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I
ch lehne entschieden ab, mich auf die Suche nach einer Hexe zu machen«, warnte Kleinert.
»Nicht nötig. Wir müssen nur ihre Aussage verifizieren.«
Niémans fuhr ruhig, der physische Kontakt mit seinem Volvo schien ihn zu beruhigen. Kleinert war offensichtlich am Ende seiner Kräfte. Auch Ivana, die hinten saß, stand noch unter dem Schock des Anblicks von Maries Gesicht. Wenn sie versuchte, das Bild zu vertreiben, sah sie ihre eigene Hand unter der Motorradkette stecken, ihre Finger kurz davor, durch den Kickhebel abgetrennt zu werden. Auch wenn es nicht so weit gekommen war, quälte dieses Nichtgeschehen sie wie der Phantomschmerz einen Amputierten.
»Wie können Sie nur an solche Geschichten glauben?«, fuhr der Deutsche fort.
»Vielleicht stecken Fakten hinter diesem Gerücht.«
Ivana wusste nicht, was sie davon halten sollte. Instinktiv vertraute sie Niémans, aber die Aussage einer Hexe? Also wirklich.
»Diese Ermittlung nimmt einen völlig verrückten Verlauf«, knurrte Kleinert. »Opfer, die wie Tiere verstümmelt werden, einer der Verdächtigen ist ein Hund, und jetzt haben wir auch noch eine Hexe als Zeugin.«
»Wir müssen umdenken, Kleinert. Außerdem ist das alles, was wir haben.«
Ivana öffnete ihr Fenster, atmete die harzige Luft tief ein und beschloss, den anderen eine Theorie darzulegen, die ihr schon seit einer Weile im Kopf herumspukte: »An dieser Geschichte stimmt eine Sache nicht.«
»Nur eine? Bist du sicher?« Niémans grinste.
»Sie gehen davon aus, dass VG eine Brigade nach dem Vorbild des Sonderkommandos gegründet hat.«
»Richtig.«
»Aber wozu?«
»Keine Ahnung. Muskelprotze beschäftigen.«
»Mal angenommen, diese Miliz arbeitet für die Familie von Geyersberg – warum sollte sie dann die Unternehmenserben töten?«
»Genau das müssen wir herausfinden. Ich schließe auch nicht aus, dass sie jeweils einen Auftrag ausführen.«
»Aber von wem?«, wollte Kleinert wissen.
»Vom alten Franz.«
»Der sitzt im Rollstuhl!«
»Na und?«
Seinen Worten folgte Schweigen. Mit dieser Theorie konnten die beiden anderen sich nicht anfreunden.
»Es ist auch durchaus möglich«, fuhr Niémans fort, »dass die Mörder von Jürgen und Max gar nicht zu den Schwarzen Jägern gehören.«
»Ach nee«, knurrte Kleinert, dessen Toleranzgrenze offenbar überschritten war. »Warum jagen wir sie dann?«
»Es gibt eine Verbindung, da bin ich mir sicher.«
Ivana, die sich nach den tiefen Atemzügen der sonnigen Luft etwas besser fühlte, fragte:
»Wie weit sind wir in Bezug auf Wilderer, Exhäftlinge und so weiter?«
»Meine Männer arbeiten daran.«
»Und die Vereine von Franz?«
»Ebenfalls.«
»Wir müssen die Geschichte des Unternehmens überprüfen. Vielleicht gibt es ja noch mehr Vorfälle wie mit den Wadoches.«
»Wenn, dann hätten wir das längst gefunden.«
»Oder auch nicht. Das Unternehmen könnte dafür gesorgt haben, dass belastende Fakten verschwinden.«
Ivana antwortete nicht: So war natürlich alles möglich. Kleinerts Gesichtsausdruck sprach Bände. Er glaubte nicht daran, dass in seiner Region alte Nazis wiederauferstanden, ihren Hunden Kinder zum Fraß vorwarfen und Erben mitten im Wald enthaupteten.
Als sie Freiburg erreichten, empfand Ivana ein Gefühl von Wärme. Sie fing an, die Stadt zu mögen. Neben den vielen Bäumen, den bewaldeten Hügeln und den schönen alten Häusern war es vor
allem die ökologische Atmosphäre, die sie begeisterte. Eines Tages würden Autos Vergangenheit, Energie erneuerbar, die Welt regeneriert sein, und man würde überall so leben wie in Freiburg im Breisgau …
»Wie sieht es in Sachen Max aus?«, fragte Niémans.
»Er wird gerade obduziert. Am Tatort haben wir nichts gefunden.«
Das Polizeipräsidium war ein hellbraunes Gebäude, das mit seinen wie mit Litze umrandeten Fenstern, der Dachterrasse und den abgerundeten Ecken eher aussah wie eine Fabrik aus den 1930er-Jahren. Doch das Gebäude wirkte vertrauenerweckend, es war eine im Namen von Recht und Ordnung errichtete Bastion.
Im Gegensatz zu vielen Polizisten im Außendienst freute Ivana sich auf den Moment, ab dem die Ermittlungen in einem anonymen Büro vom Computer aus geführt wurden.
Niémans stellte den Motor ab und sagte zu Kleinert: »Es ist fast Mittag. Uns bleiben nur noch ein paar Stunden, um etwas zu finden.«
»Meine Männer haben diese Nacht kein Auge zugetan.«
»Sie können schlafen gehen, wenn die Leute vom Morddezernat hier sind. Gibt es irgendwas über die Nortons?«
»Darum kümmere ich mich gleich.«
»Na großartig«, sagte Niémans in einem Ton, der das Gegenteil beinhaltete.
Er wandte sich an Ivana.
»Du suchst nach diesen verdammten Hunden. Wenn es eine Zucht gibt, ist es unmöglich, dass noch nie jemand davon gehört hat. Und wenn es nur ein Tierarzt ist.«
Es war nicht ihre Lieblingsaufgabe, aber diese Hunde waren immerhin eine echte Spur, heiß, lebendig und mit frischer Duftmarke. Trotz des heftigen Gegenwindes müsste es ihr doch möglich sein, Spuren einer solchen Existenz zu finden.
»Und was machen Sie?«, fragte sie, wie sie es jedes Mal tat, wenn sie sich auf eine Aufgabe beschränkt fühlte.
»Ich? Ich werde ein wenig Ahnenforschung betreiben.«
Er ließ Kleinert und Ivana aus dem Volvo aussteigen und fuhr langsam wieder an, wie eine Idee, die sich im Gehirn gemächlich ihren Weg bahnt.