Nachdem der erste Ärger über das Verhalten des Metropolis-Regisseurs verraucht war, hatte Konter entschieden, dass sich ein Streit mit den Leuten von der Ufa nicht lohnte. Eisenstein meldete sich tatsächlich, allerdings erst drei Tage nach Konters Gespräch mit Lang und Harbou. Konter bot ihm an, man könnte sich unverfänglich in einem noblen Lokal treffen und die Dinge besprechen. Seine Wahl fiel auf den Klub Berlin, da er hier eine Art Heimspiel hatte und zudem das beste Séparée wählen konnte.

Erich Sass, der jüngste Bruder, führte das Lokal auf äußerst smarte Weise, vermittelte geschickt zwischen den Interessen aller und wickelte die zahlungskräftigen Gäste um seine Finger. Der Klub hatte sich zum edelsten Etablissement des Syndicats gemausert. Mittlerweile sahen sich einige alte Ganoven der Stadt eher als Unternehmer und tranken lieber Schampus als Weiße. Hatte man sich noch vor Jahr und Tag beim allmächtigen Ringboss Adolf Leib in der schmuddeligen Ritze in der Mulackstraße getroffen, um Geschäfte zu besprechen oder Streitigkeiten zu schlichten, so geschah dies jetzt immer häufiger im Klub Berlin. Dort trug man nun feinsten Zwirn, rauchte die edelsten Zigarren, trank den teuersten Kognak. Und die Damen zeigten, dass ihre Galane es sich leisten konnten, die Juweliere am Ku’damm leerzukaufen. Der Neue Westen Berlins wurde zusehends beliebter.

Der russische Filmemacher war bereits eingetroffen, saß in einem gemütlichen Nebenraum und schlürfte ein farbiges Getränk mit Eis. Die bunten Mixturen aus Saft und Schnaps aller Art kamen gerade in Mode. Katja hatte durch ihre weitreichenden Beziehungen einen amerikanischen Barmann für das Syndicat anwerben können. Er nannte sich passend zu seiner Hautfarbe »The Black Man«, schüttelte singend und tanzend einen Metallbecher, um den Inhalt dann in derart abenteuerlicher Weise in die Gläser zu füllen, dass den Gästen bereits lange vor dem Trinken schwindlig wurde. Erich Sass selbst brachte dem Russen gerade ein weiteres Getränk, als Konter und Druwe eintrafen.

»Cocktail«, erklärte er und bedeutete den beiden Polizisten, ihm zu folgen. »Bunte Säfte mit Schuss. Für zehn Mark.«

»Ihr Kapitalisten wisst die Zeit gut zu nutzen, die euch noch bleibt«, begrüßte sie der Russe, als er die Männer erblickte. »Bis unsere Revolution auch euch frisst.«

»Erzählen Sie mir bitte nicht, dass Sie mit Ihren Genossen in Moskau bei Wasser und Brot Ihre Feste feiern«, erwiderte Konter. Er musterte Sergej Eisenstein. Der Mann war in einem typischen Alter, das es unmöglich machte, sein Alter genau zu schätzen. Das Haar war bereits auf eine Linie von Ohr zu Ohr zurückgewichen, der hintere Rest aber dicht und beinahe schwarz. Es wuchs dort, wo es noch wuchs, wie Unkraut in die Höhe und in alle Richtungen, was Konter an die witzigen Vorfilme erinnerte, die im Kino oft vor dem Hauptstreifen gezeigt wurden. Einmal hatte dort ein Mann an ein Stromkabel gefasst und danach ausgesehen wie Eisenstein jetzt.

»Touché, lieber Genosse Kommissar. Möchten Sie Kaviar?« Der Regisseur schob eine Glasschale mit Fischeiern auf Eis zu Konter hinüber.

»Ich hatte Sie über Frau Harbou gebeten, sich umgehend bei mir zu melden, Herr Eisenstein«, unterbrach Konter das Geplänkel.

»Verzeihen Sie.« Der Regisseur imitierte mit der Hand eine ausladende Theatergeste, die wohl ausdrücken sollte, dass er untröstlich war. »Die Muse rief nach mir. Ich habe mich in einem Drehbuchvorschlag verloren. Und bevor ich vergesse, es zu erwähnen. Mich ruft in ein paar Tagen die Pflicht, dem russischen Volk meinen Film in Moskau vorzustellen. Ich werde Ihnen also nur heute Rede und Antwort stehen können.«

»Es ruft wohl eher Ihr Genosse Stalin«, knurrte Konter und ärgerte sich sogleich, dass er seinen Unmut derart direkt äußerte.

»Ich kann mir doch den Triumph der Uraufführung meines Films nicht entgehen lassen. Schließlich darf jeder siegreiche Feldherr die Huldigungen des Volkes entgegennehmen, nicht wahr? Warum also nicht ein bescheidener Künstler?« Er griff nach einem Salzgebäck und häufte die dunkel glänzenden Fischeier darauf. »Ich habe nichts zu verbergen, Herr Kommissar. In den nächsten zwei Wochen ist Ihre dekadent sentimentale Bourgeoisie ohnehin damit beschäftigt, Weihnachten zu feiern. Ich werde Anfang Januar noch einmal nach Berlin kommen. Aber ich merke, Sie können Ihre Neugier kaum zügeln, also fragen Sie!«

»Vor allem möchten wir Ihre wertvolle Zeit nicht über Gebühr strapazieren«, begann Druwe, dem sein Vorgesetzter die Befragung übertragen hatte. »Kommen wir also gleich zur Sache. Sie kannten den Mann, der im Filmstudio der Ufa in Nowawes aufgefunden wurde? Bobrow?«

»Kennen? Jewgenij Maximowitsch war ein Freund! Wir waren Brüder in der Sache. Im Geiste!« Eisenstein beschrieb mit dem Arm einen Halbkreis und warf den Kopf zurück. »Was sage ich? Im Leben!«

»Wann haben Sie Herrn Bobrow das letzte Mal gesehen?«

»Kommen Sie, mein Lieber. Wenn Sie das nicht schon wüssten, säßen wir nicht hier. Ich bewundere die Deutschen für ihren Verstand. Beleidigen Sie jetzt nicht den meinigen.«

»Was haben Sie in jener Nacht, eigentlich war es fast schon Morgen, kurz vor Bobrows Tod mit ihm besprochen?«

»Er hat mir gedroht«, erwiderte Eisenstein, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Sie sagten, er war ein Freund«, meinte Druwe und versuchte, sich die Überraschung über die Offenheit des Befragten nicht anmerken zu lassen. »Und er hat Ihnen gedroht?«

»Sagen wir, er hat die Weisung seiner Herren überbracht«, antwortete Eisenstein. »Und er meinte es ja gut, machte sich Sorgen um mich, der Gute.«

»Sorgen? Weshalb?«

»Es gibt Genossen in Moskau, die es ungern sehen, dass ich nach Fertigstellung meines Films abgereist bin. Aber Fritz ist nun einmal ein Freund. Seine Einladung, nach Berlin zu kommen und ihm ein wenig über die Schulter zu sehen, konnte ich unmöglich ablehnen. Hochrangige Genossen wollten jedoch, dass ich nach Moskau zurückkehre. Wie ich schon sagte, die Uraufführung meines Films steht kurz bevor. Und Jewgenij Maximowitsch arbeitete seit längerer Zeit für die Partei. Streng genommen war es also nicht er, der mir gedroht hat.«

»Was genau hat er zu Ihnen gesagt?«

»Genosse Stalin hatte offenbar befohlen, dass ich umgehend zurückreisen sollte. Andernfalls würde man Wege finden, mich zu bestrafen.«

»Welche Funktion hat dieser Stalin?«, fragte Druwe. »Und was war mit Strafe gemeint?«

»Sie kennen den Genossen Stalin nicht? Er ist der neue große Mann nach Wladimir Iljitschs Tod. Der Generalsekretär des ZK. Noch muss er sich die Macht mit anderen teilen, aber er wird alle ausstechen. Davon bin ich überzeugt.« Eisenstein trank aus. Er wirkte jetzt doch nachdenklich. »Er wird sie beseitigen. Sie verstehen, meine Herren? Das ist die Strafe, die Stalin für jene vorsieht, die sich ihm widersetzen. Liquidation oder Arbeitslager waren bereits in der Zarenzeit die gängigsten Methoden, um politische Gegner loszuwerden. Aber wer ein Riesenreich in eine neue Zeit führen will, darf nicht zimperlich sein.«

Obwohl zeitweise mehr als zweihunderttausend Russen im Verlauf der Oktoberrevolution nach Deutschland gekommen waren, wusste Jens Druwe nicht viel über diese Menschen. Die meisten waren nach dem Krieg in Berlin hängen geblieben. Er hingegen hatte seine Polizeilaufbahn in Hamburg begonnen. Hamburg und Berlin, damals zwei Welten. Außerdem blieben diese Leute oftmals unter sich. Stalin, ZK, Wladimir Iljitsch? Er verstand zwar die Zusammenhänge nicht, aber als Kripo-Ermittler wollte er im Moment nur Fragen stellen, die den Fall voranbrachten. Instinktiv begriff er jedoch, dass der Filmregisseur gerade über gefährliche Dinge sprach. Etwas in seiner Stimme hatte sich verändert.

»Sie fühlten sich tatsächlich bedroht? Hatten Sie Angst?«

»Sehe ich aus wie ein Mann, der Angst hat?« Eisenstein lachte etwas zu aufgesetzt, wie Druwe fand.

»Was soll uns davon abhalten, anzunehmen, dass Bobrow den Auftrag hatte, Sie auf der Stelle zur Rechenschaft zu ziehen?« Druwe legte die bereits auf der Polizeischule gelehrte, auch unter Ganoven längst bekannte »Ermittler-Pause« ein. Um den Verdächtigen danach direkt und frontal anzugehen. »Vielleicht sollte er Sie umgehend beseitigen, wenn Sie der Weisung nicht Folge leisten. Und Sie haben sich dann zur Wehr gesetzt. Es kam zu einem Handgemenge. Und plötzlich war ihr Genosse tot. Nach einer Drohung wäre eine solche Reaktion nur allzu verständlich. War es so, Herr Eisenstein?«

»Unsinn«, erwiderte der Mann. »Ich hatte keinen Grund, ihm etwas anzutun.«

»Die Drohung hat Sie also nicht interessiert«, mischte sich Konter jetzt ein. »Habe ich recht?«

»Sagen wir, ich neige dazu, auf solche Dinge etwas trotzig zu reagieren. Selbst wenn es mir schaden könnte. Künstler sind Anarchisten und verabscheuen jede Form von Zwang und Ordnung. Eigentlich musste Genosse Bobrow wissen, dass er auf diese Weise nichts bei mir erreicht.«

»Ich frage noch einmal. Gab es zwischen Ihnen beiden eine körperliche Auseinandersetzung?«

»Nein. Wie gesagt, wir waren so etwas wie alte Freunde. Ich denke, Moskau hat gerade deshalb ihn gewählt, mir die Botschaft zu überbringen.«

»Und nun werden Sie der Aufforderung nachkommen?«, fragte Konter seelenruhig. Künstler waren wie Kinder. Immer bockig, wenn man sie falsch anpackte. Und doch durchschaubar. »Also hatte Bobrow letztlich noch Erfolg mit seinem Anliegen.«

»Natürlich interessiert mich die Aufführung meines Werks«, sagte Eisenstein und lächelte. »Aber ich brauchte etwas Abstand. Ich musste meine Kreativität hier in Berlin neu finden. Die Treffen politischer Funktionäre erschöpfen mich. Ein Künstler ruht sich nicht auf dem Geschaffenen aus, denn Schöpfung weist immer nach vorn. In die Zukunft.«

Abgebrühter Schweinehund, dachte Konter. Mir machst du nichts vor. Du bleibst gerade lange genug, um vor dir selbst das Gesicht zu wahren. Um den unbändigen Freigeist und Rebellen zu mimen. Aber nicht so lange, dass du die Wogen bei diesem Stalin nicht doch noch glätten könntest.

»Sie sind ein wichtiger Zeuge im Fall des Mordes an einem russischen Diplomaten«, sagte er beinahe mechanisch. Er wusste, dass sie nichts gegen den Mann in der Hand hatten, was eine Ausreise verhindern konnte. »Teilen Sie uns bitte mit, wann Sie abreisen. Bis es so weit ist, behalten wir Ihren Pass ein. Sie erhalten ihn über einen Boten zurück, sobald wir wissen, was Sie vorhaben. Wenn Sie dann nach den Feierlichkeiten zurückkehren, geben Sie uns unbedingt eine Meldeadresse an.«

In Eisensteins Gesicht stieg jetzt Zornesröte auf. Sein Haargebäude schien zu vibrieren, als suchten sich die nach oben sprühenden Gedanken einen Weg hindurch. Seine Züge verhärteten sich, als er in die Innentasche seines Mantels griff, der neben ihm auf dem Sofa lag.

»Natürlich. Gern.« Er legte den geforderten Pass auf den Tisch. »Aber jetzt entschuldigen Sie mich. Ich habe noch ein Gespräch mit Fritz. Er ist so fürchterlich neugierig. Und mit der Botschaft wollte ich ohnehin telefonieren. Man wird dort sicher erfreut sein, von dem enormen Diensteifer deutscher Polizeibeamter zu hören. Guten Tag.« Der Russe griff nach Hut und Mantel, um dann trotz seiner Leibesfülle erstaunlich behände zu verschwinden.

Die Kriminalbeamten blickten sich einen Moment erstaunt an. Der eitle Russe hatte ihnen auf durchaus elegante Weise klargemacht, was er von dieser Maßnahme hielt. Und dass er seine Möglichkeiten nutzen würde, ihnen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

»Netter Kerl«, brach Jens Druwe das Schweigen. »Wird Ärger geben.« Konter nickte nur.

»Darf ich den Herren einen Cocktail bringen lassen?«, fragte Erich Sass, der ins Separee gekommen war, als er bemerkt hatte, dass der Gast gegangen war. Dann lachte er. »Ihr seht aus, als könntet ihr etwas für die Nerven brauchen.«

»Mumpitz. Schieß in Wind mit dem Gedöns. Mach lieber zwee geele Köm klar.« Druwe war immer noch derart verdutzt, dass er nicht merkte, wie er gerade zwei Dialekte vermischte.

»Zwei Kaiser-Kümmel«, griff Konter korrigierend ein, als er Erichs verblüfftes Gesicht sah. »Und zwar Doppelte.«

»Warum haben wir ihn eigentlich nicht auf dieses Rote Erbe angesprochen, von dem Ihre Informantin gehört haben will?«, fragte der Assistent und ergänzte seine Notizen.

»Alles zu seiner Zeit, Jens. Meine Zeugin könnte sich geirrt haben. Immerhin stand sie etwas abseits hinter einem dicken Vorhang. Wir sollten Eisenstein zu gegebener Zeit mit diesem Wissen überraschen. Wahrscheinlich hätte er jetzt gar nicht oder ausweichend geantwortet und sich in Seelenruhe eine Erklärung zurechtgelegt. Letztlich kann er uns doch im Moment jedes Märchen auftischen. Wir wissen noch nicht einmal genau, was er wirklich in Moskau vorhat. Nein, Jens, erst einmal müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Ich will mich von diesen Schaustellern und Künstlern nicht bloßstellen lassen!« Konter schnaubte verächtlich.

»Ruhig Blut, Chef.« Druwe wusste, dass sein Vorgesetzter seit dieser Leichenmanipulation in den Tempelhof-Studios nicht gut auf die Leute vom Film zu sprechen war. »Geben wir ihm eine Chance. Künstler sind auch nur Menschen.«

»Wir konfrontieren Eisenstein mit dem Roten Erbe, wenn wir aus anderen Quellen mehr darüber wissen. Punkt.«

Erich selbst brachte den eiskalten Kümmel.

»Natürlich weißer«, stöhnte Jens Druwe. »Ick hab doch geel jesacht!«

»Gelb«, erklärte Konter dem jungen Klubchef lächelnd. »Er wollte gelben Kümmel. Nordfriesen sind da eigen.«