Franz Sass und der Anwalt Alfons Renger trafen sich am frühen Montagnachmittag im Club 21 nahe dem Wittenbergplatz. Das Syndicat verdiente mit diesem Lokal, einer wilden Mischung aus Varieté, Klubhaus und Kneipe sowie dem etwas edler gehaltenen Ableger in der Nähe, dem Klub Berlin, gutes Geld. Der Club 21 hatte sich in der Mittelschicht der Stadt einen Namen gemacht, die Gäste des Klubs Berlin waren hingegen eher die Besserverdiener, Unternehmer, Direktoren und höhere Beamte aus dem Regierungsviertel. Gesicht und Anspruch der wohlhabenden Gegend am Kurfürstendamm, an der Tauentzienstraße und Kleiststraße veränderten sich über den Tag fast im Stundentakt. Vormittags ging es eher beschaulich zu, Wirtschafterinnen eilten vom Markt an der Geisbergstraße zurück in die Wohnungen des gehobenen Bürgertums, um dort die Hausarbeiten zu dirigieren und mit der Köchin das Mittagessen abzusprechen. Die Lieferanten von Schultheiss oder vom Schlachthof luden ihre Waren an den Hintereingängen der Edellokale des Viertels ab. Danach pilgerten die Massen ins KaDeWe, um später schwer beladen ihre letzten Kröten in den Restaurants der Umgebung auf den Kopf zu hauen. Mittags sah man Angestellte, Literaten, Verleger, Makler und Bankiers zu Tisch strömen. Und am Nachmittag flanierten die stolzen Kinderdamen mit fein ausstaffierten Buben und Mädchen Richtung Tiergarten und Zoo. Abends, etwa gegen sieben Uhr, gaben dann die ersten frühen Nachtschwärmer schließlich das Signal, dass die nächsten Stunden ihnen gehörten.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Franz den Anwalt, nachdem sie zunächst ein wenig über Belanglosigkeiten und einige Pläne des Syndicats gesprochen hatten.
»Wie Sie wissen, vertrete ich Iwan Kutisker«, sagte Renger. »Und mein Mandant möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Herr Sass.«.
»Der Kerl kann mir gestohlen bleiben!« Franz hatte keine guten Erinnerungen an den Balten. Vor Jahren war über den zwielichtigen Geschäftsmann ein Waffengeschäft gelaufen, das seinen Freund Ian McCullen später das Leben gekostet hatte.
»Es geht um eine Menge Geld«, sagte der Anwalt. Er wirkte stets wie ein biederer, verstaubter Langweiler, jedoch hatte das Syndicat seine Arbeit über die Jahre zu schätzen gelernt.
»Besitzt er denn noch welches?«
»Ich darf keine Einzelheiten nennen, Herr Sass. Aber ich versichere Ihnen, dass Herr Kutisker über ausreichend Mittel verfügt, um für eine Abmachung gut zu zahlen.«
»Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass ich Ihrem Mandanten helfen könnte?«
»Herr Konter war so freundlich, mich an Sie zu verweisen«, erwiderte Renger. »Ich habe versucht, die offiziellen Wege zu beschreiten. Leider bisher vergebens.«
»Und welche Art von Abmachung schwebt Herrn Kutisker vor?«
»Sie sollen für ihn einen Freund finden, der vor Gericht zu seinen Gunsten aussagen kann.«
»Von welcher Summe sprechen wir, Herr Renger?« Franz dachte in diesem Moment mehr an seinen Kontostand, der in letzter Zeit gefährlich oft um die Null pendelte.
»Sofern besagter Freund wohlbehalten in Berlin eintrifft, ist mein Mandant bereit, Ihnen zwanzigtausend Mark zu zahlen. Für die anfallenden Unkosten käme er zusätzlich auf. Was sagen Sie, habe ich Ihr Interesse geweckt?«
Franz überlegte. Schließlich nickte er. Es konnte nicht schaden, sich Rengers Ausführungen anzuhören. In den Jahren nach dem Krieg hatte er gelernt, dass ein Festhalten an Prinzipien nicht nur geschäftsschädigend, sondern regelrecht gefährlich sein konnte. Zumindest musste man sich Optionen offenhalten. Mit einigem Widerwillen dachte er daran, dass die Familie sogar schon mit den rechten Hetzern und Schlägern zusammengearbeitet hatte, nur um ihre Ziele zu erreichen. Die Welt hatte sich verändert. Nicht Moral, sondern der mögliche Nutzen schien jetzt die entscheidende Konstante im Denken und Handeln zu sein.
»Schießen Sie los, mein Lieber. Allerdings werde ich jetzt noch keine Entscheidung treffen.«
Der Anwalt nahm ein paar Unterlagen aus seiner Aktentasche und begann, Franz den Vorschlag Kutiskers zu erläutern.
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Nachdem Renger sich verabschiedet hatte, blieb Franz zunächst unschlüssig zurück. Er hatte über das Vorgehen in der Casinosache nachdenken und eine erste Planung entwerfen wollen, aber seine Aufmerksamkeit galt nun ganz Kutiskers Angebot. Immer wieder malte er gedankenversunken eine Zwei mit vier Nullen auf ein Blatt Papier und dachte dabei an die vielen Handwerkerrechnungen, die derzeit eintrudelten. Das Syndicat jonglierte zwar mit viel größeren Zahlen, doch es waren auch viele Mäuler zu stopfen. Vom kleinsten Lieferanten über die vielen Tippgeber bis zu gierigen Behördenmitarbeitern und lokalen Politikern hielten alle die Hand auf. Josef Sternwein, der für das Syndicat die Zahlen im Auge behielt, hatte erst neulich eine Beispielrechnung vorgelegt, nach der von einer Million Mark Umsatz nur hundertfünfzigtausend als Reingewinn blieben. Machte etwa fünfzehntausend für jeden Teilhaber. Sicher nicht übel, aber durch eine gesonderte Vereinbarung mit Kutisker würde Franz auf einen Schlag seine momentanen, finanziellen Engpässe überwinden. Das Automobil war erheblich teurer gewesen als gedacht. Die Reise hatte ihn dreitausend Dollar gekostet. Und Susanne gab bei Renovierung und Einrichtung ihrer neuen Wohnung in Spreelage das Geld mit vollen Händen aus. Wenig später wurde Franz aus seinen Gedanken gerissen, als Konter sich telefonisch ankündigte. Er erschien bereits kurz darauf im Lokal.
»Stell dir vor, Kutisker möchte mit mir sprechen«, sagte er, nachdem ihnen Franz einen Kaffeekognak gebracht hatte. »Er will der Polizei einen Vorschlag unterbreiten.«
»Wie bitte?« Vor Erstaunen hätte Franz beinahe seine Tasse umgestoßen. »Renger war vorhin hier und hat mir ebenfalls ein Geschäft mit dem Mann vorgeschlagen.«
»Es geht um diesen dubiosen Freund, nicht wahr?«, fragte der Kripobeamte, und Franz nickte. »In der Sache kann ich nichts Offizielles für ihn tun, deshalb habe ich Renger auch zu dir geschickt. Ich weiß allerdings nicht, was Kutisker jetzt von mir will«, erwiderte Konter.
»Es geht um einen Freund, der wohl ein enger Mitarbeiter in Kutiskers Unternehmen war.«
»Der Mann sitzt irgendwo im Osten fest. Und Kutisker hätte ihn gern in Berlin als Zeugen. Natürlich fragt man sich da, warum er überhaupt abgehauen ist. Und was er zu sagen hat.«
»Jetzt brauche ich den Kognak ohne Kaffee«, sagte Franz und nickte. Dann schenkte er sich Courvoisier einfach in die Kaffeetasse. »Ein starkes Stück! Renger beauftragt also uns beide?«
»Nein«, erwiderte der Kripobeamte. »Mit mir will Kutisker offenbar erst einmal nur sprechen. Es hat etwas mit dem toten Russen zu tun. Dafür, dass er im Gefängnis sitzt, ist er gut informiert und recht rührig.«
»Renger sagte, dass Kutiskers Mitarbeiter von den Polen festgehalten wird. Was hat das mit dem Toten zu tun, den ihr in den Babelsberg-Studios gefunden habt?«
»Kutiskers Wissen könnte wichtig für meine Ermittlungen sein, Franz. Der Mann hat viele Kontakte zu den russischen Emigranten. Und diese Leute arbeiten aus Prinzip nicht mit der Kripo zusammen. Überall wittern sie Verschwörungen oder die Aktivitäten der russischen Geheimpolizei. Vielleicht kann Kutisker mir ein paar Kontakte verschaffen. Oder Türen öffnen, die sonst verschlossen bleiben.«
»Es ist noch gar nicht sicher, dass ich für Kutisker arbeiten werde, Paul. Ich denke drüber nach. Allerdings geht es auch um eine Stange Geld.«
»Ich weiß, dass da noch eine alte Rechnung offen ist, Franz. Aber spring über deinen Schatten! Mir zuliebe.«
Franz seufzte. Er hatte das Gefühl, dass ihn wieder einmal die Notwendigkeiten einholten und seine Entscheidungen beeinflussten. Er sehnte sich zurück nach diesem Gefühl der Ungezwungenheit, das er im Süden erlebt hatte.
»Ich denke drüber nach«, sagte er nach längerem Schweigen. »Wir fahren gemeinsam zu Kutisker und hören uns an, was er zu sagen hat. Unter einer Bedingung.«
»Ich höre«, meinte Konter und versteifte sich etwas.
»Du unterstützt mich bei dem Casino.«
»Toni ist dagegen«, gab Konter zu bedenken. »Aber in Ordnung, ich höre mir deine Argumente an. Wenn es Hand und Fuß hat, bekommst du meine Stimme.«
»Gut. Dann sieh zu, dass du ein Treffen mit dem Kerl vereinbarst.«
»Du hast dir doch den Nachmittag freigehalten«, meinte Konter und grinste den Jüngeren dreist an.
»Ja, weil wir über die Casino-Sache sprechen wollten!«, entgegnete Franz verunsichert.
Konter erhob sich, als setzte er die Zustimmung seines Gegenübers für den kommenden Vorschlag bereits voraus. Er griff nach seinem Mantel, den er achtlos über eine Sessellehne geworfen hatte. »Bestens! Also los, fahren wir nach Moabit.«
»Wir wollten über die Einzelheiten meiner Pläne sprechen«, protestierte Franz. »Du hattest versprochen, Erkundigungen bei der Steuer und Gewerbeaufsicht einzuholen.« Er fühlte sich gerade eindeutig übervorteilt.
»Wir können doch während der Fahrt darüber reden«, erwiderte Konter. »Ich muss kurz nach Hause, um ein paar Unterlagen zu holen. Außerdem habe ich im Rathaus Potsdam noch niemanden erreicht. Ich kläre alle Fragen mit dem Kämmerer und dem Bürgermeister. Und du weißt, ich halte immer mein Wort. Aber im Moment ist Kutisker wirklich wichtiger. Ich brauche Informationen zu dem Mordfall, sonst läuft er trocken.«
Franz schien durch die Aussicht, sein Lieblingsspielzeug für eine Ausfahrt nutzen zu können, etwas besänftigt. Sein Oberklasse-Tourenwagen in hellem Beige, mit dunkelbraunen Kotflügeln und viel Chrom parkte an der Ecke Kleiststraße und war wieder einmal umlagert von Neugierigen. Er bestand jetzt allerdings gegenüber dem Kripobeamten auf einer »großen Runde«. Für ihn war die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten der Stadt niemals eine schnöde Gerade. Vom Wittenbergplatz nach Charlottenburg ging es deshalb am Potsdamer Bahnhof vorbei zum Belle-Alliance-Platz und über Friedrichstraße zu Unter den Linden. Danach durch das Brandenburger Tor und den Tiergarten in Richtung Messegelände. Der neue Funkturm war nun fast fertiggestellt. Südlich davon bog er schließlich auf die AVUS ein, um danach endlich über Kaiserdamm und Bismarckstraße direkt nach Charlottenburg zu fahren.
»Ich nehme niemals Umwege«, sagte er in durchaus ernstem Tonfall, ohne mit der Wimper zu zucken. »Aber der Wagen wird viel zu wenig bewegt.«
Paul Konter war nach der halsbrecherischen Runde auf der Rennstrecke froh, eine kleine Verschnaufpause bei Toni einlegen zu können, und kippte heimlich einen weiteren Kognak, da ihm schummrig zumute war. Als sie wieder im Wagen saßen, bestand er vehement und immer noch blass im Gesicht darauf, jetzt ohne weitere Abstecher nach Moabit zu fahren.
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Das Untersuchungsgefängnis Moabit wirkte in dieser Zeit kurz vor Weihnachten noch trostloser als sonst. Das Grau des Berliner Himmels fügte sich nahtlos ein in die Tristesse der farblosen Fassaden und Straßen der Umgebung. Mietskasernen, kleinere Fabriken und Werkhallen mit Hinterhöfen bestimmten das Bild im nördlichen Stadtteil. Die Nähe zum Westhafen, zu den Lagerschuppen und zum Verladebahnhof machten ihn zu einer typischen Arbeitergegend. In Richtung Spree und in der Nähe des Kleinen Tiergartens wurde die Wohnlage auch für betuchte Bürger einer neuen Mittelschicht attraktiv. Obwohl die Großmeierei Bolle hier oftmals der ohnehin berüchtigten Berliner Luft noch eine besondere, herb säuerliche Note hinzufügte.
Konter hatte ihren Besuch gegenüber der Gefängnisleitung mit einer Gegenüberstellung gerechtfertigt. Offiziell war Franz nur ein weiterer Geschäftsmann, der sich durch Kutisker geschädigt glaubte. Eine Wache hatte den Häftling in den Vernehmungsraum gebracht, in dessen spärliches Mobiliar und Wände sich in Jahrzehnten der Geruch von kaltem Tabakrauch und Angstschweiß eingefressen hatten. Besonders raue Kerle wurden hier an einen Eisenring gekettet, so dass sie niemanden angreifen und verletzen konnten. Bei dem Litauer hatte man aus gutem Grund auf diese Vorsichtsmaßnahme verzichten können, denn er war stark übergewichtig, atmete schwer und schien insgesamt in geschwächter Verfassung.
»Sie sehen, ich halte meinen Teil der Abmachung ein, Herr Kutisker«, sagte Konter und winkte Franz zu sich ins kleine Zimmer. »Herr Sass wird sich Ihren Geschäftsvorschlag anhören. Sie sollten sowohl ihm als auch mir einen guten Grund dafür liefern, warum wir Ihnen helfen sollten. Einen sehr guten Grund.«
Die folgenden zwei Stunden gerieten zu einer Art Beichte des Gefangenen, die den beiden Besuchern ebenso tollkühn wie unglaublich erschien. Konter musste den Wachmann zwei Mal um Papiernachschub bitten, da er derart viele Vermerke und Notizen anfertigte. Er registrierte wohl, dass Kutisker es dabei vermied, sich selbst zu belasten. Vielmehr schilderte er im Detail die Verstrickung jener gesellschaftlichen Kreise in illegale Machenschaften, die seine Enthüllungen seit geraumer Zeit fürchteten.
»Mir wurden die Bürgschaften der öffentlichen Hand doch regelrecht aufgedrängt«, sagte er. »Und ich kenne alle Namen. Die Leute haben sich für kleinste Dienste üppige Provisionen eingesteckt und wurden immer gieriger.«
»Es scheint, als sähe die Reichsanwaltschaft die Schuld einzig und allein bei Ihnen.« Konter gab sich betont ruhig, wirkte beinahe schon desinteressiert. Während Kutiskers Schilderungen hatte er sehr wohl bemerkt, dass der Mann hinter einer Fassade von Niedergeschlagenheit und Schwäche im Grunde schlau wie ein Fuchs war. Entsprechend besann er sich jetzt auf die alte Taktik, sich unbeteiligt und gelassen zu geben.
»Genau darum geht es doch, Herr Kommissar!«, schnaubte der Häftling. »Ich brauche meinen besten Mann hier in Berlin. Mein ehemaliger Hauptbuchhalter Walter Annuscheit. Er kann das ganze Verfahren zum Kippen bringen.«
»Womit? Hat er handfeste Beweise, die weitere Personen belasten und Sie entlasten können?« Konter wurde ungeduldig. Er wusste nicht recht, ob ihm der Mann wirklich leidtat. Kutisker hatte Millionen ergaunert und es sich jahrelang gut gehen lassen. Jetzt allerdings saß nur er dafür ein, während viele weitere Schuldige auf freiem Fuß waren. Sogar die Presse erging sich in solchen Grundsatzdiskussionen. Für die Rechtsnationalen war er nur ein typischer, gieriger Geldjude. Intelligentere Stimmen warfen jedoch Fragen zu Hintermännern, den weiteren Verantwortlichkeiten und den Gründen für Kutiskers Erfolg auf. Natürlich stand der Mann jetzt, da die Gaunereien aufgeflogen waren, allein im Regen. Aber war das denn jemals anders gewesen? Schließlich wurde bereits im Alten Rom der Feldherr hingerichtet, wenn der Kaiser sich bei einem Krieg verkalkuliert hatte. Immer schon hatten die Geschickten und Mächtigen ihren Kopf aus der Schlinge gezogen und dafür den eines anderen hineingelegt.
»Er ist mein Vertrauter«, antwortete Kutisker. »Ich habe ihn bereits vor Jahren angewiesen, über die zwanzig wichtigsten Persönlichkeiten, die sich an mir schadlos gehalten haben, gesondert Buch zu führen.«
»Schön für Sie«, meinte Franz. »Aber Sie wissen, dass sich Ihr Freund aus dem Staub gemacht hat? Ihr bester Mann ist stiften gegangen.«
»Eine Kurzschlussreaktion.« Kutisker hob die Augenbrauen und zuckte mit den Schultern. Einen Moment lang hatte Konter jedoch den Eindruck, dass der Mann sich etwas zu gelassen und unberührt gab.
»Er sitzt in einem polnischen Grenzgefängnis«, ergänzte der Polizist. Er hatte sich ein kleines Dossier seiner Kollegen von der Fremdenpolizei aushändigen lassen, die allerdings keine Möglichkeit sahen, den Mann schnell freizubekommen.
»Auch dies ist mir bekannt. Deshalb bat ich Dr. Renger, sich nach Möglichkeiten zu erkundigen, Annuscheit auf freien Fuß zu bekommen. Und dafür benötige ich Sie, Herr Sass.« Er beugte sich dicht zu Franz vor, was ihm aufgrund seines Leibesumfangs erkennbar schwerfiel. Er pfiff dabei wie ein Sofakissen, aus dem die Luft gepresst wurde. Beide Besucher konnten einen unangenehmen Geruch von saurem Atem und süßlichem Rasierwasser wahrnehmen. »Zwanzigtausend Mark für Sie. Ich gebe Ihnen noch ein Warenlager mit Armeeausrüstung und einigen Waffen dazu. Legale Papiere. Der Wert hängt von Ihrem Verkaufstalent ab. Und selbstverständlich übernehme ich sämtliche Spesen und Nebenkosten. Meinetwegen kaufen Sie Warschau, aber bringen Sie Walter her!«
»Und weshalb wollten Sie mich sprechen?« Konter fühlte sich im Moment unwohl in seiner Haut. Er befand sich offiziell als Kriminalbeamter hier, aber mögliche Absprachen mit Franz betrafen ihn natürlich als Teilhaber des Syndicats.
»Ich kannte Bobrow«, sagte Kutisker, und plötzlich wurde es so still im Vernehmungszimmer, dass Konter das Ticken seiner Armbanduhr hören konnte.
»Von wem haben Sie den Namen des Toten?« Konter war jetzt nicht nach taktischen Spielchen oder Beachtung gängiger Vernehmungsregeln zumute. »Er wurde von uns bisher nicht veröffentlicht.«
»Erstens habe ich immer noch meine Beziehungen«, erwiderte der Häftling mit Genugtuung in seiner Stimme. »Und zweitens werden Geheimnisse in Berlin seit jeher so gut gehütet wie die Jungfräulichkeit einer Hure.« Er lachte rau. »Außerdem passte die Beschreibung zu dem Mann, den ich kannte, und derart viele Diplomaten des neuen Russlands gibt es nun auch wieder nicht in der Hauptstadt.«
»Was wissen Sie über ihn?« Konter zwang sich, durchzuatmen. Er durfte sich jetzt nicht die Blöße allzu ungezügelter Neugier geben, denn dann bekäme Kutisker Oberwasser.
»Sorgen Sie mit Ihrem …« Der beleibte Mann hielt inne und musterte Franz wie ein Pferdehändler. »Sorgen Sie mit Ihrem jungen Freund dafür, dass Walter Annuscheit nach Berlin kommt. Renger hat Sie mir empfohlen. Sobald meine Bedingung erfüllt ist, wird sich Ihnen ein Quell an Informationen offenbaren, Herr Kommissar.«
»Wenn Sie glauben, ich erweise Ihnen ein Dienst, ohne zu wissen, was Sie für mich haben, dann irren Sie sich.«
»Eisenstein war ebenfalls in der Stadt, nicht wahr?« Der Häftling ging nicht auf Konters Bemerkung ein. »Es würde mich nicht wundern, wenn er mit Bobrow zusammengetroffen wäre. Denn die beiden Herren kennen sich ebenfalls.«
Konter gab sich alle Mühe, ruhig zu bleiben. Nur wenige Kollegen waren in alle Einzelheiten eingeweiht. Entweder hatte Kutisker einen Spitzel im Präsidium, oder er kannte den Toten und dessen Absichten tatsächlich sehr gut.
»Es geht um eine Menge Geld«, fuhr Kutisker fort. »Für das sich eine Menge Leute interessieren. Leute, die vor nichts zurückschrecken.«
»Wer sind diese Leute? Spielen Sie keine Spielchen mit mir, Kutisker! Die bisherigen Ermittlungen legen nahe, dass Bobrow von einem Landsmann getötet wurde.«
»Irrtum.« Der Gefangene schüttelte den Kopf. »Suchen Sie bei den deutschen Tschekisten«, fügte er in trockenem, aber erkennbar leiserem Tonfall hinzu.
»Kommen Sie, Mann!« Konter drehte sich kurz um und tat, als wollte er zur Tür gehen. Dann wandte er sich jedoch wieder an Iwan Kutisker. »Wollen Sie mir Ammenmärchen auftischen? Wenn im Reich ein Russe unter obskuren Umständen ums Leben kommt, dann war es angeblich immer die Tscheka. Zur Not bemüht man noch die Agenten der alten, zaristischen Geheimpolizei. Oder Nikolaus persönlich entstieg dem kalten Grab.« Er hob vor dem Häftling die Arme und fuchtelte damit wild herum, als würde er einen Geist vertreiben.
»Felix Edmundowitsch Dserschinski. Ich hoffe, dieser Name ist Ihnen bekannt, Herr Kommissar?«
Konter hatte in seiner Zeit als Polizist gelernt, auf das Entscheidende zu achten. Manche Menschen beteten ihm ganze Bibeltexte vor, ohne wirklich etwas zu sagen. Andere konnten mit einem einzigen Wort – oder Namen – ein kompliziertes Gedankengebäude zum Einsturz bringen.
Felix Edmundowitsch Dserschinski war ein alter Revolutionär und hatte die Tscheka aufgebaut, die er jetzt auch leitete. Katja hatte seinen Namen gehört, als sie zufällig das Gespräch zwischen Bobrow und Eisenstein belauscht hatte. Um die russischen Agenten rankten sich seit fünfzig Jahren zahlreiche Legenden. Die Männer der Ochrana hatten in der Zarenzeit erbarmungslos die Interessen der politischen Oberschicht durchgesetzt. Sie hatten als unerbittlich und brutal, aber auch bestens ausgebildet gegolten. Nach der Revolution hatten viele von ihnen die Seiten gewechselt und waren in die bolschewistische WeTscheKa, kurz Tscheka, übernommen worden. Von dieser Truppe gab es ähnlich viele Geschichten wie von der berüchtigten Hexe Baba Jaga der russischen Wälder. Ihr größtes Kapital war die Angst. Angst, die durch Gerüchte und Unwissenheit nur angeheizt wurde.
»Herr Kutisker«, sagte Konter. »Jetzt haben Sie meine volle Aufmerksamkeit.«
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Franz wollte bis zum neuerlichen Treffen der Mitglieder des Syndicats einen Schlachtplan entwerfen. Er zerbrach sich den Kopf darüber, wie sie einen Mann aus einem polnischen Gefängnis an der Grenze zu Litauen herausholen konnten. Er selbst sprach kein Polnisch, er verfügte über keinerlei Beziehungen in diesem Land. Eine einfache Bestechung schied folglich aus. Er überlegte auch, ob er eine Schlägertruppe anheuern und Annuscheit einfach gewaltsam aus der Haft befreien konnte. Aber ein Zuchthaus war eben kein Kaufhaus, in das man nach Belieben hinein- und wieder hinausspazieren konnte. Zudem war er kein Freund von roher Gewalt. Die Polen würden sich zur Wehr setzen, wahrscheinlich käme es zu Blutvergießen. Schließlich war ihm doch eine Idee gekommen. So ungeheuerlich, dass er zwei Nächte nicht schlafen konnte. So verachtenswert, dass er sich morgens im Spiegel am liebsten angespuckt hätte. Entsprechend übellaunig und zerknirscht berichtete er am folgenden Sonntag, als viele Teilhaber sich wieder zum Frühstück in Tonis Wintergarten versammelt hatten, von seinem und Pauls Zusammentreffen mit Kutisker.
»Der Betrugsskandal?«, fragte seine Tante. »Hatten wir mit dem Kerl nicht auch zu tun? Irgendetwas klingelt da bei mir.«
»Ian hat kurz vor seinem Tod Geschäfte mit dem Mann gemacht.« Max, der älteste Bruder, hielt inne, blickte dann zu Franz. Er neigte dazu, erst während des Sprechens zu denken. Manchmal auch erst danach. »Tut mir leid. Ich wollte keine alten Wunden aufreißen.«
»Schon längst geschehen«, murmelte Franz leise und wandte sich an seine Tante. »Kutisker war nach dem Krieg der bekannteste Waffenschieber. Und Ian hat damals Unsummen an ihn bezahlt, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Er hatte sich völlig übernommen. Aber um ehrlich zu sein, war Kutisker letztlich nur ein Nagel von vielen an seinem Sarg. Das Koks hatte ihn schon vorher kaputtgemacht.«
Vor fast vier Jahren hatte Franz sich geweigert, seinem irischen Freund eingelagerte Waffen zu übergeben, die dieser nach Irland schmuggeln wollte. Ian McCullen hatte jedoch gefährlichen Leuten bereits seine Zusage gegeben, das Zeug zu liefern. Kurz danach hatte er dafür horrende Preise bei Kutisker bezahlt. Und offenbar hatte der Waffenhändler ihn danach auch noch verraten.
»Ein skrupelloser Mensch«, sagte Konter. »Zunächst hat er das Geschäft mit Heeresmaterial an sich gerissen. In der Stadt sind damals Kinder verhungert, und er hat die Rationen der Truppe zu horrenden Preisen verscherbelt. Um an die Verträge zu kommen, hat er Leute bestochen und erpresst. Es heißt, dass Landtagsabgeordnete Geld genommen haben sollen. Dann hat er zugesichert, die Waffenbestände des Kaiserlichen Heeres, die laut Friedensvertrag abgegeben werden mussten, zu vernichten. Dafür hat er Millionen von der Preußischen Staatsbank erhalten. Und anstatt die Waffen zu vernichten, hat er sie munter nach Irland, Russland und Arabien verkauft. Und jetzt haben ihn seine Tricksereien mit Bürgschaften ins Gefängnis gebracht. Hugenberg hat in seinen Zeitungen sogar behaupten lassen, dass Präsident Ebert von Kutisker Geld genommen haben soll.«
»Weshalb erwähnt ihr ihn überhaupt?«, fragte Toni. »Da steckt doch irgendetwas dahinter.«
»Wir waren bei ihm in Moabit«, antwortete Konter. Er wusste, dass es sinnlos war, Antonia Sass etwas vormachen zu wollen. »Seine Beziehungen zu Russland könnten mir bei meinen Ermittlungen helfen.«
»Und es springt Geld für uns heraus.« Franz hatte sich von dem Gedanken verabschiedet, diese Sache vollkommen auf eigene Rechnung durchzuziehen. Er brauchte die Ideen und die tatkräftige Unterstützung des Syndicats. Er würde das Bargeld für sich behalten, aber der Wert des Warenlagers musste zwischen allen Partnern aufgeteilt werden. »Wenn ich ihn richtig verstanden habe, möchte er mit einer Mischung aus Drohung und Gesprächsbereitschaft Einfluss auf seinen Prozess nehmen. Dafür braucht er einen Mann, der in seinem Unternehmen Buchhalter war.«
»Dieser Freund dürfte ein paar Geheimnisse kennen«, fügte Konter hinzu.
»Ein Buchhalter«, meinte Toni trocken. »Weshalb ruft sein Anwalt ihn nicht an und bittet ihn, auszusagen?«
»Frey und Renger verteidigen ihn gemeinsam, aber der Herr Staranwalt macht sich natürlich nicht die Finger schmutzig. Deshalb ist Alfons zu uns gekommen«, warf Franz ein, wohl in der Hoffnung, das Unvermeidliche noch etwas hinauszögern zu können.
»Keine Antwort auf meine Frage, Herr Neffe.« Toni funkelte ihn an. »Wieso brauchen sie euch, um einen Buchhalter zu Kutisker zu bringen?«
»Der Buchhalter ist …«, kam Konter Franz zu Hilfe. »Er ist quasi unabkömmlich. Im Moment.«
Toni schwieg. Mehr auf die bedrohliche Weise. Alle wussten, dass es spätestens jetzt Zeit wurde, ihr reinen Wein einzuschenken.
»Wir müssen ihn aus Polen hierherholen«, meinte Franz schließlich. »Kutisker kann es ja schlecht selbst machen.«
»Und dafür zahlt er einen Haufen Geld?« Seine Tante schien keineswegs überzeugt oder besänftigt. »Ich streiche euch beiden die Weihnachtsgeschenke, wenn ihr nicht sofort mit der Sprache herausrückt! Was will er? Warum kommt dieser Buchhalter nicht einfach her?«
»Er ist das Opfer eines Missverständnisses«, wiegelte Konter ab. »Der Mann wollte ins Baltikum abhauen, aber es hat ihn auf polnisches Gebiet verschlagen. Man hat ihn wohl für einen Schieber gehalten. Und Schmuggler mögen die Polen ebenso wenig wie Deutsche.«
»Dabei hat er nicht einmal die deutsche Staatsbürgerschaft. Er ist Litauer.« Franz nickte beflissen. »Vorher war er eigentlich Russe. Oder Pole. Als es noch Russisch-Polen gab. Ihr versteht?«
Die meisten Anwesenden schüttelten nur den Kopf.
»Kurzum, er sitzt im Gefängnis.« Konter schien es besser, jetzt mit der Wahrheit herauszurücken. »Und wir werden ihn herausholen müssen.« Er hob die Hand, als Toni protestieren wollte. »Es ist nicht nur das Geld, meine Liebe. Kutisker und dieser Buchhalter haben Informationen, die für die Kripo, also für mich, wichtig sind.«
»Nicht wieder schräge Geschäfte, die uns in Teufels Küche bringen!«, rief Toni aufgebracht. »Die Chinesen und das Opium waren genug Aufregung für ein Leben.«
»Ach, mein Kätzchen, du hast doch ohnehin sieben«, schnurrte Konter plötzlich, und die Sass-Brüder sahen sich betreten an. Max Klante, der inhaftierte ehemalige Liebhaber ihrer Tante, hatte ständig auf – wie sie fanden – peinlichste Weise Süßholz geraspelt. Aber von dem älteren Polizisten kannten sie so etwas eigentlich nicht. Auch Toni schien sofort stutzig zu werden.
»Alles ohne Risiko für uns«, versuchte Franz die Gemüter zu besänftigen. »Kutisker bietet mir eine ordentliche Summe Bargeld. Und dazu erhalten wir noch ein riesiges Lagerhaus in Pommern mit völlig legaler Armeeware. Unglaublich, die Reichsregierung hat vor fünf Jahren viel Geld bezahlt, damit das Zeug verschwindet. Und jetzt könnten wir die Ausrüstung sogar wieder an die Reichswehr zurückverkaufen. Wie gesagt, ohne Risiko. Die Papiere sind erstklassig.« Als er Tonis und Katjas wütende Blicke bemerkte, fügte er schnell hinzu: »Beruhigt euch, wir nehmen keine Waffen. Nicht eine einzige Pistole oder Patrone, nur Lastwagen, Baufahrzeuge, Stoffe, Kleidung und Ausrüstung. Mein Wort drauf.«
»Und wie wollt ihr den Mann aus dem Gefängnis herausholen? Und dazu noch aus Polen?«, fragte Toni.
»Es ist eine unruhige Gegend«, erwiderte Franz. »Deutsche, Russen, Polen, Litauer. Alle haben sich in der Vergangenheit um diesen Landstrich gestritten. Und da herrscht immer noch eine Art Bürgerkrieg. Im östlichen Polen und auf dem Baltikum gibt es eine Menge bewaffnete Einheiten. Wir könnten uns diese Feindseligkeiten zunutze machen.«
»Ich habe mal vorsichtig beim Außenamt nachgehakt«, fügte Konter hinzu. »Kutiskers Buchhalter ist Litauer. Es besteht also kein Interesse für eine Intervention auf diplomatischer Ebene. Ich könnte polizeiliche Ermittlungen als Grund für eine Überstellung geltend machen. Aber da stehen die Chancen schlecht. Zwei bis drei Monate werden sicherlich ins Land gehen. Bei unsicherem Ergebnis.«
»Doch wir haben noch ein Ass im Ärmel«, sagte Franz. Dabei klang seine Stimme belegt. »Obwohl es eher ein Aas ist. Kapitän Ehrhardt.«
Nachdem er den Namen ausgesprochen hatte, flogen die Fetzen. Toni warf ihre Serviette nach ihm. Katja schimpfte auf Russisch. Und Franz schien selbst nicht sicher, ob er für oder gegen den eigenen Vorschlag war. Hatte er doch gehofft, er würde mit dem alten Marineoffizier und Freikorpsführer nie wieder etwas zu tun haben. Ehrhardt war in der Frühzeit der Republik in viele Anschläge auf Politiker verwickelt gewesen, hatte als selbsternannter Consul eine Organisation geleitet, die den jungen Staat destabilisierte und für viele Morde an Politikern verantwortlich war. Und er hatte sich für seine Aktivitäten von rechten Kreisen, die davon träumten, ihre alten Zeiten und Rechte zurückzuerhalten, gut bezahlen lassen. Zudem war er in Schmuggel, Waffenhandel und Raub verwickelt. Nach einem gescheiterten Putschversuch gegen die Reichsregierung vor fünf Jahren hatte er sein Aktionsfeld in den Osten Europas verlegt und verdingte sich dort als inoffizieller Söldner der deutschen Reichswehr und der baltischen Länder. Er schürte Unruhe und verdiente gutes Geld damit, dass er die Freischärler aller Seiten ausbildete, damit sie sich danach gegenseitig die Köpfe wegschießen konnten.
»Ausgerechnet Ehrhardt!«, brachte Susanne die Gefühle aller Anwesenden auf den Punkt.
»Ja, ich weiß«, sagte Franz schließlich. »Der Mann ist ein übles Schwein, skrupellos und kaltblütig. Aber bei aller Abneigung muss ich gestehen, dass er immer zuverlässig war in geschäftlichen Dingen. Ich gebe es ungern zu, er ist im Moment unsere einzige Möglichkeit, schnell an Kutiskers Mann heranzukommen.«
»Hast du noch Kontakt zu ihm?«, fragte Toni ungläubig.
»Natürlich nicht. Soviel ich weiß, wechselt Ehrhardt im Osten ständig seinen Aufenthaltsort, ist mal in Schlesien, mal im Memelland. Offiziell lebt er in Österreich. Aber er hat einen alten Bekannten aus den Zeiten des Kapp-Putsches, General von Lüttwitz. Seitdem von einer Begnadigung der Putschisten die Rede ist, haben die Kerle wieder Oberwasser und zeigen sich ungeniert in der Öffentlichkeit. Lüttwitz besitzt ein Landgut in Ungarn. Dort kann man ihn problemlos erreichen, und er wird uns hoffentlich einen Kontakt zu Ehrhardt vermitteln.«
»Er ist auf seinem Familiensitz gemeldet und wird nach der Amnestie sogar eine Pension erhalten«, bestätigte Konter.
»Warum sollte Ehrhardt ausgerechnet uns helfen?« Toni blieb skeptisch. Sie hatte rote Flecken am Hals, ein untrügliches Zeichen, dass Vorsicht angebracht war. »Wir haben ihm zwei Mal ordentlich vors Schienbein getreten.«
»Zwei Gründe«, antwortete Konter und legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. »Er bekommt eine ordentliche Summe von Kutisker. Seine privaten Scharmützel mit den Polen kosten ihn und seine Helfer eine Menge Geld. Und außerdem wird ihn die Aussicht erfreuen, dass durch sein Zutun einige bekannte Politiker ins Straucheln kommen könnten.«
»Eine widerliche Vorstellung.«
»Mir gefällt es auch nicht, Toni«, sagte Franz. »Es fühlt sich alles falsch an. Erst Kutisker, jetzt Ehrhardt. Ich komme mir vor, als würde ich alles verraten, woran ich glaube.«
»Und ohne eure Hilfe komme ich nicht weiter.« Paul Konter sah alle Anwesenden an. »Mein Chef sitzt mir im Nacken wegen des Mordfalls. Ich habe keine verlässlichen Spuren. Und ich brauche Kutiskers Hilfe, um die Hintergründe zu verstehen. Wenn für das Syndicat ordentlich was herausspringt, dann ist es gut. Aber für mich geht es um mehr.«
Die Beratungen dauerten bis zum Abend, und es ging hoch her. Franz verspürte wieder jene bleierne Müdigkeit, die ihm jede Kraft raubte. Dabei waren es nicht die Geschäfte selbst, die ihn störten. Es waren die Winkelzüge, das Taktieren, dieses Um‑die-Ecke-Denken, das ihn fertigmachte. Vielleicht hatte Sternwein doch recht gehabt, als er kurz nach der Rückkehr aus Italien geraten hatte, das Syndicat sollte sich auf die Lokale beschränken. Die neuerliche Situation entglitt ihnen bereits, bevor sie überhaupt verstanden hatten, worum es eigentlich ging. Die Abstimmung über das weitere Vorgehen fiel denkbar knapp mit der Mehrheit von einer Stimme für seinen und Konters Vorschlag aus. Und fast hätte sich Franz in diesem Moment gewünscht, die Entscheidung wäre gegen ihn ausgefallen.