Oh Mann, was habe ich gelacht!

Humor als Überlebensstrategie und Essenz meiner Männlichkeit

Ich weiß noch genau, wie wir als Kinder auf dem schmutzigen Darmstädter Gelände neben der Schnellstraße in Zelten hockten. Der Regen prasselte auf die Plane und der grollende Donner tönte gruselig in unseren Ohren. Wir hatten Angst, dass der Blitz das Zelt treffen könnte, trauten uns aber nicht, durch das Gewitter zurück in die Baracken zu laufen. Wir hatten Gänsehaut und die Anspannung war kaum auszuhalten, doch dann platzte es aus irgendjemandem hervor: ein Furz. Es folgte ein unendlicher Lachanfall, wir bekamen uns kaum noch ein. Gerade fürchteten wir noch, durch einen Blitzschlag zu verrecken, doch nun schüttelte es uns vor Lachen angesichts der Flatulenz meines Cousins. So hatte sich niemand von uns das Ende vorgestellt. Damals lernte ich: Lachen ist die beste Art, Stress abzubauen und mit Ängsten umzugehen.

Der Humor meiner Familie war durchaus eigen, ich fand uns dabei dennoch unfassbar witzig. Wenn meine Verwandten auf Feiern in der einen Hand eine Schweinekeule hielten und mit der anderen drohten, jemanden zu verprügeln, dann war das nicht weit entfernt von den Bud-Spencer-Filmen, die ich als Kind so gerne schaute. Also beobachtete ich belustigt das absurde Spektakel, und was dabei fehlte, war lediglich die passende musikalische Untermalung in Italo-Western-Manier. Schon früh fand ich heraus, dass es kaum etwas Besseres gab, als Freund*innen zu bespaßen. Wenn wir gemeinsam lachten, waren wir uns besonders nahe. Es störte mich nicht, wenn ich im Zentrum mancher Späße stand. Bei Freund*innen war ich geborgen, und in diesen Momenten fühlte ich mich gesehen und geliebt. Dieses Gefühl war wohltuend, manchmal geradezu berauschend. Das war wohl auch der Grund, warum ich so gerne auf der Bühne stand. Mit Nani hatte ich in Drag-Montur einen Vorgeschmack bekommen – aber ich wollte mehr davon.

Gianni Jovanovic, der Comedian? Für mich machte diese Vorstellung eine Menge Sinn. Mehr als 30 Jahre lang hatte ich gezwungenermaßen damit verbracht, über die Witze von weißen, heterosexuellen Männern zu lachen. So wie unzählige andere BIPoC auch. Bei jedem der plumpen weißen Schenkelklopfer standen wir mit gequältem Lächeln dabei. Diese Männer machten Witze über Frauen, Schwarze, Schwule, Menschen mit Behinderungen, Dicke – kurz: die Anderen. Wir waren die Anderen, und wie auf Knopfdruck lachten auch wir unser erlerntes Lachen. Ein Lachen, das tief aus der Kehle kam und nach Stammtisch und drei Pils zu viel klang. Wir lachten erleichtert, wenn es zur Abwechslung mal nicht um uns ging. Aber wir lachten auch mit, wenn jemand auf unsere Kosten Witze riss. Genauso wurde es immer von uns verlangt, und wenn wir uns mal zierten, gab es den klassischen Ellenbogenrempler in die Seite oder den kumpelhaften Schlag auf die Schulter. Für mich schwang dabei eine nonverbale Botschaft mit. Wer Deutsch sein will, muss verstehen: Ein bisschen Spaß muss sein, und Witzigkeit kennt kein Pardon. Ich spielte das Spiel gerne und vor allem lange mit. Denn Humor ist für mich das beste Mittel, meinen Alltag zu bewältigen.

Allen tragischen Erfahrungen zum Trotz sind mein Lachen und mein positives Gemüt meine Art, der Welt zu sagen, dass mich niemand unterkriegt. Niemand kann mich brechen. Ich bin stärker, als alle denken. Ich liebe mein Lachen, es ist mein wirkungsvollstes Mittel zur Selbstheilung. Meine Zähne sind schön, und wenn ich lache, sehen die Menschen einen gütigen, gut aussehenden und klugen Mann. So habe ich einen leichteren Zugang zu Anderen. Türen öffnen sich, die mir sonst verschlossen blieben. Mein Lachen schützt mich aber auch, denn es zeigt meinem Gegenüber: Keine Sorge, der ist harmlos.

Humor ist meine wichtigste Überlebensstrategie und mein Lachen bedeutet Widerstand. Wenn mich jemand rassistisch oder homophob beleidigt, kann ich gar nicht souveräner reagieren als mit Humor. Mit meinem Lachen offenbare ich die Dummheit, Dreistigkeit und Boshaftigkeit der anderen. So kann ich Dinge verpacken, die mich ansonsten verletzen würden. Im Leben ständig Scheiße fressen und niemals darüber lachen? Ich kann das nicht.

Dass ich mich vor einigen Jahren tatsächlich auf Deutschlands Stand-up-Bühnen traute, hatte gleich mehrere Gründe. Ich wollte das Rampenlicht, ich wollte den Applaus, die Anerkennung, und ich wollte eine weitere Gelegenheit, um meine High Heels auszuführen. Vor allem aber war die Stand-up-Szene für mich ein diverser Raum, in dem Geschwister aus anderen Communitys sich bereits etabliert hatten. Sie waren die Kinder von Arbeiter*innen, von Eltern, die kaum Deutsch sprachen, über deren Essen Almans verächtlich die Nase rümpften oder deren Traditionen so gut wie niemand kannte. Und so glaubte ich fest daran, dass auch ich meine Geschichte, meine Diskriminierungserfahrungen und die vielen Themen von uns Rom*nja in Comedy verpacken könnte.

Wie in anderen Lebensbereichen ging es mir auch hier um Repräsentation. Ich wollte jemanden wie mich sehen, der mit Humor Geld verdiente. Und weil es niemanden sonst gab, machte ich den Job eben selbst. Immerhin: Andere Menschen mit internationaler Familiengeschichte hatten es bereits geschafft. Sie machten Witze über ihre Migrationserfahrung, die Akzente ihrer Eltern, ihre kulturellen Eigenheiten. Und Deutschland hatte Spaß. Das erschien mir alles in allem ziemlich erstrebenswert. Also arbeitete ich an Gags und ging zunächst zu Open-Mic-Abenden, bei denen ich mich als Stand-Upper versuchte.

Vor den Shows hatte ich ein festes Ritual. Ich lernte meinen Text, während ich im Wohnzimmer auf und ab lief. Mein Mann saß vor mir mit Zetteln in der Hand und sagte mir, wenn ich Fehler machte. Auswendig lernen war definitiv nicht meine Stärke. Wenn ich mich in der Performance sicher fühlte, ging ich duschen, zog mich an und puderte mich für den Abend. Dann ging ich zu meiner Madonnenfigur, der schwarzen Fatima, und bat sie um ihren Segen für eine gelungene Show. Wenig später stand ich also da, mal vor zwei, mal vor zweihundert Zuschauer*innen. Und an manchen Tagen lief es genial. An anderen mühte ich mich in meinen Glücksbringer-Strümpfen ab. Für meine ersten Auftritte hatte ich eine klare Vision von meiner Erscheinung: Meine Looks konnten gar nicht modisch, queer und auffallend genug sein. Ich wollte witzig, nahbar und sexy sein. Aber das Feedback, dass ich von Kennern der Comedy-Szene bekam, brachte mich ein wenig aus dem Konzept. Ich sollte gemäßigter aussehen, riet man mir. Tatsächlich fand ich mich irgendwann mit schwarzer Jeans und schwarzem Polo-Shirt auf der Bühne wieder. Mein Programm und ich sollten im Fokus stehen, nicht meine Klamotten. Die Idee konnte ich irgendwie nachvollziehen. Doch dann fiel mir auf, dass ich unbemerkt eine Rolle angenommen hatte, die ich bereits kannte – und eigentlich längst hinter mir gelassen hatte.

Ich trug Kleidung, mit der ich nicht anecken würde, und sah aus wie die heterosexuelle Version meiner selbst. Ich fühlte mich wie früher auf großen Familientreffen, wenn es darum ging, überzeugend den Hetero-Cis-Ehemann zu mimen. Auch für mein Programm hatte ich Tipps bekommen. Demnach war es in Ordnung, wenn ich dem Publikum erklärte, schwul zu sein. Allerdings sollte ich auf keinen Fall »Schwulenwitze« machen. Nicht etwa, weil diese diskriminierend sein könnten – die Sorge war: Insbesondere Hetero-Männer könnten angewidert sein, wenn ich von Schwänzen sprach. Endlich stand ich im Scheinwerferlicht und konnte es nicht in vollem Maße genießen, weil ich nicht ich selbst sein konnte, und Homophobie drohte, mir die Show zu vermasseln. Das nervte mich gehörig. Aus stillem Protest zog ich los und kaufte mir ein neues Bühnenoutfit, inklusive glitzernder Einhorn-Kniestrümpfe. Zumindest für ein paar Abende gab mir die Bühnenfigur eines schwulen Nerds die Sicherheit, die mir abhandengekommen war.

Fernab von meiner Kleidung kam ich mit meinem Bühnenstoff nicht immer beim Publikum an, wie ich es mir erhoffte. Ich bekam durchaus Applaus und Lacher, aber irgendwie glaubten die Menschen mir nicht. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass ein schwuler Rom mit Mitte 30 nicht nur zweifacher Vater, sondern auch Großvater war. Dass es einer von der Sonderschule bis zum Bachelor geschafft hatte, war den Zuschauer*innen zu abstrus und zu konstruiert. Mag sein, dass auch mein schlecht geschriebenes Programm das Problem war – oder meine Performance. Allerdings fühlte ich mich nie fremd auf der Bühne. Ich arbeitete bereits aktivistisch und war es gewohnt, vor vielen Menschen zu sprechen. Tatsächlich war der Unterschied gar nicht so groß und in meiner Comedy schwang eine ordentliche Portion Aktivismus mit. Es ging mir gar nicht in erster Linie um die Lacher. Stand-up-Comedy war vielmehr der Versuch, die Menschen auf einer anderen Ebene zu erreichen und ihnen meine Themen nahezubringen. Rassismus, Intersektionalität, Zwangsheirat, Ausgrenzung von Sinti*zze und Rom*nja, Klassismus, ein diskriminierendes Bildungssystem – da ist doch jedes Thema für sich schon ein echter Brüller. Was ich nicht bedacht hatte: Über Rom*nja lachte eigentlich niemand. Es gab nicht einmal »Roma«-Witze. Weiße lachten nicht, wenn sie mit uns zu tun hatten. Sie verachteten uns im schlimmsten und ignorierten uns im besseren Fall. Deshalb war es schwierig, aus meinem Leben ein Comedy-Programm zu machen.

Mir war natürlich bewusst, dass viele Leute nicht zu einer Comedyshow kamen, um sich politisch erziehen zu lassen. Es kam vor, dass ein Drittel des Publikums angetrunken war. Ein weiteres Drittel wollte einen Witz nach dem anderen hören. Der letzte Teil begutachtete mein Outfit und meine Attitüde, um herauszufinden, was für ein Typ ich war. Die meisten Leute wollten eben Spaß und ich sollte dafür sorgen. Ob im Mönchengladbacher Vorort oder in Wanne-Eickel – oft prallten Welten aufeinander. Ich stand auf der Bühne, die Menschen vor mir waren meistens alle weiß. Jedes Mal sprang ich aufs Neue ins kalte Wasser, versuchte den Kopf oben zu halten und nicht zu ertrinken. Ganz wie im normalen Leben. Ich haute meine Sprüche raus und wollte, dass das Publikum nachdenkt und am Ende einen fetten Kloß im Hals hatte. An guten Abenden klappte es, aber meistens passierte nicht, was ich mir so sehr erhoffte. Die Leute schauten nicht erstaunt, sie fühlten sich nicht in ihrem rassistischen Denken und Handeln ertappt. Im Gegenteil: Mit jedem weiteren Witz fühlten sie sich ganz offensichtlich bestätigt in ihrem Sein und Tun. Wenn ich über Rom*nja-Klischees alberte, nickten sie bestätigend. Ganz nach dem Motto »Ja, so sind sie!«. Und wenn ich als Rom das Z-Wort aussprach, verstanden sie das fälschlicherweise als Erlaubnis, dies ebenfalls zu tun.

Stand-up-Comedy zeigt immer eine Momentaufnahme der Performer*innen, und im Nachhinein sehen die Auftritte manchmal aus wie ein missglückter Schnappschuss. Viele Comedians blicken Jahre später vermutlich auf alte Shows zurück und denken: »Ach, du Scheiße!« So geht es mir mitunter auch. Ich sagte auf der Bühne Dinge, die aus heutiger Sicht undenkbar für mich sind. Gleich mehrfach benutzte ich das Z-Wort und verarbeitete viele Klischees über Rom*nja und queere Menschen in meinen Gags. Doch je mehr ich Rassismus und Diskriminierung reproduzierte, desto lauter waren die Lacher. Ich war in eine Falle getappt und merkte gar nicht, dass ich eigentlich mir selbst sowie allen Sinti*zze und Rom*nja wehtat. Ich machte mir damals zu wenig Gedanken über meine Sprache, und die Begeisterung der Zuschauer*innen stachelte mich an, weiterzumachen. Ich war damals in vielen Aspekten meiner Politisierung noch nicht so weit wie heute. Ich wollte mit meinem Programm eigentlich gerne unterhalten und aufklären, aber mir fehlten das nötige Wissen und auch das Handwerkszeug, um meine Themen in Comedy zu verarbeiten.

Einige Abende liefen katastrophal für mich. Manchmal wollte ich am liebsten gar nicht mehr auftreten. Es waren die Lacher an der falschen Stelle, in der falschen Intensität und im falschen Tonfall, die mich hart trafen. Die Verlegenheitslacher, die missgünstig waren, die nicht über meine Witze lachten, sondern mich auslachten, mich und meine Geschichte. Daraufhin vergaß ich meinen Text, schwitzte unablässig und meine Knie schlackerten. Trotzdem war diese Erfahrung ein Gewinn für mich.

Ich habe in dieser Zeit viel gelernt, oft auch auf die richtig harte Nummer. Ich musste mir grundsätzliche Fragen stellen, über mich, über Humor, Satire und den Sinn von politischer Korrektheit. Machen wir uns nichts vor: Auch die Comedy-Szene ist manchmal rassistisch. Dann etwa, wenn Comedians das Z-Wort fallen lassen, ohne selbst zu der Gruppe der Sinti*zze und Rom*nja zu gehören. Auch der Sexismus in der Branche ging mir unendlich auf die Nerven. Comedy in Deutschland ist zwar in Ansätzen wirklich divers, aber auch sie ist nach wie vor von weißen Cis-Männern geprägt, die mit ihren Frauen-versus-Männer-Witzen riesige Säle füllen. Vielleicht bin ich besonders kritisch, wenn es um den Humor der anderen geht, aber es gibt sie, die Menschen, die ich offenkundig lustig finde. Doch es gibt auch vieles, worüber ich nicht lachen kann und will.

Die Grenzen zwischen Humor, Comedy und Satire verschwimmen aus meiner Perspektive oft. Wobei die strenge Kategorisierung, an der so viele festhalten, ja aber auch irgendwie typisch deutsch ist. Wie in unserem Bildungssystem: Comedy ist wie Hauptschule, Kabarett wie die mittlere Reife, und wenn du Satire machst, hast du dein Abitur geschafft. Trotzdem sehe auch ich Unterschiede zwischen Comedy und Satire. Nonsens-Comedians wollen zum Beispiel vor allem leichte Unterhaltung schaffen. Satiriker*innen haben ein anderes Interesse, sie müssen nicht amüsieren oder eine Punchline nach der anderen herausposaunen. Sie wollen nicht ulkig oder nur clever sein, sondern bedeutsam. Satire im Hinblick auf Minderheiten wie Sinti*zze und Rom*nja sollte am Ende solidarisch sein und Empathie beim Publikum hervorrufen. In dem Fall ist Satire wie eine Bühne für soziale und politische Themen in der Gesellschaft. Was nicht sein darf, ist Satire oder Comedy, die nach unten tritt. Die Performer*innen müssen sich jedes Machtgefälles bewusst sein und ihre Privilegien kennen. Was auf der Bühne passiert, darf nicht dazu dienen, Schwächere oder benachteiligte Menschen, die von Rassismus, Diskriminierung und Marginalisierungen in unserer Gesellsaft betroffen sind, zu verhöhnen. Echte Satire schlägt nämlich nicht das Opfer, sondern die Täter*innen.

Was heißt das, wenn es um Rassismus geht? Mach deine Witze nicht über Menschen, die tagtäglich Rassismus erleben! Mach dich lieber lustig über diejenigen, die sich rassistisch verhalten oder von Rassismus profitieren! Bist du also weiß und erzählst deinem Publikum etwas wie »Ich dachte, das Z***schnitzel ist ein Schnitzel, das man klaut«, dann solltest du dich mit deinen Privilegien im Leben auseinandersetzen und dir dringend Hilfe für dein Programm holen. Und genau an diesem Punkt kann ich die Schreie schon hören: »Zensur«, »Satire darf alles!«, »Das wird man doch wohl noch sagen dürfen?!«. Auch ich teile die Auffassung, dass Meinungsfreiheit unser größtes Gut ist. Alle Menschen sollten das Recht haben, alles zu erfahren, zu wissen und sagen zu dürfen. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass Satire und Meinungsfreiheit Grenzen haben müssen. Ich appelliere an Eigenverantwortung und Nächstenliebe, an den freiwilligen Respekt vor den ethischen und moralischen Grenzen von Mitmenschen. Eine Show daraus zu machen, die Gefühle von einzelnen Personen oder Gruppen zu verletzen, ist eine Grenzüberschreitung – und das ist nicht nur ethisch nicht korrekt, sondern auch stillos.

Und halten sich Bühnenkünstler*innen nicht an besagte Grenzen, dürfen wir nicht zulassen, dass sie sich ständig auf die Position ihrer angeblichen Unwissenheit flüchten. »Ich habe es doch nett gemeint oder ganz anders« ist einfach eine schlechte Entschuldigung. Zur Erinnerung: Das Z-Wort wurde Menschen während des Porajmos von Nazis in die Arme tätowiert. Weil diese Tätowierungen bei Babys zu klein waren, ritzte man es ihnen in den Oberschenkel. Es sollte klar sein, woher die unfassbare Macht und Kraft dieses Wortes kommt und warum es noch immer so (re-)traumatisierend sein kann, wenn Leute es benutzen. Jeder Mensch darf sagen, was er will, auch das Z-Wort, aber er muss wissen, was er damit anrichtet, und die Verantwortung für diesen Schaden übernehmen. Ist das der richtige Stoff für Witze? Wohl kaum. Was erwarte ich also dahingehend von den Abiturient*innen der Lustigkeit – den Satiriker*innen? Sie sollten uns unterhaltsam informieren und deutlich eine kritische Meinung und klare Haltung zeigen. Gerne können sie sich der Lebensrealität von Sinti*zze und Rom*nja anhand von aktuellen Ereignissen widmen. Ziel sollte es dabei immer sein, dem Publikum zu vermitteln, dass Rassismus in Deutschland ein reales Problem ist – und zwar nicht nur für einzelne kleine Gruppen. Rassismus ist der Virus, der unsere Gesellschaft seit Jahrhunderten krank macht. Im besten Fall erkennt das Publikum das und lacht dann über die eigenen lächerlichen stereotypen Vorstellungen. Wenn die Zuschauer*innen sich ertappt fühlen, etwa weil sie erkennen, wie merkwürdig es ist, zu glauben, dass es keine schwulen Roma gibt, dann kann Satire wirklich wie Aktivismus funktionieren: Das Publikum erfährt etwas, lernt, lacht und trägt die neuen Informationen später weiter ins persönliche Umfeld. Zuschauer*innen sprechen über das Gehörte in der Kaffeeküche am Arbeitsplatz oder diskutieren in der Familie. So hilft Satire direkt und indirekt mit, verschiedene Diskriminierungsformen und Vorurteile abzubauen.

Genau das war immer mein Wunsch: Ich wollte Menschen sensibilisieren und mit meiner Geschichte wachrütteln. Vielleicht steckt in mir eher ein Satiriker, oder die Zeit für meine Comedy war schlichtweg noch nicht gekommen. Womöglich würden die Menschen mittlerweile anders über meine Geschichte lachen. Wenn ich heute als Aktivist bei Veranstaltungen Witze mache, fühlt es sich anders an, weil ich tiefgründiger mit dem Publikum agiere und keine Vorurteile bediene. Wenn man jedoch als Comedian lediglich siebeneinhalb Minuten lang nur ein Klischee nach dem anderen heraushaut, erreicht man beim Publikum keinen Sinneswandel. Deshalb war Stand-up nichts für mich. Deshalb entwickelte ich andere Formate, die mir und anderen mehr Raum geben. Meine Persönlichkeit ist vielseitig, meine Interessen und Geschichten auch – das sollte sich im Konzept jedes Programms widerspiegeln. Ich bleiche Zähne, ich kümmere mich um meine Enkelkinder, bin schwul, mache aktivistische Arbeit – das musste ich irgendwie auch auf der Bühne in Einklang bringen. In Talkshows sitzen und der Mehrheitsgesellschaft die Problematik von rassistischer Sprache erklären, dann aber das Z-Wort auf einer Comedy-Bühne fallen lassen: Das passt nicht.

Allen, die auf Stand-up-Bühnen glänzen und sich quälen, gehört mein ganzer Respekt. Das ist ein schwieriges Handwerk. Es funktioniert nur, wenn Timing, Sprache und Atmung perfekt abgestimmt sind. Jede Pointe muss präzise gesetzt sein, und nein, das konnte ich oft nicht, weil ich viel zu aufgeregt war. Am Ende fiel es mir nicht schwer, mich von dem Comedy-Business zu verabschieden und mich auf andere Dinge zu konzentrieren, die mir viel eher die Möglichkeit geben, Gianni zu sein: queer, selbstironisch, süffisant, ein echter Frauentyp. Realität ist auch, dass ich mich nicht anstrengen muss: Mein Leben ist Comedy pur und dafür kann ich mir selbst ruhig Beifall klatschen.

Ich bin die Tragikomödie in Person: Lachen und Weinen liegen in meinem Leben sehr nah beieinander. Tatsächlich hat meine Erfahrung auf der Bühne viel mit meiner Entwicklung als Mann zu tun. Zwischen zwei oder mehreren Kulturen aufzuwachsen, ist eine Bereicherung für meine Persönlichkeit. Ich habe weiße Freund*innen und durch meinen Mann auch Familie. Ich kann im Brauhaus »typisch deutschen« Pumpernickel mit Griebenschmalz essen und am nächsten Tag Roma-Feste und -Traditionen feiern. Allerdings war es auch ein Kraftakt, mit verschiedenen Männlichkeitsbildern groß zu werden. Sie miteinander in Einklang zu bringen, zu hinterfragen und, wenn nötig, abzulegen, war ein Spagat. Und vermutlich habe ich mir dabei oft die Hoden gezerrt – und meine Seele.

Da ich schon früh wie ein queeres Kind gelesen wurde, war mein Körper immer schon stigmatisiert. Ich wurde beobachtet, weil ich aus der Masse der anderen Kinder hervorstach. Als Baby und Kleinkind von geflüchteten Eltern war ich lange untergewichtig und mangelernährt. Das bewertete insbesondere meine weiße Umgebung, denn meine Erscheinung bestätigte ihre Vorstellung von »armen Ausländerkindern«. Das änderte sich nicht, als ich deutlich zunahm und dazu neigte, mehr zu wiegen als andere Kinder. Auch darin sahen viele ihre Vorurteile über Geflüchtete und Rom*nja bestätigt: »Ist doch klar, dass der viel fressen muss, und jetzt hat er es übertrieben.« Gleichzeitig unterstellte man mir, dumm zu sein. Daraus ein gesundes Gefühl für mich selbst zu entwickeln und zu einem zufriedenen Mann heranzuwachsen war schwierig. Vielleicht sogar unmöglich.

Als schwuler Mann empfinde ich eine große Ambivalenz, wenn ich über Männlichkeitsbilder nachdenke. Immerhin liebe ich Männer, gleichzeitig habe ich von ihnen aber die größte Gewalt erfahren. Als Jugendlicher musste ich meine Homosexualität verstecken, und oft habe ich das getan, indem ich eine Maske der übertriebenen Männlichkeit aufgesetzt habe. Die Stimme war dann tiefer, ich war lauter, härter, meine Sprüche derber. Tat ich das nicht, sprachen mir heterosexuelle Männer immer wieder ab, »männlich« zu sein. Ich redete »zu schwul«. Ich war »zu weich«. Ich war »unmännlich«. Bis heute höre ich das häufig. Auch meine Körperhaltung spielte eine Rolle und die Kleidung, die ich trug. Ich wusste genau, wie ich mich zu verhalten hatte. Wie mein Mund sich bewegen oder wann ich eine bestimmte Geste machen musste. Ich setzte mich hin wie meine Cousins oder imitierte andere, ältere Männer. So überlebte ich und machte mich weniger angreifbar, dabei hätte ich eigentlich gerne öfter meine Weichheit, meine Zärtlichkeit und Verletzlichkeit gezeigt. Doch das passte nicht zum Männlichkeitsbild meines Vaters, meines Großvaters oder der anderen Männer in unserer Familie.

Schon als kleines Kind hatte ich ein eigenes Männerideal im Kopf. Ich wollte einen gepflegten Bart, groß, schön und klug sein. Doch wirklich bewundernswert fand ich Männer, die kritikfähig waren. Wie ich mich inzwischen als Mann sehe, hat auf jeden Fall auch mit meiner Beziehung zu Frauen zu tun. Meine Mutter, meine Tanten und sogar meine Großmutter haben mich gestillt. Frauenpower habe ich mit der Muttermilch aufgesogen. Diese Frauen waren schlau, lustig, stark und gaben mir unendlich viel Geborgenheit. Ihre Wärme hat mich umhüllt und begleitet mich bis heute. Aber ich habe auch erlebt, wie Männer Frauen unterdrückt haben. Sexismus und Gewalt gegen Frauen gibt es in der Gemeinschaft der Rom*nja und in der weißen Mehrheitsgesellschaft, allerdings in unterschiedlichen Formen. Vielleicht sind die Strenge, Härte und Dominanz vieler traditioneller Roma-Männer vergleichbar mit früheren Generationen in Deutschland. Das zeigt sich zum Beispiel an der konservativen, patriarchalen Aufgabenteilung in den Familien. Und auch wenn es sehr viele Rom*nja gibt, die in modernen Partnerschafts- und Familienkonzepten leben: Als Kind und junger Ehemann war für mich sehr klar, was von den Frauen in meiner Familie erwartet wurde. Immer mussten sie Disziplin und Verantwortungsgefühl zeigen. Sie sollten »anständige« Frauen werden. Nichts wäre schlimmer gewesen, als ihre Sexualität frei zu entdecken oder sie unverheiratet auszuleben. Wer das wagte, wurde schnell als promiskuitiv abgestempelt. »Gute« Frauen verdienten Geld für die Familie, putzten, kochten und erzogen die Kinder. Sie sollten respektvoll mit den Eltern und Schwiegereltern umgehen und selbstverständlich mit dem Ehemann an ihrer Seite. Ihnen wurde vorgeschrieben, wie sie sich zu kleiden hatten und wie sie die Familie repräsentierten. Die Frauen hatten zu funktionieren und um 7 Uhr morgens parat zu stehen. Niemals durften sie länger als ihre Schwiegereltern schlafen. Man brachte Mädchen bei, der Familie gegenüber bedingungslos loyal zu sein. Klingelte mitten in der Nacht das Telefon und kündigte sich Besuch an, war klar, dass die Frau sich an den Herd stellte und Schweinekotelett mit Zwiebeln braten und Brot backen musste. Das gehörte sich so. Alles in ihrem Leben wurde vorbestimmt. Der Vater entschied, wann Mädchen heirateten – und wen.

Meine Tochter sagte einmal zu mir, man habe Frauen früher zu »Haussklavinnen« degradiert. Ich kann ihr nicht widersprechen. Männer haben irgendwann damit begonnen, Frauen zu entrechten und zu demütigen. Nachfolgende männliche Generationen machten damit bereitwillig weiter, denn sie profitierten ja von dem System. Das Leben ist bequem, wenn man dir den Arsch hinterherträgt. Ich erlebte Männer und auch Frauen, die sich gegenseitig zu Gewalt gegen Frauen anhielten und erzogen. Sie brachten einander bei, wie man Macht ausübt. »Was bist du für ein Mann? Schlag sie!« waren Sätze, die ich hörte. Manche Frauen ertrugen das, andere wehrten sich. Meine Frau war der letztere Typ. Wenn ich es versucht hätte, ich hätte es bereut. Körperliche Stärke und Macht zu demonstrieren, ist eine Schwäche von Männern. Meine Ex-Frau und ich wollten so nicht miteinander umgehen. Wir waren oft gemein zueinander, aber niemals wollten wir diese Art von körperlicher Gewalt zwischen uns. Wir versprachen einander, es anders zu handhaben als Paare, die wir kannten. Es war ein Pakt, der uns zusammenschweißte und mich dazu brachte, meine Ex-Frau vor anderen zu beschützen und mich stark für sie zu machen.

Diese Erfahrungen und der unbedingte Wunsch, das Leben für meine Tochter, meine Ex-Frau und meine Mutter – für alle Rom*nja – zu verändern, prägten mich sehr. Heute möchte ich ein Feminist sein – aber ganz sicher wurde ich nicht als solcher geboren. Es ist harte Arbeit. Ich habe mich nie bewusst für den Chauvinismus entschieden, aber das Umfeld, in das ich hineingeboren wurde, hat mir genau das als den richtigen Weg vermittelt. Damit meine ich nicht nur meine Familie, sondern die gesamte Gesellschaft. Chauvinisten machen noch immer einen Großteil der Männer aus – auch außerhalb der Rom*nja- und Sinti*zze-Community. Davon möchte ich mich unterscheiden, denn ich liebe die Frauen in meinem Leben, und dazu gehört, zu sehen, welche Herausforderungen sie jeden Tag meistern müssen. Meine Männlichkeit ist nur gut und gerecht, wenn weiblich gelesene Menschen oder Menschen mit mehreren Diskriminierungserfahrungen sich in meiner Gegenwart sicher fühlen. Wenn sie nicht fürchten müssen, dass ich sie mit meiner Sprache oder meiner männlichen Performance verletze. Diesen Anspruch habe ich insbesondere gegenüber Menschen, die unter Umständen gesellschaftlich schlechter gestellt sind und vulnerabler sind als ich.

Festgefahrene Rollenbilder prägen nicht nur das Leben einzelner, vermeintlich schwächerer Bevölkerungsgruppen, sie verhindern auch die persönliche Entwicklung des angeblich »starken Geschlechts« und sorgen zum Beispiel für höhere Suizidraten bei Männern als bei Frauen. Wenn wir Männer uns mit unserem Selbstverständnis immer wieder auseinandersetzen, ist das auch der Schlüssel dazu, ein neues (Selbst-)Bewusstsein zu entwickeln. Hart sein, stark sein, kalt sein, nicht weinen – dies sind Verhaltensweisen, die insbesondere Männern of Color beigebracht wurden und werden. Sie sollten uns schützen gegen Angriffe von außen, aber sie haben uns nicht wirklich weitergebracht. Vielmehr ist es umgekehrt: Je mehr wir diese »männlich« konnotierten Verhaltensweisen verinnerlichten, desto weniger schafften wir es, mit unseren Traumata umzugehen. Je härter wir wurden, desto schlechter bewältigten wir den Schmerz, den wir alle in uns tragen. Mich verletzen noch immer die vielen Vorurteile gegenüber schwulen Männern. Ich erlebe immer wieder: »Schwulsein« ist für viele nicht männlich. Was mich immer wieder erstaunt: Sehr viele Männer haben das Bedürfnis, von anderen Männern gesehen zu werden. Sie zeigen sich ihre Muskeln, vergleichen ihre Penislänge, ihre Autos oder ihr neuestes Technikequipment. Sie wollen anerkannt und gelobt werden. Sie bestätigen einander ihre Manneskraft, ihre Intelligenz, ihre Leistung und ihren Erfolg. Dann kraulen sie sich im übertragenen Sinne gegenseitig die Eier. Mal unter uns: Wie viel Homoerotik steckt darin?

Besonders männlich fühlte ich mich im Nachhinein, als ich meiner Ex-Frau das erste Mal sagte, dass ich schwul sei. Damals sprach ich die Wahrheit, und ohne es zu wissen, legte ich damit den Grundstein für einen ehrlichen Umgang miteinander in unserer Familie. Meine stärkste Leistung als Mann war es aber, den Mut für eine Therapie aufzubringen. Nachdem meine Familie mir den Umgang mit meinen Kindern untersagte, weinte ich in Pauls Armen wie ein Baby. Daraufhin erklärte er mir, dass unsere Beziehung nur unter einer Voraussetzung funktionieren könnte. »Du brauchst therapeutische Hilfe«, sagte er. Es fiel mir schwer, mich zu öffnen. Zweimal pro Woche über meine Vergangenheit zu sprechen, war wie seelischer Leistungssport. Ich wagte mich an all die schwierigen Themen meines Lebens. Allen voran die Frage: Wer bin ich überhaupt? Ich stellte mich den Konflikten mit meinem Vater und befasste mich auch mit den Auswirkungen von Rassismus auf mein Leben. Seit mehr als zehn Jahren kümmere ich mich in der Form um mich, bin achtsam mit dem verletzen Kind und dem Mann in mir.

Ich werte es als einen Therapieerfolg, dass ich einen besonders dominanten Männertyp inzwischen kaum noch ertragen kann. Es ist eine gute Entwicklung, wenn Männer sich in einem Raum voller Männer unwohl fühlen, weil sie das patriarchale Gehabe unmöglich finden. Allzu homogene Gruppen sind eigentlich grundsätzlich ein Problem. Andere werden ausgeschlossen, wenn Weiße unter sich bleiben, genauso wie Menschen ohne Behinderungen oder andere nicht marginalisierte Gruppen. Dann läuft etwas gehörig falsch.

Patriarchale Bilder beeinflussen heterosexuelle Menschen genauso stark wie Menschen in der LGBTIQA*+Community. Ich will damit aufräumen. Starke Männer, muskulöse Männer, behaarte Männer – Männlichkeit bedeutet insbesondere für Schwule die perfekte Ästhetik. Auch wenn das ein gängiges Vorurteil reproduziert, ist auch meine persönliche Erfahrung, dass Potenz und Fitness unter schwulen Männern einen übertrieben hohen Stellenwert haben. Damit habe ich immer gehadert und mich doch selbst nicht davon freimachen können. Viele Jahre bekam ich zu hören, dass ich einen »Frauenpo« habe. Angeblich war mein Hintern zu rund und weich und nicht muskulös genug. Ob in der Schule oder im Fitnessstudio – es belastete mich. Ich habe auch heute noch viele Komplexe, wenn es um meinen Körper geht. Mein Po, mein Bauch und meine Oberschenkel fühlen sich wie meine Schwachstellen an.

Als schwuler Mann, noch dazu als Person of Color, bin ich in der Gesellschaft besonders sichtbar – und fühle mich noch immer sehr verletzlich. Mein Outing war ein Befreiungsschlag und in der queeren Szene lebte ich mich aus, doch auch hier machte ich viele Gewalterfahrungen. Allen Drohungen zum Trotz waren es nämlich nie Rom*nja, die mich wegen meiner Homosexualität körperlich angingen. Weiße, schwule, vollgekokste Männer haben mich allerdings schon zwei Mal zusammengeschlagen. Sie beschimpften mich als »fetter Z***!». Niemand half mir. Schwule Männer exotisierten meinen braunen Körper besonders. So fand ich mich vielfach im Mittelpunkt ihrer rassistischen Gedanken und Phantasien wieder. Auf Partys machte mich plötzlich der Typ mit Hitlerbärtchen und Springerstiefeln an, in Online-Foren oder bei Dates spulten die Männer heftige Stereotype ab. Sie interessierten sich für einen bärtigen, braunen, tätowierten »Kanacken«. Und wenn ich sie traf, wollten sie geknechtet und hart genommen werden – weil »wir« ja so waren. Triebhafte Tiere. Es war widerlich und kränkte mich.

Ähnliche Rassismuserfahrungen machen wohl auch Schwarze, asiatisch gelesene oder muslimische Männer in der Szene. Männlichkeitsbilder sind eben nicht nur sexistisch, sie sind oft auch rassistisch. Ich wollte mit diesen Erlebnissen nicht alleine sein. Vor einigen Jahren gründete ich zunächst die Initiative »Queer Roma«, um mich mit anderen People of Color austauschen. Vor allem aber wollte ich die Minderheit in der Minderheit sichtbar machen. Ich war definitiv nicht der einzige schwule Rom und traf andere queere Rom*nja, die meine Lebenswirklichkeit verstanden. Die Gespräche mit ihnen haben bei mir viel in Gang gesetzt. Ich spürte eine tiefe Verbundenheit zur Rom*nja-Community, gleichzeitig merkte ich, wie viele Menschen unter einem festgefahrenen Männlichkeitsbild leiden.

Ich bin Vater und Großvater. Weil mir dabei schwule Vorbilder fehlten, durfte und musste ich meine Rolle stärker als andere selbst definieren. Ich konnte mich an niemandem orientieren und arbeite mich noch immer häufig an gesellschaftlichen Männlichkeitsidealen ab. Das ist eine Herausforderung, aber ich empfinde es auch als Privileg: Ich bin mein eigener Regisseur. Wenn es um meine Kinder geht, sehe ich mich durchaus gerne als einen väterlichen Beschützer. Von ihnen ernst genommen zu werden, ist mir wichtig, und bei dem Versuch bediene ich leider immer noch so manches männliche Klischee. Mein Sohn lernte in unserer Familie viele toxische Männlichkeits(vor)bilder kennen. Seine anfänglichen Bedenken gegenüber mir legte er ab. Kleine Rückschläge gab es aber.

Als mein Sohn 14 war, feierten wir mit einigen Freund*innen Halloween. Ich bereitete ihn vorab behutsam darauf vor, dass ich mir ein besonderes Kostüm überlegt hatte. Als er in meiner Wohnung auftauchte, stand ich bereits im Badezimmer. Mit nacktem Oberkörper, behaarter Brust, frisch rasiertem Bart und abgeklebten Augenbrauen. Make-up hatte ich bereits aufgelegt und blutroten Lippenstift auch. Ich war dabei, mich aufwändig in eine Vampirprinzessin zu verwandeln. Dafür hatte ich all mein Können aus meiner Drag-Zeit aufgewendet. Mein Kind sah mich, wich entgeistert zurück und fing sofort an zu weinen. Ich versuchte, ihn zu beruhigen. Aber er sah seinen schwulen Vater zum ersten Mal in Drag-Montur, und das brachte sein Männerbild wohl gehörig ins Wanken. »Oh, mein Gott! Du siehst aus wie Oma!«, schluchzte er. Eigentlich ein Kompliment, angesichts des Halloween-Anlasses allerdings nicht ganz angebracht.

Zum Glück fing sich das Kind schnell wieder, ich verkleidete mich weiter und wir zogen gemeinsam los. Das Kostüm war ein Traum aus schwarzem Leder mit einem langen Umhang. Passend dazu trug ich eine lange, schwarze Glatthaarperücke. Nach dem ersten Schock war mein Sohn begeistert: Berührungsängste mit der Gayszene? Fehlanzeige. Doch es wurde spät und ich war der Meinung, es wäre Zeit für ihn, nach Hause fahren. Er weigerte sich und fing an, mit mir zu diskutieren. Irgendwann reichte es mir: Vor versammelter Mannschaft motzte ich ihn an. Mit einer übertriebenen Kopfbewegung schwang ich meine langen Haare nach hinten, stampfte mit meinen High Heels wütend auf den Boden und brüllte mit sehr, sehr tiefer Stimme: »Du bist 14 und gehst jetzt sofort nach Hause!« Alle unsere Freund*innen, Paul und vor allem mein Sohn brachen in wildes Gelächter aus. »Wie soll ich denn Respekt vor dir haben?«, fragte das Kind und wischte sich die Lachtränen weg. Grundsätzlich bin ich der Meinung – Respekt und Männlichkeit sind nicht abhängig von der Kleidung oder der Höhe der Absätze. Aber wir tappten beide in die Falle: Ich, als ich mich typisch männlich-dominant aufplusterte und ein Machtwort sprechen wollte; er, als er mir meine Autorität absprach, weil ich nicht »männlich« aussah. Jedenfalls kam mein Sohn noch weiter mit, und ich spielte seinen Aufpasser. Ein Cape trug ich ja schon mal. Männlichkeit bedeutet für mich inzwischen auch, Konflikte vernünftig zu lösen. Als junger Vater und Ehemann war es mir bereits wichtig, niemals körperlich gewalttätig zu werden. Mittlerweile haben wir als gesamte Familie gelernt, über Gefühle zu sprechen und auch verbale Gewalt zu vermeiden. Als Mann im Familienverbund sehe ich mich ganz besonders in der Verantwortung, diese Achtsamkeit in Konflikten vorzuleben.

Ich habe mich lange als Cis-Mann definiert, auch in meinem Schwulsein war ich ja männlich. Zumindest was das anging, war ich mit der Gesellschaft einverstanden. Auch meiner sexuellen Präferenz bin ich mir sehr sicher. Aber ich fühle mich in sehr vielen Facetten meiner Persönlichkeit und Identität wohl. Deshalb wird es für mich immer unwichtiger, welchem Geschlechterspektrum mich Menschen zuordnen. Ich lebe dennoch in einer Zeit, in der es offenbar wichtig ist, einer Kategorie anzugehören. Noch hadere ich selbst sehr damit, mich davon zu verabschieden. Eine Welt ohne Gender-Identitäten, ohne Labels? Das fühlt sich wie ein Luftschloss an, das ich mir nicht recht ausmalen kann. Das ist die Realität eines 43-Jährigen, der die Welt geschmeckt hat und hoffnungsvoll und desillusioniert zugleich ist. Ich glaube, solange wir in einer kapitalistischen, heteronormativen Welt leben, bleiben uns geschlechtsspezifische Einteilungen erhalten. Denn wie alle festgelegten Normen geben sie uns Sicherheit. Bis vorgestern war die heteronormative, binäre Liebe die einzige Option, und sie dominiert fast alle Bereiche unserer Gesellschaft. Das Problem dabei: Minderheiten und alternative Familienformen und Beziehungskonstellationen werden negiert und diskriminiert. Und damit die Menschen, denen sie alles bedeuten. Wenn wir wollen, dass alle Menschen aufblühen, dass ihre Persönlichkeiten und Identitäten sichtbar werden, dann müssen wir auch die Vielfältigkeit der Liebe zulassen.

Was ich als Mann ganz konkret dazu beitragen kann, finde ich im gesellschaftlichen Miteinander heraus, und ich lerne täglich dazu. Ich gestehe, dass mir oft nicht bewusst war, welchen Grad der Unsicherheit weiblich gelesene Menschen im Alltag erleben. Ich habe mich dabei erwischt, wie ich ihnen ihre Erfahrungen abgesprochen habe. Und ich habe freundlich, aber bestimmt dafür auf die Fresse bekommen. Einige dieser Menschen waren bereit, ihre persönlichen Erlebnisse mit mir zu teilen. Ich bin ihnen unendlich dankbar dafür, denn das mussten sie nicht, und ich habe dadurch viel verstanden. Eine befreundete Trans-Frau sagte einmal: »Wenn du einen Tag in meiner Haut stecken würdet, wüsstest du, mit welchen Ekelhaftigkeiten ich jeden Tag in Deutschland zu kämpfen habe.« Sie hat recht. Ich bin ein großer, starker Mann und ich bin erwachsen. Es ist selten, dass ich mich körperlich unterlegen oder bedroht fühle. Was weiß ich schon darüber, wie sich eine weiblich gelesene Person in einem Raum nur mit Männern fühlt? Bis zur #MeeToo-Debatte war ich mir nicht bewusst, wie viele von ihnen sexualisierte Übergriffe und Gewalt erlebt haben. Doch immer mehr Freund*innen teilten ihre Erfahrungen mit mir. Manche hatten sich gegen die Täter gewehrt. Andere nicht, weil sie hofften, so lebend zu entkommen. Durch diese Gespräche wurde mir bewusst, dass ich als Mann womöglich oft nicht genau genug hingeschaut und hingehört habe, wenn andere sich unwohl oder bedrängt fühlten.

Wenn mich also jemand fragt, was für ein Mann ich sein möchte, dann antworte ich: ein guter Mensch. Ich möchte jemand sein, in dessen Gegenwart Menschen sich sicher fühlen. Ich möchte, dass sie spüren: Von Gianni geht keine Bedrohung aus. Wenn mich zum Beispiel fünf erwachsene Women of Color mit auf ihr Hotelzimmer nehmen, weil sie wissen, dass ich ihren Raum respektiere, dann ist das für mich der schönste Vertrauensbeweis. Umso mehr, wenn wir dabei albern sein können wie Teenager*innen. Wenn erwachsene Frauen mich in absolutem Vertrauen bitten, ihnen Deep-Throat-Tipps zu geben, dann bin ich hier für euch, Schwestern. Wenn sie mir im Gegenzug beibringen, wie ich richtig twerke, bis meine alte Hüfte fast bricht, sterbe ich vor Spaß. Wenn eine Muslima in meinem Beisein ernsthaft darüber nachdenkt, ihren Hijab abzulegen, weil sie in mir einen schützenden Bruder sieht, dann lehne ich respektvoll ab, aber es macht mich glücklich.

Als Mann kann man vielfältig sein. Je freier wir in der Auslegung von Männlichkeit sind, desto besser verhindern wir gewaltsame Konflikte. Wie wir Männlichkeit leben und verstehen, ist etwas sehr Privates und Intimes. Wenn wir uns aber als Mann definieren, sollten wir uns bewusst sein, welche Privilegien wir allein durch unser Mannsein genießen. Männlichkeit ist fragil und als Konstrukt nicht fest. Das ist beängstigend, das verstehe ich, aber es ist auch gut so. Denn ich darf mich verändern, neu entdecken und auch Fehler machen. Aber ein Mann erkennt seine Fehler und entschuldigt sich aufrichtig dafür bei den Menschen, die er gekränkt hat. Heute kann ich sagen: Ich habe mich gefunden, in meiner fluiden Männlichkeit – und ich liebe sie genauso wie mein Lachen.