Als die Würdenträger aus allen Ländern den Ratssaal betraten, begrüßte Throll jeden einzelnen persönlich. Ryan stand mit den anderen in der Schlange und atmete den Duft von unlängst aufgetragener Holzpolitur und frisch gestrichenen Wänden ein.
»Ist das zu fassen, wie schnell Burg Thariginian nach fünf Jahrhunderten der Verwahrlosung aufgeräumt wurde?«
Sein Vater zwinkerte ihm zu. »Das ist alles Illusion. Throll hat mir erzählt, dass nur ein kleiner Teil der Burg in vorzeigbaren Zustand ist. Ich denke, wir werden sorgfältig nur durch diese Teile geleitet.«
Die Reihe rückte vor, und Throll schlug mit jedem der Rivertons ein. »Ich bin so froh, euch in weniger schwierigen Zeiten zu sehen. Ich hatte aufrichtig befürchtet, wir würden das vielleicht nicht erleben.«
Während Throll weiter die Anwesenden begrüßte, ging Ryans Vater hinüber zu Silas, dem Clanoberhaupt der Rotbarts. Ryan sah, dass Labri ihn zu sich winkte.
Er nahm neben der Elfenkönigin Platz, und sie beugte sich zu ihm.
»Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, mich bei dir zu bedanken, Ryan – oder dich zu fragen, was eigentlich passiert ist! Was du für Geschichten zu erzählen haben musst, nachdem du die Avud überstanden hast ... und den Kampf gegen Sammael höchstpersönlich! Du musst uns erlauben, dich und Arabelle einzuladen, damit unsere Historiker mit euch sprechen können. Und ich natürlich auch«, fügte sie lächelnd hinzu.
»Ich besuche euch sehr gern, und Arabelle bestimmt auch.«
Plötzlich breitete sich nach und nach Stille im Saal aus. Als Ryan aufschaute, sah er, dass Throll vor den Anwesenden stand und die Hand erhoben hatte, um sich die allgemeine Aufmerksamkeit zu sichern.
»Willkommen auf Burg Thariginian«, begann er. »Ich will mich kurzfassen, da ich weiß, dass wir nach dem Gefecht alle viel zu tun haben – und wir alle haben im Kampf gegen die Dämonenhorde viele verloren, die uns lieb und teuer waren.«
Er sah sich um und begegnete den Blicken der Ratsmitglieder. »Unser Sieg war eine gemeinsame Anstrengung aller Völker des Landes. Aber besonders erwähnen möchte ich die rechtzeitige Ankunft unserer neuen Verbündeten von jenseits der ehemaligen Grenze. Wer noch nicht das Vergnügen hatte, dem möchte ich den Ältesten des Rats der Ta’ah vorstellen, Flint Feuerwirker.«
Er zeigte auf den Mann, der sich sichtlich unwohl dabei fühlte, so im Mittelpunkt zu stehen.
»Die Ta’ah haben Hunderte Kampfzauberer und Heiler für unser Unterfangen bereitgestellt. Als Anerkennung für ihre lebenswichtige Hilfe und als kleine Wiedergutmachung für die Jahre, die sie in Abgeschiedenheit unter der Erde verbringen mussten, habe ich ihnen ein großes Stück fruchtbares Land im Süden geschenkt.«
Flint erhob sich und verbeugte sich förmlich.
Als Nächstes deutete Throll mit dem Kopf auf Ryan. »Ich bin sicher, ihr kennt alle unseren Erzmagier. Obwohl niemand von uns dabei war und seine Handlungen bezeugen konnte, versichere ich euch, dass Ryan Riverton einen furchterregenden Kampf zu bestehen hatte. Er war in den Tiefen der Abgründe der Niederwelt und hat dort gegen ein Übel gekämpft, das sich niemand von uns auch nur ansatzweise vorstellen kann. Ich will nicht predigen, denn das steht mir nicht zu, aber ich weiß, dass ihr alle Seder kennt. Unser Erzmagier hat gegen einen Vertreter des Bösen gekämpft, der das völlige Gegenteil unseres Seders war. Ich werde diese Hallen nicht entweihen, indem ich auch nur den Namen des Dämons ausspreche.«
Throll runzelte die Stirn. »Aber so bedeutsam und groß unser Sieg sein mag, der Kampf gegen das Böse endet nie – und es ist ein Kampf, für den gewöhnliche Sterbliche schlecht gerüstet sind. Deshalb gab es vor langer Zeit tief in den Nebeln unserer Geschichte in Trimoria eine Gesellschaft von Paladinen. Heilige Krieger, wenn man so will. Sie waren damit beauftragt, alles Gute in der Gesellschaft zu bewahren und die Ordnung aufrechtzuerhalten. Diese tapferen Krieger verkörperten einen Fluch für das Böse. In vielerlei Hinsicht waren sie die ursprünglichen Beschützer unserer Gesellschaft.«
Throll deutete in Richtung des Eingangs und winkte den Oger herbei, der dort stand.
»Ich bin stolz, euch den ersten wahren Paladin Seders seit über 500 Jahren vorzustellen. Ohaobbok, Paladin des Hauses Seder.«
Der hünenhafte Oger betrat den Saal in der weiß leuchtenden Rüstung des Hauses Seder. Hinter ihm folgten drei Männer, die einen seiner Größe entsprechenden Stuhl trugen. Sie stellten ihn in dem für den Regierungsrat vorgesehenen Bereich ab. Ohaobbok verneigte sich vor dem König, bevor er Platz nahm.
Throll fuhr fort: »Ich habe in die Satzung des Regierungsrats das Haus Seder als gleichberechtigtes Mitglied hinzugefügt und Ohaobbok als ständigen Vertreter eingetragen.«
Ryan stand auf und klatschte für seinen Freund. Gleich darauf stimmten die anderen Mitglieder des Rats darin ein. Ohaobbok neigte verlegen das Haupt, war die Aufmerksamkeit nicht gewohnt.
Dann hob Throll die Hand, und es kehrte wieder Stille ein.
»Da somit die Vorstellung der neuen Mitglieder abgeschlossen ist, denke ich, wir würden alle gern Berichte über die Aufräumarbeiten der letzten zwei Wochen hören.« Er wandte sich an den Schwertmeister der Elfen. »Castien Galonos, bitte teil uns mit, wie es mit der Suche nach den verbliebenen Dämonen vorangeht.«
Der Schwertmeister stand auf und verneigte sich vor dem Rat. »König Lancaster, wie Ihr wisst, wurden unsere Truppen damit beauftragt, das Land von fliehenden Resten der Dämonenhorde zu befreien. Wie Sonnenlicht ausgesetzte Kakerlaken haben sie in alle Richtungen die Flucht ergriffen. Wir haben mehrere Hundert getötet, überwiegend erbärmliche Kreaturen, die sich ohne Gegenwehr erschlagen ließen. Aber ich glaube, Meister Rotbart hat geringfügig andere Erfahrungen gemacht.«
Silas erhob sich. Nach einem Nicken von Throll ergriff er das Wort. »Meister Galonos hat völlig recht. Diese Biester sind wie Kakerlaken und verbreiten sich schneller als verschüttetes Bier. Vor knapp mehr als einer Woche sind unsere Jungs auf ein fieses Biest gestoßen. Es war so groß wie einer dieser Hauptmänner und hat gerade ein Dorf in Angst und Schrecken versetzt, als wir über den Dämon hergefallen sind wie Stampfgut über eine Maus. Ich denke, wir müssen einfach weitermachen, bis wir keine mehr finden.«
Throll nickte zustimmend, dann wandte er sich an den Ältesten der Ta’ah. »Meister Feuerwirker, was sagst du zu den Dämonen auf der Flucht? Ich weiß, dass dein Volk unter der Erde nachsieht, während die anderen darüber suchen.«
Flint Feuerwirker stand auf und ergriff mit tiefer, rauer Stimme das Wort. »Ja, Hoheit. Mein Volk ist in die Niederwelt zurückgekehrt, wo wir Jahrhunderte gelebt haben. Dort haben wir nach Dämonen gesucht, die sich in die Dunkelheit zurückziehen wollten. Wir haben nur wenige Dutzend ausgerottet, alle sehr klein. Wir glauben, dass es Schlüpflinge waren, die vor der Schlacht übersehen und zurückgelassen wurden. Die meisten Dämonen sind nicht besonders schlau. Ich bezweifle, dass sie allein zurück in die Tunnel gefunden hätten, es sei denn, wie wären von einem der größeren, klügeren Dämonen hingeführt worden.«
Der Älteste der Ta’ah richtete den Blick auf die Elfenkönigin und den Elfenschwertmeister. »Wir haben noch andere Neuigkeiten zu berichten – Neuigkeiten, die für unsere Elfenfreunde von besonderem Interesse sein dürften. Bei der Suche nach Dämonen haben unsere Späher bemerkt, dass die sonst bewachten Tunnel der Avud mittlerweile verlassen sind. Also haben wir auch ihr Gebiet durchsucht. Wir haben dort nicht nur keine Dämonen angetroffen, sondern auch keine Avud. Die gesamte Bevölkerung ist verschwunden, und wir glauben zu wissen, wie. In einer großen Kammer in der Mitte ihres Reichs befindet sich ein verbrauchtes Portal. Es ist riesig. Wir können zwar nicht wissen, wohin es geführt hat, aber wir können sagen, dass es erst kürzlich benutzt wurde.«
Labri flüsterte Castien etwas ins Ohr, dann verneigte sie sich vor dem Vertreter der Ta’ah. »Danke für die Auskunft, Flint. Darüber müssen wir später noch ausführlicher sprechen.«
»Es wird mir ein Vergnügen sein, Labriuteleanan.«
Der Älteste setzte sich, und Throll bedeutete Ohaobbok, als Nächster zu sprechen.
Der Oger stand auf und wandte sich mit tiefer, selbstbewusster Stimme an die Versammelten. »Bestimmt habt ihr alle gehört, dass Oger mit uns gegen die Dämonen gekämpft haben. Es ist wahr, unsere Armee hat es auf dem Schlachtfeld bezeugt. In den letzten zwei Wochen habe ich mit allen Ogern gesprochen, die ich finden konnte, um mir einen Überblick über ihre Pläne zu verschaffen. Die meisten haben entschieden, zu ihren Clans tief in den Bergen zurückzukehren. Aber ich freue mich, mitteilen zu können, dass sich zwei Dutzend verpflichtet haben, in Seders Dienste einzutreten.«
Ohaobbok zeigte auf das Zeichen der gespreizten Hand, das auf seinem Brustpanzer prangte. »Ihr erkennt diese Gefolgsleute des Hauses Seder an den Gewändern, die sie tragen. Sie weisen alle das Zeichen Seders auf. Ich bitte euch alle, unerfreuliche Erfahrungen mit Ogern aus der Vergangenheit zu vergessen, denn ich bin zuversichtlich, dass diese Paladine die ersten einer stolzen neuen Linie sein werden.«
Als Ohaobbok wieder Platz nahm, nickte Throll. »Ich schließe mich Ohaobboks Bitte uneingeschränkt an. Falls jemand Bedenken wegen der Oger hat, möge er sich damit direkt an mich wenden.«
Während sich die Berichte fortsetzten, wechselte Ryan einen Blick mit Ohaobbok, und die beiden lächelten sich gegenseitig an. Sie hatten so viel zusammen durchgemacht, hatten sich dem Bösen gestellt und überlebt. Und nun baute Ohaobbok, der dem Clan seiner Geburt nie willkommen gewesen war, seinen eigenen Clan auf. Eines, auf den er stolz sein könnte.
Das Haus Seders.
Ein passendes Haus für einen Paladin , dachte Ryan.
* * *
Einige Monate später lagen Ryan und Arabelle auf der Zweierliege, die sein Vater gebaut hatte.
»Ist das zu fassen?«, fragte er. »Niemand versucht, uns umzubringen, und es schwebt keine Prophezeiung mit einer gefährlichen Aufgabe bedrohlich über uns. Endlich ist das Abenteuer vorbei.«
Lächelnd zog Arabelle eine Augenbraue hoch. »Sobald man sicher ist, dass alles geregelt ist, geht es schief.«
Ryan stupste sie in die Rippen. »Du meinst, so sicher, wie du dir wegen Nyra warst?«
»Na schön, damit hattest du recht. Trotzdem war es ein Glück, dass ich ihr gegenüber so misstrauisch war. Wäre ich ihr nicht gefolgt, hätte ich sie nicht zurückreißen können, bevor sie in einen Tümpel aus geschmolzenem Gestein gestürzt wäre.«
»Ich weiß, ich weiß, das hab ich schon tausendmal gehört. Wie du Nyra gerettet und Ohaobbok von der Schwelle des Tods zurückgeholt hast. Du warst damals wahrhaftig die Retterin der Lage.«
Arabelle stupste ihn mit dem Ellbogen an und lachte. »Hör auf.«
Sloane rieb sich den prallen Bauch, während sie sich auf ihrem eigenen Liegesessel entspannte. Aaron hatte den Kopf an ihrem Bauch, aber plötzlich sprang er auf. »Es hat mich getreten!«
»Willkommen in meiner Welt«, sagte Sloane. »Mich tritt er Tag und Nacht.«
Aaron sah Ryan an. »Für dich sind die Abenteuer vielleicht vorbei«, meinte er und rieb liebevoll den Bauch seiner Frau. »Aber ich habe so das Gefühl, mein Abenteuer fängt gerade erst an.«