(Josh)
Routiniert überprüfe ich meine halbautomatische Waffe und den Teaser, dann ziehe ich mir eine schusssichere Weste über. Obwohl es nur noch wenig mit den alten Westen zu tun hat, ist die Bezeichnung geblieben. Via Knopfdruck schließt sich das Exoskelett um Oberkörper und Kopf. Für die Kommunikation ist ein Headset verbaut und im Visier kann ich so praktische Dinge wie Nachtsicht einschalten.
»Nett«, kommentiert Matt.
Ich zucke mit den Schultern und grinse. »Augmentationen sind Mist, aber das Teil hat mir schon ein paar mal das Leben gerettet.«
Die Xenos haben sich ebenfalls Schutzkleidung angezogen, allerdings ist sie mit nichts vergleichbar, was ich bisher gesehen habe. Es scheint eine Art besonders dünnes und gleichzeitig flexibles Material zu sein, das jedoch ebenfalls Schutz vor Projektilen und Stichwaffen bietet, wie mir erklärt wird.
»Beweglichkeit ist für uns einfach wichtiger als Panzerung. Aber wir heilen auch deutlich schneller.«
»Trotzdem seid ihr nicht unsterblich, also macht keine Dummheiten. Klar? Ich habe mich an Brunos liebreizendes Gesicht gewöhnt«, ermahne ich sie scherzhaft.
Der Wagen rast über die holprige Straße und doch wird sein Tempo nicht gedrosselt. Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn noch können wir nicht ausschließen, dass diese verdammten ‚Priests‘ uns nicht an der Nase herumführen. Außerdem haben wir keine Ahnung, was für schreckliche Dinge sie den Mädchen antun. Stumm bete ich zu allen Mächten, dass es den Kindern gut geht und wir einer Katastrophe entkommen.
»Bis jetzt ist es auf dem Gelände ruhig«, informiert Saskia uns über die Headsets.
Sie und etwa ein Drittel unserer bunten Truppe sind in unserer neuen Basis geblieben und sorgen dafür, dass wir nicht hinterrücks überrascht werden.
»Wenn sie Fahrzeuge haben, dann sind sie im Gebäude versteckt. Wie es im Inneren aussieht, erfahren wir, sobald die Drohne in der Luft ist.«
Außer Sichtweite parken wir die Fahrzeuge und die kleine Aufklärungsdrohne hebt ab. Beinahe geräuschlos fliegt sie durch die Luft und umkreist den Gebäudekomplex. Das kleine Helferlein ist mit diversen Sensoren ausgestattet, die uns verraten sollen, wer oder was sich im Schlachthof aufhält. Gleichzeitig erstellt sie eine Art Karte, die uns die Orientierung erleichtern dürfte. Nach wenigen Minuten ist die Prozedur abgeschlossen.
»Im Gebäude halten sich sieben Personen auf«, beginnt Saskia. Ein Hologramm erscheint über dem Kommunikationsbot, auf dem die entsprechenden Positionen vermerkt sind. Alle Anwesenden versammeln sich ringsherum. »Die drei kleineren Formen in der Schlachthalle könnten die Mädchen sein. Sie bewegen sich nicht, ganz im Gegensatz zu den vier großen Punkten.«
Konzentriert beobachten wir die genannten Objekte.
»Sie patrouillieren«, stelle ich fest. »Gut möglich, dass sie gewarnt wurden. Wir sollten auf jeden Fall vorsichtig sein. Diese ‚Priests‘ sind gerissen und wollen Blut sehen.«
»Ja, das solltet ihr«, stimmt Saskia zu. »Das Haus scheint eine Art Isolierung zu haben, welche die Sensoren der Drohne stört. Außerdem ist das ein vollständig eingerichteter, halbautomatisierter Schlachthof. Die Anlage wurde gebaut, um zu töten.«
Bei ihrer Aussage läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. »Ein perfektes Versteck für diese sadistischen Drecksäcke«, murmle ich.
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Nachdem wir die Feindbewegungen ausreichend studiert und das Vorgehen abgesprochen haben, geht es los. In Dreiergruppen nähern wir uns dem Schlachthof von verschiedenen Seiten. Immer darauf bedacht, in Deckung zu bleiben und keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Mit einem Hauch von Neid beobachte ich die kraftvollen und gleichzeitig geschmeidigen Bewegungen der Xenos. Selbst Bruno, ein Berg von einem Mann, schleicht lautlos wie ein Kätzchen. Daneben komme ich mir wie ein lahmer Trampel vor. Ich verstehe, dass diese Fähigkeiten einschüchtern können, erkenne jedoch auch den unschätzbaren Wert unserer Zusammenarbeit.
Adrenalin schießt durch meinen Körper und sorgt für die nötige Fokussierung. Jetzt zählt nur, dass wir die Mädchen befreien und ein paar Widerlinge in den Knast schicken können. Lautlos verharren wir an dem Zugang, den wir uns ausgesucht haben. Matt und Bruno lauschen mit ihren sensiblen Ohren und der Farbwechsel ihrer Iriden ist ein deutlicher Hinweis auf ihre versteckten Kräfte.
»Sind alle auf ihren Positionen?«, frage ich und erhalte prompt positive Rückmeldungen.
»Zugriff!«, befehle ich und auch mein Team betritt das Gebäude.
Matt setzt sich an die Spitze, ich bin in der Mitte und Bruno bildet die Nachhut. Erstaunlich kalte Luft weht uns entgegen, in der selbst ich den schwachen Geruch nach Blut und Tod wahrnehmen kann.
»Frisch?«, flüsterte ich.
Bruno schüttelt leicht mit dem Kopf. »Wenn, dann nur wegen kleinerer Verletzungen.«
Gern würde ich erleichtert aufatmen, doch dafür ist es noch zu früh. Vorsichtig schleichen wir mit gezogenen Waffen den Gang entlang, durch den früher das Vieh getrieben wurde. An dessen Ende wartet ein metallener Bogen, der so starke Elektroschocks abgeben kann, dass Rinder betäubt werden. Man muss kein Genie sein, um zu erraten, dass ein Mensch das wahrscheinlich nicht überleben würde. Als wir uns dem Ding nähern, summt es gefährlich.
»Entweder sie wissen, dass wir kommen, oder sie nutzen das, um ungebetene Gäste fernzuhalten.«
»Äußerst sympathisch ...«, grummelt Bruno.
Er wirft einen Stock auf den Metallsteg, der seitlich des Bogens verläuft. Ein deutliches Knistern ist zu hören.
»Diese Mistkerle wollen also wirklich spielen«, stelle ich fest. Gleichzeitig aktiviere ich die Sensoren in meinem Exoskelett, um die Stromquelle zu lokalisieren. »Dort!«
Mit der Hand deute ich auf einen Sicherungskasten, der hinter der Betäubungsanlage in die Wand eingelassen ist.
»Wie kommen wir nur daran?«, grüble ich laut.
Mir gefällt es ganz und gar nicht, dass wir durch diese Schikane wertvolle Zeit verlieren.
»Lass mich das machen«, sagt Matt und zieht einen undefinierbaren Gegenstand aus seiner Hosentasche. Der schlanke Xeno dreht sich zu seinem Kollegen. »Ich brauche ein bisschen Hilfe, Bruno.«
Der Hüne nickt und hebt Matt kurzerhand hoch. Bevor ich auch nur ahne, was die beiden vorhaben, fliegt der kleinere Mann bereits durch die Luft und schwingt sich mit einer Art Enterhaken in den sicheren Bereich. Lautlos landet Matt außerhalb des unter Strom stehenden Metallstegs und knackt den Sicherungskasten. Einen Klick später verstummt das tödliche Summen.
Ich pfeife leise. »Nett.«
»Es hat Vorteile, ein Fliegengewicht zu sein«, sagt Matt und winkt uns zu sich.
Vorsichtig schleichen wir den schmalen Pfad entlang, der abseits der Betäubungsanlage ins Innere führt. Die Temperatur sinkt noch einmal deutlich, als wir in den Bereich kommen, in denen die Tiere damals ausgeweidet wurden. Im Halbdunkel, das nur spärlich durch das wenige Licht erhellt wird, das durch die kleinen Fenster knapp unter der Decke fällt, wirkt es wie eine Kulisse aus einem alten Horrorfilm.
Große Haken hängen von der Decke, Kreissägen und Messer liegen herum, als wäre die Anlage fluchtartig verlassen worden. Dahinter beginnt die vollautomatische Zerlegung. Diese besteht aus drei Verarbeitungsstraßen. Das heißt, die Schiene mit den Fleischhaken über unseren Köpfen wird nun dreigleisig. Links und rechts jeder Spur befinden sich die Sägeroboter und die jeweiligen Haltevorrichtungen.
Irgendwo müssten sie doch sein, denke ich und wundere mich gleichzeitig, dass wir noch keinen Bewacher gesehen haben.
Laut Karte hätten wir schon auf unsere Widersacher treffen müssen. Ich bedeute, Matt und Bruno zu warten, und starte den Scan der Umgebung. Ungeduldig harre ich aus, denn mir gefällt diese Situation gar nicht. Endlich wird mir das Ergebnis angezeigt, gleichzeitig aber auch die Warnung, dass es Störquellen gibt.
Mir stockt der Atem.
Ach du heilige Scheiße!
Geschockt sehe ich auf den hinteren Bereich der Verarbeitungswege. Dort hängen die drei Mädchen bewegungslos an ihren gefesselten Händen von den Haken. Die Sägeroboter sind gefährlich nah.
Plötzlich ertönt ein seltsames Geräusch. Dann werde ich vom hellen Licht geblendet. Instinktiv teilen wir uns auf und gehen in Deckung.
Fuck!
»Willkommen zum Spektakel«, begrüßt uns eine fröhliche Stimme.
Ein breitschultriger blasser Kerl in einer dunklen Kluft grinst uns an. Seine fast schwarzen Augen funkeln bösartig. Bevor wir reagieren können, drückt er auf einen großen roten Knopf. Die Anlage erwacht zum Leben. Das Kreischen der Sägen verursacht mir eine Gänsehaut.
»Holt die Kinder runter!«, rufe ich meinen Begleitern zu und schieße auf den Verrückten. Gleichzeitig setze ich mich in Bewegung.
Drei Kinder, drei Sägen. Ganz schlechte Ausgangslage.
Mit einem Schrei geht der ‚Priest‘ getroffen zu Boden. Allerdings stürmen in diesem Moment noch mehr dieser Verrückten in die Halle.
»Wir brauchen Verstärkung! Jetzt!«, belle ich in mein Headset, als die ersten Schüsse auf uns niederprasseln.
»Unterwegs!«, ertönt die Antwort in meinem Ohr.
Die Mädchen nähern sich langsam den tödlichen Vorrichtungen, die im Abstand von eineinhalb Metern aneinandergereiht sind. Matt, Bruno und ich sind gezwungen, uns hinter den Robotern durchzuschlängeln, wenn wir nicht zerlegt werden wollen. Viel Platz haben wir dafür nicht. Das Blut rauscht in meinen Ohren, während ich bete, dass ich rechtzeitig ankomme, ohne selbst verletzt zu werden. Mein Blick ist auf das blonde Mädchen fixiert, das nur noch wenige Schritte von mir entfernt, und gleichzeitig schon viel zu nah an der Kreissäge ist.
Nein!
Mit einem beherzten Sprung hechte ich zu ihr und schaffe es gerade so, ihren Körper seitlich an der Halterung und damit auch an der Kreissäge vorbei zu schwingen. Da beißt schon etwas schmerzhaft in meine Seite.
Verdammt! , denke ich und keuche vor Pein.
Ich klammere mich an das Kind und drehe uns beide weg von der tödlichen Vorrichtung. Der Schwung kommt gelegen, denn dadurch gelingt es mir, das Mädchen vom Haken zu hieven. Gemeinsam gehen wir zu Boden. Schwer atmend verharre ich einen Moment, bevor ich bei dem immer noch regungslosen und schrecklich blassen Kind panisch nach Lebenszeichen suche.
Bitte, bitte! Es dauert viel zu lange, bis ich den schwachen Puls unter meinen Fingerspitzen spüre.
»Wir brauchen Rettungswagen!«, sage ich zu Saskia.
»Die sind schon unterwegs«, informiert sie mich und klingt aufgelöst. »Geht es euch gut? Die Verbindung war gestört. Ich wollte euch warnen, ihr wart jedoch nicht erreichbar«, beteuert sie.
Ihre Aussage bringt mich dazu, mich vorsichtig umzusehen. Als ich bemerke, dass Matt und Bruno mit je einem Kind im Arm ebenfalls Deckung gesucht haben, atme ich erleichtert auf.
»Ja«, antworte ich. »Alles gut.«
Unsere Leute haben die Verrückten zusammengetrieben. Zwei davon liegen am Boden und der metallische Geruch nach Blut erfüllt die Luft. Endlich betätigt jemand den Schalter und die Sägen verstummen. Schnell setze ich mich unter Schmerzen auf und schwanke beträchtlich. Ich weiß, dass ich zusammenbrechen werde, sobald das Adrenalin nachlässt. Bis dahin sind wir hoffentlich wieder draußen.
»Josh, dein Rücken!«, ruft Matt entsetzt.
»Später. Wir müssen hier raus«, keuche ich und will aufstehen, doch es geht nicht.
»Lars! Josh muss sofort versorgt werden!«, befielt der Xeno und mustert mich besorgt.
»Ist nur ein Kratzer«, versuche ich mich an einer Lüge, doch schon im nächsten Moment verschwimmt alles vor meinen Augen.