»Ma«, sagte Ryan, »warum lässt du das nicht eine der Näherinnen erledigen?«
Seine Mutter saß auf ihrem gepolsterten Stuhl und stickte mit einem hauchdünnen Goldfaden das neue Familiensymbol entlang der Fransen von Ryans Hochzeitsgewand. Er brachte es nicht übers Herz, sie darauf hinzuweisen, dass die Näherinnen es besser hinbekommen würden.
Sie bemühte sich redlich, ihre Stiche gleichmäßig zu setzen. »Andere Helfer kümmern sich schon um so viel. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.«
Wenn Ryan ehrlich sein wollte, war er grundsätzlich nicht wirklich glücklich mit der Robe. Er bevorzugte seine normale – widerstandsfähig, bequem und schlicht. Seine Hochzeitsrobe bestand aus weißer Seide mit roten Fransen und wurde gerade mit goldenen Drachen und drei Blitzen verziert. Aber er wusste, dass es sinnlos wäre, darüber zu diskutieren. Sie hatte längst entschieden, was er tragen sollte.
Dasselbe Bild – die Drachen – war in den letzten Tagen überall in der Burg aufgetaucht, an Bannern und sogar in den Stein der Burg selbst gemeißelt. Das gehörte alles zur Vorbereitung des Gemäuers auf den feierlichen Tag. Ryans Hochzeitstag.
Morgen.
»Ma ...«, begann Ryan stockend. »Ehrlich gesagt ... bin ich nervös. Hast du irgendeinen Rat für mich?«
Sie schmunzelte, während sie weiter nähte. »Tu einfach, was immer Arabelle von dir verlangt. Sie ist eine anständige junge Frau, sehr klug und eine sanfte Seele. Wenn ihr beide verheiratet seid, sollte sie die Erste und die Letzte sein, auf die du hörst.«
Wenn sie nur wüsste , dachte Ryan. Arabelle ist nicht annähernd so sanftmütig, wie sie glaubt.
»Aber vorerst«, fügte Ma hinzu, »rate ich dir, deinen Vater zu suchen und zusammen mit ihm die Gäste zu begrüßen. Viele sind schon da, und die Elfen werden jeden Moment eintreffen. Es ist deine Hochzeit, also auch deine Pflicht, sie willkommen zu heißen.«
Ryan beugte sich vor und küsste seine Mutter auf die Wange. »Ja, Herrin.«
* * *
Ryan fand seinen Vater in der Burgschmiede, wo er mit seinem wachsenden Gefolge von Zwergenhelfern arbeitete. Auch er fand, dass sie beide die Gäste begrüßen sollten, und er war bereit, sofort damit loszulegen. Aber es gab ein Problem.
»Dad«, meinte Ryan, »vielleicht solltest du zuerst duschen.«
Sein Vater sah fürchterlich aus. Ruß verschmierte sein Gesicht, und er trug eine verdreckte Schürze, angesengt vom ständigen Kontakt mit brennender Glut. Sogar der Bart, den er sich trotz des Protests seiner Frau im letzten Jahr hatte wachsen lassen, wies neben dem zunehmenden Grau rußige Schlieren auf.
Dad blickte an sich hinab und zuckte mit den Schultern. Er nahm die angesengte Schürze ab, hängte sie an einen Haken, krempelte die Ärmel hoch und tauchte den Kopf in ein Wasserfass. Dann begann er, sich das Gesicht und die Arme zu schrubben. Als er fertig war, richtete er sich auf. Wasser troff aus seinem Bart. Ein Zwerg warf ihm ein Handtuch zu, lachte und stupste einige der anderen Schmiede mit dem Ellbogen an. »Ich sag’s euch, Jungs. Unser Herr Riverton ist genau wie wir. Arbeitet hart und gibt nichts auf Unfug wie Duschen. Ich sag’s euch, einmal ordentlich in ein Fass getunkt, mehr braucht ein Zwerg nicht, um herzeigbar zu sein.«
Dad lachte. »Weil wir gerade davon reden, Bintas: Wenn ihr verrußten Ambossklopfer morgen mit mir die Hochzeit meines Jungen feiern wollt ... müsst ihr euch sauber machen. Frau Riverton würde mir schön was erzählen, wenn ihr in eurer Arbeitskluft auftaucht.«
Bintas verzog zwar unter dem dunklen Bart den Mund, aber mit einem strengen Blick zu den anderen Zwergen erwiderte er: »Mach dir keine Sorgen, Herr. Selbst wenn ich diese verdreckten Bierschlürfer in einen Fluss jagen muss, ich sorge dafür, dass die Mannschaft für den Spaß morgen vorzeigbar ist.«
»Und ich kann euch versichern, dass es sich lohnt. Ich hab 50 Fass feines Bier vom Dicken Bussard in Aubgherle bestellt. Nur das Beste für meine Gäste.«
Die Ankündigung wurde mit großem Beifall bedacht. Die Zwerge würden sich mit Sicherheit herausputzen, wenn das nötig war, um an gutes Bier heranzukommen.
* * *
Ryans Gesicht loderte vor Verlegenheit, als Silas, Oberhaupt des Rotbart-Clans, ihm Geschichten über seine eigene Hochzeit erzählte – und die Hochzeitsnacht. So schnell wie möglich zog er sich aus dem Gespräch zurück.
Sie befanden sich in der Haupthalle der Burg, wo mehrere Hundert Gäste aus ganz Trimoria miteinander plauderten, tranken und sich amüsierten. Die meisten Leute kannte Ryan nicht mal. Trotzdem hatte er sich bereits pflichtbewusst vor Dutzenden verbeugt und Höflichkeiten mit ihnen ausgetauscht.
Deshalb verspürte er Erleichterung, als sich endlich ein bekanntes Gesicht zu ihm und seinem Vater gesellte. Throll marschierte geradewegs zu ihm und erhob zum Gruß seinen Becher. »Ryan Riverton, deinen Eltern und deiner Braut zuliebe befehle ich dir, diese düstere Miene abzulegen! Lächle, junger Mann. Denn morgen heiratest du, und dein Leben wird sich für immer verändern.«
Die Umstehenden bejubelten die Worte ihres Königs, und bald klopfte der Großteil der Anwesenden im Saal mit den Bechern auf die Banketttische.
»Hört, hört!«
»Trinkt aus!«
Sein Vater erhob die Stimme über den Lärm. »Was ist, Ryan? Trink! Das ist ein Anlass zum Feiern!«
Ryan stürzte das kühle Hefegetränk hinunter und spürte, wie sich Wärme durch seine Glieder ausbreitete. Kaum hatte er den Becher geleert, drückte ihm jemand einen weiteren Krug in die Hand, und die Feier kam in Schwung.
* * *
Am nächsten Morgen erwachte Ryan auf einem Notbett im Schlafzimmer seiner Eltern. Er wusste weder wie noch warum er hier gelandet war. Auch seine Eltern waren anwesend und zankten gerade. Anscheinend seinetwegen.
»Was hast du dir dabei gedacht, Jared? Saufen wie ein Seemann und unseren Sohn in der Nacht vor seiner Hochzeit betrunken machen.«
»Ryan musste lockerer werden, Aubrey. Er hatte gestern Abend eine Menge Spaß. Er hat sogar mit der Königin getanzt und sich dabei königlich amüsiert.«
Als sich Ryan aufsetzte, neigte sich der Raum unerwartet. Er musste sich am Rand der Pritsche abstützen, um nicht zurückzukippen. Seine Schläfen pochten, sein Mund fühlte sich unmöglich trocken an.
»Ich kann mich nicht erinnern, mit Gwen getanzt zu haben«, sagte er. Obwohl ich mich anscheinend an eine ganze Menge nicht mehr erinnere.
Jared lachte. »Nicht diese Königin. Du hast mit Labri getanzt.«
Ryan stöhnte. »Bitte sag, dass ich mich nicht vor der Königin der Elfen zum Affen gemacht habe.«
»Nein, alles gut. Throll und ich hatten ein Auge auf dich. Du hast nur getanzt, gelacht und aus voller Kehle Kinderlieder gesungen.« Schmunzelnd stimmte er an: »La Le Lu, nur der Mann im Mond schaut zu ...«
Ryan vermochte nicht zu sagen, ob sein Vater ihn veralberte. »Nein. Hab ich nicht. Oder doch?«
»Hast du. Aber es war toll. Die Zwerge haben anfangs mit den Bechern auf den Tischen im Takt mitgeklopft, und wenig später haben sie den Text mitgegrölt. Der perfekte Kneipengesang.«
Bei der Vorstellung, wie der ganze Saal Kinderlieder aus einer anderen Welt sang, lächelte Ryan matt. Langsam stand er auf und zuckte zusammen.
»Mein Kopf bringt mich um.«
Aubrey packte ihn am Ellbogen und legte die andere Hand auf seine Stirn. »Ich kann nicht alle Symptome entfernen, aber einen Teil der Schmerzen. Musste ich eben erst bei deinem Vater machen. Jetzt wirkt er fit, aber glaub mir, du hättest ihn vor ein paar Minuten sehen sollen.«
Schimmernde Fäden der Magie verdichteten sich um ihren Kopf, und Ryan verspürte sofortige Erleichterung.
»Danke, Ma.«
»Du musst trotzdem auf dich achten«, sagte sie. »Vor allem solltest du Wasser trinken. Viel Wasser. Du bist dehydriert, und dagegen kann ich mit Magie nichts tun. Und du hast einen großen Tag vor dir.« Kopfschüttelnd sah sie ihren Ehemann an. »Und das war nicht die richtige Art, ihn zu begehen.«
Hinter ihrem Rücken zuckte Dad verlegen mit den Schultern und zwinkerte Ryan zu.
* * *
Eine Zwei-Mann-Patrouille durchstreifte die Umgebung des mittleren Marktplatzes der Karawane der Imazighen. Da die Mittagssonne den Morgennebel inzwischen aufgelöst hatte, herrschte auf dem Markt reges Treiben. Die Karawane umfasste über tausend Wagen, und an diesem Tag schienen sämtliche Leute unterwegs zu sein, um entweder zu verkaufen oder zu kaufen.
Aber die Soldaten blieben immer auf der Hut, selbst an einem so hellen Tag wie diesem. Denn hin und wieder wurde die Karawane von umherziehenden Diebesbanden oder gelegentlich auch Sklavenhändlern heimgesucht.
Einer der patrouillierenden Gardisten schüttelte den Kopf. »Wir sollten lieber ein paar der frischen Brote probieren, statt unsere Runden zu drehen. Kannst du dir vorstellen, dass sich eine Diebesbande an einem so strahlenden Tag auch nur in die Nähe wagt?«
Sein Kamerad zuckte mit den Schultern. »Es ist einfache Arbeit. Besser als Nachtdienst. Außerdem solltest du dich nicht mit Brot vollstopfen. Hat Miranda dir nicht einen herzhaften Eintopf nach deiner Schicht versprochen?« Er schmunzelte. »Ich wette sogar, das ist nicht das Einzige , was sie dir versprochen hat.«
Der erste Soldat errötete. Doch bevor er etwas erwidern konnte, schoss Blut aus den Kehlen beider Männer, als sie von etwas angegriffen wurden, das sie kaum sehen konnten.
* * *
»Es ist mir ein Vergnügen, die Ankunft des Herrn und der Herrin der Burg anzukündigen. Des Schulleiters und der Schulleiterin der Riverton Akademie für Magie. Des größten Kampfzauberers unserer Zeit und der bedeutendsten Heilerin, die unser Volk je hatte ...«
Aaron beugte sich seinem Bruder zu. »Wie lange wird die Vorstellung dauern?«
Ryan unterdrückte ein Lachen. »Grendel war schon immer ein Wichtigtuer.«
Die Vorstellung ging weiter. Als Nächster kam Aaron an die Reihe, danach Ryan.
»Und schließlich«, sagte Grendel, »möchte ich eine der beiden Personen vorstellen, die für unsere heutige Zusammenkunft verantwortlich sind. Trotz seiner jungen Jahre verdanken wir insbesondere diesem Spross des Hauses Riverton die Befreiung von Azazels Joch. Für ihn sieht die Prophezeiung vor, dass er zusammen mit seinem Bruder unseren Kampf gegen den Schlund der Dunkelheit jenseits der Barriere anführen wird. Und somit stelle ich allen heute hier Versammelten den Erzmagier von Trimoria und Bräutigam des Tages vor ... Ryan Riverton!«
Ryan betrat die lange Kammer aus Stein zu den Geräuschen stampfender Füße der Anwesenden. Im Saal hatte man etliche Bankreihen aufgestellt, und alle waren voll besetzt – Hunderte Gäste hatten sich zu seiner Hochzeit eingefunden.
Ryan schritt den Mittelgang hinunter zum Podest am anderen Ende. Seine Familie war ihm vorausgegangen und schaute ihm von der Bank in der ersten Reihe entgegen. Ryan erwiderte im Vorbeigehen ihr Nicken und Lächeln, bevor er das Podest betrat, wo Throll ihn erwartete.
Der König klopfte Ryan auf die Schulter. »Geht’s dir gut?«
»Abgesehen davon, dass ich noch nie im Leben so nervös gewesen bin, ja. Es geht mir gut.«
Throll schmunzelte.
Als Grendel mit der letzten Vorstellung begann – der Braut – überprüfte Ryan noch einmal sein Gewand, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. Throll legte ihm eine Hand auf die Schulter und flüsterte:
»Hör auf zu zappeln. Du siehst gut aus. Und selbst, wenn’s anders wäre, jetzt ist es zu spät, noch etwas daran zu ändern. Einfach lächeln und entspannen.«
Grendels Stimme dröhnte weiter durch den Saal. »... Prinzessin der Imazighen, große Heilerin ihres Volkes und Ehrendame der heutigen Zeremonie ... Arabelle Riverton!«
Daran zumindest konnte sich Ryan bereits im Voraus gewöhnen. Nach dem Brauchtum der Imazighen hatte Arabelle seinen Nachnamen schon bei der Verlobung angenommen.
Plötzlich verspürte Ryan einen Moment der Panik. Er wandte sich an Throll. »Hast du das weiße Band?«
Der Hüne klopfte ihm auf die Schulter. »Pst ... Sieh nur ...«
Ryan drehte sich dem Saal zu und erblickte Arabelle. Von ihrem Vater begleitet schien sie ihm geradezu entgegenzuschweben. Sie sah strahlend aus. Ihr mehrschichtiges schwarzes Seidenkleid wogte im Gehen um sie herum. Ein traditioneller Schleier verhüllte die untere Hälfte ihres herzförmigen Gesichts und ließ nur die gefühlvollen Augen unbedeckt – Augen, deren Blick allein ihm galt. Nicht zum ersten Mal fühlte er sich wie der glücklichste Mann in Trimoria, weil er sie in seinem Leben hatte.
Honfrion küsste seine Tochter auf beide Wangen, und sie umarmte ihn. Als er sich zu Ryans Familie auf die vorderste Bank setzte, glitzerten Tränen in seinen Augen. Und nicht nur bei ihm. Auch Ryans Mutter tupfte sich Tränen weg, und sogar Dad wirkte gerührt.
Arabelle trat neben Ryan und ergriff zärtlich seine Hand. Er sah ihr tief in die dunklen Augen und lächelte.
»Seid ihr beide bereit?«, fragte Throll leise.
Ryan und Arabelle nickten, ohne die Blicke voneinander zu lösen.
Throll ließ die Stimme durch den Saal dröhnen.
»Arabelle Riverton, gelobst du, von diesem Tag an zu Ryan Riverton zu gehören, in guten wie in schlechten Zeiten, in Krankheit und in Gesundheit? Ihn zu lieben und zu ehren und keine Geheimnisse vor ihm zu bewahren? Gelobst du dies vor dem Schöpfer als Zeugen?«
Arabelle drückte Ryans Finger und sprach mit fester, entschlossener Stimme. »Ja.«
Zu Ryans Entsetzen trübten Tränen seine Sicht, und Arabelle stand ihm darin nicht nach.
»Ryan Riverton, gelobst du, von diesem Tag an zu Arabelle zu gehören, in guten wie in schlechten Zeiten, in Krankheit und in Gesundheit? Ihn zu lieben und zu ehren und keine Geheimnisse vor ihr zu bewahren? Gelobst du dies vor dem Schöpfer als Zeugen?«
»Ja.«
Throll zog ein langes weißes Seidenband hervor. Das Paar streckte die Arme aus, und der König wickelte die Seide um ihre Arme, band sie locker zusammen.
»Mit diesem Band vereine ich euch. Möge es als Symbol für die Verbindung zweier Leben dienen, die zu einem geworden sind. So, wie zwei Bäume miteinander vereint werden können, vereine ich hiermit euch. Mögen die Wurzeln eures gemeinsamen Lebens und die Kraft eurer Liebe euch Glück und Wohlstand bescheren. Und möge nichts auf dieser Welt dieses Band zerreißen. Ich erbitte den Segen des Schöpfers, auf dass er diesen Bund heilige und dem Paar ein langes, erfülltes gemeinsames Leben schenke ...«
Die Fackeln an den Wänden flammten plötzlich mit strahlend weißem Licht auf. Ebenso schnell wurden sie wieder trüber. Leises Gemurmel ging durch die Menge.
Throll räusperte sich laut und fuhr fort.
»Als Generalprotektor und König von Trimoria erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau. Ryan, du darfst jetzt ...«
Arabelle fegte ihren Schleier beiseite, sprang förmlich in Ryans Arme und küsste ihn innig. Unter den Zuschauern brach freudiges Gelächter aus.
Als sich die beiden atemlos und mit geröteten Gesichtern voneinander lösten, legte Throll ihnen die Hände auf die Schultern und präsentierte sie den versammelten Gästen. »Ich freue mich, euch Fürst und Fürstin Riverton vorzustellen. Kommt, begrüßt das glückliche Paar, denn es ist ein freudiger Anlass. Mögen alle in diesen Hallen guten Mutes sein und feiern!«