Willow
Ein Ast streifte meinen Arm, als ich lief, und die sanfte Berührung der Blätter ließ mich einen Moment innehalten, als ich zum Haus zurückblickte. Ich war so weit weg, dass ich es nicht mehr sehen konnte, aber ich spürte, was die Bäume mir sagen wollten.
Er war auf dem Weg.
Ich schaute nach rechts und wusste, dass ich für Ash mehr Zeit herausschinden musste. Seine kleinen Beine waren nicht in der Lage, die Entfernung so schnell zu überwinden wie ich, und er konnte dem Wald nicht befehlen, sich wegzubiegen oder zur Seite zu rücken, um ihm den Weg leichter zu machen.
Zehn Minuten . Wenn ich ihm die gegen eine Hülle verschaffen könnte, wäre das ein Wunder.
Ich packte die dickste Stelle des Astes, mit dem der Baum mich berührt hatte.
»Me paenitet« , murmelte ich und entschuldigte mich für den Schmerz, den der Baum empfinden würde – für das, was ich nehmen musste. Ich zog mein Messer aus dem Holster an meinem Oberschenkel und sägte damit den Ast durch. Der Baum zitterte nicht, zeigte kein Anzeichen des Schmerzes, auch wenn ich wusste, dass er ihn empfand.
Jener Schmerz, der mich mit jedem Schnitt in der Brust traf.
Der Baum schien mich in eine Umarmung zu ziehen, mich zu trösten, obwohl ich es war, die ihn verletzte. Er konnte nicht reden, konnte mir nicht, wie einst meine Mutter, den sanften Trost zusprechen, als ich jetzt tat, was ich tun musste, um Ash zu schützen.
Aber er konnte mich umfangen und seine Zweige um meinen Körper legen.
Ich widerstand dem Drang zu weinen, als ich es endlich schaffte, den Ast durchzuhacken. Ich klemmte das eine Ende zwischen meine Oberschenkel und schnitzte das andere Ende zu einer Spitze, die kleineren Äste an den Seiten brach ich ab, damit ich den Stock umgreifen konnte. Ich hatte nicht viel Zeit. Die Erde sandte eine kleine Welle zu mir aus, als er mir zu nahe kam.
Jeder Schritt von ihm schickte eine Vibration durch den Wald, die Gegenwehr, die der Wald ihm bot, war minimal, um ihn auf meiner Spur zu halten. Ich konnte nicht riskieren, dass er sich entschied, stattdessen Ash zu jagen.
Mein Bruder wäre viel zu leichte Beute.
Ich schob das Messer wieder in die Scheide, wog den selbst geschnitzten Pflock aus Weißdorn in der Hand.
Er trat auf die Lichtung, sein Körper bewegte sich mit einer Geschwindigkeit, die ich nicht wirklich erfassen konnte. Er tauchte in einer wogenden schwarzen Masse auf, die sich deutlich von der untergehenden Sonne abhob. Fledermäuse flatterten davon, flogen in einem Wirbel um seinen Körper, der ihn wohl vor dem schlimmsten Schaden, den der Wald anrichten konnte, bewahrt hatte.
Eine einzelne Wunde klaffte quer über seinem Wangenknochen und durchschnitt seine ätherische Schönheit. Er fletschte die Zähne und ein Rinnsal aus Blut befleckte seine Wange. Er bemerkte den Pflock, den ich umklammert hielt, und der animalische Ausdruck in seinen Augen ließ sie noch dunkler erscheinen, als er den Blick schließlich hob und mich ansah.
»Vorsichtig, kleine Hexe. Irgendwann wird das alles nicht mehr unterhaltsam sein«, sagte er und machte einen Schritt auf mich zu.
Die Bäume reagierten, ehe ich es konnte, und eine Wurzel schnappte nach seinen Füßen. Er sprang darüber, ohne den Blick von mir zu nehmen, und schritt weiter, während die Fledermäuse schützend um ihn herumflatterten.
Ein Ast schlug aus, zielte auf seine Kehle, doch eines dieser winzigen Wesen fing den Schlag, der für ihn bestimmt war, unter einem Kreischen ab.
Ich streckte die freie Hand aus, um den Bäumen zu signalisieren, in ihrem Angriff innezuhalten. Die Hülle war vielleicht bereit, sie dem Kampf zu opfern, aber das konnte ich nicht zulassen.
Die Hülle drehte den Kopf zu der Stelle, an der sich die Äste zurückzogen, und musterte mich neugierig. »Du willst also nur meinesgleichen töten?«, fragte er und lachte, als ob der Gedanke albern wäre.
Ich wollte ihm beweisen, dass ich dazu in der Lage war, aber wenn es nicht der perfekte Schuss wäre, war es nahezu unmöglich. Eine Hülle konnte nur von einer Totenbeschwörerin vernichtet werden, deren Magie das Ding in seinem Inneren zurück in die Tiefen der Hölle schickte. Technisch gesehen könnte ein Pflock diese Aufgabe erfüllen, wenn es einer Hexe gelänge, ihre Magie in den Hohlraum zu schleusen, in dem sich das Herz eigentlich befinden sollte.
Ich nutzte einen aus Holz geschnitzten Pflock. Ein Blauer musste einen Weg finden, Wasser in den Hohlraum zu bringen, ein Gelber das Feuer.
Aber es war nicht nur das Element selbst, das die Leerstelle in der Existenz der Hülle füllen musste, es brauchte auch die Essenz der Magie, um die Hülle unschädlich zu machen. Nur jemand Schwarzes konnte dies ohne große persönliche Opfer tun. Viele Hexen waren jedoch nicht bereit, diesen Einsatz zu bringen.
Nicht, wenn es ihnen alles nahm und sie machtlos zurückließ. Ein Schicksal schlimmer als der Tod für eine Hexe des Coven.
Menschlich zu sein .
»Ich bin nicht so dumm zu glauben, dass ich Sie töten kann«, antwortete ich und wirbelte den Pflock dramatisch herum, um ihn abzulenken und Zeit zu gewinnen. »Aber das heißt nicht, dass ich Sie nicht verstümmeln kann.«
Er bewegte sich langsam, tat so, als ob er sich an mich heranschleichen könnte, bevor ich merkte, was er da tat. Ich wartete, bis er sich in meiner Reichweite befand, ließ ihn viel zu nah an mich herankommen, als dass es mir angenehm gewesen wäre. Sein Geruch überflutete mich und erfüllte den Wald. Es war das Aroma von feuchter Erde nach einem leichten Sommerregen, holzig und frisch zugleich.
Als sein Fuß gegen die Blätter stieß, die die Bäume um mich herum gesammelt hatten, sprang ich vorwärts. Eine Baumwurzel hob sich unter mir, drückte mich nach vorn und gab mir Schwung, als ich mich auf ihn stürzte. Ich rammte den Pflock in seine herzlose Brust und schrie auf, als ich meine Magie in das Holz in meiner Hand lenkte.
Der Wald um uns herum verstummte, meine Magie verließ ihn, um sich auf den Pflock zu konzentrieren. Direktor Thorne fing mein Handgelenk ab, gerade als die Spitze den Stoff seines Anzugs berührte. Er fiel rückwärts, während der Rest meines Körpers ihm folgte und so hart gegen ihn krachte, dass er auf dem Waldboden landete.
Ich lag auf ihm und versuchte strampelnd, meine Beine um seine Hüften zu schlingen, während sich sein Griff um mein Handgelenk verstärkte. Er hielt mich mit Leichtigkeit fest, umschloss das Gelenk so kräftig, bis ich spürte, wie meine Knochen gegeneinander knirschten.
»Lass ihn los«, befahl er. Ich presste meine andere Hand auf seine Brust und richtete mich auf, sodass ich rittlings auf seinen Hüften saß und mein ganzes Gewicht auf die Hand verlagerte, die er anscheinend unbedingt zerbrechen wollte.
»Leck mich«, knurrte ich und übte noch mehr Druck aus. Seine Augen weiteten sich, als ich den Stoff eindrückte und der Pflock ein wenig dichter an seine Brust rutschte.
Ein grausames Lachen glitt über meine Haut, als er seine freie Hand um meine Kehle legte. Er drückte zu und schnitt mir den Atem ab, als das Gewebe zwischen seinem Daumen und Zeigefinger gegen meine Luftröhre drängte.
»Gerne, kleine Hexe. Obwohl ich zugegebenermaßen dachte, ich müsste dich erst zum Essen einladen.«
Damit drehte er mich plötzlich auf den Rücken und mir wäre beinahe die Luft weggeblieben, hätte er sie mir nicht schon längst gestohlen. Sein Körper bedeckte meinen, er glitt zwischen meine Schenkel und hielt mich fest. Mit seinem Körper pinnte er meine Hüften nieder, seine Hand lag an meiner Kehle und mit der anderen umfing er mein Handgelenk, und ich tat das Einzige, was mir möglich war.
Mit der freien Hand packte ich ihn an den Haaren und riss seinen Kopf zur Seite, während er mich anfunkelte. Seine Fangzähne schimmerten in der Dunkelheit. Er schloss die Augen, als ich an ihm zerrte und versuchte, ihn zurückzureißen, damit er meine Kehle losließ. Stattdessen lachte er nur wieder und fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, bevor sein eindringlicher blauer Blick auf meinen traf.
»Du bist wirklich eine kleine Dämonin.«
»Beleidigen Sie mich nicht, indem Sie mich mit Ihrer Art vergleichen, Blutsauger«, fauchte ich.
»Ich würde es nicht wagen, dich zu beleidigen, Liebes. Es ist ein Kompliment«, sagte er und drückte seinen Daumen fester in die Seite meines Halses. Er kippte meinen Kopf zur Seite und entblößte meinen Hals unter seinem Blick und meine Augen wurden groß, als ich begriff.
Ich ließ den Pflock los und versuchte, meine Hand in die Erde unter meinem Körper zu drücken, um mich wieder mit dem Wald zu verbinden. Er senkte seinen Kopf zu schnell zu mir, sein Mund näherte sich meinem nackten Hals.
»Nein!«, schrie ich und strampelte mit den Beinen, während ich dagegen ankämpfte, dass er mich festhielt.
Seine Lippen streiften meine Haut und eine absurde Art von
Lust erblühte in mir, die mich mit einer Gänsehaut überzog. Er lächelte mich an und ignorierte meinen Widerstand, als die Spitzen seiner Fangzähne mich berührten.
Sie durchbrachen brutal die Haut, ein leises Knacken ertönte in mir. Ich spürte, wie sie sich durch mein Fleisch gruben, wie sie sich so tief wie möglich in mich bohrten, während mir ein ersticktes Wimmern entfloh.
Dann kam der Schmerz, das intensive Brennen, das von meiner Kehle ausging, als er mein Blut in seinen Mund saugte. Er stöhnte in mich hinein, das Geräusch ließ meinen Magen zusammenziehen, selbst als sich das Brennen in meinen Adern ausbreitete. Sein Gift bahnte sich den Weg durch mich hindurch, und der Mistkerl tat nichts , um den Schmerz zu lindern, obwohl er es hätte tun können.
Er hätte den Schmerz in Vergnügen verwandeln können, stattdessen ließ er mich verbrennen .
»Runter. Von. Mir«, blaffte ich, löste meinen Griff aus seinem Haar und stieß meine Hand in den Dreck. Er riss den Kopf von meiner Kehle hoch, seine Zähne glitten aus den punktförmigen Wunden, die sie verursacht hatten.
»Scheiße«, stöhnte er, als sich ein Ast zwischen uns schob und ihn zurückschleuderte.
Sein Gewicht wurde von meinem Körper gewuchtet. Eine der Baumwurzeln glitt unter mir entlang und über meine Wirbelsäule, hob mich an und half mir auf die Füße. Ich berührte mit einer Hand meinen Hals und betrachtete meine blutverschmierten Finger, nachdem ich sie zurückgezogen hatte.
»Das war unhöflich«, sagte ich, bückte mich und sammelte Erde vom Waldboden auf. Ich rieb sie in die Wunden und meine Haut wurde warm, als meine Magie sie langsam heilte.
Thorne erhob sich, rückte seinen Anzug zurecht und leckte über das Blut in seinem Mundwinkel. »Das war es wert«, sagte er und betrachtete die Bäume um ihn herum, während ich überlegte, wie ich weiter vorgehen sollte. Offenbar befanden wir uns in einer Pattsituation. Wir wussten beide, was der andere wollte, aber es zu bekommen , schien eine völlig neue Herausforderung zu sein.
Der Schrei, der durch die Nacht hallte, riss mich aus sämtlichen Grübeleien und ließ meinen Kopf in Richtung Bushaltestelle herumwirbeln.
Nein .
Ich rannte los, preschte durch das Unterholz. Der Wald ebnete mir den Weg, trug meine Füße voran und verlieh mir mehr Geschwindigkeit. Eine Vertiefung im Boden hätte mich gebremst, wenn sich nicht eine Baumwurzel erhoben hätte, sodass ich mit Leichtigkeit über sie hinwegrutschen konnte.
Nein. Nein. Nein.
»Du bist nicht schnell genug, kleine Hexe!«, rief Thorne und seine Stimme schien von überall um mich her zu kommen. Ich konnte ihn nicht sehen, da er mit der Dunkelheit verschmolz, die den Wald während unseres Kampfes umhüllt hatte, und konzentrierte meine ganze Kraft darauf, zu meinem Ziel zu gelangen.
Ash schrie wieder und das Lachen eines Mannes folgte, als ich aus dem Wald stürzte und über den Bürgersteig an der Bushaltestelle sprintete. Mit jedem Schritt entfernte ich mich von dem Ort, der mir Halt gab, der mir meine einzige Chance zum Kämpfen bot.
Drei Gestalten umringten meinen kleinen Bruder, der in der Mitte des Parkplatzes stand, perfekt positioniert, um meine Schwäche offenzulegen.
Thorne legte eine Hand auf die Schulter meines Bruders, seine übernatürliche Geschwindigkeit hatte es ihm ermöglicht, Ash und die anderen schneller zu erreichen, als ich es konnte. Er sah auf den Jungen hinunter, als ich schlitternd vor ihnen zum Stehen kam, und mein Blick huschte zu Ash, um sicherzugehen, dass er nicht verletzt war.
Thornes Stimme lenkte meine Aufmerksamkeit auf ihn, mit der freien Hand berührte er seinen blutverschmierten Mund als wortlose Drohung.
»Noch mal hallo, kleine Hexe.«