondere Potsdam war nicht allzu begeistert, was die Expansionsgelüste unserer Hauptstadt angeht. Wir kaufen dort ein Grundstück und erwerben in Brandenburg eine Spielkonzession. Der Stadtkämmerer dort wird sich über die Einnahmen freuen.«
»Allmächtiger! Und diese gierige Brut habe ich an meinem Busen genährt!«, entfuhr es Sternwein in theatralischer Übertreibung. Er spielte darauf an, dass er vor Jahren als großzügiger Mentor und Bürge der Sass-Brüder aufgetreten war, als Franz und Max ihr erstes Lokal eröffnet hatten. Mittlerweile war er für Max, Franz und Erich eher eine Art väterlicher Freund geworden. »Mit Mühe und Not haben wir gerade erst den Kopf aus der Schlinge dieser Rauschgiftsache gezogen. Ich darf daran erinnern, dass du es warst, der uns da hineingeritten hat, mein Lieber! Das große Geld hattest du versprochen, dass ich nicht lache! Das Syndicat steht bei mir und Meyer mit fünfzigtausend in der Kreide. Ist dir schon einmal aufgefallen, dass die Schuhe, die du dir anziehst, immer ein paar Nummern zu groß sind? Und dann willst du darin auch noch tanzen! Kapitän Ehrhardt und die Waffenschiebereien haben deinen Freund Ian ins Grab gebracht. Durch die Sache mit deiner Cousine Valerie haben wir es uns mit einigen mächtigen Leuten in der Stadt verdorben. Und dann musst du unbedingt Geschäfte mit den Schlitzaugen machen und diese amerikanischen Cowboys verärgern. Vielleicht sollten wir es doch lieber bei den Lokalen und den Wettbüros belassen. Nichts Großes, aber es sind solide Einnahmen. Schuster, bleib gefälligst bei deinen Leisten.«
»Hätte ich mich in meinem Leben an diese dämliche Weisheit gehalten«, schnaubte Franz verächtlich und glitt dann erregt ins Berlinern ab. »Wa? Dann könnt ick mia een paar Märker bei de Wohlfahrt abjreifen und dünne Molle soofen.«
»Du Armer, trink stattdessen lieber deinen Zwanzig-Mark-Kognak«, schlug Sternwein vor und schob den Schwenker dicht an Franz heran. Er mochte es überhaupt nicht, wenn sein junger Geschäftspartner »uff Zinne« war und seine lustigen fünf Minuten bekam. »Ich weiß gar nicht, was du willst. Alles läuft endlich wieder gut. Seit drei Monaten ist Ruhe. Aber du kommst aus den Ferien zurück und willst gleich wieder hoch hinaus. Nach den Sternen greifen, wie alle Grünschnäbel.«
»Ich habe einen Plan«, beharrte Franz.
»Klappe. Trink. Das Syndicat hat sieben Lokale, die guten Gewinn abwerfen.«
»Den wir mittlerweile unter zwölf Teilhabern aufteilen müssen!«, maulte Franz. »Bald darf ich wieder zu Fuß gehen, weil ich mir keinen Wagen mehr leisten kann. Und die neue Wohnung am Kupfergraben verschlingt Unsummen.« Er vermied es tunlichst, Susanne anzusehen. Das Thema war seit Monaten ein Zankapfel zwischen ihnen. Sie hatte darauf bestanden, eine Wohnung direkt in der Innenstadt zu suchen. Er hingegen wäre gern raus nach Pankow gezogen. Schweren Herzens hatte er nachgegeben, und seither fanden in ihrer Bleibe gegenüber der Museumsinsel sündhaft teure Umbauten statt. Er war fast pleite. Das neue Automobil, die ausgedehnte Italienreise und die Renovierungsarbeiten hatten ein riesiges Loch in die Haushaltskasse gerissen.
»Ich werde Livana empfehlen, sich da nicht einzumischen«, entschied Sternwein. Er hatte vor knapp einem Jahr seinen Lieblingsneffen durch einen Anschlag verloren. Der Vater, Sternweins Schwager, war daran zerbrochen. Und nun versuchte der Kaufmann, seine Nichte Livana Rosenbaum vor jeder Art Gefährdung zu schützen.
»Wir dürfen uns diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, Josef. Dieses Mal geht es um keine Ware, nur ums Geld. Nichts wirklich Illegales. Der Italiener in Neapel, von dem ich erzählt habe, sitzt auf einer Million Lire, die er nicht für Geschäfte oder Privatangelegenheiten nutzen kann. Weil dieser Mussolini plötzlich aufräumen will in seinem Land. Ständig haben sie Razzien und Buchprüfungen. Wir haben schon alles besprochen und durchgerechnet. Die Familie Romano wird jeden Monat mindestens zwanzigtausend Mark in unser Geschäft einbringen. Und wir verbuchen die Penunze als Einnahmen aus dem Glücksspiel. Dann versteuern wir es und zahlen ihnen die Hälfte des Geldes zurück. Für uns bleiben immer noch fünftausend, ohne dass überhaupt ein Gast seinen Fuß in die Tür gesetzt hat. Monat für Monat. Ganz sauber und ganz legal. Dazu kommen dann noch die Einnahmen, die wir wirklich erzielen. Können schnell noch einmal fünftausend sein.«
Sternwein schwieg und dachte nach. Er verfügte über gute Kontakte zu den Behörden der Stadt. Auch einige Politiker und Bankiers zählten zu seinem Bekanntenkreis. Mit Geld kannte er sich aus. Vor allem wusste er, dass der Berliner seit jeher – ob reich oder arm – gern mehr davon ausgab, als er besaß. Langfristig halfen Banken, kurzfristig half er. Zu einem guten Zins. Glücksspiel hingegen war ein völlig neues Feld für ihn.
»Warum nimmt dieser Romano nicht einfach Monte Carlo und kauft sich dort ein?«, fragte er schließlich. »Es ist eine große Spielbank mit riesigen Umsätzen. Dort würde sein Geld gar nicht auffallen.«
»Da stecken schon die anderen Familien drin.« Franz begann, die Besonderheiten der illegalen Geschäfte in Italien vorzubeten. »Es gibt da eine jahrzehntelange Feindschaft und Konkurrenz zwischen den Organisationen auf Sizilien, in Kalabrien und rund um Neapel. Man hält sich aus den Angelegenheiten der anderen heraus, oder es gibt Krieg. Also will Romano ein eigenes, neues Geschäftsfeld aufbauen. Ohne …« Franz hatte »Blutvergießen« sagen wollen, besann sich jedoch. »… ohne Streit eben.«
»Wie käme das Geld nach Berlin?«, fragte der Kaufmann.
»Durch Boten. Bar. Keine Geldanweisungen, Wechsel, Schecks. Nichts, was man zurückverfolgen könnte. Für Steuerbehörde und Gewerbeaufsicht wird es aussehen, als würden die Spieler jeden Monat diese Summen bei uns auf den Tischen lassen. Offiziell ist Romanos Familie nur stiller Teilhaber des Casinos. Und bekommt dafür eben einen Teil des Gewinns.«
Sternwein überlegte erneut.
»Das Außenministerium und Wirtschaftsamt stehen durch den Versailler Vertrag in der Pflicht, keinesfalls Investitionen von Unternehmen der Siegerstaaten zu behindern«, sagte er schließlich und rieb sich das Kinn. »Sofern die Einnahmen ordnungsgemäß versteuert werden, wird es wahrscheinlich niemanden geben, der die Aktivitäten hinterfragt. In Potsdam zahlen wir Gewerbesteuer, der Staat bekommt seinen Anteil, die Bank meines Schwagers verdient an ihrer Hypothek. Alle wären zufrieden. Ich gebe es ungern zu, aber es klingt tatsächlich nach einem guten Geschäft.«
»Es ist ganz einfach.« Franz nickte eifrig. Er sah die Gelegenheit, Sternwein jetzt endgültig von seinem Vorhaben zu überzeugen. Für Geldfragen hatte der Kaufmann einfach ein Händchen.
»So weit, so gut«, erwiderte Sternwein. »Aber wie kommen wir an das echte Geld? Du kannst nicht irgendwelche Luftnummern angeben. Irgendwann ist Zahltag. Wie kommen die Moneten aus Italien hierher?«
»Wie ich bereits sagte, dieses Problem regelt die Familie Romano«, antwortete Franz. »Ein Konto in der italienischen Schweiz. Von dort eine Anweisung nach Zürich. Eine passende Summe wird regelmäßig abgehoben und durch einen Geldboten nach Berlin gebracht. Die Sache ist deren Risiko. Erst ab hier übernehmen wir. Bei uns kommt alles in den Kassenschrank, dann zu Rosenbaum in die Schließfächer. Wir führen die Bücher, zahlen Steuern, dann ist es sauberes Geld. Über die Deutsche Bank geht der Anteil der Italiener als ganz normale Anweisung wieder in die Schweiz. Als sauberer Gewinn aus ihrem Unternehmensanteil.«
»Sauberes Geld«, murmelte Sternwein und schüttelte dann sofort den Kopf. »Als ob Geld jemals sauber sein könnte. Ich frage mich oft, wer dieses Sprichwort Geld stinkt nicht in die Welt gesetzt hat. Es stinkt fast immer zu Himmel.«
Er ging zur Anrichte des Wintergartens und zog eine kleine Schachtel Süßigkeiten aus einer Schublade. Es war seine Lieblingsmarke. Franz wusste, dass dies ein gutes Zeichen war. Manche Männer rauchten oder tranken, wenn sie zufrieden waren. Er hatte eben eine Schwäche für die Weinbrandbohnen ohne Zuckerkruste von Sarotti.
»Gut, ich spreche mit Livana. Hypothek, Anweisungen in die Schweiz und Schließfächer. Keinerlei Mauscheleien.«
»Leitet Sie jetzt offiziell die Bank?«
Livana Rosenbaum war eine geschäftstüchtige und resolute, junge Frau. Da sich ihr Vater mehr und mehr zurückzog, hatte sie viele Aufgaben übernommen. Natürlich war dieser Umstand einigen Partnern und Kunden übel aufgestoßen. Man gab sich aufgeschlossen, aber eine Frau am Ruder?
»Nach außen ist natürlich noch mein Schwager der Direktor.« Zunächst schüttelte Sternwein den Kopf, doch dann nickte er. »Aber er ist seit der Sache mit Aaron nur noch ein Schatten seiner selbst. Alle wissen, dass seine Tochter die Zügel in der Hand hält. Übrigens fester denn je.«
»Als Kaufpreis für das Nebengelass von Schloss Glienicke brauchen wir etwa dreihunderttausend«, sagte Franz und griff nach Sternweins Pralinenschachtel. »Wir machen mit Glück zehntausend im Monat. Wenn alles gut geht, haben wir in fünf oder sechs Jahren alles zurückgezahlt. Das Geschäft trägt sich von selbst.«
»Etwas in dieser Art hast du schon beim letzten Mal gesagt. Aus der Sache sind wir nur mit Ach und Krach herausgekommen. Und einer Menge Schulden.«