Der Italiener wirkte zufrieden. Das Hotel gegenüber dem Aquarium im Tiergarten entsprach in seiner etwas altbackenen Pracht offenbar seinem Geschmack. Obwohl der Bau erst vor etwa zwei Jahrzehnten errichtet worden war, atmete er den Geist einer untergegangenen Zeit. Der Prunkbau hatte noch jenen Wilhelminischen Selbstzweck zu erfüllen, der das Individuum außen vor ließ. Er war ausschließlich um seiner selbst willen erschaffen worden.
»In Napule glauben die Leute, dass es hier das ganze Jahr über schneit.« Celio Romano lachte. Er trug einen edlen Winteranzug aus dickem Tweed, obwohl draußen sommerliche achtzehn Grad waren.
»Nur drei Monate lang, den Rest der Zeit gibt es Regen und Wind«, erwiderte Franz und lächelte.
Er hatte sich etwas entspannt, als er bemerkte, dass das Oberhaupt der kampanischen Familien guter Laune war. Er war zudem erstaunt, dass sein Italienisch im vergangenen halben Jahr kaum eingerostet war.
»Wie weit bist du mit den Arbeiten, Franz?«, fragte Romano wenig später, als sie sich für die geschäftlichen Besprechungen in ein Arbeitszimmer des Hotels zurückgezogen hatten.
»Ich werde mit euch nachher zum Baugrundstück fahren, Capo Celio. Es liegt am Stadtrand. In Berlin sind Spielcasinos nicht zugelassen. Tutto è molto complicato in questa città.«
»Kompliziert? Mit Geld regelt sich alles!«, meinte Romano und Franz wusste, dass der Mann die Welt genau so sah. »Wie sieht es mit der Finanzierung aus?«
»Alles ist bereits geklärt«, log Franz. »Das Grundstück wird die Sicherheit für eine Hypothek unserer Bank sein. Und für die Umbauten sind genügend Mittel vorhanden. Sobald wir das erste Geld der Familie bekommen, können wir loslegen.«
Celio Romano winkte seinen stämmigen Begleiter zu sich, der gleichzeitig Leibwächter und Sekretär war. Der Mann stellte eine Aktentasche vor Franz ab.
»Fünfzigtausend Dollar«, sagte Romano.
»Sehr gut, wunderbar.« Franz versuchte, ruhig zu bleiben und seine Überraschung zu verbergen. Die Zeiten, in denen man in der Berliner Unterwelt das Geld einfach im Koffer mitbrachte, waren längst vorbei. Die meisten Gauner waren zu seriösen Geschäftsleuten geworden. »Wie soll ich die Summe verbuchen? Quittungen stellt eigentlich unser Bankhaus aus«, stotterte er verlegen.
»Ich führe selbst Buch.« Der Neapolitaner tippte sich an die Schläfe. »Hier oben. Nichts wird vergessen. Mich hat noch nie jemand betrogen.«
Franz wusste, dass es spätestens jetzt kein Zurück mehr gab. Romano hatte es ihm und Susanne erklärt, als sie bei ihm zu Gast gewesen waren. Entweder man war legato dal sangue, gehörte also zur Familie, oder man war collegati tramite denaro, miteinander verbunden durch das Geld. Die erste Beziehung schloss die Möglichkeit ein, anderen zu verzeihen. Die zweite nicht. Wenn er Romanos Geld nahm, dann musste er liefern. Immerhin wäre der Kaufpreis, den die Stadt für die heruntergekommene Immobilie bei Schloss Glienicke vorsah, damit gedeckt. Zusammen mit den eigenen Rücklagen und der Hypothek konnte vielleicht sogar ein Baubeginn erfolgen. Nur ein guter Architekt musste noch her. Genehmigungen waren einzuholen. Und Josef Sternwein würde Material und Männer bereitstellen müssen.
Alles geht viel zu schnell, dachte Franz nur. Er seufzte und hatte das Gefühl, dass er wieder einmal dabei war, eine Last gegen eine andere einzutauschen.
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Natürlich gönnte Franz sich und seinem Gast einige Runden auf der AVUS-Rennstrecke, bevor er dann mit Romano am Wannsee entlang nach Glienicke fuhr.
»Ein phantastischer Ort«, rief der Italiener, als sie zwanzig Minuten später am Ufer des Jungfernsees standen.
Das Wetter spielte mit, und die Nachmittagssonne warf ein nachsichtiges Licht auf das baufällige Nebengelass, das Franz zu einer Art Klub und Hotel umbauen wollte.
»Ein kleiner Spaziergang und man ist auf Potsdamer Gebiet.« Franz zeigte in Richtung der Siedlung Klein-Glienicke. »Dort wird der Spielbetrieb stattfinden.«
»Wunderbar!«, rief Romano. »Zuerst dachte ich, es wären die Hirngespinste eines jungen Mannes, der nie richtig arbeiten musste. Aber ich bin beeindruckt. Anfang des nächsten Jahres muss es losgehen! Der Duce lässt alle Steuerbehörden neu besetzen. Die Inspektoren werden unsere Bücher prüfen. Wir brauchen das Casino, um unser Geld legal zu machen.« Er sah Franz eindringlich an. »Viel Geld.«
Franz nickte. Er hatte also noch sieben Monate. Allein die Einholung der Genehmigungen würde – durch ein paar Geschenke und Bestechungsgelder befördert – zwei Monate dauern. Blieb für die Bauarbeiten weniger als ein halbes Jahr Zeit.