(Josh)
Völlig gerädert erwache ich am nächsten Morgen. Stöhnend taste ich nach dem Wecker und schalte ihn auf Snooze. Langsam öffne ich die Augen und starre an die Zimmerdecke.
Mann war das eine beschissene Nacht.
Nach meiner Rückkehr aus dem Red Moon habe ich die Medikamente noch schnell bei Melina abgegeben. Zum Glück war sie zu überrascht, um meinen desolaten Zustand zu bemerken. Ja, Alec hat mir kein Haar gekrümmt, und auf gewisse Weise verstört mich das vielleicht noch mehr als die Tatsache, dass ich sein Sklave bin. Dazu noch meine völlig verrückten und unpassenden Gefühle dem Vampir gegenüber. Wir sind Feinde. Jegliche Art von Zuneigung kann nur in einer Katastrophe enden.
Ich stöhne frustriert.
So ein verdammter Mist!
Dass ich überhaupt darüber nachdenke, zeigt mir deutlich, dass ich diese Geschichte nicht so kühl handhaben kann wie einen gewöhnlichen One-Night-Stand.
Es ist ein Wunder, dass meine Schwester nicht nachgehakt hat, vor allem, weil ich ohne Erklärung sofort nach Hause verschwunden bin. Danach stand ich eine gefühlte Ewigkeit unter der Dusche und habe versucht, Alec von meinem Körper zu waschen. Leider war es ein Ding der Unmöglichkeit, den Vampir aus meinem Kopf zu verbannen. Zu meiner Schande kann ich ihn noch nicht einmal für das hassen, was er mit mir angestellt hat. Nein, ich habe es stellenweise sogar genossen !
Nun bin ich also das Spielzeug von Alec Black, dem mächtigsten Xeno weit und breit.
Bis gestern war mir nicht bewusst, wie viel er tatsächlich kontrolliert. Der Mann hat einen verdammt guten Job gemacht, seine Besitztümer zu verschleiern. Kein Wunder. Wenn öffentlich bekannt würde, wer die lebensnotwendigen Immunsuppressiva wirklich produziert, würde wohl die Hölle losbrechen.
Worauf habe ich mich nur eingelassen?!
Der Wecker lärmt erneut. Ein Blick darauf ergibt, dass es kurz vor fünf ist.
»Zeit zum Aufstehen«, murmle ich widerwillig und rolle mich aus dem Bett.
Im Halbschlaf torkle ich in meine winzige Küche und mache mir Kaffee. Als ich die erste Tasse zur Hälfte geleert habe, klingelt mein Smartphone.
»Ja?«, brumme ich, ohne auf das Display zu schauen.
Zum Glück ist es nur ein Sprachanruf. Ich kann gut darauf verzichten, nur in Unterhosen Holotelefonie zu machen.
»McGee, kommen Sie schnellstmöglich zum Dezernat!«, ordnet mein Chef an.
Sofort bin ich wach. »Bin schon auf dem Weg, Chief.«
Ich stürze den Kaffee hinunter und schlüpfe in meine Sachen. Im Rausgehen ziehe ich meine Lederjacke über und stutze. Irritiert schnüffle ich daran und bereue es im nächsten Augenblick.
Shit! Sie riecht nach ihm!
Mir ist es ein Rätsel, wie sich sein Geruch in der kurzen Zeit darauf festsetzen konnte, doch diese ganz besondere Duftnote hat sich gestern Nacht unwiderruflich in mein Hirn eingebrannt. Ihn würde ich überall wiedererkennen. Kurz überlege ich, eine andere Jacke zu nehmen, doch ich habe es eilig. Ich werde damit leben müssen, so wie mit der Frage, was bei unserem nächsten Aufeinandertreffen passieren wird.
Als ich aus dem Haus ins Freie trete und mein eMotorrad ansteuere, stellt sich mir plötzlich jemand in den Weg.
»Hey! Was soll das?«, frage ich irritiert.
»Sergeant McGee, Ihr Wagen steht dort«, antwortet der Fremde in schwarzer Uniform und gestikuliert in Richtung einer dunklen Limousine.
»Wie bitte?!«
Ich muss mich verhört haben.
»Kommen Sie, der Chief wartet.«
Ich bin so verblüfft, dass ich mich widerspruchslos zum Auto führen lasse. Der Typ, der mich angesprochen hat, ist offenbar der Chauffeur, denn er öffnet mir die Tür. In Zeiten selbstfahrender Wagen ist das eine Kuriosität, die sich nur die Reichsten leisten können. Widerwillig steige ich ein und falle aus allen Wolken, als ich die Person erkenne, die mich im Inneren erwartet.
»Herr Bürgermeister!«
Der Angesprochene nickt und versucht sich an einem Lächeln, was jedoch gründlich misslingt. Generell sieht er erschöpft und irgendwie älter aus, als ich ihn in Erinnerung habe.
»Bitte entschuldigen Sie den Überfall, Mister McGee. Ich wollte gern persönlich mit Ihnen reden, bevor es an die Öffentlichkeit gelangt.«
Verwundert ziehe ich die Augenbrauen in die Höhe. »Mit Verlaub, aber Sie sprechen in Rätseln. Ich wüsste auch nicht, wie ausgerechnet ich Ihnen helfen könnte. Schließlich bin ich nur ein kleiner Polizist.«
»Ihre Bescheidenheit in Ehren, aber ‚kleiner Polizist‘ trifft wohl nicht zu, Sergeant. Ihre Aufklärungsquote ist außerordentlich gut, vor allem bei ...« Er zögert und ich ahne, worauf er hinaus will.
»Vor allem bei Xenos«, vollende ich den Satz und schnaube. »Das ist kein Wunder, denn im Gegensatz zu anderen versuche ich immerhin, diese Verbrechen aufzuklären.« Nachdenklich runzle ich die Stirn. »Warum interessiert Sie das plötzlich? Xenos spielen in ihrer Politik doch gar keine Rolle, außer als Sündenböcke.«
Der letzte Satz ist ausgesprochen, bevor mir bewusst wird, dass ich mich damit in Teufels Küche bringen könnte. Der Bürgermeister zuckt getroffen zusammen. Dann reibt er sich müde mit den Händen über das Gesicht.
»Sie haben leider recht, Sergeant. Ich war bisher kein gutes Vorbild, aber das möchte ich ändern.«
»Oh.«
Mit so einer Aussage habe ich wirklich nicht gerechnet. Ich betrachte den leicht übergewichtigen Mittfünfziger mit zurückweichendem grauen Haaransatz und Nickelbrille. Letztere ist keine gewöhnliche Sehhilfe, sondern eine Augmentation, die sicherlich holofähig ist. Seine Augmentationen fallen auf den ersten Blick nicht auf, so wie die Empfangseinheit in seinem linken Ohr, und müssen sauteuer gewesen sein. Künstliche Arme und Beine werden nur von den Leuten genutzt, die körperlich arbeiten, was bei diesem Mann definitiv nicht der Fall ist.
Misstrauisch musterte ich ihn. So schlecht, wie der Bürgermeister aussieht, kam der Sinneswandel mit den Xenos jedoch nicht von ungefähr. Sofort kommt mir ein gewisser Blutsauger in den Sinn.
Hat Alec etwas damit zu tun? Wenn ja, was hat das alles zu bedeuten?
»Was ist passiert und noch wichtiger: Was wollen Sie von mir?«
»Es gibt eine neue Abteilung bei der Polizei, und Sie sollen diese leiten. Es wird eine Kooperation mit Xenos, die darauf ausgerichtet ist, Verbrechen mit übernatürlicher Beteiligung aufzuklären.«
» Wie bitte?! « Ich bin froh, dass ich sitze, sonst hätten wohl meine Beine unter mir nachgegeben. »Ist das Ihr Ernst? Warum ausgerechnet ich?«
Der Bürgermeister wirkt zerknirscht. »Sie wurden mir ... empfohlen.«
Fassungslos lehne ich den Kopf gegen das weiche Polster meines Sitzes und schließe für einen Moment die Augen.
Wo zum Teufel bin ich nur hineingeraten?
»Was hat er gegen Sie in der Hand?«, frage ich und beobachte mein Gegenüber aufmerksam.
Der Bürgermeister wird blass. »Wer ... Was ... Wie kommen Sie darauf?«
»Sie wissen genau, wen ich meine. Es gibt nur eine Person, die so etwas bewirken könnte.« Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Also, was ist es? Korruption, illegale Geldgeschäfte, eine heimliche Affaire, der Engpass bei den Immunsuppressiva?«
»Meine Tochter«, presst er hervor.
»Heilige Scheiße!«, rutscht es mir heraus.
Das ist ein sehr gefährliches Spiel, Mister Black.
Bevor ich weiterfragen kann, halten wir an. Ein Blick aus dem Fenster verrät, dass wir am Dezernat angekommen sind. Der Bürgermeister beugt sich vor und hält mich am Arm fest.
»Kein Wort zu niemandem! Haben Sie mich verstanden, McGee?«
Ich nicke. »Meine Lippen sind versiegelt.«
Mein Gegenüber mustert mich für einen Moment und lässt mich schließlich los.
»Ich hoffe, Sie sind wirklich so gut in Ihrem Job, wie behauptet wurde. Das Leben meiner Tochter hängt davon ab.«
»Ich gebe mein bestes«, antworte ich und steige aus.
Gedankenverloren betrete ich das Dezernat und realisiere erst nach einigen Schritten, dass meine Kollegen mir seltsame Blicke zuwerfen und sogar die Gespräche verstummen, sobald ich einen Raum betrete.
Fuck! Warum hast du mir nicht gleich eine Zielscheibe auf den Rücken geklebt, Alec?
»Guten Morgen!«, sagte ich betont neutral, bevor ich mich direkt zum Büro des Chiefs begebe.
Dort angekommen, klopfe ich an der Tür und trete ein, sobald ich dazu aufgefordert werde. Im Büro des Chiefs herrscht eine angespannte, beinahe feindselige Stimmung. Mein Chef blickt sauertöpfisch.
Na prima. Das wird ein Spaß.
»Guten Morgen, Chief«, begrüße ich ihn.
»Wüsste nicht, was an diesem Morgen gut sein soll«, grummelt er und schaut an mir vorbei.
Ich drehe mich zur Seite und entdecke einen Schrank von einem Mann mit kurzen roten Haaren, Vollbart und einem grimmigen Gesichtsausdruck. Alles an ihm schreit förmlich: Werwolf! Daneben steht ein schlanker, deutlich kleinerer Mann mit militärisch wirkendem Bürstenschnitt und stechend grünen Augen. Man muss kein Genie sein, um die beiden als Xenos zu identifizieren. Zur Begrüßung nicke ich ihnen zu, bevor ich mich an meinen Boss wende.
»Was gibt’s, Chief?«
Dieser lehnt sich auf seinem Bürostuhl zurück und dreht einen klobigen Briefbeschwerer in den Händen. Dann blickt er erst zu den Fremden und schließlich zu mir.
»Der Polizeichef hat die sofortige Gründung einer neuen Abteilung beschlossen. Diese soll aus Xenos und Menschen bestehen und sich mit übernatürlichen Verbrechen befassen.«
»Oh! Das kommt überraschend«, sage ich und spiele den Ahnungslosen. »Soll ich Bestandteil des Teams werden, oder warum bin ich hier?«
»Sie werden das Team leiten, McGee«, korrigiert er mich. »Mister Connelly und Mister Thornton koordinieren die Xenos und sind ab jetzt Ihre Partner.«
Ich schaue verblüfft. »O-kay ... Wenn Sie meinen, Chief. Wann sollen wir mit der Arbeit beginnen und wo sind die Plätze für die Neuen?«
»Ihr zieht in die Baracke. Dort ist genug Platz für die neue Abteilung.«
»Die Baracke?«, frage ich entgeistert. »Hat die überhaupt noch Strom?«
»Der Generator sollte funktionieren. Ihre Sachen sind schon dort, McGee.«
Kurz bin ich versucht, den Chief zu schütteln, doch ich begnüge mich damit, ihm einen bitterbösen Blick zuzuwenden.
»Sehr zuvorkommend, Chief, wirklich.« Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Sicherlich wird der Bürgermeister begeistert sein, wenn er die neue Abteilung besichtigt.«
Der Satz verfehlt seine Wirkung nicht. Der Chief runzelt die Stirn. »Was wollen Sie, McGee?«
»Vernünftige Ausrüstung und brauchbare Leute. Ich will meinen Teil des Teams selbst zusammenstellen. Wir wollen doch nicht, dass das neue Vorzeigeprojekt zu einer Lachnummer verkommt, oder?«
Wutschnaubend springt der Chief auf. »Werden Sie nicht frech, McGee!«
Statt zurückzuweichen, baue ich mich vor meinem Boss auf.
»Ich fürchte, ich bin der Einzige hier, der seinen Job verdammt noch mal ernst nimmt.« Todesmutig stütze ich die Hände auf den Schreibtisch und beuge mich zu ihm. »Die Leitung der Abteilung ist das Letzte, was ich wollte, aber ich werde dafür sorgen, dass es läuft!«
Mit diesen Worten mache ich auf dem Absatz kehrt und bedeute meinen neuen Kollegen, mir zu folgen.
»Kommt. Es gibt verdammt viel zu tun.«
Nur mühsam kontrolliere ich meinen Zorn, als ich aus dem Büro des Chiefs stürme.
Elender Wichser! Aber ich werde nicht klein bei geben.