Generalin der vierbeinigen Armee

Sloane betrachtete die unsicheren Blicke der in der Halle versammelten Soldaten. Es befanden sich keine Offiziere darunter. Dennoch hatte man sie in die Offiziersversammlung bestellt, ein Gebäude, das sie noch nie zuvor betreten hatten. Für noch mehr Anspannung sorgte, dass die Befehlshaber der Männer an einer Seite des Raums standen und sie schweigend beobachteten.

Aarons Arm schlängelte sich um ihre Taille. Zärtlich zog er sie zu sich und atmete den Duft ihres Haars ein. Sie las seine Gedanken und stieß ihm den Ellbogen in die Rippen.

»Hör auf, Aaron. Wir sind in der Öffentlichkeit. Denk so was nicht.«

Aaron seufzte. »Ich kann nichts dafür. Gibt es eigentlich einen Grund, warum wir noch nicht heiraten können? Was bringt es zu warten? Ich bin 20, du bist 19. Wir sind nur zwei Jahre jünger als Ryan und Arabelle.«

Sloane zog die Fingernägel zart über Aarons muskulösen Unterarm. »Ich glaube, mein Vater will, dass wir warten, bis dieser ... dieser bevorstehende Krieg vorbei ist.«

»Aber ...«

Sie drehte den Kopf der Tür zu, als Castien die Halle betrat. »Zeit für die Zeremonie.«

Aaron flüsterte: »Diese Unterhaltung ist noch nicht beendet.«

»Führ sie mit meinem Vater weiter«, gab sie lächelnd zurück. »Du weißt, dass ich bereit bin.«

Damit ließ sie Aarons Hand los und ging auf Castien zu. Der stoische Elf nickte respektvoll.

»Ich bin froh, dass Ihr pünktlich seid, Prinzessin.«

Auf Castiens Befehl hin bildeten die Soldaten eine schnurgerade Linie und standen stramm. Langsam schritt Castien die Reihe ab und inspizierte sie.

Sloane blieb einige Schritte im Hintergrund und nutzte ihre Gabe, um in die Köpfe der Männer zu blicken. Sie spürte Empfindungen, die von Selbstvertrauen und Hochmut bis hin zu Verunsicherung und Versagensangst reichten. Gemeinsam hatten sie einen gesunden Argwohn gegenüber dem, was auf der anderen Seite der magischen Barriere liegen mochte.

Sloanes Aufgabe bestand darin, Anzeichen von Falschheit oder Schwäche aufzuspüren. Die Armeen konnten sich keine abtrünnigen oder feigen Offiziere in ihren Rängen leisten. Leider waren in letzter Zeit einige Männer desertiert – und zur gehörigen Schande der RAM waren alle Deserteure ehemalige Schüler der Akademie gewesen.

Castien beendete seine Begutachtung und spähte unscheinbar zu Sloane. Sie übertrug ihre Gedanken in den Geist des Schwertmeisters. Keiner der Soldaten ließ die Absicht erkennen, etwas vorzutäuschen oder seinen Posten in der Armee zu missbrauchen.

Schließlich trat Aaron vor, um den Männern ihre Eide abzunehmen. Er zog einen kleinen Lederbeutel vom Gürtel und reichte jedem Soldaten einen Ring aus Damantit mit einem goldenen Drachensymbol darauf – ein Zeichen für ihren neuen Rang und ihre Verantwortung. Nachdem er dem letzten Soldaten der Reihe einen Ring verliehen hatte, trat er zurück und stellte sich vor sie alle.

»Schwört ihr, eure Männer getreu ihren Pflichten anzuführen und ihnen ein Vorbild zu sein?«

Die Männer bejahten.

»Dann legt eure Amtsringe an.«

Sloane spürte den strahlenden Stolz der Soldaten, als sie sich die Ringe über die Finger streiften. Damit waren sie Offiziere.

Aaron fuhr fort. »Diese Ringe sind nicht nur ein Symbol für euren Rang, sie sind auch magische Werkzeuge. Ihr könnt euch damit über große Entfernungen hinweg verständigen. Diese Erfindung meines Vaters ermöglicht es uns, Truppenbewegungen und Strategien aufeinander abzustimmen, ohne dass wir auf Boten angewiesen sind.«

Aaron nickte Oda zu, einem muskelbepackten Zwerg, der vortrat. »Na schön, Männer, nehmt alle Platz. Ich bin Oda, und wir erwarten von euch, dass ihr geheim haltet, was ihr in diesen Kammern erfahrt. Verstanden?«

Wiederum bejahten die Männer. Sloane übermittelte in Odas Geist, dass sie keine Falschheit erkannte.

Oda zwinkerte ihr kurz zu, bevor er sich wieder den Soldaten zuwandte. »Männer, ihr werdet gleich etwas lernen, das sich Morsecode nennt ...«

* * *

»Prinzessin, die Tiere machen mich nervös. Sie sind so ... groß.«

Die Worte stammten von einem Zwerg mit einem mächtigen runden Wanst und einem braunen Bart, der über das Gras schrammte. Glennock Bierbauch.

»Hör mir zu, Bierbauch«, sagte Sloane. »Meine Truppen mögen Tiere sein, aber sie sind auf ihre eigene Weise äußerst klug. Sie verstehen die Bilder, die ich ihnen von den Dämonen zeige, gegen die wir kämpfen werden, und sie sind fest entschlossen, an unserer Seite zu kämpfen, um sie abzuwehren. Deshalb sind sie – vorläufig jedenfalls – bereit, darauf zu verzichten, von Zwergen zu naschen.« Sie schenkte dem Zwerg ein strahlendes Lächeln.

Einer der neben ihr gehenden Elfen konnte ein Grinsen kaum verbergen. »Aber wenn du dich wie Beute verhältst, könnten sie in Versuchung geraten, ein wenig an dir zu knabbern.«

Der Zwerg brummte. »Ich hab keine Angst vor den Sumpfkatzen, und wenn du sagst, ich kann den Wölfen trauen ... dann tue ich das. Aber Prinzessin, es geht um diese Drachen. Ich weiß, sie behaupten, gut und harmlos zu sein ...«

Sloane schüttelte den Kopf. »Ich hab nie behauptet, dass Rubina und Piet harmlos sind. Aber sie betrachte ich nicht als Tiere. Sie sind viel klüger, als du dir vorstellen kannst. Durch ihre Adern fließt Ehrgefühl. Abgesehen davon üben die Drachen nicht mit uns, sondern mit den Zauberern. Ich habe sie nur gebeten, zu unserem Übungsgelände zu kommen, damit sich unsere vierbeinigen Truppen an ihre Überflüge gewöhnen und im Kampf nicht erschrecken.«

Der Zwerg zuckte mit den Schultern. »Schon möglich, dass sie gut und ehrenwert sind. Aber wenn ich sie sehe, brüllt mein Verstand trotzdem: ›Lauf, Zwerg, lauf‹.«

Ein Schatten flog über die Wolken, und Sloane lächelte, als sie die Gedanken der beiden Drachen aufschnappte. Der Bruder und die Schwester zankten – wie so oft. Rubina knurrte in Gedanken vor Verärgerung, als Piet darauf bestand, seine eigene impulsive Entscheidung zu treffen.

Nur wenige Augenblicke später brüllte jemand von der Elfeneskorte eine Warnung, als er Piet im Sturzflug geradewegs auf die Gruppe zusteuern sah. Die Soldaten duckten sich, doch Sloane wusste, dass es nichts zu befürchten gab. Natürlich flog Piet knapp über ihre Köpfe hinweg und setzte zwanzig Schritte hinter ihnen auf. Dabei landete er unnötig hart, damit mächtig viel Gras und Erde aufspritzte.

Er ist so ein Angeber.

Piet war ein schwarz geschuppter, mittlerweile ausgewachsener Drache und maß von der Schnauze bis zur Schwanzspitze sechzig Fuß. Aus seinen Nasenlöchern kräuselte sich Rauch, als er sich Bierbauch entgegenbeugte und mit tiefer, grollender Stimme zu ihm sprach.

»Lauf nicht weg, kleiner Zwerg. Sonst ist es doch für mich viel schwieriger, mir eine kleine Kostprobe von dir zu holen. Ich hab gehört, Zwerge schmecken wie Hammel ...«

Plötzlich wurde Piet von einer kleineren Version seiner selbst umgestoßen – seiner Schwester Rubina. Sie war aus einer anderen Richtung herabgeschossen. Brüllend rangen die beiden Riverton-Drachen miteinander. Vereinzelt zuckten Flammen auf, während sie sich in der alten Sprache zankten. Sloane verstand zwar die Worte der Sprache nicht, mit der die Drachen geboren worden waren, aber ihr Geist konnte die Gedanken dahinter verstehen.

»Rotpiet, du hast mir versprochen, die kleinen Leute nicht mehr zu erschrecken.«

»Pah! Der Zwerg hat angefangen, Rubina. Ich hab ihn sagen gehört, dass er Angst vor mir hat. Dabei hab ich nie was getan, um ihm Angst einzujagen. Bis jetzt.« Er grinste breit und ließ die Zähne dabei aufblitzen.

Sloane übertrug eine Botschaft in die Köpfe der Drachen. »Bitte beruhigt euch. Wenn ihr beide euch streitet, sorgt ihr nur für noch mehr Angst. Den armen Zwerg werden jetzt wahrscheinlich Albträume plagen.«

Rubina zwickte ihren Bruder ein letztes Mal in den Schwanz. Er sprang mit einem spitzen Aufschrei davon.

Sloane ging zu Rubina und tätschelte ihr mächtiges Hinterbein. »Ich kann immer noch nicht fassen, wie groß ihr zwei geworden seid.«

Rubina lehnte den riesigen Kopf sanft an Sloane und gab dabei einen Laut von sich, der an ein Schnurren erinnerte.

Sloane wandte sich an die Soldaten und stellte ihnen die Drachen vor. »Diese wunderschöne Drachendame heißt Rubina. Sie ist die Vernünftigere.«

Rubina blinzelte mit großen bernsteinfarbenen Augen. »Frauen sind immer vernünftiger.« Schnaubend atmete sie einen Strahl weißen Rauchs in die Richtung ihres Bruders aus.

Sloane ging zu Piet hinüber und kraulte ihn kräftig am Kinn. »Der Große ist Rotpiet, aber ich nenne ihn nur Piet. Er ist ein bisschen ungestüm und verspielt.« Sie nickte Bierbauch zu. »Er hat dich darüber reden gehört, dass du Angst vor ihm hast. Und ob du’s glaubst oder nicht, das hat seine Gefühle verletzt. Deshalb ist er so angestürmt.«

Mürrisch betrachtete der Drache den Zwerg, dem die Knie schlotterten. »Entschuldige, kleiner Zwerg. Du kannst weglaufen, wenn du willst.«

Rubina grollte in der alten Sprache. Dampf schoss aus ihrer Schnauze. »Versprich ihm, dass du ihn nicht fressen wirst!«

Piet schaute zu Boden und seufzte. »Keine Sorge, Zwerg. Ich werde dich nicht fressen. Bestimmt schmeckst du widerlich.«

Bierbauch trat unsicher vor. »Piet, ich wollte dich nicht verärgern. Ist nicht vernünftig, sich vor etwas zu fürchten, von dem andere sagen, es wäre ... äh ...«

Kopfschüttelnd wandte sich Rubina an Sloane. »Tun sich alle Männer so schwer damit zu sagen, was ihnen durch den Kopf geht?« Sie wandte sich an den Zwerg. »Mein Bruder nimmt deine Entschuldigung an.«

Rubina versetzte Piet einen Stups mit dem Kopf. »Und ich muss mich einfach damit abfinden, dass du nur aus Muskeln bestehst und als dich als Mann einfach manchmal dumm benimmst.«

Piet schaute auf und schenkte seiner Schwester ein breites Grinsen.

»Also gut, Leute«, ergriff Sloane das Wort. »Marschieren wir weiter zum Übungsgelände. Wir haben eine Menge Taktiken auszuarbeiten und einzuüben.«

Einer der menschlichen Soldaten brummte: »Und wir müssen uns überlegen, wie wir die Sumpfkatzen und die Wölfe davon abhalten, sich gegenseitig umzubringen.«