Ärger mit dem ersten Protektor

Malphas hievte sich einen großen Sack über die Schulter und grinste, als er den Pfad hinunterstieg, der zur nächsten Aufzuchtgrube führte. Sein Meister hatte ihm gerade mitgeteilt, dass die Barriere schwächer wurde und er bald die restlichen Oberweltler vernichten können würde.

Er ließ den Blick durch die Grube unter ihm wandern, hielt Ausschau nach der Aufzuchtmeisterin. In der Niederwelt herrschte nie vollständige Dunkelheit. An den Wänden der Höhlen wucherte eine weiß leuchtende Flechte. Auch Dampf, der aus einigen der heißen Quellen aufstieg, steuerte natürliches Licht bei. Aber selbst ohne all das hätte Malphas die Körperwärme aller Lebensformen zu sehen vermocht, die durch die Höhlen kreuchten und fleuchten.

Er holte aus dem Sack einen der Dämonen hervor, die er unterwegs bewusstlos geschlagen hatte. Mit einer flinken Klauenbewegung schlitzte Malphas die Kehle seines hilflosen Opfers auf und warf es in die Grube. Die Körperflüssigkeit des Dämons ergoss sich auf den Boden.

Nach einer kurzen Weile bestätigten die Geräusche sich verschiebenden Gesteins und ein Beben der Erde, was Malphas nicht sehen konnte. Der Brüter war erwacht.

Plötzlich brach der Boden der Grube auf, und aus der Tiefe kroch ein riesiges, wurmähnliches Wesen empor. Das Geschöpf war sechs Fuß dick, 100 Fuß lang und von Schleim bedeckt. Am Kopf prangte ein Kreis winziger, hornartiger Fortsätze, mit denen es sich durch den Boden fraß.

Muskeln bewegten sich wellenförmig und beförderten es überraschend schnell auf den blutenden Dämon zu. Das vordere Ende der Kreatur dehnte sich, ein langer, schlauchartiger Fortsatz kam zum Vorschein, und mit einem jähen Luftzug verschwand der tote Dämon in dem riesigen Wurm. Die Farbe der schleimigen Haut der Kreatur veränderte sich von einem Grauton zu einem gelblichen Weiß. Die Muskeln spannten sich, und das Hinterteil rückte näher zur Vorderseite, bis das Geschöpf nur noch eine Länge von etwa zwanzig Fuß aufwies.

Und als es sich zusammenzog, hinterließ es eine Spur ledrig anmutender Eier.

Der Brüter grub sich wieder in den Boden. Zurück blieb eine Geruchsmischung aus Ammoniak und Schwefel.

Malphas knurrte die Dämonen an, denen er befohlen hatte, ihm zu folgen. »Sammelt die Eier ein und bringt sie zur Brutstätte.« Ein Dutzend Dämonen wieselte an ihm vorbei und kletterte die Wände der Grube hinunter. »Und wenn ich einen von euch dabei erwische, wie er die Eier frisst, werdet ihr Futter für den nächsten Brüter.«

Malphas grinste.

Meine Truppen werden bald mehr als ausreichend dafür sein, was kommt.

* * *

Sloane atmete tief ein und ließ die Gerüche des Markts von Aubgherle auf sich wirken. Der Duft von frisch gebackenem Brot und Wagen mit Gewürzen weckte immer wieder liebe Kindheitserinnerungen.

Aber an diesem Tag ging es nicht ums Einkaufen. Es ging um Ausbildung – insbesondere musste sie ihre Tiere dazu ausbilden, sich unter Menschen zu beherrschen.

Silver, ihre vertrauteste Sumpfkatze, stupste sie an der Hüfte und gab einen kehligen Laut tief aus der Brust von sich. »Die Sumpfkatzen benehmen sind. Aber die Wölfe lassen sich ablenken.«

Sloane kraulte Silver hinter den Ohren und schaute zu dem halben Dutzend Wölfe, das sich in Richtung der Kochstellen bewegte. Sogar ihr fiel es schwer, nicht auf den Duft von gebratenem Fleisch zu achten. Dennoch übermittelte sie den Tieren eine gedankliche Ermahnung. »Grauwind! Sorg für Ordnung bei deinem Rudel. Die Bürger wissen zwar, dass ihr jetzt zu unseren Armeen gehört, aber es könnte sein, dass sich noch nicht alle daran gewöhnt haben. Ich will keine Missverständnisse.«

Der Rudelführer kläffte seinen Gefährten zu. »Weg vom Essen der Zweibeiner. Wir dürfen nicht zulassen, dass uns die Katzen dumm aussehen lassen. Achtet vorerst nicht auf eure Nasen.«

Ein Tier des Rudels knurrte. »Wir wären dumm, wenn wir das Essen der Zweibeiner nicht probieren. Ich bin nicht so pingelig wie diese schwarzpelzigen Faucher.«

Die Käufer und Verkäufer beäugten die Wölfe argwöhnisch, als sich die Vierbeiner zwischen den Ständen hindurchschlängelten. Aber nur Sloane konnte die Unterhaltung der Tiere hören. Für alle anderen bestand die Verständigung des Rudels nur aus einer Reihe von Knurren, Kläffen und einem gelegentlichen Winseln.

Einer der Wölfe wich einem rollenden Wagen aus und stieß dabei mit einer Sumpfkatze zusammen, die ihn prompt anfauchte. Sloane erinnerte sie alle erneut daran, dass sie miteinander auskommen mussten. Darin bestand ihre wohl größte Herausforderung. Sie musste dafür sorgen, dass große Gruppen verschiedener Arten zusammenarbeiteten und sich abstimmten, damit sie gegen einen gemeinsamen Feind wirkungsvoll sein würden.

Einer von Sloanes Ringen vibrierte mit einer Nachricht von ihrem Vater.

Throll. Sloane, du bist in Aubgherle, richtig?

Sie tippte eine Antwort. Ja, ich bin in der Stadt.

Kommen jetzt gleich zu unserem alten Bauernhaus. Wir brauchen deine Fähigkeiten.

Bin gleich da.

Sloane übermittelte ihren tierischen Begleitern eine Nachricht. »Lasst uns ein Stück laufen. Folgt mir – und lasst euch nicht ablenken.«

* * *

Während die Tiere draußen von einigen äußerst nervösen Knechten gefüttert wurden, nahm Sloane in ihrem ehemaligen Wohnzimmer bei ihrem Vater und dem neuen Protektor von Aubgherle Platz, einem Mann namens Jakow.

»Erzähl ihr, was passiert ist«, forderte ihr Vater Jakow auf.

Der Mann nickte. »Anscheinend ist einer der verschwundenen Buschzauberer der RAM, ein Mensch namens Garth, vor ein paar Tagen zu seiner Familie zurückgekehrt. Da eure Familie in Burg Riverton eingezogen ist, hatte die Familie begonnen, diesen Hof zu bewirtschaften ...«

Ein gedämpfter Schrei und ein Poltern drangen aus einem der Schlafzimmer.

Jakow schwenkte abwiegelnd die Hand. »Ich habe den Verbrecher im Zimmer nebenan gefesselt. Euer Vater wollte, dass Ihr anwesend seid, bevor ich ihn weiter verhöre.«

»Was hat er getan?«

Der Protektor schürzte die Lippen. »Gestern hat Garth am helllichten Tag seinen jüngsten Bruder getötet und versucht, auch seinen eigenen Vater umzubringen. Zum Glück konnten die Knechte den Übeltäter zu Boden ringen. Danach haben sie mich gerufen. Wie Ihr vermutlich wisst, hat Fürst Riverton darum ersucht, verschwundene Zauberer, die gefunden werden, zu Burg Riverton zu bringen.«

Die Knöchel von Sloanes Vater knackten, als er die Hände zu Fäusten ballte. »Aber zuerst verhören wir ihn. Und deshalb bist du hier, Sloane.« Er wandte sich an Jakow. »Hol ihn herein. Bringen wir es hinter uns.«

* * *

Zum dritten Mal fragte Vater: »Warum hast du deine eigene Familie angegriffen, Garth?«

Der zerzauste Buschzauberer starrte mit ausdrucksloser Miene ins Leere und zeigte bei der Frage keine Regung. Vielleicht nahm er sie nicht einmal wahr. Denn als Sloane in seinen Geist blickte, fand sie nur tiefe Schwärze darin vor.

Sie übermittelte ihrem Vater in Gedanken einen Vorschlag, der vielleicht helfen würde, Garths Kontrolle über seine Gedanken zu lockern.

Die offene Hand ihres Vaters pfiff durch die Luft und klatschte mit solcher Wucht auf Garths Wange, dass er den Mann samt Stuhl zu Boden schickte.

Und einen Augenblick lang entwischte der eisernen Kontrolle im Kopf des Mannes eine Flut von Bildern. Sloane schnappte sie mit einem entsetzten Japsen auf. Dann kehrte die Dunkelheit in seinen Geist zurück und kappte den Strom der Gedanken.

»Was ist?«, sagte ihr Vater und bedachte sie mit einem besorgten Blick. »Hast du etwas gesehen?«

Sloane schaute zu ihm auf. Tränen trübten ihre Sicht. »Mit dem Mann stimmt etwas nicht. Er ... ist nicht, was er zu sein scheint.«

Ihr Vater kniete sich vor sie. »Sag es mir. Was hast du gesehen? Ich muss es wissen.«

Sloane holte tief Luft, doch der Knoten der Angst, der sich in ihrer Magengrube eingenistet hatte, wollte sich nicht lösen. »Ich konnte nur kurz etwas wahrnehmen. Da waren gequälte Schreie. Ich habe die Nägel von Kreaturen gespürt, die mich in Stück gerissen haben. Und dann ... dann habe ich gesehen, was er eigentlich vorhatte. Ich habe dich gesehen, Vater. Und Mutter und Zenethar und mich selbst. Wir haben alle auf diesem Boden hier gelegen. Unsere Eingeweide waren überall verteilt, und diese ... diese Bestie hat in unserem Blut gebadet.«

Sloanes Vater bückte sich und küsste sie auf die Stirn. »Geh nach draußen. Du willst nicht bezeugen, was ich gleich tun werde. Aber vor seinem Tod gibt der Mann hoffentlich preis, wer ihn darauf angesetzt hat.«

Sloane nickte und verließ das Bauernhaus. Bevor sich die Tür hinter sich schloss, hörte sie ihren Vater sagen: »Jakow, hol mir einen Hammer.«

* * *

Ryan ließ den Kopf auf das Kissen senken. Doch trotz aller Erschöpfung entzog sich ihm der Schlaf in letzter Zeit hartnäckig. Und wenn er doch einschlief ... nun, dann plagten ihn offenbar Albträume. Arabelle hatte ihm davon erzählt, obwohl er sich selbst nicht an sie erinnern konnte. Obwohl sie ihn nachts heilte, zermürbte ihn die Belastung allmählich. Er verlor Gewicht und litt ständig unter Kopfschmerzen.

Ryan rollte sich zu ihr. Sie schlief friedlich. Ihr Brustkorb hob und senkte sich in einem langsamen, gleichmäßigen Takt. Als ihm eine blasse Sommersprosse auf ihrer Nase auffiel, lächelte er. Selbst ihre kleinen Unvollkommenheiten empfand er als wunderschön. Er hatte gerade die Hand ausgestreckt, um ihr eine verirrte Strähne des dunklen Haars aus dem Gesicht zu streichen, als sie abrupt die Augen aufriss. Erschrocken zog er die Hand zurück.

Statt der warmherzigen, gefühlvollen Augen, die er so liebte, starrte er in weiße Kugeln. Ihr gesamter Körper begann zu leuchten. Ranken weißer Energie zuckten wie Blitze über ihren Leib.

Als er schon um Hilfe rufen wollte, verpuffte die Magie, und Arabelle ergriff seine Hand.

Sie heftete einen entsetzten Blick auf ihn. »Wir müssen den ersten Protektor retten!«

* * *

»Arabelle«, sagte Aaron, »kannst du uns wirklich nichts Genaueres sagen?«

Arabelle umklammerte die Zügel, während sich ihre Pferde den Weg durch den Gebirgspass bahnten. Wie immer bei ihren Visionen hatte sie sich auch bei dieser danach bang und unsicher gefühlt. Sogar nun, zwei Tage später, lasteten die Bilder immer noch schwer auf ihrem Gemüt. Ihre Hellsicht war zugleich eine Gabe und ein Fluch.

Ihr Volk, die Imazighen, hatten schon öfter Seher hervorgebracht – Menschen, die sehen konnten, was an entfernten Orten geschah. In der Regel handelte es sich bei den Visionen um eine Vorhersage von etwas, das bevorstand, doch Arabelle fand sie selten nützlich. Die Bilder neigten dazu, unvollständig und rätselhaft zu sein.

»Ich wünschte, ich könnte mehr sagen, aber es war undurchsichtig. Eher ein ... ein Wissen als Hellsicht. Ich weiß nur, dass der erste Protektor angegriffen wurde. Und es hat sich angefühlt, als würde es in diesem Augenblick oder sehr bald geschehen.«

Einer der Zwerge ihrer Begleitgarde trieb sein Gebirgspony neben sie. »Frau Heilerin, ich will nicht respektlos sein, aber könnten es nicht auch Bilder von etwas gewesen sein, das sich vor Jahrhunderten zugetragen hat? Vielleicht bei seinem Kampf gegen die Dämonen oder so. Der Protektor ruht seit langer, langer Zeit sicher und gesund in ein und derselben Höhle.«

Arabelle schüttelte den Kopf. »Nein, so ist es nicht. Ich habe ihn in der Höhle gesehen, und dort wurde er angegriffen. Und ich weiß, dass es jetzt war oder bald passieren wird. Ich ... weiß es einfach.«

Aaron öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Sloane hob die Hand. »Entschuldige, Arabelle. Mein Verlobter scheint fest entschlossen zu sein, dich mit einem Haufen Fragen zu löchern. Wenn es dir recht ist, beantworte ich eine, die offenbar gerade am dringendsten ist.« Sie drehte sich im Sattel und sah Aaron an. »Ja, ich habe Hühnchen mitgebracht, falls du hungrig wirst.«

Während die Pferde die Schritte einen breiten Abhang hinunter beschleunigten, ritt Ryan neben Arabelle. »Hast du für mich Hühnchen mitgebracht?«

Sie grinste. »Du wirst dich mit Hammelfleisch begnügen müssen.«

* * *

Ryan saß im Schneidersitz in der Höhle des ersten Protektors und betrachtete eingehend den schimmernden Kokon aus Energie, der den berühmten Zauberer umgab. Dank seiner einzigartigen Sicht konnte er die unsichtbaren Fäden der Magie um den Mann sehen. Es handelte sich um ein komplexes Gebilde mit so geschickt verwobenen Energieknoten, dass sie keine Manipulation von außen zuließen. Jeder einzelne Faden unterhielt eine symbiotische Beziehung zu den Fäden um ihn herum. Aber als Ryan den pulsierenden Strängen folgte, konnte er den jeweiligen Zweck erahnen, und allmählich nahm sein Verständnis für den Aufbau des Kokons Gestalt an.

Aaron und die Zwerge hielten draußen Wache, Arabelle und Sloane hingegen befanden sich bei ihm in der Höhle. Arabelle für den Fall, dass Heilung in irgendeiner Form benötigt wurde. Sloane, um den Körper des Protektors mit ihren eigenen besonderen Fähigkeiten zu untersuchen.

Plötzlich japste Sloane. »Ich habe ihn gehört! Er ... er leidet unter gewaltigen Schmerzen.«

»Meinst du, ich kann helfen?«, fragte Arabelle.

»Den Versuch ist es wert.«

Arabelle trat vor. Ihre Heilenergie ballte sich um sie herum zu einer weißen Wolke, die nur Ryan sehen konnte. Sie streckte den Arm aus und ließ die Handfläche nur Zentimeter über dem ersten Protektor schweben. Energie strömte als zartes Rinnsal von ihren gespreizten Fingern. Sie umhüllte zwar vollständig den schimmernden Kokon, der den uralten Zauberer schützte, konnte jedoch nicht den magischen Schutzschild durchdringen.

Ryan wollte Arabelle gerade raten, aufzuhören, als der Schild einen Lidschlag lang flackerte – im selben Augenblick verschwand die gesamte Heilenergie abrupt im Kokon.

Arabelle taumelte rückwärts und wäre beinah gefallen. Mit weit aufgerissenen Augen und einem matten Lächeln sah sie Ryan an. »So was habe ich noch nie gespürt. Es war, als würde meine gesamte Heilenergie zuerst abgehalten und dann auf einmal eingesaugt.«

Ryan wandte sich an Sloane. »Ist ...«

»Schhh!« Sloane hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.

Mit einem Schulterzucken richtete Ryan die Aufmerksamkeit wieder auf den Kokon. Diesmal fielen ihm Teile des Gebildes auf, die ... beschädigt wirkten. Er ging näher hin, und tatsächlich ...

Da. Ein ausgefranster Rand.

Und dort. Noch einer.

Die magischen Energieströme wurden dünner. Das Geflecht begann, sich zu entwirren.

Ryan schloss die Augen, benutzte ausschließlich seine magischen Sinne. Ohne die schillernden Lichter, die seine Sicht beeinträchtigten, konnte er deutlicher den dicht gewobenen Schutzschild aus magischen Fäden erkennen. Er pulsierte im Einklang mit dem Herzschlag des ersten Protektors, als würde er seine Kraft von ihm selbst beziehen. Mit nach wie vor geschlossenen Augen bewegte sich Ryan um den Kokon herum und untersuchte jeden Quadratzentimeter davon.

Schließlich entdeckte er einen auffälligen Faden, einen dicken, pulsierenden grauen Strang, der tief in die Erde verlief. Den Zweck konnte er nicht mal erahnen.

Als er die Lider öffnete, starrte Sloane ihn an.

»Was ist?«, fragte er sie.

»Er hat zu mir gesprochen. Er dankt ›der Heilerin‹ für ihre Bemühungen, meint aber, die Heilung würde nur für kurze Zeit aufschieben, was unvermeidlich ist.« Ihr Gesichtsausdruck wurde verkniffen. »Er behauptet, am Abgrund zu stehen. Ihn suchen dieselben Albträume heim, die ich in dir gesehen habe.

Außerdem sagt er, dass ›Seders Erzmagier‹ – das bist du – Führung braucht, die er selbst nicht bieten kann. Er sagt, du musst jemanden namens Nicnevin aufsuchen. Und zwar ›jenseits des Endes der Welt‹.«

Ryan kratzte sich am Kinn. »Hat er dir auch verraten, wer dieser Nicnevin ist und warum ich ihn aufsuchen muss?«

Die Antwort kam von Arabelle. »Nicnevin ist eine Sie, kein Er. Sie ist eine uralte Elfenkönigin.«

Ryan zog die Augenbrauen hoch. »Woher weißt du das?«

Sloane lachte. »Vor Jahren hatte sie ein Buch mit dem Titel Nicnevin . Ein dicker Schmöker, der die Ankunft der Dämonen und anderer Dinge vorhersagt.«

Mit überraschter Miene wirbelte Arabelle zu Sloane herum. »Davon habe ich dir nie erzählt ... oh! Du hast wieder meine Gedanken gelesen, oder?«

»Hoppla.« Sloanes Wangen röteten sich. »Ich ...« Plötzlich legte sie den Kopf schief und drehte sich wieder dem Podest zu. »Seid alle ruhig.«

Ryan folgte ihrem Blick und sah, wie eine Ranke der Magie tief aus dem Inneren des Kokons entwich. Das Licht in der Höhle wurde trüber, und eine krächzende Stimme hallte durch die kleine Kammer.

»Sei gegrüßt, meine Enkeltochter. Ich wünschte, ich könnte dich mit eigenen Augen sehen, aber ich fühle mich allein durch deine Anwesenheit gesegnet und danke dir dafür. Sag deinem Vater, es würde mich erfreuen, wenn er den letzten Wunsch eines Sterbenden erfüllt und dem Sohn, den er nach mir benannt hat, meinen Familiennamen zurückgibt. Du kannst ihm auch sagen, dass deine geplante Verbindung meinen Segen hat und ich mich sehr freuen würde, noch von dir etwas darüber zu hören, bevor ich gehe.«

Sloane lauschte schweigend. Tränen liefen ihr über die Wangen.

»Erzmagier des Seder. Ich habe vor über fünf Jahrhunderten eine Vision von dir gesehen und bin froh, endlich auch deine Gegenwart zu spüren. Obwohl ich das Böse schmecken kann, das nach dir sucht. Begeh nicht dieselben dummen, von Stolz verursachten Fehler wie ich.

Meine Enkelin hat wahr für mich gesprochen. Such nach Nicnevin. Du musst die verrückte Elfin erreichen und von ihr lernen. Ich nehme in dieser Kammer eine weitere Gefolgsfrau Seders wahr. Nimm sie mit, denn sie wird Nicnevin überzeugen. Ohne sie kann dir deine verwirrende Aura zum Verhängnis werden.«

Ryan sah Arabelle an, die mit ernster Miene nickte.

»Unterschätzt nicht die Gefahr, die diese Elfin verkörpert. Sie ist die wahrscheinlich mächtigste Zauberin, die je in Trimoria gewandelt ist. Wenn auch nur die Hälfte davon stimmt, was sie angeblich getan hat, ist sie über alle Maßen gefährlich. Und wenn man den Gerüchten glauben darf, wurde ihre Macht von einem der großen Geister gegen sie gewandt und hat sie in den Wahnsinn getrieben.

Die Zeit ist für euch alle knapp. Die Fäden des Schicksals von ganz Trimoria liegen in deiner Hand. Wenn du das Unvermeidliche hinauszögerst, werden sie sich alle auflösen. Geht jetzt!«