Aaron richtete das Teleskop auf die Staubwolke, die keine anderthalb Kilometer entfernt von der Ebene aufstieg.
»Siehst du sie schon?«, fragte Castien.
Aaron wusste, dass der scharfäugige Elf auch ohne ein Teleskop so weit sehen konnte. »Ja«, bestätigte er. »Sie sind ja auch kaum zu übersehen.«
Die Dämonen, die den Angriff anführten, erwiesen sich als gigantisch. Viereinhalb Meter hohe Ungetüme pflügten jegliche Bäume um, die ihnen im Weg standen, ohne auch nur langsamer zu werden.
Aaron benutzte seinen Ring, um eine Warnung an die Offiziere der Armee zu senden.
Aaron. Wappnet euch. Fünfzehn Fuß große Dämonen bilden die Vorhut der ersten Angriffswelle. Denkt an eure Ausbildung. Die Hünen fallen, wenn man ihre Beine außer Gefecht setzt.
Die Armeen waren in Position, und Aarons Herz raste, während er auf den Beginn der Kampfhandlungen wartete.
»Geduld, junger General«, riet Castien. »Als Anführer musst du dir Zeit zum Beobachten nehmen. Mitten im Gefecht hat man nicht den Blickwinkel, den man braucht, um andere zu führen.«
»Ich weiß, Castien. Aber bist dafür nicht du hier? Ich kann mich nicht einfach zurücklehnen und andere für mich kämpfen und sterben lassen.«
Castien seufzte. »Na schön. Geh. Töte nur nicht alle, bevor ich Gelegenheit hatte, ein paar bluten zu ...«
Aber Aaron stürmte bereits den Hügel hinunter auf die vorrückende Horde zu.
* * *
Geschrei brach aus, als die Frontlinien der beiden Armeen aufeinanderprallten. Aaron stürzte sich ins Getümmel und nahm den größten Dämonen ins Visier, der gerade mit einem drei Meter langen Streitkolben ein halbes Dutzend seiner Männer durch die Luft geschleudert hatte.
»Vorsicht vor dem Streitkolben!«, brüllte jemand. »Der Kopf von dem Ding muss mehrere Hundert Pfund wiegen!«
Als der Dämon erneut mit der Waffe ausholte, stürzte sich Aaron auf die Beine des Ungetüms. Zischend raste sein Schwert durch die Luft. Als seine Klinge aufprallte, spürte er es durch den gesamten Arm und hörte, wie die Schuppen am Fußgelenk des Dämons zertrümmert wurden. Dann rollte er sich aus dem Weg. Das Monster schrie auf. Das Bein verdrehte sich zur Seite, und der Dämon fiel. Dann ging das Sirren von Bogensehnen dem dumpfen Einschlag von Pfeilen ins Fleisch des Dämons voraus.
Ein Zwerg mit stachelbewehrten Stiefeln sprang auf den Dämon, hüpfte auf und ab und trieb seine Stacheln tief in den Hals und die Brust des Ungetüms. Einige der anderen Zwerge riefen ihrem blutbespritzten Kameraden freudig zu. »Stampfgut! Es gibt noch mehr zum Zerstampfen, lass es bei dem da gut sein!«
Ein Schatten querte das Schlachtfeld, als Rubina durch den Rauch stieß, der über den Armeen schwebte. Aaron duckte sich, als ein doppelter Feuerstoß eine Gruppe von Dämonen erfasste, die von den Flanken in den Hauptkampf eingreifen wollten.
»Das ist Wat Feuerwirker! Er speit Feuer, genau wie der Drache, oh ja!«
Der Rauch des magischen Feuers verdeckte einen Großteil des Schlachtfelds. Aaron tippte eine Nachricht an seine Generäle. Aaron. Kann Labri einen Wind heraufbeschwören, der den Rauch wegbläst? Ich kann nichts sehen.
Innerhalb von Sekunden spürte Aaron, wie ihm eine Brise in den Nacken wehte.
Castien. Sie macht es gerade.
Aaron hob den Schild, als ein anderthalb Meter großer Dämon anstürmte. Er schwang das Schwert, enthauptete den törichten Dämon und sah sich nach anderen Dämonenhauptmännern zum Erschlagen um.
* * *
Ryan blickte in die Kluft. Weit unten glühte geschmolzenes Gestein rötlich, und die in Wellen aufsteigende Hitze erstickte ihn beinah. Er verengte das Geflecht seiner Schutzschilde. Seine Macht schwoll an, während er Seders Kugel hielt.
Vor ihm rannte Ohaobbok über die Brücke. Seine langen Schritte trug ihn rasant auf die Bestie zu, die von der anderen Seite auf ihn zustürmte. Ryans Augen weiteten sich, als er erkannte, dass der gegnerische Dämon deutlich größer war als der Oger. Zudem umhüllten Flammen das Schwert des Dämons.
Ryan sammelte seine Kräfte für einen Fernangriff auf das Ungetüm, als er spürte, wie ein kalter Schauder seinen Körper durchlief und das Licht in der Höhle trüber wurde. Trotz der Hitze fröstelte er. Und als er den Zusammenstoß von Ohaobbok und dessen dämonischem Gegner hörte, schwenkte seine Aufmerksamkeit zur anderen Seite des Abgrunds, wo sich ein großer Schatten zur Gestalt eines Mannes verdichtete.
Der Schattenmann war riesig – vielleicht dreimal so groß wie Ohaobbok. Feuer züngelte um ihn herum, und als er zur Brücke vorrückte, hinterließ er flammende Fußabdrücke. Aber weder die Größe noch das Feuer oder seine Dunkelheit ließen ihn so furchterregend wirken. Das lag vielmehr an der reinen Bösartigkeit, die er ausstrahlte.
Ryan holte tief Luft, straffte die Schultern und hob Seders Kugel an.
* * *
Aaron verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als einer der Heiler der Ta’ah ein magisches Geflecht in ihn übertrug. »Du hast Glück, junger General. Ich habe kein Gift in ...«
Aaron hechtete aus dem Weg und zog den Heiler mit, als eine riesige geflügelte Kreatur abstürzte und sowohl Dämonen als auch Trimorianer zerquetschte. Piets Siegesschrei stieß durch den Lärm des Gefechts. Mit den Klauen umklammerte er die zappelnden Flügel eines weiteren der riesigen Flugdämonen.
Schlachthörner ertönten, und Aaron sprang auf die Beine. Eine Phalanx riesiger Dämonen näherte sich, größer als alle, gegen die er bisher gekämpft hatte. Mit gezücktem Schwert rückte er vor.
Die zischenden Blitze eines Dutzends Kampfzauberer rasten auf diesen neuesten Angriff zu. Ein Gewirr aufzüngelnder Flammen verbrannte die ersten beiden Ränge der Dämonen, dann schlugen in ihre lodernden Schuppen Hunderte Pfeilen der Bogenschützen ein.
Dann raste ein Schwarm flatternder Kreaturen heran und feuerte Hunderte Speere auf Aarons Soldaten ab. Er selbst riss gerade noch rechtzeitig seinen Schild hoch. In seinen Ohren hallten die gellenden Schreie derer wider, die weniger Glück hatten.
Er übermittelte eine Nachricht an seine Offiziere. Aaron. Schilde. Unsere Truppen werden von fliegenden Speeren aufgespießt.
Sein Vater antwortete. Jared. Ich suche das Schlachtfeld nach dem Vorrat der Speere ab. Irgendwoher müssen sie ja kommen.
* * *
Ohaobboks Arm vibrierte schmerzhaft, als seine weiß leuchtende Klinge auf die flammende des Dämons traf. »Im Namen Seders«, stieß er knurrend hervor, »befehle ich dir, dich zu ergeben.«
Der gehörnte Dämon schwang wild nach Ohaobbok, der geschickt aus dem Weg sprang. »Auf keinen Fall ergebe ich mich dem Lakaien des schwächeren Bruders meines Herrn.«
Ohaobbok hieb auf den Dämon ein und stieß ihn um ein Haar von der Brücke. »Dein Mangel an Wissen ist deine Schwäche.«
»Dein Glaube an geringere Götter ist deine.«
Trotz Ohaobboks gewaltiger Größe und Kraft spannte sich jedes Mal vor Anstrengung sein gesamter Körper an, wenn sein Schwert mit dem des Dämons aufeinanderprallte, und vereinzelt musste er sogar einen Schritt zurückweichen. Der Dämon versuchte, seine Verteidigung zu durchbrechen, und Ohaobbok konnte den Angriff nur mit Müh und Not parieren.
Dann brüllte der Dämon, und seine Macht schien anzuschwellen. Die feurige Klinge raste schneller und kraftvoller als zuvor auf Ohaobbok zu. Ohaobbok parierte und trat einen Schritt zurück. Gefolgt von einem weiteren.
Doch obwohl er mit seinem Gegner schwer zu kämpfen hatte, bemerkte er unwillkürlich die schier unvorstellbaren Kräfte, die sich über die breite Kluft hinweg einen Schlagabtausch lieferten. Mächtige Energieströme rasten zwischen Ryan und der riesigen, schattenhaften Gestalt hin und her.
Ohaobbok zwang sich zu Konzentration.
Eins nach dem anderen.
Begonnen hatte er diese Begegnung mit den Schwerttechniken, die er von Castien und Throll gelernt hatte. Doch während er sich diesem Ausbund des Bösen gegenüberstand, spürte er, wie die Erinnerungen und die Ausbildung aus einer anderen Zeit an die Oberfläche stiegen.
Der Dämon brüllte erneut und griff mit neuer Kraft und Geschwindigkeit an. Die Flammen des Schwerts schienen mit jedem Streich länger zu werden. Aber Ohaobbok stellte fest, dass seine eigenen Hiebe forscher wirkten, er ohne die geringste Verzögerung reagierte und er sich trotz des wilden Sturmangriffs des Dämons mittlerweile behaupten konnte. Entschlossen knurrend verkündete er: »Keinen Schritt mehr zurück.«
Und plötzlich begriff er, was vor sich ging. Auf dem Friedhof hatte er den Segen der Krieger aus grauer Vorzeit erhalten. Und das bewirkte ihr Segen: Er hatte ihr Wissen, ihre Kraft, ihr Können erhalten. Ohaobbok glich einem Krieger, der rein von Instinkten und Muskelgedächtnis gesteuert wurde.
Er war wahrhaftig zu Seders Paladin geworden.
Ohaobbok lächelte.
Während er geschickt abwechselnd angriff und parierte, rückte er vor. Dann brachte er einen perfekten Hieb an, schrammte unter kreischendem Metall die flammende Klinge seines Gegners entlang und entriss die Waffe mit einem Ruck den ausgestreckten Klauen des Dämons. Als das Schwert aus dem Griff des Ungetüms flog, verpuffte es.
Ohaobbok setzte die Spitze seines eigenen leuchtenden Schwerts an den Hals des Dämons.
»Ob lebendig oder tot, du wirst dich unterwerfen.«
Der Dämon lachte, und sein Flammenschwert erschien wieder in seiner Hand. Ohaobbok tanzte gerade noch rechtzeitig zurück. Die Spitze der lodernden Klinge schrammte über seinen Brustpanzer.
»Dafür wirst du bezahlen, Soldat Seders. Nur ich, Malphas, trage den Keim von Sammaels Macht in mir. Du bist kein Gegner für mich.«
»Ich bin Seders Paladin«, gab der Oger leise zurück. »Mein Name ist Ohaobbok.«
Damit stürzte er dem Dämon schier unfassbar schnell entgegen – und Malphas konnte nur grunzen, als er an sich hinabblickte und das weiße leuchtende Schwert des Ogers aus seiner Brust ragen sah.
Ohaobbok zog die Klinge heraus und schwang sie erneut mit aller Kraft. Diesmal schlitzte er die Mitte des Dämons auf und ließ dessen Eingeweide herausquellen.
Malphas’ Mund öffnete sich lautlos. Er blinzelte und fiel auf die Knie. Eine geschwärzte Kugel fiel aus der Wunde und landete in den Körperflüssigkeiten. Dann kippte der leblose Körper des Dämonengenerals zur Seite, fiel von der Brücke und stürzte auf das heiße, geschmolzene Gestein zu.
Ohaobbok wich von der Kugel zurück. Sie strahlte spürbare Wellen der Bosheit aus. Mit gerechtem Zorn schwang er das Schwert seiner Ahnen auf dieses Symbol für alles Böse.
Die Welt schien sich zu verlangsamen, als die Klinge auf ihr Ziel prallte. Risse breiteten sich über die Kugel aus. Durch die Luft hallte das Geräusch von splitterndem Glas.
Dann schleuderte die Freisetzung gewaltiger Energie den Paladin mit einem Hagel von Kristallsplittern zurück, und die Welt wurde dunkel.
* * *
Castien schwenkte das Teleskop über das Schlachtfeld und entdeckte eine Horde riesiger Dämonen, die durch die trimorianischen Truppen pflügten. Er übermittelte eine Nachricht an seine Offiziere dort, erhielt aber keine Antwort.
Seine nächste Nachricht ging an Aaron.
Castien. Aaron, wir haben die Verbindung zu den Offizieren an der Südostflanke verloren. Sie brauchen Verstärkung.
Die Antwort kam sofort. Aaron. Ich bin an der Südfront. Verlagere meine Truppen dorthin.
* * *
Die Schattengestalt auf der anderen Seite des Abgrunds wehrte Ryans Angriff ab und feuerte eine flammende Energielanze auf ihn zurück. Ryan leitete Energie in seine Schilde und wappnete sich. Als die Lanze einschlug und explodierte, klingelte es in seinen Ohren. Und als sich der Rauch lichtete, glühte das Gestein um ihn herum vor Hitze rot.
Wie kann er so stark sein?
Als er einen weiteren eigenen Angriff vorbereitete, erregte ein anderer Anblick seine Aufmerksamkeit. Ohaobboks dämonischer Gegner stürzte von der Seite der Brücke in den Abgrund.
Am liebsten hätte Ryan vor Freude gejubelt. Sein Freund hatte es geschafft! Nur blieb ihm keine Zeit zum Feiern, denn Ohaobbok stieß einen mächtigen Schrei aus und ließ das Schwert auf etwas anderes auf der Brücke niedersausen. Eine gleißende Explosion jagte eine erschütternde Druckwelle gegen seine Schutzschilde. Ohaobbok wurde durch die Luft gewirbelt und stürzte in die Tiefe.
»Ohaobbok!«
Auf der anderen Seite des Abgrunds lachte der Schattenmann und betrat die Steinbrücke.
Mit vor Emotionen zugeschnürter Kehle bezog Ryan mehr Energie aus Seders Kugel, als er je zuvor aufzunehmen versucht hatte. Durch das Knistern seiner Macht konnte er beinah nichts mehr hören. Vor dem geistigen Auge sah er nur das Bild seines Freunds, der in den Tod stürzte.
Mit einem Knurren aus den Tiefen seiner Seele entfesselte er alle Energie auf die Gestalt, die es wagte, über seinen Verlust zu lachen.
Diesmal taumelte der Schattenmann zurück und heulte vor Wut. Damit konnte Ryan ihm zum ersten Mal eine echte Reaktion entlocken. Der Schatten flackerte, dann verflüchtigte er sich. Zurück blieb eine genauso große und mächtige Kreatur, nun jedoch in physischer Form.
Das Wesen ragte um die 18 Meter hoch auf. Schwarze Schuppen der Größe von Schilden bedeckten den Körper. Die Augen bestanden aus reinem Feuer. Die Erscheinung hatte einen gegabelten Schwanz, der kraftvoll hin und her schnippte.
Der Inbegriff eines Dämons.
Und Ryan kannte seinen Namen.
»Sammael.«
Als der Dämon einen wagengroßen Felsbrocken auf ihn schleuderte, griff Ryan erneut auf die Macht der Kugel zurück und antwortete mit einem Energiestoß. Beide Angriffe wurden mühelos abgewehrt. Doch bevor Ryan genug Energie für einen neuen Blitz sammeln konnte, rasten bereits zwei weitere Felsbrocken auf ihn zu.
Und dann folgte der wahre Angriff. Ryan spürte im Kopf Klauen, die versuchten, die Herrschaft über seinen Verstand zu erlangen.
Mit einem Knurren verstärkte er nicht nur die Schutzschilde um seinen Körper, sondern auch jene um seinen Geist. Die Felsbrocken prallten an seinem Geflecht ab, der Druck der Klauen in seinem Kopf ließ nach und verschwand.
Aber Ryan wurde allmählich schwächer. Er brauchte kein Gerät am Handgelenk, das es ihm anzeigte, denn er konnte es fühlen. Wenn er diesen Dämon besiegen wollte, musste er es sofort tun.
Er gab seine Schilde auf. Dies war nicht der Zeitpunkt dafür, sich selbst zu schützen. Er würde alle Energie brauchen, die er aufbringen konnte.
Ohne Pause oder Zurückhaltung fasste er tief in die Energie der Kugel. Und während ihn die Kraft von Tausenden Zauberern durchströmte, entfesselte er einen durchgehenden Strom weißglühender Energie auf Sammael. Die Explosion des Aufpralls war nichts im Vergleich zu Sammaels Geheul.
Der Dämonenfürst feuerte mehrere flammende Lanzen auf Ryan ab. Und obwohl er keine Schutzschilde hatte, war sein Energiestrom so stark, dass er die magischen Geschosse verdampfte, bevor sie ihn erreichen konnten.
Schweiß strömte aus jeder Pore Ryans. Er konnte vor Hitze kaum atmen, und er spürte, wie sich Blasen auf seiner ungeschützten Haut bildeten. Dennoch ließ er nicht locker, legte alles in den Energiestrom, leitete die Energie der Kugel durch sich hindurch und direkt ins Herz des Dämons.
Sammael taumelte unter der gerechten Wut der Zauberer von Trimoria, sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart. Seine Schuppen gaben knackend unter dem Druck von Ryans Angriff nach. Wieder feuerte er eine flammende Lanze ab, die es jedoch nicht mal über die Kluft schaffte.
Und dann nahm Ryan eine Veränderung wahr. Gering, aber spürbar. Die Macht von Seders Kugel schwand. Sie war nicht unbegrenzt.
Ryan legte die letzten eigenen Reserven in den Strom und betete stumm.
Ich hoffe, es wird reichen.
* * *
Aaron schlitzte über das Fußgelenk eines Dämons, während Oda das Knie des Ungetüms mit seinem Streitkolben zertrümmerte. Als der Dämon auf die Seite kippte, fielen die Zwerge unter Odas Kommando über ihn her.
»Gute Arbeit, Leute! Wo der hergekommen ist, gibt’s noch jede Menge mehr!«, rief Aaron.
Oda lachte. »Du schwächst die Fußgelenke, ich schalte die Knie aus. Wir sind ein großartiges Gespann.«
»Zurück!«, brüllte Aaron, als eine Keilformation von Kampfzauberern der Ta’ah einen sengenden Energieschwall über das Feld jagte und damit Hunderte geringere Dämonen verbrannte. Im heißen Windstoß, der darauf folgte, trieb der Gestank von verkohltem Fleisch.
»Die kleinen Dämonen sind keine enorme Herausforderung. Wir müssen das Augenmerk auf die Großen richten.«
»Nur wenn man die Kleinen entkommen lässt, verwandeln sie sich schnell in Große«, erwiderte Aaron.
»Aye, verstanden. Suchen und vernichten.«
»Außerdem glaube ich, dass die wirklich großen Kämpfe dort ausgetragen werden, wo mein Bruder hingegangen ist.«
Ein Rudel Katzen raste über das Schlachtfeld und hieb unterwegs auf die Dämonen ein. An ihren Flanken heulten Wölfe. Explosionen und Schlachtrufe ertönten überall. Sein Vater hatte die Vorratslager der Dämonen aufgespürt und zu Asche verbrannt. Endlich schien sich das Blatt der Schlacht zu ihren Gunsten zu wenden.
Dann dröhnte plötzlich eine Frauenstimme durch Aarons Kopf.
»Wer in der Vergangenheit einen der Brunnen des ersten Protektors benutzt hat, soll sich nach Möglichkeit sofort zu dem der Burg begeben. Steckt einfach einen Finger ins Wasser und behaltet ihn darin. Es ist dringend. Uns bleibt fast keine Zeit mehr.«
Aaron wandte sich an Oda. »Hast du das gehört?«
Oda nickte.
»Los!«
Aaron wollte gerade eine Nachricht an sämtliche Offiziere absetzen, als eine Reihe von Meldungen eintraf.
Cranion. Schicke vier meiner Kampfzauberer zum Brunnen von Burg Riverton.
Justinian. Ich habe sechs von meinen losgeschickt.
Als weitere Nachrichten von seinen Offizieren eintrafen, unterbrach Aaron den Strom, indem er eine eigene Botschaft übermittelte. Eine schlichte.
Aaron. Schickt sie alle.
Dann seufzte er. »Ich hoffe, das ist kein Fehler.«
Wie zur Antwort kamen zwei weitere Nachrichten.
Wat. 200 der Riesendämonen nähern sich durch den Wald südlich und östlich des Schlachtfelds. Ich konnte sie nicht angreifen, weil wir Späher in dem Wald haben.
Castien. Hunderte Oger halten über die Ebenen auf unsere ungeschützte Nordflanke zu.
Aaron antwortete sofort.
Aaron. Schick deine Kampfzauberer zu den Brunnen. Alle anderen, macht euch bereit. Das wird hässlich.
* * *
Nyra war Ohaobbok durch das leuchtende Portal gefolgt, hatte ihn und seinen menschlichen Freund jedoch in den Tunneln aus den Augen verloren. Es hatte eine Weile gedauert, sie wiederzufinden, aber letztlich hatte sie es geschafft.
Gewissermaßen.
Denn der Tunnel, dem sie gefolgt war, führte ins Leere. Sie streckte den Kopf durch die Öffnung hinaus und stellte fest, dass sie sich auf halber Höhe einer Kluft befand, auf deren Grund sich heißes, geschmolzenes Gestein befand. Hitzewellen versengten ihre Haut, als sie sich hinauslehnte, aber als sie aufschaute, erblickte sie hoch oben Ohaobbok, der auf einer Steinbrücke gegen einen riesigen Dämon kämpfte. Sie wurde Zeugin des Augenblicks, in dem der Dämon fiel und in die rote Masse unten stürzte.
Und dann explodierte etwas auf der Brücke.
Nyra schrie gellend auf, als Ohaobboks erschlaffter Körper von der Brücke stürzte. Sie dachte nicht nach, sondern reagierte nur. Mit festem Griff bohrte sie die Finger in einen Spalt in der Nähe des Tunnelrands, bevor sie die andere Hand hinausstreckte und seine Rüstung packte, als er an ihr vorbeifiel. Die jähe Wucht seines Gewichts renkte ihr die Schulter aus, trotzdem ließ sie nicht los.
Sie würde niemals loslassen.
Ihr Haar kräuselte sich und knisterte von der Hitze, und als sie den Paladin in ihren Tunnel hievte, spürte sie, wie die Sehne in ihrer Schulter riss.
Behutsam legte sie Ohaobbok auf den Boden. Blut sickerte aus seinem Mund, eine seiner Pupillen hatte sich geweitet. Sie schnallte ihm den Brustpanzer ab und nutzte ihre Heilsinne, um ihn innerlich zu untersuchen. Was sie dabei entdeckte, ließ sie nach Luft schnappen. Blut flutete seine Lunge. Er hatte an unzähligen Stellen innere Blutungen.
Sie leitete ihre Heilenergie geradewegs in seine Brust und nahm zuerst die Lungenflügel in Angriff. Er musste atmen können. Dann machte sie sich daran, andere Verletzungen zu versiegeln, aber kaum hatte sie sich um zwei gekümmert, platzte ein weiteres Blutgefäß. Und das Kribbeln in ihrem Kopf verriet ihr, dass ihr allmählich die Energie ausging.
Bitte wach auf, damit ich dir einen Heiltrank einflößen kann.
Sie hatte nur einen Trank dabei, wusste aber, dass er nicht lang genug leben würde, um ihn zu trinken, wenn sie nicht zuerst ihre Heilarbeit fortsetzen könnte. Also trank sie ihn selbst, und spürte, wie sich das Schwindelgefühl und die Müdigkeit zurückzogen.
Nyra leitete neue Energie in ihn, die jedoch nur allzu schnell wieder versiegte. Frustriert schrie sie auf – ihre Bemühungen reichten nicht, und sie hatte fast nichts mehr übrig.
Dann verbreitete sich ein Gefühl von Ruhe und Wärme durch ihre Glieder aus. Nyra spürte, wie sie sich von ihrem Körper löste und durch die Erde aufstieg, bis sie über der Kluft schwebte und Zeugin des epischen Gefechts wurde, das dort stattfand.
Seders Ziel ist in Gefahr.
Als Ohaobbok hustete und etwas murmelte, raste Nyra zurück in ihren Körper. »Was, Liebster? Was hast du gesagt?«
Sie drückte das Ohr an seine Lippen, aber es kam nichts mehr von ihm.
In dem Moment ertönte überall um sie herum eine Stimme.
»Wer in der Vergangenheit einen der Brunnen des ersten Protektors benutzt hat, soll sich nach Möglichkeit sofort zu dem der Burg begeben. Steckt einfach einen Finger ins Wasser und behaltet ihn darin. Es ist dringend. Uns bleibt fast keine Zeit mehr.«
Die Stimme verhallte, und Nyra taumelte. Kurz bevor sie rückwärts in den Abgrund stürzen konnte, packte eine behandschuhte Hand ihren Kittel.
* * *
Das Schwindelgefühl drohte, Ryan in die Knie zu zwingen. Sein Energiestrom versagte allmählich, und der verletzte Dämon rührte sich. Ohne Ryans durchgehenden Angriff würde Sammael wieder auf die Beine kommen.
Die Kugel wurde dunkler und dunkler, bis sie vollständig erlosch. Mit einem letzten Ausbruch seiner eigenen spärlichen Reserven brachte Ryan einen halbherzigen Blitz zustande.
Das ist alles, was ich habe.
Er spürte, wie sich die Welt drehte und sein Körper fiel, als er die Besinnung verlor. Und dann ...
... ein Funke neuer Kraft.
Die Kugel. Irgendwie wurde sie ... wiederbelebt. Mehrere Energieströme flossen aus der Erde in sie. Und als sie pulsierend wieder zum Leben erwachte, tat Ryan es ihr gleich.
Wankend rappelte sich der Dämon auf die Beine. Genau wie Ryan. Und als die Energie in der Kugel wuchs, nutzte Ryan alles davon. Er entfesselte einen Wirbelsturm von Energie auf die Brust des Dämons.
Sammaels Schuppen glühten weiß, als die geballte Kraft der Zauberer Trimorias in ihn fuhr. Er riss den Mund zu einem stummen Schrei auf.
Und dann, nach einer ohrenbetäubenden Explosion, war er verschwunden.
Den einzigen Beweis dafür, dass er je dort gewesen war, lieferten weiße Umrisse aus Asche, dort in die Felswand gebrannt, wo er gestanden hatte.
* * *
Aaron formierte seine Truppen für einen Kampf an zwei Fronten. Aus Südosten durch den Wald nahten die Dämonen. Und aus Nordosten über die Ebenen stürmten die brüllenden Oger an, die zuerst bei ihnen eintreffen würden. Der Boden erbebte unter ihrem Ansturm. Aaron umklammerte mit festem Griff sein Schwert und bereitete sich darauf vor, den Befehl zum Angriff zu erteilen.
Dann schwenkten die Oger mit lautem Gebrüll und Johlen nach Süden, und zu Aarons Verblüffung und Freude pflügten sie aus vollem Lauf in die nahenden Dämonen hinein.
Einer der Oger schaute zu den Truppen, die verdattert dastanden und zusahen. »Herrin sagt, sollen die Bösen kloppen«, sagte er. »Mitmacht ihr?«
Stampfgut rief: »Worauf warten wir noch? Kloppen wir die Bösen!«
Aaron erteilte den Befehl. »Angriff!«
Und als seine Armee vorrückte, hörte er die Gesänge der Zwerge.
Blut haben wir vergossen an diesem langen Tag,
An die Gefallenen ich gar nicht denken mag.
Aber seht nur, Jungs, die Oger traben an.
Und Kämpfen ist was, das jeder Oger kann.
Gegen die Dämonen zeigen sie all ihre Macht.
Folgt mir, Jungens, hinein in die Schlacht.
Ich kann euch gern sagen, was ich vorhab:
Verfrachten wir die Dämonen ins frühe Grab!
* * *
Ryan kniete am Fuß der Brücke und vergoss Tränen um seinen abgestürzten Freund. »Ich werde dich für immer vermissen, Ohaobbok. Ich bete, dass du jetzt an einem schöneren Ort bist.«
»Wenn wir es aus dieser Grube schaffen«, sagte eine Stimme hinter ihm, »wäre das schon mal ein viel schönerer Ort.«
Ryan wirbelte herum und erblickte Ohaobbok, der auf ihn zuhumpelte, gestützt von Nyra und Arabelle.
»Ohaobbok!« Ryan stürmte los und umarmte den Oger. »Aber ... aber ich hab dich abstürzen gesehen.«
Arabelle schlang den Arm um ihren Ehemann. »Lass uns losgehen und unterwegs reden. Es gibt eine Menge zu erzählen.«