»Wir sollten die Dinge sauber auseinanderhalten«, meinte Paul Konter, als sich die wichtigsten Teilhaber zwei Tage später zu einem außerordentlichen Treffen versammelt hatten. »Ich habe einen Mordfall zu klären. Kutisker hat uns zudem eine ordentliche Summe angeboten …«
»Die er erst herausrücken wird, wenn wir ihm seinen Freund Annuscheit übergeben«, unterbrach ihn Katja.
»Und das Ganze ist Kleinkram gegen die Summe, die wir in der Botschaft abstauben können«, fügte Franz hinzu. »Nebenbei bekommen wir den Buchhalter, der dein wichtigster Zeuge ist, Paul. Was gibt es also zu besprechen? Die Sache ist doch klar. Wir müssen in diesen Keller.«
»Wie stellt ihr euch das vor?«, schimpfte Susanne. »Wollt ihr ein paar Schläger von Schmidtchen anheuern und dazu vielleicht noch Ehrhardts Freikorpsleute? Und dann zieht ihr gegen die Sowjets zu Felde? Ihr habt sie doch nicht alle!«
»Langsam frage ich mich ernsthaft, ob wir über die Führung des Syndicats neu verhandeln sollten«, sagte Toni. Sie wirkte ruhig und nachdenklich, aber alle im Raum spürten ihre Anspannung. »Vielleicht wären zwei Frauen und ein Mann doch besser geeignet. Mir scheint, dass allzu oft aus Unternehmergeist Abenteuerlust geworden ist. Und nun kommt noch ein Schuss Wahnsinn hinzu.«
»Zwei Millionen Mark!« Franz wusste, dass diese Spitze gegen ihn ging, doch er entschied sich, sie zu ignorieren. Schließlich beabsichtigte er ja selbst, die Führung des Syndicats an Erich abzugeben. »Wir können eine solche Gelegenheit nicht ungenutzt lassen. Ich habe mich umgehört. Die Russen haben in den letzten zwei Jahren keine besonderen Aufträge für Umbauten oder Sicherheitsvorkehrungen vergeben. In diesem Keller werden höchstwahrscheinlich uralte Tresore stehen, die sich öffnen, wenn ich sie nur anhuste.«
»Wir sollten uns jetzt mal beruhigen!« Paul Konter erhob die Stimme, wie er es nur selten tat. Er sah Franz an. »Wir waren uns einig, dass wir über diese Möglichkeit zunächst nur sprechen. Wir müssen jetzt keine Entscheidung treffen.« Dann wandte er sich an die anderen Teilhaber. »Meine Ermittlungen im Fall Bobrow weisen darauf hin, dass die russische GPU einen Ableger in Deutschland genutzt hat, um den Mord auszuführen. Die sogenannte Deutsche Tscheka ist im Vergleich zum russischen Original zwar ein Witz, aber dennoch gefährlich. Immerhin kann ich versuchen, den Leuten hier in Deutschland das Handwerk zu legen. An die Hintermänner in der Botschaft oder gar an Stalin und Dserschinski komme ich ohnehin nicht heran.«
»Die Russen können also in Deutschland tun, was sie wollen?«, fragte Katja empört.
»Eben nicht! Wenn wir ihre Handlanger auffliegen lassen, dann schwächen wir sie. Kessler meinte, dass sich die UdSSR und Deutschland in mehreren wichtigen Bereichen auf eine Zusammenarbeit einigen wollen. Da wird man keinen Eklat provozieren.«
»Da hast du es«, rief Franz zufrieden. »Wenn wir ihnen einen Teil des Rote Erbes und Annuscheit abjagen, wird niemand etwas tun können. Sie müssten sonst erklären, woher das Geld stammt. Und wofür sie es verwenden wollten. Für den entführten Buchhalter gilt dies erst recht. Wir stehlen nur etwas, das sie offiziell gar nicht haben dürfen. Was sollen sie tun? Uns bei der deutschen Polizei anzeigen?«
»Sie werden uns jagen lassen«, meinte Katja. »Du kennst diese Menschen nicht. Sie werden ihre Bluthunde auf uns ansetzen.«
»Ich brauche Annuscheit!« Konter wurde entgegen seiner Art lauter. »Und Franz hat den einzigen, brauchbaren Plan.«
»Ach wirklich? Wie sieht dieser Plan denn genau aus?« Toni sprach ruhig, aber bestimmt. »Bisher hörte ich nur, dass im Keller wohl ein Tresor steht, in dem zwei Millionen auf ihren Abtransport warten. Dass es dort eine Art illegales Gefängnis gibt, in dem dieser Annuscheit sein könnte. Wie genau willst du dort hinkommen?« Sie sah ihren Neffen jetzt direkt an.
»Ich muss die Sache noch genau ausarbeiten«, erwiderte Franz. »Durch die Botschaft kommen wir natürlich nicht hinein. Vielleicht über ein Nebengebäude. Oder wir graben einen Schacht.«
»Hirngespinste!«, sagte Toni. »Wir sind jetzt schon zu oft auf die Nase gefallen. Mit den Waffen, dem Opiumhandel, den Chinesen und Amerikanern. Berliner Geschäfte sind das Feld, auf dem wir uns auskennen. Ich möchte eine Abstimmung, ob der Plan überhaupt weiter verfolgt wird. Jetzt!«
Es folgten jene Minuten, in denen wild gestikuliert und diskutiert wurde. Schließlich sprach Toni ein Machtwort und bat um die Meinung der Anwesenden.
»Wer dafür ist, dass wir in den Keller der sowjetischen Botschaft einsteigen, hebt die Hand.«
Nur Franz, Erich und Paul Konter stimmten dem Vorschlag zu. Fünf Teilhaber lehnten ihn ab.
»Georg und Willi fehlen«, protestierte Franz.
Er wusste, dass der Einwand nach den Statuten, die sie vereinbart hatten, nicht zählte. Zudem funkelte er Susanne wütend an, die ebenfalls gegen den Plan gestimmt hatte. Der Kripobeamte hob nur die Schultern.
»Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen, Franz«, sagte er resigniert.
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»Du schlägst vor, dass wir unsere Freunde, Geschäftspartner und die Familie hintergehen sollen?«, fragte Konter erstaunt.
Sie saßen am Abend an der Bar im Hotel Kaiserhof am Zietenplatz. Franz hatte ein Treffen dort vorgeschlagen, damit sie möglichst ungestört und unbeobachtet miteinander sprechen konnten. Konter hatte eine halbe Stunde auf Franz gewartet und die Nachtausgabe der B. Z. studiert. Jetzt versuchte er, die Zeitung zusammenzufalten, scheiterte dabei jedoch gründlich und stopfte sie missmutig in einen Abfallbehälter.
»Was soll das? Wieso treffen wir uns hier und nicht in unserem Klub?«, hakte er nach, bevor Franz überhaupt auf die erste Frage antworten konnte.
Der Kaiserhof bot Annehmlichkeiten für jenen Teil der Berliner Oberschicht, der das grelle Licht und den protzigen Lärm des neuen Luxus mied. Beinahe museal gab man sich hier der Erinnerung an eine Epoche hin, die nur die Einfältigen wehmütig als »gute, alte Zeit« anpriesen. Jedoch versammelte sich hier auch eine konservative Elite, die ihre Zukunft in der »neuen Zeit« sorgfältig plante. Während sich Paul Konter in den Nobelhotels Eden oder Adlon immer mit einiger Geringschätzung beobachtet fühlte, maß man wahre Bedeutung im Kaiserhof offenbar – nicht nur – an Äußerlichkeiten. Hier trafen sich die Größen aus Wirtschaft und Politik, um zu besprechen, was später in den Parlamenten zu beschließen war. Der Reichsverband der Deutschen Industrie hatte eine halbe Etage im Hause angemietet, um dauerhaft in der Nähe der entscheidenden Ministerien präsent zu sein. Minister trafen sich mit Vertretern der Montanunternehmen, und sogar mancher Staatsvertrag war in den Séparées vorab ausgehandelt worden. Graf Kessler hatte dem Polizisten ganz unverhohlen von Absprachen und Kungelei berichtet.
»Der Reichstag und die Parlamente sind die Symbole unserer Verfassung«, hatte er gesagt. »Aber Politik wird anderswo gemacht. Zum Beispiel im Kaiserhof.«
Die beiden Männer warteten, bis der Kellner die Getränke gebracht hatte. Sie saßen am edlen Tresen der Bar.
»Ich will niemanden hintergehen«, sagte Franz. »Josef führt sein Bauunternehmen und verdient gut im Kreditgeschäft. Willi hat ein eigenes Lokal und ist sogar selbst Ringboss. Du arbeitest bei der Kripo. Was spricht also dagegen, wenn ich eine eigene Sache aufziehe?«
»Du willst da auf eigene Faust reingehen?«, fragte Konter ungläubig.
»Ja, dieses Ding verschafft mir genug Geld, um das Casino aufzubauen. Zusammen mit Romano habe ich dann eben auch ein eigenes Unternehmen. Ich bin schließlich nicht ans Syndicat gekettet!« Dass er zeitweise daran dachte, ganz aufzuhören, verschwieg er Konter.
»Warum treffen wir uns hier?«, fragte der Kripobeamte. »Ich fühle mich, als wollten wir die anderen hinters Licht führen.«
»Erstens sind wir diskret unter uns. Toni und die anderen sind nicht dämlich. Wenn wir uns im Klub Berlin treffen und die Köpfe zusammenstecken, dann riechen sie den Braten. Und zweitens habe ich eine Überraschung für dich.«
Er ging zur Rezeption und wechselte ein paar Worte mit dem Concierge. Dann kam er an den Bartisch zurück.
»Ich helfe dir. Und du hilfst mir«, meinte er und nickte Konter mit verschwörerischer Miene zu.
»Ich habe keine Lust, die Beziehung zu Toni aufs Spiel zu setzen«, sagte der Polizist. »Wenn sie herausbekommt, dass ich dich dabei unterstütze, sie zu hintergehen, serviert sie mich ab.«
»Ich hintergehe niemanden, sondern mache nur mein Ding. Ich bin schließlich kein kleiner Lehrjunge mehr. Ich gebe zu, die Sache mit den Chinesen ist aus dem Ruder gelaufen, aber hast du nie Fehler gemacht in deinem Leben?«
»Mehr als genug«, knurrte Konter.
»Siehst du.«
In diesem Moment trat ein Mann an ihren Tisch.
»Ehrhardt?« Konter, der gerade seine Kaffeetasse gehoben hatte, hielt mitten in der Bewegung inne. »Was wollen Sie schon wieder hier?«
Der ehemalige Weltkriegskapitän hob beschwichtigend die Hände und lächelte. »Erstens werde ich nach der Amnestie ein freier Bürger in einem freien Land sein. Und als solcher kann ich gehen, wohin ich will. Zweitens bin ich auf Bitten unseres jungen Freundes gekommen.«
Hermann Ehrhardt bestellte den teuersten, französischen Kognak und zog sich einen Stuhl heran. Konter wirkte immer noch verblüfft, und Franz spürte, dass zusammen mit einer unbestimmten Wut auch Übelkeit in ihm aufstieg. Er hatte sich vor Jahren geschworen, nie wieder etwas mit dem Kerl zu tun haben zu wollen. Und doch kreuzten sich ihre Wege abermals. Seine eigene Moral fühlte sich an wie die eines Priesters, der seiner Gemeinde den Messwein wegsoff und regelmäßig zu Huren ins Bett stieg. Kein schönes Gefühl. Ehrhardt schwieg, genoss sein Zehn-Mark-Getränk und sah beide Männer abwechselnd und erwartungsvoll an.
»Herr Sass bat mich, Ihnen ein paar wichtige Informationen zu geben, Herr Kommissar«, begann er schließlich. »Es sind Fakten zu diesem Bobrow-Fall, an dem Sie arbeiten. Die Tat liegt ja bereits einige Zeit zurück. Und ich hörte, dass Sie den Täter immer noch nicht gefasst haben«, fügte er noch in süffisantem Tonfall hinzu.
Konter zwang sich, zu schweigen. Jede Erwiderung würde seine Position jetzt nur schwächen.
»Woldemar Rose«, sagte Kapitän Ehrhardt.
»Rose? Der Kerl sitzt seit zwei Jahren in Haft.« Konter hatte die Machenschaften der Deutschen Tscheka mit Spannung verfolgt. Einige deutsche Kommunisten hatten geglaubt, den Umsturz im Reich nach russischem Vorbild erreichen zu können, indem sie vor drei Jahren in Hamburg einen Aufstand angezettelt hatten. Woldemar Rose war einer der Drahtzieher gewesen. Die kleine Gruppe hatte im letzten Jahr vor Gericht gestanden, und es waren harte Urteile gefallen. Zusammen mit zwei weiteren Angeklagten war Rose zum Tode verurteilt worden.
»Sie sollten an dieser Stelle tiefer graben, mein Lieber«, meinte Ehrhardt. »Die Politische Polizei und der Republikschutz haben nicht alle Männer gefasst. Wenn Sie mir nicht glauben, dann fragen Sie Ihren neuen Freund Graf Kessler.«
Konter zwang sich erneut, ruhig zu bleiben und schwieg. Er presste die Kiefer derart fest aufeinander, dass es schmerzte. Offenbar war der ehemalige Consul keineswegs abgemeldet, sondern im Gegenteil bestens informiert.
»Meine Herren!« Kapitän Ehrhardt lachte. »Haben Sie etwa ein Schweigegelübde abgelegt? Oder ist es die Freude, mich wiederzusehen, die Ihnen die Sprache verschlägt?«
»Angenommen, es gibt weiterhin eine Deutsche Tscheka«, sagte Konter. »Warum sollten es diese Männer auf einen russischen Diplomaten abgesehen haben?«
»Bobrow war politisch sehr aktiv. Er war ein sogenannter Läufer, der zwischen den Parteien und Interessengruppen vermittelte«, mischte sich Franz jetzt ins Gespräch ein und erntete für die Bemerkung einen tadelnden Blick des Kripobeamten.
»Offenbar galt Bobrow dem neuen starken Mann in Moskau als nicht mehr zuverlässig genug«, sagte Ehrhardt.
»Stalin? Aber in seinem Auftrag war der Diplomat doch unterwegs. Er sollte einen alten Bekannten, den Filmemacher Eisenstein, auf Linie bringen.« Konter schien irritiert.
»Es gibt …«, entgegnete der ehemalige Offizier, »… besser, es gab recht alte Verbindungen im Baltikum, die den Sowjets ein Dorn im Auge waren. Familien, die seit zwei Jahrhunderten Geschäfte machten mit Deutschland, Finnland und dem alten Zarenreich. Die Eisensteins, Kutiskers und Bobrows gehörten dazu.«
»Und Parvus.«
»Sieh an, da hat jemand seine Hausaufgaben gemacht.« Hermann Ehrhardt lachte. »Die Bolschewiki wollten diese Leute eigentlich ebenso loswerden wie die Adligen, Bojaren und Kulaken. Aber sie brauchten ihr Wissen und ihre Kontakte für eine ganz bestimmte Aufgabe.«
»Das Rote Erbe«, meinte Franz.
»Exakt. Bobrow stand wahrscheinlich unter Beobachtung der echten Tscheka. Die Überwachung der baltischen Gruppe war sogar Chefsache.«
»Stalin und Dserschinski«, sagte Konter. »Aber es lief doch alles nach Plan. Weshalb also wurde Bobrow getötet?«
»Aus zwei Gründen. Erstens hatte er politisch brisantes Material im Gepäck, mit dem die Gegner Stalins in Berlin, Paris, London und Rom wieder Oberwasser bekommen konnten.«
Lenins politisches Testament, dachte Konter. Er nickte. Die Phonographenwalze würde unter den Revolutionären für mächtig Wirbel sorgen und konnte Stalins Position erheblich schwächen.
»Zweitens hatte er wertvolle Ware dabei, die bei De Beers in London großes Interesse geweckt hätte.«
»De Beers?«, fragte Franz.
»Die Diamanten«, sagte Konter. Endlich schien die Sache für ihn als Ganzes einen Sinn zu ergeben. Sein Assistent hatte sich die Zusammenhänge mühsam erarbeitet. »Es gibt auf dem internationalen Markt Gerüchte, nach denen ein riesiges Diamantenfeld in Sibirien entdeckt wurde. Bobrow hatte offenbar eine Probe der Edelsteine im Gepäck.«
»Die er Fachleuten von De Beers vorlegen wollte.« Ehrhardt nickte. »Hätte alles geklappt, dann wäre Mütterchen Russland wieder zu einem riesigen Rummelplatz geworden.«
»Erneute Instabilität, weil Stalins Gegner sich mit Lenins Testament im Rücken und der Aussicht auf die Erträge aus der Mine offen gegen ihn aufgelehnt hätten.« Konter gab dem Kellner ein Zeichen, jetzt drei Kognak zu bringen. Sichtlich nervös entzündete er sich dann eine Zigarette. »Und die Diamantenproduzenten wären billig an das neue Förderfeld herangekommen.« Er stöhnte. »Langsam vermisse ich die Zeiten, in denen der Täter fast immer ein betrogener Ehemann oder geprellter Geschäftspartner war.«
»Und damit kommen wir zu unserer Vereinbarung«, meinte Hermann Ehrhardt.
»Wie bitte? Welche Vereinbarung?«
»Herr Sass bot mir für die Informationen eine Gegenleistung an, Herr Kommissar.«
Konter funkelte Franz an, der den Blick abwandte und entschuldigend die Hände hob.
»Der Diamantensplitter, den Sie bei Bobrows Habseligkeiten fanden. Ich brauche ihn, um mich selbst ins Geschäft zu bringen.«
Konter stürzte den edlen Tropfen herunter, den der Angestellte gerade brachte. Er stand auf und bedeutete Franz, ihm zu den Waschräumen zu folgen.
»Sie entschuldigen uns einen Moment, Herr Ehrhardt?«
Als beide außer Hörweite des Mannes im Gang zu den Toiletten standen, hob Franz die Hand, bevor Konter zu seiner Gardinenpredigt ansetzen konnte.
»Was hätte ich tun sollen, Paul? Du kommst seit Wochen nicht weiter mit deinem Fall. Und er hat Informationen.«
»Du hast ihm den Diamanten versprochen?«, fragte Konter, als könnte er das Gehörte noch nicht glauben.
»Das Ding ist wertlos. Eure Fachleute haben es untersucht. Jetzt wandert dieser Splitter doch ohnehin in die Asservatenkammer, um nie wieder aufzutauchen.« Franz schien entschlossen, seine Entscheidung zu verteidigen. »Für dich ist es ein Klacks. Nimm den Diamanten heraus, und leg stattdessen die Scherbe einer zerschlagenen Bierflasche hinein.«
Konter unterdrückte ein Fluchen. Er musste einen klaren Kopf bewahren. Im Prinzip hatte Franz recht. Und es konnte sich später rächen, Ehrhardt jetzt zu verprellen. Der Mann war eine Art graue Eminenz im Hintergrund des rechten politischen Spektrums. Gut informiert mit guten Beziehungen. Wenn auch zu Leuten, die der Kripobeamte eher verabscheute. Aber es war wie auf dem Fußballfeld. Man mochte den Gegner nicht, aber man brauchte ihn. Was wäre es sonst für ein Spiel? Nach einer Weile nickte er.
»In Ordnung. Soll er das Teil bekommen. Doch das nächste Mal fragst du, bevor du anfängst einen Kuchen zu verteilen, den du nicht gebacken hast. Verstanden?«
Ehrhardt schien zufrieden, als ihm Konter zusicherte, dass er ihm den Diamantensplitter in den nächsten Tagen mit einem Boten schicken würde.
»Gut«, meinte er. »Dann zu der Information, die der Jude Ihnen geben kann.«
»Wen meinen Sie? Kutisker oder Annuscheit?«, fragte Konter.
»Letztlich beide«, antwortete Erhardt. »Annuscheits Aussage und seine Dokumente können beweisen, dass die Regierung geheime Beziehungen zu Russland unterhält.«
»Kommen Sie, Kapitän!« Konter wurde laut. »Alle wissen, dass die beiden Staaten miteinander kooperieren. Und alles am Versailler Vertrag vorbei. Verbotene Waffen, die Ausbildung von Reichswehrverbänden, Aufstellung geheimer Truppenteile. Und dafür bekommt die Sowjetunion Ingenieure und Technik, um ihre Steinzeit-Industrie neu auszurichten. Daran ist doch nichts geheim!«
»Ich sprach von geheimen Beziehungen zu Russland, nicht zur Sowjetunion«, erwiderte Ehrhardt in ungewöhnlich scharfem Tonfall. »Fragen Sie Kutisker. Er und sein Puppenjunge haben Beweise, dass das Reich quasi ein doppeltes Doppelspiel spielt. Führende Politiker von der DNVP bis zur SPD unterstützen ein Agentennetz von Sankt Petersburg bis Zarizyn, um im Fall einer Schwächung der Bolschewisten sofort eine neue Konterrevolution beginnen zu können.« Jetzt gab sich der Weltkriegsoffizier wieder weltgewandt. »Fragen Sie mal Ihren guten Graf Kessler! Und beobachten Sie, wie seine Ohren rot werden, wenn er alles abstreitet. Ein Pulverfass, meine Herren! Und dieser Annuscheit ist das Zündholz, das die Lunte anstecken könnte.«