»Ich möchte dich um zwei Gefallen bitten, Katja. Als du vorgestern im Präsidium warst, schien mir nicht der richtige Zeitpunkt, um es anzusprechen.«
»Ich bin gespannt, Paul. Soll ich wieder jemanden für dich aushorchen? Und bekomme ich dann ein Handgeld wie deine Spitzel?« Die Russin hatte sich nach ihrer Zeugenaussage wieder etwas gefangen. Und sie konnte sich nur selten spitze Bemerkungen verkneifen.
Konter hatte auf dem Weg nach Hause einen Abstecher nach Wilmersdorf gemacht. Katja wohnte mit ihrem Sohn und ihrer Partnerin Anna in einer geräumigen Wohnung in der Pariser Straße. Der Polizist war zwar nicht gekommen, um sich zu entschuldigen, aber er wollte die Wogen etwas glätten. Vor Jahren hatte er sie mehr oder weniger genötigt, als Informantin für ihn zu arbeiten. Ein Umstand, den sie ihm bis heute nicht gänzlich verziehen hatte. Zudem hatte er das Gefühl, dass er Katja auf dem Präsidium ein wenig zu schroff angegangen war.
»Es geht um deine Russischkenntnisse. Ich vertraue dir mehr als den meisten Kollegen bei der Kripo. Und tatsächlich brauche ich ein paar Informationen.« Er lächelte verlegen.
»Also doch wieder Spitzelarbeit.«
»Könntest du versuchen, ein wenig über Sergej Eisenstein herauszufinden? Ich meine die Dinge, die dir liegen. In der Gesellschaft. Alles, was man sich so über ihn erzählt. Gerüchte, Geheimnisse und Klatsch.« Er biss sich auf die Lippe. Diplomatisches Vorgehen bei Frauen war nie seine Stärke gewesen.
»Sprich dich nur aus, Paul«, meinte sie bissig.
»Bitte, Katja.« Immerhin bemerkte er, dass ein Unwetter über ihm aufzog. Seine Mission, sie zu besänftigen, schien gleich zu Beginn des Gesprächs gescheitert zu sein. »Du weißt, ich komme in dieser Welt des Geplauders und Glanzes, der Bühnen und Festsäle nicht gut zurecht.«
»Stimmt. Du hast den Charme eines Melkschemels und tanzt wie ein Holzpflock.« Katja genoss es sichtlich, ihn zappeln zu lassen. Er schwieg betreten. Schließlich griff sie nach ihrer vergoldeten Zigarettenspitze – eine Marotte, die sie sich von Toni abgeschaut hatte – und bot auch Konter eine kräftige Alva an. »Also gut, ich sehe, was ich tun kann, Paul. Ich bin ja häufiger in den Babelsberg-Studios. Nicht gerade meine Welt, denn auf deren Festen und Trinkgelagen geht es immer nur darum, dass die alten Herren mit allerlei falschen Versprechen Frischfleisch in ihre Betten locken wollen. Aber ich höre mich um.«
»Danke. Du hast etwas gut bei mir.«
»Wenn es danach geht, könnte ich die Reichsbank ausrauben, und du müsstest beide Augen zudrücken.« Sie inhalierte den Zigarettenrauch und blies ihn keck über seinen Kopf hinweg. »Aber du hast von zwei Gefallen gesprochen.«
»Ich habe ein Schreiben auf Russisch.« Er zog eine dünne Mappe aus seiner Aktentasche, in der drei Blätter Papier lagen. »Wir haben es bei dem Toten gefunden.« Er nahm ungern die Originale aus der Dienststelle mit nach Hause, aber in diesem Fall blieb ihm keine andere Wahl. Kyrillische Schrift zu kopieren, gehörte nicht zu seinen Fähigkeiten.
»Ich bin also Klatschbase und Sekretärin. Das wird ja immer besser. Habt ihr keine Übersetzer bei der Polizei?«
»Ich sagte doch, dass ich dir mehr vertraue als den meisten Kollegen. Und es muss unter uns bleiben. Wer weiß, was da drin steht? Der Tote war Diplomat. Ich denke, dass er nicht die Borschtsch-Rezepte seiner Großmutter dabeihatte.«
Katja nickte.
»Die Botschaft verbietet uns jegliche Einmischung. Diese Bolsch …« Er unterbrach sich. Es war Zeit, sich endlich von diesem verstaubten Kampfbegriff zu verabschieden. Zumal ihn vorwiegend rechtsnationale Spinner benutzten. »Die Sowjets bestehen darauf, dass sein Leichnam sofort in die UdSSR überführt wird. Ohne weitere Ermittlungen. Ich würde den Leuten aber gern ein wenig in die Suppe spucken, bevor ich sie ihnen serviere.«
Katja richtete sich auf und klatschte in die Hände. Offenbar hatte der Polizeibeamte jetzt endlich den richtigen Knopf gedrückt.
»Ich liebe Geheimnisse«, sagte sie und imitierte dabei die aufgeregte, hohe Stimme eines jungen Mädchens. »Und das Ganze ist auch noch gegen die Interessen der Sowjetunion? Umso besser! Nun hast du meine volle Aufmerksamkeit, Paul. Womit fangen wir an?«
Konter gab ihr ein Schreiben, das er bei Bobrow gefunden hatte. Sie begann zu lesen und murmelte dabei einige Worte in ihrer Muttersprache.
»Und?«, fragte er schließlich ungeduldig, nachdem sie aufblickte, aber immer noch schwieg. »Was steht drin?«
»Ich verstehe nicht alles«, antwortete sie. »Offenbar viel politisches Geschwafel. Da werden Ämter und Posten benannt, von denen ich nie etwas gehört habe. Und die Namen kenne ich ebenfalls nicht. Gib mir zwei Stunden, und ich übersetze es schriftlich.«
»Worum geht es? Sind es Anweisungen?«
»Es sind eher Ratschläge, würde ich sagen. Politik, wenn ich mich nicht irre.« Katja nahm das Schreiben wieder zur Hand. »Du erinnerst dich an dieses seltsame Erbe, das in dem nächtlichen Gespräch erwähnt wurde?«
»Das Rote Erbe.« Konter nickte.
»Es wird eine Aktion erwähnt, die ein Sekretär des ZK, ein gewisser Josef Stalin, ins Leben gerufen hat. Auf dessen Weisung hin nennt der Schreiber sie Rotes Erbe. Dann heißt es jedoch, dass der Plan auf keinen Fall Erfolg haben dürfe. Denn das Geld sei rechtmäßig Eigentum des russischen Proletariats und nicht dafür gedacht, Schuldendiktat und Frondienst des Klassenfeinds zu festigen.«
»Erinnert mich irgendwie an das typische Geschwafel der Kommunisten«, meinte Konter. »Offenbar sind sich dort wieder einige Funktionäre uneins hinsichtlich ihres Vorgehens. Bei denen läuft es auch nicht anders als bei uns. Irgendetwas Handfestes?«
»In einem zweiten Schreiben wird Eisenstein aufgefordert, nach Moskau zurückzukehren. Er soll sich durch seine Unterschrift damit einverstanden erklären. Offenbar hat ein Mann namens Felix Dserschinski es befohlen.«
»Felix?«, fragte er hastig. »Felix Edmundowitsch?«
»Der Vatername steht dort nicht«, erwiderte sie. »Es ist nur von Felix Dserschinski die Rede.«
Sie sah Konter an, und er nickte zufrieden. Da war er also, jener unbekannte Felix Edmundowitsch, von dem im Gespräch zwischen Bobrow und Eisenstein die Rede gewesen war. Er musste es sein, denn wie viele Männer mit diesem Vornamen mochte es geben, die mit Bobrow zu tun gehabt hatten?
»Und der Kerl wiederum folgt damit der Weisung Stalins«, fuhr sie fort. »Im dritten Schreiben wird es noch komplizierter, denn da heißt es, dass es der Sache dienlich wäre, wenn Regisseur Eisenstein der Uraufführung seines Films fernbliebe.« Katja strich sich über das glatte Haar. »Reichlich verwirrend. Ich verstehe nur Bahnhof.«
»Welche Sache?« Konter pflichtete Katja bei. Die Aussagen waren irritierend und widersprüchlich. Offenbar gab es zwei Kräfte, die an beiden Enden eines Tampens zogen. Die einen wollten das Rote Erbe für die Revolution nutzen, die anderen, um ihre Rechnungen im Welthandel zu begleichen. Stalin befahl offenbar Eisensteins Rückkehr nach Moskau, aber irgendjemand fand, dies wäre der Sache nicht dienlich. Es blieb jedoch unklar, wer hier welche Sache meinte.
»Ist erkennbar, wer die Schreiben verfasst hat?«, fragte er schließlich.
»Beim letzten gibt es eine Grußzeile. Es verbleibt mit besten Wünschen Dein treuer Genosse, Lew Dawidowitsch«, las Katja die letzte Zeile vor.
»Diese Namen bringen mich völlig durcheinander.«
»Können eben nicht alle Meier und Schulz heißen.«
»Stimmt schon, aber diese Tradition, den Vaternamen statt des Familiennamens zu nennen, verwirrt mich. Noch dazu der Buchstabensalat. Lew könnte doch auch mit Leo übersetzt werden. Sagt dir der Name etwas?«
»Ein bisschen Arbeit überlasse ich gern dir, Paul.« Katja schüttelte den Kopf.
Konter schrieb einige Fakten auf Zettel, die er später an seinen Ermittlungsbogen heften würde. Der Fall wurde immer verwirrender. Tatort Babelsberg, verschwundene Diamanten, Sergej Eisenstein, ein Rotes Erbe, politische Ränkespiele. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er bat Katja, den Fernsprecher nutzen zu dürfen, und rief seinen Assistenten im Präsidium an.
»Jens, haben Sie bereits einen Phonographen auftreiben können?«
»Selbstverständlich, Chef. Allerdings nicht bei Gennats Sekretärin, sondern im Archiv. Dort hatten die Kollegen …«
»Was ist drauf?«, unterbrach ihn Konter. Wenn er diese Art von Eingebung hatte, war er ungeduldiger als ein kleines Kind vor dem Bonbonglas des Krämers.
»Russisch. Keine Ahnung …«
»Ich habe es geahnt!« Konter jubelte beinahe.
»Wie bitte? Chef, was meinen Sie? Soll ich Hinrichs bitten, es sich anzuhören?«
»Um Gottes willen, bloß nicht! Hervorragende Arbeit, Jens. Schicken Sie das Ding mit dem Fahrdienst zu mir. Ich gebe Ihnen die Adresse. Halt, warten Sie, geben Sie es einem Taxifahrer.«
»Soll ich vielleicht …?« Druwes Stimme klang, als zweifelte er daran, dass sein Vorgesetzter nüchtern war.
»Nein, ich brauche Sie hier nicht. Und der Fahrdienst dauert zu lange. Ich erkläre Ihnen später alles.«
Bevor der verdutzte Druwe nachfragen oder Einwände erheben konnte, hatte Konter das Gespräch bereits beendet. Katja sah ihn erstaunt an.
»Noch eine kleine Übersetzungsarbeit«, murmelte er und bat seine Gastgeberin um einen Doornkaat. Er brauchte etwas, um die Nerven zu beruhigen.
Nach einer halben Stunde läutete es an der Tür, und Konter nahm ungeduldig das Paket in Empfang, das der Fahrer – recht erstaunt über seine neue Rolle als Postzusteller – in Händen hielt. Er drückte dem Mann zwanzig Mark in die Hand und schlug ihm die Tür wieder vor der Nase zu.
»Paul, ist alles in Ordnung?«, fragte Katja mit Sorge in der Stimme.
»Du musst dir das anhören, Katjuscha.« Konter war in eine Art Euphorie verfallen und öffnete hastig das Paket.
Darin befand sich ein Bausatz für den Edison Standard Phonograph, wie in geschwungener Schrift auf dem Holzkasten zu lesen war. Ungeduldig setzte Konter die Teile zusammen, legte die in Bobrows Zimmer gefundene Walze ein und befestigte zuletzt den spitz zulaufenden Schalltrichter. Dann zog er den Spannmechanismus auf, der das Abspielen in gleichmäßiger Geschwindigkeit gewährleistete. Endlich, nach zehn Minuten konzentrierter Arbeit legte er den Zeigefinger auf die Lippen und löste die Arretierung. Die Walze begann, sich zu drehen. Ein schnarrend kratzendes Geräusch kam aus dem Trichter.
»Wenn du Walzer hören willst«, meinte Katja verunsichert. »Ich habe in der Stube ein Grammophon.« Sie schwieg, als plötzlich undeutlich eine Stimme zu vernehmen war.
Konter hüpfte während der folgenden vier Minuten gespannt von einem Bein aufs andere. Mehrmals stieß er Katja an und wollte etwas fragen, aber sie wies ihn mit einem herrischen »Psst« zurecht. Schließlich war wieder nur das Kratzen zu hören, die Walze lief noch einen Moment in einer Art Leerlaufrille, um dann zum Stehen zu kommen.
»Was hast du verstanden? Nun sag schon! Da war doch wieder ein Name zu hören, nicht wahr? Der Mann klang krank. Oder ist es die Aufnahmequalität? Rede doch endlich, Katja!«
»Wenn ich mich nicht irre und wenn es keine Fälschung ist, dann haben wir eben Lenin gehört.«
Katja ging zu dem Servierwagen, der neben der Esszimmertür stand, und goss sich ein halbes Glas Kognak ein. Nachdem sie es in einem Zug geleert hatte, entzündete sie sich mit zitternden Händen eine weitere Alva. Plötzlich jedoch schien ihr Körper von einem Zucken erfasst zu werden, und sie begann, laut zu schluchzen. Die vergoldete Meerschaum-Zigarettenspitze fiel ihr aus dem Mund.
˚˚˚
»Franz kehrt mit italienischen Flausen im Kopf zurück. Und du bist wegen dieser Russen im Moment ganz unausstehlich.« Toni Sass beschwerte sich am Frühstückstisch darüber, dass Butter und Käse keinen Platz fanden, da überall Bücher und Zeitungen herumlagen. Konter studierte seit Tagen die neuere sowjetische Geschichte und Politik, um wenigstens annähernd zu verstehen, worum es ging. Wahrscheinlich wäre dies nicht weiter problematisch gewesen, hätte er sich nicht überall ausgebreitet und dazu verstiegen, seiner Angebeteten das neue Wissen auch noch altklug unter die Nase zu reiben. Er erging sich in scheinbar endlosen Monologen und bemerkte nicht, wie sehr er damit seine Lebensgefährtin langweilte.
»Wusstest du, dass Lenin kurz vor seinem Tod entschieden hat, dass Stalin nicht zum Nachfolger taugt?«, fragte er.
Sie schwieg.
»Josef Stalin hat mehrere Widersacher«, fuhr er unbeirrt fort. »Er schart eine Riege von Claqueuren um sich. Als Unterstützung gegen seinen Intimfeind Trotzki.«
»Tatsächlich? Wie spannend.« Toni versuchte gar nicht zu verbergen, wie sehr sie das Thema nervte.
»Trotzki will, dass die bolschewistische Revolution sofort in allen Industriestaaten vorangetrieben wird. Seine Anhänger nennen es die Weltrevolution. Stalin hingegen möchte die UdSSR zunächst zu einem starken Staat machen. Und dafür braucht er jede Menge Geld.«
»Amen und Ende«, unterbrach Toni seinen Vortrag und erhob sich von ihrem Stuhl.
»Hochinteressant, nicht wahr?« Konter irritierte die kurz angebundene Reaktion seiner Gefährtin.
»Sicher. Hört sich nämlich an wie das Versprechen vom Himmelreich. Die eine Seite predigt seit zweitausend Jahren, dass Jesus jeden Moment wieder um die Ecke kommt. Die anderen vertrösten die Schafe dann wieder aufs nächste Mal. Da haben die Kommunisten offenbar abgekupfert. Meine Mutter pflegte zu sagen: Glaube und Politik füllen keine Mägen.«
Sie saßen eine Weile wie ein altes Ehepaar am Esstisch. Er an einem Ende der Tafel in eine Zeitung vertieft. Sie am anderen, vor sich hin schmollend und zunehmend wütend.
»Ich werde mit ein paar Freundinnen bei Gerson einkaufen«, meinte sie schließlich. Da diese Einkaufserlebnisse meistens kräftig das Saldo belasteten, hoffte sie vielleicht, ihn mit dieser Ankündigung – er hielt es in Geldangelegenheiten eher mit den Calvinisten – aus der Reserve zu locken.
»Hm«, war jedoch die einzige Reaktion.
»Am dritten Adventssonntag wird man das Kaufhaus nur für uns öffnen. Diese Vorzugsbehandlung gab es früher nur für adlige Familien.«
»Ach.«
»Eine Freundin kennt den Geschäftsführer, Julius Freudenberg und …« Plötzlich sprang Toni auf, griff nach einer Schrippe im Brotkorb und bewarf Paul damit. »Ich könnte dir erzählen, dass der Kaiser von China neuer Kanzler wird. Du hörst doch ohnehin nicht zu!«
Bevor es jetzt zu einem Streit kommen konnte, läutete es an der Tür. Nachdem Tonis Hausangestellte geöffnet hatte, stand wenig später ihre Tochter Valerie im Speisezimmer. Sie lebte seit einigen Monaten mit dem Sohn eines Industriellen zusammen, den sie an der Universität kennengelernt hatte.
»Du rettest diesem Kerl gerade das Leben!« Toni begrüßte sie herzlich und wies mit dem Daumen in Richtung Konter. »Er ist durch und durch ein verknöcherter, preußischer Beamter! Liest seine Artikel und würdigt mich keines Blicks. Ich könnte in Lumpen hier sitzen oder tot umfallen, der Herr würde es gar nicht bemerken. Ich habe gerade überlegt, wie ich ihn vergiften kann. Oder vielleicht erschlage ich ihn mit dem Eierlöffel.«
»Maman, dir fehlt es eindeutig an Inspiration«, meinte Valerie und sprach das letzte Wort in französischem Tonfall aus. »Was ist denn nur los mit euch? Den ganzen Sommer habt ihr euch rar gemacht, seid kaum ausgegangen. Ihr hättet mit Franz und Susanne in den Süden reisen sollen.«
»Mais oui«, seufzte Toni leise. »Pour s’épanouir, une fleur a besoin d’eau. Et l’amour.«
Nun wurde Konter doch hellhörig. Frauen, die miteinander flüsterten, waren ihm schon immer verdächtig gewesen. Wenn eine von ihnen Toni war, konnte es für ihn sogar brenzlig oder teuer werden.
»Was sagt sie?«, fragte er Valerie nach einem flüchtigen Wangenkuss zur Begrüßung.
»Eine Blume braucht Wasser, um zu gedeihen«, antwortete sie. »Und natürlich viel Liebe.«
»Nein, ich habe gesagt, dass du ein Nieselpriem bist!«, rief Toni. »Langweilig und vertrocknet.«
»Also bitte«, empörte sich Konter. Dann ging er in den Flur, griff nach der Brieftasche in seiner Jacke und nahm einen Zettel heraus. »Ich bemühe mich doch täglich um deine Gunst. Für dich habe ich sogar Französisch gelernt, ma chère!« Er las mühsam ab, was ihm eine ältere Sekretärin auf dem Präsidium an charmanten Ausdrücken herausgesucht hatte. »Mon petit chouchou. Ma rose en fleur. Lumière de mes yeux! Verzeihe mir, mon amour. Tu es ma reine.« Er selbst merkte, dass seine Aussprache fürchterlich war. Er klang wie ein Brandenburger Kartoffelbauer, der versuchte, einer jungen Madame de Pompadour Komplimente zu machen und vergessen hatte, vorher sein Gebiss einzusetzen.
»Nun gut, mein Lieber.« Toni gab sich bewusst genant und spröde, aber sie lächelte beinahe huldvoll. »Ich erkenne dein Bemühen an. Es besteht Hoffnung. Zeitungen und Bücher weg! Und heute Abend gehen wir aus. Vielleicht stelle ich das Arsen dann zurück in den Schrank.«
˚˚˚
Valerie, die über ihren Verlobten – ähnlich wie Katja – Zugang zu den Abenden und Vergnügungen des Geldadels und der Unternehmerkreise hatte, brachte interessante Neuigkeiten mit, die Konter aufhorchen ließen. Gerüchte besagten, dass sich die Ufa jetzt tatsächlich in akuten Geldnöten befand. Tonis Tochter hatte in Gesprächen erfahren, dass der Leiter der Filmgesellschaft Erich Pommer mit einigen Bankiers und Großindustriellen, unter anderem dem Vater ihres Freundes, Verhandlungen über finanzielle Unterstützung geführt hatte.
»Dann hatte Katja den richtigen Riecher, als sie mit Alfred Hugenberg diese Holding-Vereinbarung getroffen hat«, meinte Toni. »Mir gefällt nur nicht, dass dieser unsympathische Kerl wieder einmal seine Ziele erreichen wird.«
»In den Zeitungen, die Hugenberg nicht kontrolliert, wird solchen Vermutungen immer sofort widersprochen«, meinte der Kripobeamte. »Angeblich geht es der Ufa blendend.«
»Hast du gelesen, was allein der Film Metropolis kosten soll?«, fragte Toni. »Über fünf Millionen Mark!«
»Natürlich dementiert die Presseabteilung alle Gerüchte«, meinte Valerie. »Würde die Berliner Polizei denn zugeben, dass sie aus einem Haufen inkompetenter Versager besteht?«
»Der Vergleich hinkt.« Konter tat eingeschnappt, als beide Frauen herzhaft lachten. Dann kam ihm eine Idee. Er sah in Valeries Kontakten eine weitere Möglichkeit, an wertvolle Informationen heranzukommen. Er ließ Tonis Proteste über sich ergehen und schilderte die wesentlichen Fakten im Fall Bobrow. »Du musst nur die Ohren offenhalten, Valerie«, bat er. »Ich tappe vollkommen im Dunkeln.«
»Vielleicht hinkt der Vergleich doch nicht«, murrte Toni.
»Über Eisenstein und seinen Revolutionsfilm wurde ein- oder zweimal gesprochen«, sagte Valerie. »Aber ein Diplomat? Die Sowjets gelten auf den meisten privaten Empfängen als unerwünscht.« Sie überlegte. »Da werden immer noch die alten russischen Familien eingeladen. Sofern sie Geld haben. Es heißt, dass sie sogar im Moment wieder recht aktiv sind. Vielleicht interessiert es dich, dass das alte Geld aus Zeiten vor der Revolution plötzlich nach Beteiligungen sucht.«
Konter nickte. Von Josef Sternwein hatte er bereits erfahren, dass mehrere Familienoberhäupter der alten, emigrierten Oberschicht über das Bankhaus Rosenbaum & Cie nach sicheren Geldanlagen suchten.
»Bisher hatten wohl viele hochrangige Persönlichkeiten aus dem Zarenreich gehofft, wieder zurückkehren zu können«, sagte er nachdenklich. »Man sah Berlin, Paris oder London nur als kurzzeitiges Exil. Da jetzt die Konterrevolution endgültig gescheitert ist, wollen sich die Herrschaften wohl auf Dauer einrichten.«
»Und Firmenbeteiligungen sichern über längere Zeit ein gutes Auskommen«, sagte Valerie. »Ich habe den Vater meines Verlobten mit Bekannten darüber sprechen hören. Wer weiß, ob die Russen auch bei der Ufa angefragt haben?«
Konter glaubte nicht an Zufälle. Es schien ungewöhnlich, dass der Mord an einem russischen Diplomaten in eine Zeit fiel, in der die größte deutsche Filmgesellschaft in Geldnöten war, altes Vermögen neue Wirkungsfelder suchte und die Sowjets um irgendein Erbe stritten. Er überlegte, ob er Kontakte zum Reichsfinanzministerium besaß. Er konnte auch zunächst beim Landesfinanzamt Berlin nachfragen, ob dort ungewöhnliche Aktivitäten russischer Geldgeber aufgefallen waren. Immerhin wäre ein solches Auskunftsersuchen im dienstlichen Interesse zu rechtfertigen. Er machte sich eine entsprechende Notiz, die er mit drei Fragezeichen versah. Diese Markierung bekamen alle Ideen, von denen er selbst noch nicht wusste, was sie ihm bringen würden.
»Hast du die Russen jemals über ein Rotes Erbe reden hören?«, fragte er Valerie noch.
»Ein Erbe?«, gab sie zurück. »Nein, aber ich kann mich umhören. Aber vielleicht interessiert dich, dass mein zukünftiger Schwiegervater einmal davon sprach, dass die russischen Flüchtlinge über hundert Millionen Rubel außer Landes geschafft haben. Da kann es natürlich den einen oder anderen interessanten Nachlass geben.«
Valerie ging auf ihr Zimmer, in dem sie immer noch einige Habseligkeiten aufbewahrte, obwohl sie seit Monaten bei ihrem Verlobten wohnte. Konter vermutete, dass sie es nicht übers Herz brachte, endgültig auszuziehen. Sie war jahrelang von ihrer Mutter getrennt gewesen und erst vor ein paar Jahren unter abenteuerlichen Umständen überraschend nach Berlin zurückgekehrt.
˚˚˚
Unter Tonis argwöhnischen Augen machte er sich nun endlich daran, den Berg an Büchern, Journalen und Zeitungen vom Tisch zu entfernen. Sonst würde es bald mit dem häuslichen Frieden nicht mehr weit her sein. Gerade als er dachte, seinen guten Willen hinreichend bewiesen zu haben, läutete der Fernsprecher. Sein Assistent war am Apparat.
»Ich habe hier zwei ungewöhnliche Aktenvermerke bekommen mit der Bitte um Stellungnahme«, begann Druwe.
»Hat die Sache nicht Zeit bis morgen?«, fragte Konter und sah mit einem Schulterzucken zu Toni.
»Die Fremdenpolizei und unsere Politische Abteilung wurden auf die Anfrage eines Rechtsanwalts aufmerksam«, fuhr sein Mitarbeiter fort, ohne auf den Einwand zu reagieren. »Der Strafverteidiger Dr. Alfons Renger vertritt Iwan Kutisker in dem Prozess wegen Unterschlagung, Bestechung und Betrug.«
»Was hat das mit uns zu tun?«, fragte Konter gedehnt. Natürlich wusste er, dass der Hausanwalt des Syndicats den in Haft sitzenden Geschäftsmann Kutisker ebenfalls vertrat. Immerhin handelte es sich um einen reichsweit bekannten Betrugsskandal. Aber Renger hatte den Teilhabern versichert, dass es keine Interessenkonflikte gab.
»Die Verteidigung fragt bei den Behörden an, ob die deutsche Polizei Amtshilfe leisten kann, um einen wichtigen Zeugen vorzuladen. Kutisker glaubt offenbar, dass er ihn entlasten könnte.«
»Ist der Zeuge denn untergetaucht?«
»Geflohen, soweit ich weiß.« Druwe räusperte sich. »Es scheint, als wüsste Kutisker von dem Mord an Bobrow.«
»Wir haben den Namen doch gar nicht veröffentlicht«, meinte Konter irritiert.
»Eben, Chef. Kutisker hat über seinen Anwalt angedeutet, dass er in der Sache Informationen für uns hat. Sofern wir ihm helfen, den Zeugen aufzuspüren.«
»Was ist daran so schwer?«, fragte Konter, den es nervös machte, dass Toni begonnen hatte, mit den Fingern auf die Tischplatte zu trommeln.
»Er befindet sich nicht mehr auf Reichsgebiet, sondern in Polen. Irgendwo an der Grenze zu Litauen.«
»Dann ist es Angelegenheit des Außenamts.« Konter überlegte.
»Rufen Sie dort beim Stab des Untersekretärs an. Verlangen Sie Regierungsoberrat Lothar Kunnecke. Richten Sie ihm Grüße von mir aus, und bitten Sie ihn, sich ebenfalls in der Sache etwas umzuhören. Sagen Sie, dass ich mich in den nächsten Tagen bei ihm melde.«
»Ich möchte nicht in deiner Haut stecken«, meinte Toni, nachdem Konter das Gespräch beendet hatte. Sie nahm seine Hand. »Du sitzt da zwischen vielen Stühlen, mein Lieber. Erst war es nur ein toter Russe auf dem Ufa-Gelände. Dann kamen die Tscheka und Stalin hinzu. Und irgendein Erbe. Jetzt noch Renger, Kutisker und das Außenministerium. Pass auf, dass du nicht den Überblick verlierst.«
Konter nickte und genoss den Zuspruch seiner Partnerin. Er hatte aber in diesem Moment das Gefühl, dass er in dieser Sache weit davon entfernt war, irgendetwas zu überblicken.