Aaron trat in das Portal, und schlagartig wurde alles weiß. Ein Schwindelanfall überkam ihn, und er sank in die Hocke, gewappnet für alles.
Vor ihm erstreckte sich das alte Schlachtfeld. Im kniehohen, von der Sonne versengten Gras lagen verrottende Trümmer von kaputtem Kriegsgerät. Ein Geruch in der Luft verriet ihm, dass sich in der Nähe eine Fumarole befand, eine Austrittsstelle im Boden, die giftige Dämpfe ausspie, die einem zum Verhängnis werden konnten, wenn man davon überrumpelt wurde.
Es war seine zweite Reise durch ein Portal der Drachen. Bei der ersten hatte er zusammen mit Charlie nur das Portal selbst getestet. Diesmal ging es um Erkundung – und daher kamen wesentlich mehr Begleiter mit.
Mit einem dumpfen Knall erschien Oda hinter ihm und verzog vor Orientierungslosigkeit das Gesicht zu einer Grimasse. Weitere ähnliche Geräusche folgten, und zwei Dutzend Soldaten trafen ein.
Diese Männer gehörten zu den Besten von Trimoria, was die überkreuzten Schwerter und der Blitz an ihren Kragen andeuteten. Es handelte sich um das Zeichen der Elitetruppe – Soldaten, die von Castien persönlich ausgebildet worden waren, dem Schwertmeister der Armeen. Ihre Rüstungen und Waffen bestanden aus Damantit und waren mit Magie durchwirkt, wodurch sie leuchteten.
Zwei der Männer leuchteten selbst. Sie waren Kampfzauberer, erkennbar an den doppelten Blitzen an ihren Kragen. Bei einem handelte es sich um Wat, den entschlossenen Zwerg, der sich nicht nur als einer der mächtigsten, sondern auch der gebildetsten Kampfzauberer erwiesen hatte. Der andere hatte sich alles selbst beigebracht und hieß Graustein. Vor seiner Ankunft in Burg Riverton vor sechs Monaten hatte er als Einsiedler in den Elfenwäldern gelebt – der einzigen Zuflucht, die er finden konnte, um Azazels Säuberung zu entgehen. Beide Zauberer hielten lange Damantit-Stäbe.
Aaron zeigte in Richtung der Burg hinter ihm. »Männer, willkommen bei Burg Thariginian. Ihr bekommt sie als erste unserer Armeen seit einem halben Jahrtausend zu Gesicht.« Er nickte Oda zu, der vortrat.
»Jungs, es wird Zeit, dass wir die Gegend auskundschaften. Unsere Aufgabe besteht darin, herauszufinden, was hier so kreucht und fleucht, und so viel wie möglich an Wissen nach Hause zu übermitteln.«
»Was, wenn wir auf Feinde stoßen?«, fragte jemand.
Oda klopfte mit seinem Streitkolben gegen seinen Schild. »Wir sind zwar nicht auf Ärger aus, aber wenn er uns einholt, schlagen wir zurück. Verstanden?«
»Aye, Herr!«
Zusammen setzten sie sich nach Süden in Richtung der Berge in Bewegung. Leider mussten sie dafür durch Grasland, das wenig Deckung bot. Was Aaron Unbehagen bereitete. Falls sich Feinde in der Nähe aufhielten, hätten sie Aarons Männer und ihn auf dem Präsentierteller.
Plötzlich versank sein Fuß im Boden, und er fiel nach vorn. Oda packte ihn am Gürtel und zog ihn zurück auf festen Untergrund.
»Obacht, General. Sonst wirst du am Ende gegart wie ein Hühnchen.«
Aaron wäre beinah in den blubbernden, dampfenden Schlamm um eine schwefelhaltige heiße Quelle herum geplumpst. »Danke, Oda. Dafür bin ich dir was schuldig.«
»Darauf komme ich noch zurück, keine Sorge.« Oda lachte. »Pass einfach auf, wo du hintr...«
Ein Kreischen von oben ließ ihn abrupt verstummen. Ein fliegender Dämon stürzte mit ausgefahrenen Krallen und weit aufgerissenem, mit Zähnen bewehrtem Schnabel vom Himmel herab.
Als ihn ein Pfeil in den Hals traf, erschlaffte der Dämon und schlug mit einem wuchtigen Knall auf dem Boden auf. Die Soldaten klopften dem Bogenschützen, der ihn abgeschossen hatte, auf die Schulter.
Dann drehte sich Aaron der Burg zu, und sein Mut sank. Zwischen seinen Männern und dem Bauwerk hatten sich fast hundert Gestalten aus dem Gras aufgerichtet. Sie wirkten annähernd wolfsähnlich, ragten aber höher als Menschen auf.
»Feinde!«, rief er. »Männer, bleibt in Formation! Bogenschützen und Zauberer, nutzt die Entfernung zu unserem Vorteil.«
»Erst feuern, wenn sie in Reichweite sind«, brüllte Oda.
Das Sirren von Bogensehnen ertönte. Pfeile sausten über das Feld und schlugen in den anstürmenden Feind ein. Noch bevor die ersten Geschosse ihre Ziele trafen, schickten die Bogenschützen eine zweite Salve hinterher, der sie eine dritte folgen ließen.
Viele Feinde fielen, doch der Rest ließ sich nicht von seinem Angriff abbringen. Und Aaron war nicht scharf darauf, es auf Nahkampf ankommen zu lassen, denn die Kreaturen wiesen Stachel an allen Gelenken auf.
Oda ging offenbar dasselbe durch den Kopf. »Kämpf nicht aus der Nähe mit den Biestern, sonst werdet ihr aufgespießt!«, brüllte er. »Haltet sie am Ende der Reichweite eurer Waffen und meidet die Stacheln!«
Zwei dicke Stränge strahlend weißer Energie schossen von Wat und Graustein weg und fegten durch die dichtesten Ränge des anstürmenden Feinds. Mindestens ein Dutzend Dämonen gingen in Flammen auf.
»Über uns!«, rief Aaron.
Drei fliegende Dämonen rasten mit ausgefahren Krallen heran und zielten auf alles in Reichweite. Aaron riss gerade noch rechtzeitig den Schild hoch. Funken stoben davon auf, als er den Aufprall ablenkte. Ein Soldat neben ihm hatte weniger Glück – ihm riss eine Klaue die Stirn auf, bevor er reagieren konnte.
Die Bogenschützen entfesselten Pfeile in die Luft und holten die fliegenden Ungetüme vom Himmel, während die Kampfzauberer weiter ihre mächtigen Blitze funkelnden Tods den anrückenden Wolfskreaturen entgegenschleuderten. Die schiere Energie erschuf einen Wall aus Hitze und schleuderte brennende Dämonen in alle Richtungen. Zum ersten Mal geriet der Vormarsch des Feinds ins Stocken.
Aaron packe die Gelegenheit beim Schopf. Er schlug mit dem Knauf seines Schwerts auf seinen Schild und stimmte einen animalischen Schrei an. »Zum Angriff!«, rief er und stürmte vorwärts.
Die gegnerischen Seiten prallten mit Gebrüll aufeinander. Einer von Aarons Soldaten erlitt einen gewaltigen Schlag gegen die Brust, der einem Mann ohne magiegestärkte Rüstung sämtliche Knochen im Oberkörper zertrümmert hätte. So jedoch steckte der Soldat den Treffer unbeschadet weg und stieß seinerseits das Schwert in den Hals des angreifenden Dämons. Grünliche Körperflüssigkeit sprudelte aus der Wunde, und das Ungetüm kippte nach hinten.
Im Nu wurden sämtliche Soldaten in den Nahkampf verwickelt, wodurch sich die Pfeile und Energieblitze nur noch dazu eigneten, vereinzelte Nachzügler auszuschalten.
Jetzt ist es mein Kampf.
Ein unförmiger Dämon stürmte auf ihn zu, in jeder der vier Hände eine Keule. Knurrend sprang er Aaron entgegen. Die Keulen pfiffen durch die Luft.
Aaron hob den Schild, tauchte unter den schwingenden Armen hindurch und schlug dem Dämon in die Brust. Als er zur Seite sprang, sah er den verblüfften Ausdruck im Gesicht des Dämons, dem die Eingeweide aus dem Bauch quollen.
In der Nähe schrie Oda: »Ich bin Oda, die Ein-Zwerg-Armee! Stirb durch meinen Streitkolben, du Ausgeburt der Abgründe!« Der Zwerg hieb dem Dämon ein Bein unter dem Körper weg, und als die Bestie stürzte, ließ Oda einem vernichtenden Hieb auf den Schädel folgen.
Aaron hörte das Knirschen einer Rüstung und den Schmerzensschrei eines Mannes. Er drehte sich in die Richtung des Geräuschs und erblickte einen vier Meter großen Dämon, der herausfordernd brüllte. Zwei von Aarons Soldaten lagen bereits tot zu seinen Füßen.
Aaron antwortete mit eigenem Gebrüll auf das der Kreatur und stürmte zum Angriff los. »Komm schon, unbedeutendes Gewürm!«, schrie er durch den allgemeinen Lärm.
Die Lippen des Dämons verzogen sich zu einem Lächeln. Die Augen glühten rot, als würde in seinem Schädel ein Feuer wüten. Als Aaron in Reichweite geriet, holte der Dämon mit einem Streitkolben aus, der größer war als Aaron selbst. Das Ungetüm schwang die Waffe überraschend schnell und geschickt. Aaron hechtete zur Seite. Der Streitkolben schlug in den Boden ein, verfehlte ihn um Haaresbreite. Im Abrollen schlitzte Aaron seitwärts über ein Bein des Ungetüms, allerdings durchdrang sein Schwert nicht den Schuppenpanzer des Knies.
»Für Cammoria!«, rief einer der trimorianischen Soldaten und griff den Dämon von der anderen Seite an.
Doch das Monster wirbelte nur herum und versetzte dem Mann geradezu beiläufig einen Tritt. Ein Bein des Getroffenen knickte mit einem übelkeitserregenden Knirschen nach hinten, und er schrie vor Schmerz gellend auf.
Aaron preschte los, packte den Soldaten und schleuderte ihn mit der Kraft eines Riesen außer Reichweite weiterer Angriffe.
Er schaffte es gerade noch, sich hinter seinen Schild zu ducken, bevor er von einem Schwall klebriger grüner Flüssigkeit getroffen wurde, der sich aus dem Schlund des Dämons ergoss. Er hatte Glück – denn wo die Säure auftraf, zischte und welkte das Gras.
Aaron griff erneut an und zielt auf dieselbe Stelle am Knie des Ungetüms. Diesmal schaffte es die Klinge durch die Panzerung, und er spürte, wie Sehnen durchtrennt wurden. Der Dämon kippte zur Seite, als sein Bein unter ihm einknickte.
Aaron verlor keine Zeit. Er sprang zwischen den fuchtelnden Armen des Monsters hindurch und schwang seine leuchtende Klinge mit all seiner übernatürlichen Kraft. Als die Damantit-Klinge den Hals des Dämons traf, zersplitterten die schwarzen Schuppen mit einem grellen Funkenschauer.
Ein nasses Gurgeln ertönte, als sich das Ungetüm an die Wunde fasste. Dann schlug ein zischender Blitz weißglühender Energie in den Schädel des Dämons ein. Er zerbarst. Fleischbrocken und Knochensplitter spritzten in alle Richtungen.
Aaron spürte, wie sich der Verlauf der Schlacht um ihn herum veränderte. Das Sirren von Bogensehnen setzte wieder ein. Die Dämonen versuchten zu fliehen. Graustein und Wat schlossen sich den Bogenschützen an und feuerten Energiestrahlen hinter den abrückenden Feinden her.
Aarons Schwert gierte nach Blut, und er wirbelte herum, hielt Ausschau nach irgendeinem Gegner. Doch es waren keine übrig. Alle hatten die Flucht ergriffen.
Er drehte sich weiter und erblickte den Soldaten, den er aus dem Gefahrenbereich geschleudert hatte. Der Mann versuchte, auf einem Bein zu stehen, allerdings mit schmerzverzerrtem Gesicht. Das andere Bein war fürchterlich verdreht.
»Warte, Soldat. Setz dich wieder hin!« Aaron rannte zu ihm und zog eine kleine Flasche aus seinem Hosenbund.
Der Soldat brach zusammen und schrie auf, als er sich das Bein zusätzlich verdrehte.
Aaron sah in die Augen des verängstigten Mannes. »Soldat, ich muss dir das Bein einrenken, bevor wir dich heilen. Verstehst du das?«
Der Soldat zog einen Dolch von seinem Gürtel. »Whalen, Herr. Mein Name ist Whalen, und ja, ich verstehe es.« Er biss auf den Griff der Klinge und nickte tapfer.
Aaron ergriff mit einer Hand das Fußgelenk des Soldaten und legte die andere Hand auf sein Knie.
Mache ich das wirklich?
»Na schön. Eins ... zwei ....«
Mit einem Ruck verdrehte Aaron das Bein. Er spürte, wie die Knochen knirschten, und hörte es sogar, trotz Whalens gedämpftem Aufschrei. Aber das Bein sah gerade aus. Den Rest würde der Heiltrank seiner Mutter erledigen.
Ihn überraschte, dass Whalen nicht die Besinnung verloren hatte. Der Mann war hart im Nehmen. Dankbar nahm er die Flasche entgegen und leerte sie. Aaron reichte ihm eine zweite, die er ebenfalls austrank.
»Und?«, fragte Aaron.
Whalen bewegte das Bein. »Herr, es ist viel besser. Ich kann’s fast nicht glauben.«
Aaron richtete sich auf und half dem Mann hoch. Whalen belastete zaghaft das verletzte Bein, dann sprang er lachend hoch und landete hart. Lächelnd sah er Aaron an. »Ich war mir sicher, dass mein Bein nicht mehr zu retten sein würde. Was du für mich getan hast, werde ich nie vergessen.«
Aaron legte dem Mann die Hand auf die Schulter. »Sei nur vorsichtig bei den größeren Dämonen. Jetzt mach dich fertig, wir kehren bald nach Hause zurück.«
Aaron ließ den Blick über das Schlachtfeld wandern und entdeckte Oda, der über einem anderen Soldaten kniete, den Kopf trauernd gesenkt.
»Romley«, sagte der Zwerg, »du warst tapfer bis zum Ende und bist als Held gestorben. Ich bringe dich für ein ordentliches Begräbnis nach Hause, das verspreche ich dir. Ich schwöre es.«
Aaron kauerte sich neben Oda. »Er ist der Erste, aber er wird nicht der Letzte sein, mein Freund.«
»Oy, das stimmt mit Sicherheit. Wir hatten Glück, dass wir heute nicht mehr verloren haben. Diese Heilmagie ist ein wahres Wunder.« Er zeigte auf einen Soldaten, dem gerade eine Flasche mit dem Trank gereicht wurde. »Ich hätte schwören können, mit dem guten alten Simson wär’s vorbei. Und Girol da drüben ...« Er zeigte auf einen anderen Mann, dem gerade auf die Beine geholfen wurde. »Ich war mir sicher, dass sein Rückgrat gebrochen war.«
»Du hast völlig recht, wir stehen tief in der Schuld der Heiler und müssen ihnen bei unserer Rückkehr unbedingt danken.« Er stand auf und legte die Hände an den Mund. »Sammelt euch! Wir gehen zu Burg Thariginian und kehren nach Hause zurück.«
Wir haben eindeutig mehr als erwartet über die Kreaturen erfahren, gegen die wir kämpfen werden.
Oda stellte sich neben ihn. »Na, worauf wartet ihr denn noch! Der General hat gesprochen. Ihr habt euch gut geschlagen, trotzdem ist das weder der richtige Zeitpunkt zum Feiern, noch der richtige Ort, um eure Wunden zu lecken. Wer weiß, vielleicht ist bereits die ganze Dämonenarmee unterwegs, also Bewegung! «