Agentur Knurrhahn

»Agentur Knurrhahn«.

So stand es in schnörkeliger Serifenschrift auf dem Messingschild neben dem Klingelknopf.

Sie meinten es wirklich ernst. Birger musste lächeln. Und sie kleckerten nicht, sondern klotzten. Denn das Büro, das sie in der Königstraße kurz vor dem Koberg angemietet hatten, befand sich in einem beeindruckenden lübschen Bürgerhaus, in guter Gesellschaft zu einer Anwalts- und Notarkanzlei.

Knurrhahn. Der Name war Kalles Idee gewesen. Er war der Meinung, er passe perfekt zu ihnen. Ein Fisch, der über den Grund des Meeres huschte und in der Lage war, knurrende Geräusche von sich zu geben. Und genau wie sie vor allem in den Abendstunden aktiv wurde. Birger hatte nicht widersprochen. Vielleicht waren sie tatsächlich drei erfahrene Knurrhähne.

Er musste klingeln, weil er noch keinen Schlüssel für die Räumlichkeiten besaß. Nach nur wenigen Sekunden öffnete Kalle Hansen die Tür und machte eine einladende Geste.

Ihr Büro befand sich in der ersten Etage. Kalle ging wortlos die Treppe hinauf und führte ihn in den kleinen Flur, von dem drei einzelne Zimmer, ein Besprechungsraum, eine Küche und ein WC abzweigten. Einhundertfünf Quadratmeter.

Der Dielenboden sah frisch geschliffen aus. Die hohen Decken mit den Stuckbordüren ließen die Räume fast herrschaftlich wirken. Auch bei den Möbeln hatten Simon und Kalle offenbar nicht gespart. Schicke Glastische, Designersideboards und teure Computer und Monitore mit einem angebissenen Apfel im Logo.

Sie betraten den großen Raum mit dem lang gezogenen Tisch, an dem mindestens zehn Personen Platz finden konnten.

»Das Geld für die Story in der ›New York Times‹ haben wir hier investiert«, sagte Simon, der an ein Fensterbrett an einem der großen Fenster zur Straße gelehnt dastand und Birger erwartungsvoll ansah. »Keine halben Sachen mehr. Von hier aus machen wir die Agentur Knurrhahn weltweit bekannt.«

Eine Nummer kleiner hatte Simon noch nie gestanden, ging es Birger durch den Kopf. Er dachte immer groß und hatte das in der Vergangenheit immer nur auf sich selbst bezogen, aber jetzt mussten sie als Team funktionieren, um zu erreichen, was er und Kalle sich vorgenommen hatten.

»Du kannst dir deinen Platz noch aussuchen«, sagte Kalle. »Wir richten uns ganz nach dir. An zwei Tagen in der Woche darfst du sogar Homeoffice machen.« Er trat an den Tisch und nahm einige Zettel in die Hand, die am Kopfende gelegen hatten. »Das ist der Gesellschaftsvertrag«, sagte er nüchtern.

Birger wurde das Gefühl nicht los, dass Kalle die Agentur lieber ohne ihn geführt hätte. Er hatte keinen Zweifel daran, dass es vor allem Simon war, der ihn dabeihaben wollte. Wenn er daran zurückdachte, wie spinnefeind sie sich vor einigen Jahren noch gewesen waren und dass sie diese Realität auch niemals ganz aus dem Weg geräumt hatten, erschien es ihm noch immer absurd, mit ihm eine gemeinsame Gesellschaft zu gründen.

»Es fehlt nur noch deine Unterschrift«, sagt Kalle. »Der Sekt liegt kalt, für mich natürlich nur ein besonders gutes Wasser. Aber wir haben eine noch viel bessere Überraschung für dich.«

»Die ihr mir, so wie ich euch kenne, natürlich erst mitteilt, nachdem ich unterschrieben habe.«

»Selbstverständlich.«

»Ich will echt nicht zu viel verraten«, sagte nun Simon. »Wenn an der Sache wirklich etwas dran ist, so wie unser Informant vermutet, dann wird das eine Story, mit der wir Regierungen ins Wanken bringen.« Er kam zu ihnen an den Tisch.

»Im Vertrag ist alles so geregelt, wie wir besprochen haben«, fuhr er fort. »Alles, was an Geld reinkommt, wird gedrittelt. Ausgaben werden ebenfalls auf alle gleichermaßen umgelegt. Vor jedem Projekt wird festgelegt, wer welche Aufgaben übernimmt. Falls es während der Ermittlungen zu Abweichungen oder Problemen kommt, wird das sofort angezeigt, dann sprechen wir über eine Lösung.«

»Hast du dir eigentlich so ein Manager-Handbuch besorgt und es auswendig gelernt?«, frotzelte Birger. Er kannte Simon Winter gut genug. Wenn der etwas tat, dann zu einhundert Prozent, in Perfektion. Dazu kamen seine fast autistischen Züge, die ihn bisweilen wie eine Maschine wirken ließen.

»Wir brauchen klare Regeln, sonst wird das nicht funktionieren«, antwortete Simon. »Wir drei sind uns bewusst, dass wir nicht gerade die einfachsten Menschen sind, und schon gar nicht im Umgang untereinander. Aber wenn wir unsere Stärken zusammenlegen, wird uns niemand aufhalten.«

Birger lächelte innerlich. Simon war wirklich überzeugt von dem, was er sagte. Er hatte schon immer das Maximale erreichen wollen. Er bezeichnete sich als besten Ermittler zwischen Nord- und Ostsee, und Birger war sich sicher, dass er das als große Untertreibung empfand. Aber allein hatte es für ihn nicht funktioniert. Seine Art und das persönliche Schicksal, dass er ohne Eltern aufgewachsen war, hatten vieles verhindert. Nun, in dieser Konstellation gemeinsam mit Kalle Hansen und ihm, schien Simon überhaupt keinen Zweifel daran zu haben, dass sie einfach jedes Verbrechen auf der Welt aufdecken konnten.

»Ich muss nicht mehr überredet werden«, sagte Birger. »Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen. Es ist mir nicht leichtgefallen, weil ich weiß, was das Ganze nach sich ziehen wird. Und auch ihr solltet euch darüber bewusst sein, welches Risiko ihr eingeht. Ich denke zum Beispiel an deine Krankheit, Kalle, da musst du aufpassen, dass du dich nicht übernimmst. Und Simon, du hast eine Frau und ein Kind, vergiss das nicht und kümmere dich um die beiden. Ich werde mir jedenfalls immer das Recht herausnehmen, uns alle darauf hinzuweisen, wenn etwas aus dem Ruder läuft. Und wenn die Konsequenz wäre, dass wir ein Projekt nicht weiterverfolgen, dann ist das eben so. Es gibt wichtigere Dinge im Leben.«

»Willst du, dass wir das noch mit in den Vertrag aufnehmen?«, fragte Kalle leicht genervt.

»Nein, ihr werdet schon merken, wenn mir etwas gegen den Strich geht. Ich habe keine Lust, mir den gesamten Vertrag durchzulesen, bevor ich unterschreibe. Habt ihr reingeschrieben, dass wir nichts machen, was mit Mord und gewöhnlichen Gewaltverbrechen zu tun hat?«

»In Artikel 2, Paragrafen 1 bis 5 wird alles ausgeschlossen, was wir letzte Woche gemeinsam festgelegt haben«, erklärte Simon mit stoischer Ruhe. »Mit der einzigen Ausnahme …« Er zögerte.

Birger schwante plötzlich Böses. Als hätte er geahnt, dass es doch noch einen Haken gab. Mit Sicherheit hatte Simon etwas in den Vertrag geschrieben, das ihm Bauchschmerzen bereiten würde.

»Kalle möchte das Geschäftsfeld ›Seitensprung‹ nicht aufgeben und sich auch in Zukunft noch auf die Lauer legen, um jemanden auf frischer Tat dabei zu ertappen, wie er seinen Ehepartner betrügt.«

»Aber nur, wenn es sich um eine Affäre internationalen Ausmaßes handelt«, ergänzte Kalle und grinste jetzt. Zum ersten Mal, seit Birger das Büro betreten hatte, hellte sich das Gesicht des Mannes auf, der vor seiner Krebserkrankung nicht nur optisch ein anderer Mensch gewesen war. Von dem lauten und bisweilen etwas exzentrischen Privatdetektiv war nichts mehr übrig. Manchmal vermisste Birger diesen Kalle Hansen allerdings.

»Hier.« Kalle hatte in die Innentasche seines braunen Cordsakkos gegriffen, das er zur Feier des Tages aus dem Schrank geholt hatte, und einen Füllfederhalter hervorgezogen. »Unterschreib jetzt endlich. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Unsere erste Aufgabe wartet auf uns.«

»Fangen wir heute noch an?«

»Im Prinzip stecken wir schon mittendrin.«

Birger setzte an und unterschrieb dort, wo sein Name gedruckt war. Direkt neben den beiden anderen. Ab jetzt gehörte ihm also ein Drittel der Agentur Knurrhahn. Es fühlte sich surreal an, aber das Adrenalin, das im nächsten Augenblick durch seinen Körper strömte, machte ihm bewusst, was er getan hatte.

»Darum geht’s.« Kalle unterbrach seine Gedanken und reichte ihm einen Zettel, auf dem handschriftlich einige Notizen vermerkt waren. Birgers Augen flogen über die Worte, während sich seine Stirn von Sekunde zu Sekunde mehr in Falten legte. Als er fertig war, verharrte er für einen Moment. Dann blickte er hoch und sah in zwei gespannte Gesichter. Er musste lauthals lachen und schüttelte ungläubig den Kopf.

Mehr denn je hatte Birger das Gefühl, dass die beiden verrückt waren, wenn sie das allen Ernstes vorhatten.