(Josh)
Eine unangenehme Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus, als ich mich dem Red Moon nähere. Vielleicht ist es das Wissen, was dort drin alles passiert, vielleicht auch eine ungute Vorahnung, dass mir an diesem Ort niemand freundlich gesonnen sein wird. Mein eMotorbike habe ich ein paar Straßen entfernt abgestellt und lege den Rest der Strecke zu Fuß zurück. Das Smartphone ist ausgeschaltet und auch sonst habe ich Vorkehrungen getroffen, um so wenige Spuren wie möglich zu hinterlassen. Es wäre äußerst ungünstig, wenn jemand wüsste, dass ich das Red Moon aufsuche.
Dieser Club ist Xeno-Gebiet. Menschen trauen sich nur selten her, Cops gar nicht, wenn sie den nächsten Tag erleben wollen. Das Red Moon gehört Alec Black. Hier ist er das Gesetz und wacht über sämtliche Aktivitäten der Unterwelt. Wenn ich nicht so dringend Melinas Medikamente bräuchte, würden mich keine zehn Pferde auch nur in die Nähe bringen. Doch leider ist dieser Club meine letzte Möglichkeit.
Ich bete, dass niemand herausfindet, wer ich bin, und man mich für einen normalen Besucher hält. Im Gegensatz zu uns spüren die übernatürlichen Wesen sofort, wenn Menschen unter ihnen sind.
Je näher ich meinem Ziel komme, desto schlichter werden die Fassaden und die Holotafeln weniger. Was ebenfalls abnimmt, sind der Lärm und der Dreck, die in einigen Teilen der Stadt wirklich unerträglich sind. Stattdessen findet sich hier und da tatsächlich ein Stück Grün – echte Pflanzen statt moderner Technologie.
Eigentlich ganz hübsch. Aber selbst die Hölle hat sicherlich ihre guten Seiten.
Ich atme noch einmal tief durch, bevor ich die Schultern straffe und so selbstsicher wie möglich auf die zwei riesigen Türsteher zugehe, die anhand ihrer Statur sehr wahrscheinlich Werwölfe sind. Einer von ihnen mustert mich gelangweilt.
»Sicher, dass dein zartes Wesen den Besuch übersteht?«
Der andere feixt, während ich Mühe habe, ruhig zu bleiben. Für einen Menschen bin ich durchaus groß und imposant, neben den Xenos fühle ich mich jedoch wie ein Halbstarker, der sich auf eine Erwachsenenveranstaltung schleichen will.
»Ach, komm schon, Blake. So wie der aussieht, findet er sicherlich eine Gönnerin, deren Schoßhündchen er für diese Nacht spielen darf.«
»Ich brauche keine Gönnerin!«, fauche ich. »Lasst ihr mich rein, oder nicht?«
Die Werwölfe lachen. »Du hast echt keine Ahnung, was? Das Red Moon ist Vampirgebiet. Ihr Menschen kommt nur aus einem Grund her: Ihr findet es geil, gebissen und gevögelt zu werden oder ihr wollt euch mit eurem Blut Gefälligkeiten erkaufen.«
Ich schlucke.
Dieser Teil der Gerüchte ist so wahr.
Das könnte mir entgegenkommen, auch wenn ich wirklich hoffe, dass ich nicht auf diese Weise für die Medikamente zahlen muss.
Blake mustert mich anzüglich. »Vielleicht steht er ja eher auf Schwänze.«
Automatisch versteife ich mich. Zwar bevorzuge ich Männer, doch auf einen Annäherungsversuch dieses Kerls kann ich gut verzichten.
»Hoho, mach dem Kleinen keine Angst«, höhnt der Zweite.
»Warum denn, Jo? Vielleicht hat er Glück und weckt das Interesse des Bosses. Der mag es exklusiv und das Kerlchen hat keine dieser hässlichen Augmentationen.« Mit seinem Blick zieht dieser Blake mich förmlich aus.
Meine Nackenhaare stellen sich auf.
Fuck! Das Letzte, was ich brauche, ist, dass Alec Black mitbekommt, dass ich hier bin.
»Darf ich jetzt rein, oder nicht?«, frage ich betont gelangweilt und frage mich insgeheim, ob der Vampir tatsächlich auf Männer steht oder die Türsteher mich einfach verängstigen wollen.
»Kannst es kaum erwarten, was?« Blake grinst und kommt auf mich zu. »Schön stillhalten. Waffen und Drogen sind da drin verboten.«
Mit sichtlichem Vergnügen tastet er mich ab und seine Pranke verweilt unnötig lange in meinem Schritt.
»Ich könnte es dir richtig besorgen, Kleiner«, raunt er.
»Kein Bedarf«, antworte ich kalt und schlage seine Hand weg.
»Uh, das Katerchen fährt seine Krallen aus«, witzelt der Werwolf und leckt sich über die Lippen. »Ich würde echt gerne dabei sein, wenn du vor dem Boss auf den Knien rutschst ...«
Allein bei der Vorstellung schnürt es mir die Kehle zu. So nah will ich diesem Vampir niemals kommen.
»Jetzt lass gut sein, Blake. Oder willst du Ärger bekommen, weil du ihm so einen Leckerbissen vorenthältst?«, mischt Jo sich ein.
Bevor ich darauf reagieren kann, wird die Tür geöffnet und ich werde grob in den Club gestoßen. Offenbar wollen selbst zwei so kräftige Werwölfe keinen Ärger mit dem berüchtigten Vampir bekommen.
Überrascht verharre ich einen Augenblick regungslos in der Dunkelheit. Leuchtpaneele weisen auf Toiletten sowie die Garderobe hin und zeigen den Weg in den eigentlichen Clubraum. Mit leicht zitternden Knien folge ich ihnen und teile den dicken Vorhang, der das Geschehen im Inneren vor neugierigen Blicken abschottet.
Eine schwüle Wärme umfängt mich und es riecht eindeutig nach Sex, Schweiß und Körperflüssigkeiten. Als die Musik einsetzt, tauchen Scheinwerfer das Szenario vor mir abwechselnd in rotes oder weißes Licht. Es fällt mir schwer, die Musikrichtung zu bestimmen. Irgendein düsterer Elektro-Sound mit ordentlich Bass. Die Beschallung ist erstaunlich leise, was wohl an den empfindlichen Ohren der Vampire und Werwölfe liegt.
Zu meiner rechten Seite befindet sich eine dezent beleuchtete Bar, die regen Andrang hat, links ist eine Art Lounge. Darüber scheint noch ein Stockwerk zu sein, das jedoch nicht für die Besucher zugänglich ist. Ein Teil davon nimmt eine große, verspiegelte Glasfront ein, hinter der sich wahrscheinlich die Geschäftsräume verbergen.
Meine Aufmerksamkeit gilt jedoch den großen Käfigen in der Mitte des Raumes, in denen sich halbnackte Männer und Frauen räkeln. Einige haben sichtbare Augmentationen, erstaunlich viele jedoch nicht.
Offenbar werden die Menschen sorgsam ausgewählt, um den Wünschen der Kundschaft zu entsprechen , sinniere ich, denn es ist bekannt, dass Xenos die Augmentationen abstoßend finden. Möglicherweise noch ein Grund, warum diese unter den Menschen so beliebt sind.
Ich benötige die digitale Anzeige über ihren Köpfen nicht, um zu erraten, dass die Gestalten im Käfig ihr Blut und wahrscheinlich auch ihre Körper verkaufen. Ob nur für eine Nacht oder für immer, möchte ich lieber nicht wissen.
»Hey, Süßer.«
Kühle Finger streichen über meinen Nacken. Instinktiv wirble ich herum und stehe einer zarten Blondine gegenüber, die mich eindeutig hungrig mustert.
»So ein Schnuckelchen habe ich lange nicht mehr gesehen«, schnurrt sie und kommt näher.
Abwehrend hebe ich die Hände. »Sorry. Ich bin gerade nicht in Stimmung.«
Sie zieht einen Schmollmund. »Du brichst mir das Herz. Bist du sicher, dass ich dich nicht umstimmen kann?«
Verführerisch fährt sie sich mit der Hand über ihr ansehnliches Dekolleté, doch der Anblick lässt mich kalt.
»Ganz sicher.«
»Ich beneide denjenigen, der dich vernaschen darf«, seufzt sie und stöckelt elegant davon.
Erleichtert atme ich aus.
Das hätte auch ganz anders laufen können. Es wäre ein Leichtes für die Vampirin gewesen, mich in ihren Bann zu ziehen, um zu bekommen, was sie will. Doch offenbar sind diese ‚Bestien‘ deutlich besser erzogen als so mancher Mensch, oder hier gelten gewisse Regeln, von denen ich nichts weiß.
Suchend blicke ich mich um. Meinen Quellen zu Folge muss es hier einen abgetrennten Bereich geben, in dem die illegalen Transaktionen verhandelt werden. Die Frage ist nur, wie oder besser, ob ich dort hineinkomme. Wenn jemand herausfindet, wer ich bin, dürfte es unangenehm werden.
Ein seltsames Prickeln lässt mich innehalten. Unauffällig versuche ich, die Ursache dafür zu finden, doch mir fällt nichts Besonderes auf. Ich will mich schon durch die Menge zum hinteren Bereich schlängeln, als ich wie vom Blitz getroffen innehalte.
Ein Mann in einem eleganten schwarzen Anzug lehnt neben der verspiegelten Glasfront an der Balustrade, die sich hoch über dem eigentlichen Clubraum erstreckt. Seine dunklen Haare sind an den Seiten kurz geschnitten und am Oberkopf länger, so wie es gerade Mode ist, und das weiße Anzughemd am Kragen geöffnet. Seine ganze Erscheinung zeugt von Macht und Geld.
Obwohl es bei dieser Entfernung unmöglich sein sollte, kreuzen sich unsere Blicke. Wieder erfüllt mich dieses seltsame Prickeln, das zu meinem Erstaunen stärker wird. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Mir wird heiß und kalt, als mich der Fremde eingehend mustert. Er ist wirklich attraktiv, doch ich wehre mich gegen diese Faszination.
Verdammt! Was ist nur los mit mir?! Ich habe keine Zeit für Spielchen, erst recht nicht mit irgendeinem Blutsauger. Melina braucht mich.
Trotzdem schaffe ich es nicht, meinen Blick abzuwenden.
›Komm zu mir, Joshua‹ , ertönt eine verführerische Stimme in meinem Kopf.
Bevor ich weiß, wie mir geschieht, habe ich mich bereits in Bewegung gesetzt und steuere zielstrebig auf eine unscheinbare Tür zu, vor der ein muskelbepackter Werwolf Wache steht.
»Was willst du? Menschen haben hier keinen Zutritt«, schnauzt er mich an.
In diesem Moment öffnet sich der Zugang hinter ihm. Sofort steht der Werwolf stramm.
»Ich will den Rest der Nacht nicht gestört werden«, sagt die Stimme, die eben noch in meinem Kopf erklungen war.
Noch bevor ich das »Jawohl, Boss« des Werwolfs höre, realisiere ich, wer vor mir steht.
Fuck! Ausgerechnet Alec Black hat ein Auge auf mich geworfen. Ich bin geliefert.
»Komm, Josh. Mich dünkt, wir haben einiges zu besprechen.«
Instinktiv will ich einen Schritt zurückgehen, doch ich kann mich nicht rühren. Erst als Alec mich angrinst und eine einladende Handbewegung macht, bewegen sich meine Beine. Natürlich auf ihn zu, wie ich erschrocken feststelle.
Er kontrolliert mich , wird mir bewusst.
Angst steigt in mir auf, während ich der gefährlichsten Person der Stadt in die Dunkelheit folge.
Ich bin so’was von am Arsch.