3. KAPITEL

„Wissen Sie, was mich völlig in den Bann zieht?“ David atmete tief ein, während sie vom Krankenhaus Richtung Hafen, zum Circular Quay liefen.

Serena sah ihn etwas verlegen an. „Hm … warum sagen Sie es mir nicht einfach?“

David hätte ihr es einfach sagen können. Direkt heraus: Du, Serena, ziehst mich in den Bann.

Stattdessen holte er noch einmal tief Luft, betrachtete den regen Fährverkehr und sagte: „Sydney bei Nacht.“ Diese Energie, diese Schönheit und das Funkeln. Wie Serena. Bei allem, was er tat, musste er an Serena denken.

Sie antwortete nicht.

David sah sie fragend an. War sie gar nicht beeindruckt?

Serena deutete auf einen Straßenkünstler, der zu den Tönen eines Didgeridoos tanzte. „Dort scheint jede Menge los zu sein.“

„Komisch, ich dachte, Sie wären eher der Diskotyp und nicht an Tanz-Zeremonien von Aborigines interessiert.“

„Ich bin nicht mehr allzu oft in Nightclubs unterwegs.“

„Zu alt?“, neckte er sie.

„Zu beschäftigt“, konterte Serena. „Wie sieht es bei Ihnen aus?“

Er blickte zum prächtigen Sydney Opera House hinüber. „Nightclubs sind nicht gerade meine Leidenschaft.“

„Interessieren Sie sich mehr für Shakespeare und Arien?“

Er lachte. „Ich mache mir einfach nichts daraus, zu ohrenbetäubender Musik zu tanzen.“

„Dann trifft es sich ja gut, dass Sie mir bei der Auswahl der Musik für Hits behilflich sind.“ Sie rieb sich die Oberarme, da es kalt geworden war.

„Ihnen gefällt also laute Musik?“ Er neckte sie weiter. „Aber wie steht es bei Ihnen mit Tanzen?“

David genoss es, ihre Augen funkeln zu sehen, und wie sie die Arme vor der Brust verschränkte, wobei sich ihre Brüste hoben. Sein Blick schien sie nicht zu stören.

„Ich muss gestehen, dass ich in letzter Zeit nicht viel getanzt habe.“

„Vielleicht sollten wir etwas daran ändern.“

Als er vor Jezz’ Zimmertür im Krankenhaus über verpasste Möglichkeiten und Leidenschaften geredet hatte, dachte er, dass er sich verraten hatte. Eigentlich war das nicht seine Absicht gewesen. Aber irgendetwas tief in ihm drin drängte ihn dazu, sich Serena weiter anzunähern.

War sie an ihm interessiert? Und wenn dieses Interesse auf Gegenseitigkeit beruhte, sollte er so verrückt sein und ein Abenteuer mit ihr riskieren? Sollte er seine goldene Regel brechen und von der verbotenen Frucht probieren?

Wenn er nur ein einziges Mal ihren aufregenden Körper berühren, an ihrem duftenden Haar riechen und ihre wundervollen Lippen küssen würde? Vielleicht wäre sein Liebeshunger dann gestillt, und er könnte wieder zum geschäftlichen Alltag übergehen. Eine Nacht würde sicherlich nicht ihr Herz brechen und seins auch nicht.

Er starrte auf ihre Lippen. Im Hintergrund ertönte das Signalhorn eines großen Schiffes. Es war lang und laut. Seine Arme und Beine fühlten sich immer schwerer an. Überall in ihm breitete sich eine fast unerträgliche Hitze aus. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, er sah nur noch ihre Lippen und dann …

Das Nächste, an das David sich erinnern konnte, war, dass er ihre Schultern umfasste und seine Lippen sanft auf ihre presste.

Serena wich nicht zurück, im Gegenteil, sie erwiderte genussvoll seine Zärtlichkeiten.

Er streichelte ihre Wangen, während er den Kuss vertiefte. Sie fühlte sich so gut an.

Serena stöhnte wohlig auf und strich dann mit den Fingerspitzen über seine starke Brust.

Wie gern hätte David auch ihre Brüste gestreichelt.

Später, besser später.

Obwohl er sie am liebsten noch stundenlang weitergeküsst hätte, zwang er sich, ihre erste leidenschaftliche Berührung abzubrechen. Nur langsam bekam er wieder mit, was um sie herum passierte, wo sie sich befanden. Wie konnte er sich nur so treiben lassen? Hatte er seinen Verstand verloren? Nicht im Geringsten. Er wollte mehr.

Serena öffnete ihre wunderschönen Augen.

David sah sie an und hätte sie am liebsten gleich noch einmal geküsst.

Sie erwiderte seinen Blick und versuchte, etwas zu sagen, bekam aber erst beim zweiten Versuch einen heiseren Laut aus ihrer Kehle. „Ich will …“

Er zitterte vor Erregung. Ja, er wollte es auch, am liebsten jetzt gleich.

„Ja? Sag es mir“, murmelte er und zog sie näher an sich.

„Ich wollte nur wissen, wohin wir gehen.“

Sein Herz schien stehen zu bleiben. David vergaß alles um sich herum und konnte nur noch an Serena und diese unangenehme Situation denken. Er musste sich verhört haben. „Wohin wir gehen?“

Als sie zögerlich nickte, zog sich sein Magen zusammen, und er machte einen Schritt zurück. Langsam kam er wieder in die Wirklichkeit zurück und erinnerte sich.

Arbeit. Sie hatten noch Arbeit vor sich und waren schon spät dran. Es ging um die Kampagne, an der seine Zukunft und sein Ruf hingen.

David griff nervös nach seiner Krawatte, um sie zurechtzuzupfen, um dann festzustellen, dass er gar keine trug.

Noch vor einer Stunde hatte er gedacht, dass er seine Gefühle unter Kontrolle hatte. Sein Vater hatte ihm beigebracht, zuerst den Verstand einzusetzen und erst dann die Gefühle. Das hatte David bis auf einmal immer befolgt. Heute Abend jedoch hatten seine Gefühle über den Verstand gesiegt. Aber wie dachte Serena darüber?

David musste es herausfinden. Er konnte nicht einfach so tun, als wäre nichts passiert. Sie mussten miteinander reden. Später. Der Job hatte leider Vorrang.

Er ging mit großen Schritten voraus, während Serena ihm mühevoll zu folgen versuchte.

Als sie zum Eingang eines schwarzen unscheinbaren Gebäudes kamen, beantwortete David schließlich ihre Frage. „Eigentlich sind wir schon da. Ich habe uns in diesem Tonstudio einen Raum reserviert, damit wir uns ein paar Songs für Hits anhören können.“

„Wirklich?“

Als David sah, wie ihre meeresgrünen Augen zu glänzen begannen, freute er sich, dass sein Plan aufgegangen war. „Ich dachte mir, dass es dir gefallen würde.“

David wollte mit dieser Überraschung wiedergutmachen, dass Serena geglaubt hatte, dass er an ihr zweifeln würde. „Du bist dir hoffentlich darüber bewusst, dass dies wahrscheinlich das beste Tonstudio in ganz Australien ist.“ Arbeit. Konzentrier dich erst mal wieder auf die Arbeit. Wenn sie reif genug dafür war, ihren Kuss von vorhin erst mal zu vergessen, dann würde er es sicherlich auch können. „Der Ruf dieses Studios ist unübertroffen, sogar über die Landesgrenzen hinweg. Die Leute hier leisten wirklich gute Arbeit.“

Auch wenn Serena in ihm so starke Gefühle auslöste, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, hatte sie doch erst ihren Job zu erledigen. Und zwar gut.

Schweigend fuhren sie mit dem Fahrstuhl in den zehnten Stock. In Serenas Gesicht war überhaupt keine Regung zu erkennen. Obwohl sein Kragen offen stand, bekam David vor Nervosität kaum Luft.

Die Tür des Fahrstuhls öffnete sich, und sie gingen über das glänzende Parkett des Foyers.

Serena nagte an ihrer Unterlippe, anscheinend ging ihr etwas durch den Kopf. „Hat jemand daran gedacht, verschiedene Musikrichtungen hintereinander ablaufen zu lassen, um sich einen Überblick verschaffen zu können? Das Stück sollte dem Publikum bekannt vorkommen, aber auch nicht wie ein billiger Abklatsch klingen.“

Während sie den Empfang erreichten, nickte er zustimmend. „Gute Idee. Das solltest du beim nächsten Meeting ansprechen.“

„David Miles. Sei gegrüßt, alter Freund.“

Hinter dem modern gestalteten Empfang kam Jonathon Sturts, der Besitzer der Mixem Studios, zum Vorschein und begrüßte sie herzlich. Er sprach mit einem starken britischen Akzent.

Jonathon blickte verwundert auf seine glänzende Rolex-Uhr. „Was führt euch denn zu so später Stunde noch hierher? Ich bin gerade auf dem Weg zu einem Abendessen. Hatten wir etwas ausgemacht?“

David reichte ihm zur Begrüßung die Hand. „Ich habe ein Studio reserviert, um in ein paar Songs für Hits reinzuhören.“ Er ging einen Schritt zur Seite, um seine Mitarbeiterin hinter ihm vorzustellen. „Jonathon, das ist Serena Stevens.“

Jonathon fuhr sich staunend durch seine blonde Mähne und sagte dann mit einem gewinnenden Lächeln: „Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen.“

Serena machte einen Schritt nach vorn, um ihm ihre Hand zu reichen und lächelte ebenfalls. „Die Freude ist ganz meinerseits.“

„Leider bin ich schon spät dran.“ Widerwillig wandte er sich wieder David zu. „Ich dachte, wir können den Laden schon schließen, aber ich schau mal, welches Studio wir noch einmal aufmachen können.“ Neugierig musterte er Serena. „Wie würde Ihnen das gefallen, meine Liebe?“

Ihr Lächeln wurde noch strahlender. „Hört sich gut an.“

Davids Blick wechselte zwischen ihr und Jonathon, der nach wie vor nur Augen für Serena hatte.

Jeder kannte den Ruf dieses Mannes. Er war ein Meister, wenn es um Musik ging, und wurde zum Casanova, wenn Frauen ins Spiel kamen. Normalerweise interessierte das David überhaupt nicht, aber bei Serena war das etwas anderes. Seine Mutter hatte immer schon behauptet, dass ihr ältester Sohn nie zu teilen gelernt hatte, und sie hatte absolut recht.

Jonathon schnippte mit den Fingern, als eine Frau in einem Gothic-Kleid an ihnen vorbeieilte. „Marissa?“, rief er ihr zu. „Weißt du etwas über David Miles’ Reservierung heute Abend?“

„Nein. Muss ein Missverständnis sein. Alle sollten eigentlich schon raus sein für die jährliche Ungezieferbeseitigung.

Der Kammerjäger hat den Termin aber auf nächste Woche verschoben, was ich erst heute Abend herausgefunden habe, als alle Leute schon zu Hause waren. Und da geh ich jetzt auch hin.“ Mit diesen Worten wollte sie sich auf den Weg machen.

David schaltete sich ein. Natürlich war es wichtig, Fortschritte bei dem Projekt zu erzielen, aber wenn es mit dem Studio nicht klappen sollte, würde ihm diese Nacht vielleicht gewisse andere Möglichkeiten eröffnen. „Kein Problem, wir machen das einfach ein anderes Mal, dann habt ihr keinen Stress.“

„Blödsinn“, sagte Jonathon.

Marissa stöhnte auf.

„Marissa, öffne doch bitte Studio D für Mr. Miles.“

Sie verkniff sich eine Bemerkung und stampfte schweren Schrittes durch eine Schwingtür.

„Es ist schwer, heutzutage gutes Personal zu finden“, sagte Jonathon.

Serena betrachtete eine Reihe von goldenen Schallplatten an der Wand.

Jonathon hob stolz den Kopf. „Wir haben schon einiges erreicht.“

„Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll“, sagte David.

Jonathon klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Nicht der Rede wert.“

„Ehrlich gesagt haben wir gerade so viel Stress in der Agentur, dass ich gar nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht. Da ist mir jede Hilfe recht.“

„Ja, man kann in dieser Branche nie genug Zeit haben. Mein Mitarbeiter in London ist da nicht gerade eine große Hilfe. Ich würde ihn am liebsten sofort rausschmeißen, wenn ich nur einen halbwegs guten Ersatz für ihn finden könnte.“ Jonathon verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich nehme an, dass ihr scharf auf den großen Gewinn bei der kommenden Preisverleihung seid. Ist nicht mehr lange hin, oder?“

„Nur noch ein paar Monate.“ Davids Blick war auf Serena gerichtet, auf ihren unschuldigen Gesichtsausdruck und auf ihre nicht ganz so unschuldigen Kurven.

„Diese Kampagne könnte bei der Jury ziemlichen Eindruck machen.“

David nickte. „Das hoffen wir.“

Seit Jahren schon drehte sich sein Leben um den Aufstieg seiner Agentur. Nach dem grauenvollen Beginn mit Olivia, der ihn fast Kopf und Kragen gekostet hätte, war nach und nach der Aufstieg gekommen. Nun war er kurz vor seinem Ziel. Alles, was er mühevoll erarbeitet hatte, würde sich auszahlen, wenn er nur diesen Preis gewinnen könnte. David wusste, dass er beruhigt auf diesen Zeitpunkt hinarbeiten konnte, da er mit Serena die richtige Wahl getroffen hatte. Sie war ein mehr als würdiger Ersatz für Jezz.

Er hatte in seinem Leben schon viele wichtige Entscheidungen treffen müssen. Es war nicht leicht für ihn gewesen, sich gegen die Air Force zu entscheiden, um für seine Familie da sein zu können, als sein Vater erkrankte. Wie sehr er darunter gelitten hatte. Schon seit er sich erinnern konnte, hatte er davon geträumt, Pilot zu werden. Aber letztendlich hatte er Prioritäten gesetzt. Das damals war genauso richtig, wie heute seine Karriere vor alles andere zu stellen.

David blickte immer noch zu Serena.

Auch Jonathons Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf sie. Seine fast katzenartigen Augen glänzten, als er David zur Seite zog.

„Wenn ich es mir recht überlege, gibt es eine Möglichkeit, wie du mir für meine Hilfe heute Abend danken könntest, Davey. Leg doch ein gutes Wort für mich bei der Süßen ein, ja? Es würde mich sehr freuen, einen genaueren Blick auf ihre leuchtenden grünen Augen zu werfen, vielleicht bei einem romantischen Abendessen zu zweit?“

David musste sich zusammenreißen, um nicht hochzugehen. Er würde eher nackt den Hafen entlanglaufen, als Jonathon zu erlauben, in die Nähe von Serena zu kommen. Sie hätte keine Chance gegen seine Schmeicheleien.

„Nein, da ist leider nichts zu machen.“ Er schüttelte den Kopf. „Serena ist schon vergeben.“

In dem Moment schossen ihm wieder die Bilder von dem Kuss durch den Kopf, und sein Verlangen wuchs. Hatte Serena eigentlich einen Freund?

„Ach so, vergeben?“ Jonathon rümpfte die Nase. „Schade aber auch. Obwohl das ja heutzutage auch nicht viel heißen muss.“ Er rief zu ihr: „Tschüs, Serena, bis bald!“

Serena drehte sich um. Sie hatte ein Poster von der bekanntesten Hip-Hop-Gruppe der USA betrachtet und lächelte. „Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Wochen in Kontakt bleiben.“

Davids Nackenhaare sträubten sich, als er in Jonathons Blick sah, wie dieser wieder anfing, sich Hoffnungen bei ihr zu machen.

„Hm, das werden wir wohl.“ Jonathon wandte sich an David. „Studio D ist am einfachsten zu bedienen, aber es ist, sagen wir mal … sehr gemütlich.“ Er versetzte David grinsend einen leichten Stoß in die Rippen und winkte, während er davonging. „Viel Glück, mein Freund.“