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I
hr Style hatte ihm von der ersten Sekunde an gefallen.
Die Wildlederjacke, die sie ständig trug, nahm im Licht die Farbe eines Eichhörnchens an, im Schatten war sie maulwurfsgrau. Ihre Jeans waren abgetragen, ihre Stiefel zerschlissen und ihre Haare rot. Irgendwie passte alles zusammen. Es verströmte Wärme, eine Wärme, die sowohl an die Melancholie welker Blätter als auch an die Vitalität pulsierender Adern erinnerte.
Sie war nicht sehr groß, aber extrem schlank. Man hätte sie auch als schmächtig bezeichnen können, doch dieser Begriff stand eher für Schwäche, und dem standen ihr Knochenbau und vor allem die ausgeprägten Muskeln direkt unter der Haut entgegen. Ihr Erscheinungsbild einer gehäuteten Katze sprach eher für einen unbändigen Überlebenswillen. Es hatte eine Katastrophe gegeben, ja, aber das, was im Anschluss übrig geblieben war, zeugte von einer ungeheuren Intensität.
Knochen, Muskeln, Wut.
Ihre sehr helle Haut einer Rothaarigen ließ ihn an die Messer der Inuit denken, die aus einem einzigen Stück Elfenbein geschnitzt werden, dessen eines Ende geschärft ist, während das andere perfekt in der Hand liegt. Niémans wusste nicht, wie Ivana sich in die Arme ihrer Liebhaber einschmiegte, aber er war sicher, dass sie nachts so heißblütig und scharf sein konnte, wie sie tagsüber hart und kalt erschien.
Ivana hatte seine Vorlesungen an der Polizeiakademie in Cannes-Écluse besucht. Als er sie das erste Mal aufrief, sprach er ihren Namen falsch aus.
Sie korrigierte ihn, fügte jedoch sofort hinzu: »Aber Sie können mich nennen, wie Sie wollen.«
Der Satz klang keineswegs unterwürfig, sondern im Gegenteil äußerst stolz. Die junge Frau fühlte sich über derartige Kleinigkeiten
erhaben und stand über ihnen.
Im Laufe der Monate konnte er ihre herbe Schönheit immer deutlicher entdecken, darunter ihre hohen Wangenknochen, ihre wie mit dem Tuschpinsel gezeichneten Augenbrauen. Und dieses rote Haar, das ihn faszinierte und ihn aus irgendeinem unerfindlichen Grund an Abenddämmerungen auf Ibiza, Hippiepartys und LSD-selige Meditationen erinnerte. Allesamt Dinge, die er im Allgemeinen ablehnte, die ihn im Zusammenhang mit Ivana aber plötzlich ansprachen.
In Wirklichkeit aber war dieser ganze Prozess des Entdeckens großer Quatsch, Niémans hatte damit nur versucht, sich etwas vorzumachen, und nur so getan, als wäre er erstaunt. In Wirklichkeit aber kannte er Ivana schon sehr lange und wusste, wozu sie fähig war. Beide wollten ihr erstes Zusammentreffen vor vielen Jahren vergessen und bei null anfangen.
»Wo ist mein Kaffee?«, fragte er und drehte den Zündschlüssel.
Sie zeigte auf einen Becher im Getränkehalter.
»Kaffee ist nicht gut für die Gesundheit. Ich habe Ihnen einen Tee besorgt.«
Murrend fuhr Niémans los. Ivana machte es sich auf ihrem Sitz gemütlich und stocherte mit einer Plastikgabel in ihrem Quinoa-Salat herum. Als sie die Absätze gegen das Armaturenbrett aus Nussbaumwurzel stemmte, hätte der Polizist beinahe aufgeschrien, nahm sich aber zusammen.
Eine derartige Schmähung seines Volvo Kombi hätte er bei niemand anderem toleriert, bei Ivana allerdings … Er setzte sich in seinem Sitz zurecht, umfasste das Lenkrad und gab Vollgas. Doch, er fühlte sich wohl. Glücklich und leicht mit diesem Kind neben sich, das mit zweiunddreißig noch an den Nägeln kaute. Er genoss Ivanas Anwesenheit und ihren Duft nach Puffreis, der eher dem Geruch einer Kindercreme ähnelte als dem einer Femme fatale.
Niemand hatte verstanden, dass er Ivana Bogdanović als Assistentin auswählte. Die junge Frau verfügte als Lieutenant zwar über alle erforderlichen Qualifikationen, aber … sie war eine Frau. Unter den Kollegen hielt sich das Gerücht, dass Niémans ein alter Macho war, ziemlich frauenfeindlich und auf jeden Fall ein Phallokrat. In seinen Augen hatte ein Polizist ein Mann zu sein, so
einfach war das.
Niémans selbst amüsierte sich über diesen Ruf, der ganz und gar nicht der Wahrheit entsprach, denn zu Frauen hatte er eine viel komplexere Beziehung. Er hatte nie geheiratet, aber nicht aus Verachtung oder Gleichgültigkeit, es war eher ein mit Furcht gemischter Respekt.
Was jedoch Ivana betraf, brauchte er nicht lange nachzudenken. Ihre Fähigkeiten im Bereich Polizeiarbeit waren die besten, die er je erlebt hatte. Ihre Examensnoten in Cannes-Écluse sprachen für sich, und ihre Leistungsbilanz in den darauffolgenden Jahren bedurfte keiner weiteren Erklärung. Alles passte perfekt, denn er hätte sich ohnehin niemanden anderen ausgesucht.
»Hier raus?«, fragte Niémans, als die Ausfahrt Freiburg-Mitte angezeigt wurde.
»Genau.« Ivana nickte und pickte in ihrem Schälchen herum wie ein hungriger Vogel.
Niémans beschleunigte.
»Okay, und was ist jetzt mit dem Briefing?«