Vus war, ein bisschen übergewichtiger und zerstreuter, wieder zurück in New York. Die indischen Currys seien unwiderstehlich gewesen und seine Meetings erfolgreich, hätten aber neue Fragen aufgeworfen, um die er sich sogleich kümmern müsse. Er verließ morgens früh das Haus und kam erst lange nach Einbruch der Dunkelheit wieder. Guy war in die geheimnisvolle Welt eines Fünfzehnjährigen abgetaucht: der unergründliche Stoff, aus dem die Mädchen sind, die köstliche Folter, ihnen beim Gehen zuzusehen, die schmerzliche Gewissheit, dass keines dieser wunderschönen Wesen sich berühren oder umarmen ließ. Bis auf den Kühlschrank war das Telefon seine einzig zählende Verbindung zum Leben. Eines Morgens wurde mir bewusst, dass ich seit Wochen kein vernünftiges Gespräch mehr geführt hatte. Als Max mich einlud, mit Abbey zusammen ein Textbuch zu lesen, willigte ich mit Freuden ein. Er hatte die Musik zu Jean Genets The Blacks geschrieben, das im späteren Frühjahr Off-Broadway-Premiere haben sollte. Als ich ankam, stand eine Gruppe von Musikern am Klavier und stimmte ihre Instrumente. Ich wurde dem Team der Produktion vorgestellt.

Sidney Bernstein, der Produzent, war ein schmächtiger Kerl, der schüchtern dasaß und den Bick ziellos umherschweifen ließ. Der schwungvolle, intensive Regisseur Gene Frankel ruckte ständig mit dem Kopf von links nach rechts und wieder zurück, was etwas von einem auf einem hohen Felsen hockenden Raubvogel hatte. Der Inspizient Max Glanville, ein großer, stämmiger Schwarzer, fühlte sich sichtlich wohl in seiner Haut und saß, während seine weißen Kollegen nervös zappelten, gelassen da. Als Frankel verkündete, er sei jetzt bereit für die Musik, war ein ungeduldiger Unterton nicht zu überhören.

Sidney Bernstein kommentierte mit einem Lächeln, wir hätten doch Zeit.

Abbey und ich saßen uns gegenüber, jede die Strichfassung des Manuskripts in der Hand. Wir teilten die Rollen gleichmäßig auf, und als die Musik einsetzte, lasen wir – manchmal dazu, manchmal dagegen, und manchmal pausierten wir auch und überließen ihr das Feld. Keine von uns kannte das Stück, und da es extrem komplex aufgebaut und sprachlich verschnörkelt war, lasen wir relativ monoton, ohne auch nur den Versuch einer dramatischen Gestaltung. Schließlich verklangen die letzten Töne. Der Abend hatte sich endlos hingezogen. Gene Frankel stand als Erster auf, stürmte zu Max, ergriff seine Hand und sah ihm tief in die Augen: »Toll. Toll. Einfach nur toll. Wir müssen los. Okay. Danke, meine Damen. Danke. Toll gelesen.« Frankel drehte sich um sich selbst wie eine Katze auf der Jagd nach dem eigenen Schwanz. »Okay, Sidney? Gehen wir. Glanville.« Noch eine Umdrehung. »Musiker? Oh yeah, danke, Leute. Toll.«

Im nächsten Moment stand er an der Tür, die Hand am Griff. Sidney ging zu den Musikern und schüttelte Hände, bedachte jeden mit dem Anflug eines Lächelns. Bei Max, Abbey und mir bedankte er sich. »Die Musik war perfekt.« Glanville behielt seine weißen Partner lauernd im Blick und lächelte uns zu. Sein anzügliches Grinsen wollte sagen, dass er nur mitging, weil er musste; wir würden das sicher verstehen.

»Okay, Leute. Danke. Danke, Max. Wir melden uns.« Als die Tür hinter ihnen zuging, musste ich, teils aus Erleichterung, laut lachen. Max fragte, was denn so lustig sei. Das Stück und die Produzenten, erwiderte ich.

»Du hast es nicht verstanden, meinst du wohl.« Plötzlich blaffte er mich wütend an. The Blacks sei nicht nur ein gutes Stück, es sei ein großartiges Stück, geschrieben von einem Franzosen, der oft und lange im Gefängnis gesessen habe. Genet verstehe das Wesen von Imperialismus und Kolonialismus und wie diese beiden Übel das von Natur aus Gute im Menschen zerfräßen. Es sei wichtig, dass unsere Leute das Stück sähen, jeder Schwarze in den Vereinigten Staaten sollte es sehen. Als Schwarze Frau, die mit einem Südafrikaner verheiratet war und einen Schwarzen Jungen großzog, sollte ich außerdem verdammt noch mal das Stück erst mal kapieren, bevor ich drüber lachte. Und von wegen die Weißen lächerlich machen, immerhin wollten sie das Stück inszenieren, und mir falle nichts Besseres ein, als sie auszulachen. Er hätte mir mehr Verstand zugetraut.

Die Musiker packten geräuschvoll ihre Instrumente zusammen; Abbey saß stumm da und blickte Max an; ich stand auf und nahm meine Handtasche. Hoffentlich schaffte ich es noch zur Tür, bevor die Tränen rollen würden.

»Gute Nacht.«

»Danke, Maya«, rief Abbey. »Danke fürs Lesen.« Ich stand schon fast am Lift, als eine Tür ging und zugleich Max’ Stimme erklang.

»Warte, Maya.« Er kam auf mich zu; ich dachte schon, es tue ihm leid, dass er mich so hart angepackt hatte. »Hier.« Er reichte mir ein Päckchen. »Lies.« Er bellte fast. »Lies und versteh. Und dann schau, ob du immer noch lachst.« Ich nahm das Manuskript, er drehte sich mit Schwung um und ging wieder zurück in die Wohnung.

Vus studierte politische Manifeste, Guy machte Hausaufgaben, und ich las The Blacks. Beim dritten Durchgang blickte ich allmählich hinter die quälende, mythische Sprachgestalt, und der Sinn des Stückes offenbarte sich. Genet war der Auffassung, der Kolonialismus würde unter seiner Ignoranz, seiner Arroganz und seiner Gier zusammenbrechen, und die Unterdrückten würden an die Stelle ihrer früheren Beherrscher rücken. Sie wären weder besser noch mutiger noch barmherziger.

Ich war entschieden anderer Meinung. Schwarze würden sich nie so verhalten wie Weiße. Wir waren anders – respektvoller, barmherziger, spiritueller. Weiße schickten ihre alternden Eltern in Heime, wo sie von Fremden versorgt wurden und allein starben. Wir behielten alte Tanten und Onkel, Großeltern und Urgroßeltern großzügig zu Hause – gebrechlich, aber gebraucht, senil, aber als normaler Teil normaler Familien akzeptiert.

Unsere Barmherzigkeit war weithin bekannt. Während der Depression in den Dreißigerjahren sprangen die Hobos von den Güterzügen und suchten nach Schwarzen Wohngegenden. Hungrig erschienen sie an der Tür derer, die als Letztes eingestellt und als Erstes gefeuert wurden, und nie wurden sie abgewiesen. Die Zugvögel bekamen übriggebliebene Brötchen, Reste von Bohnen, Maisgrütze und was die Schwarzen sich sonst noch abknapsen konnten. Jahrhundertelang passten wir außerdem auf Kinder auf, nährten sie oft sogar am Busen, Kinder von Menschen, die uns verachteten. Wir hatten eine Nation von Rassisten bekocht, und trotz der vielen Gelegenheiten gab es nur ganz wenige Geschichten, in denen Schwarze Bedienstete weiße Familien vergiftet hatten. Wenn das nicht Barmherzigkeit war, dann verstand ich das Wort nicht richtig.

Was die Spiritualität betraf, waren wir Christen. Wir demonstrierten doch geradezu die Lehren von Jesus Christus. Wir hielten so oft die andere Wange hin, dass uns der Kopf schier auf dem Hals rotierte, wie bei den alten Stop-and-Go-Schildern auf der Straße. Wie oft sollte man noch mal vergeben? Siebzig Mal sieben Mal, hatte Jesus gesagt. Wir vergaben, als wäre uns das Vergeben eingepflanzt. Unsere Kirchenmusik zeigte doch, dass wir an etwas Größeres glaubten, etwas jenseits unseres physischen Daseins, und dass dieses Etwas, dieser Gott und sein Sohn Jesus immer gegenwärtig waren, »zur Mitternachtsstunde« angerufen werden konnten und angesprochen, wenn »die Sonne aufsteht, um über den Morgenhimmel zu schreiten«. Wir konnten die Engel aus dem Himmel singen und sie dazu bringen, sich zu Tausenden auf einem Stecknadelkopf zu drängen. Wir konnten Jesus bitten, an unserem Totenbett bereitzustehen und uns in »Abrahams Schoß« aufzunehmen, »the bosom of Abraham«. Wir erzählten ihm von unseren Sorgen und freuten uns auf die Zeit, da wir zu denen zählen würden, die ins Himmelreich eingingen. Wir würden auf den goldenen Himmelswegen wandeln, uns an Milch und Honig laben, die versprochenen Schuhe tragen und in Jesu Armen rasten, der uns mit den Worten wiegen würde: »Du hast in meinem Weinberg gearbeitet. Du bist müde. Jetzt bist du zu Hause, mein Kind. Gut gemacht.« Also, an unserer Spiritualität bestand überhaupt kein Zweifel.

The Blacks beschrieb die Vorstellung eines weißen Ausländers von einem Volk, das er nicht verstand. Genet hatte die Unmenschlichkeit und Niedertracht von seinesgleichen einer Ethnie übergestülpt, von der er keine Ahnung hatte, einer Ethnie, die unter der ihr auferlegten Last an weißer Raffgier und weißem schlechtem Gewissen fast zusammenbrach, noch dazu, wo sie sich sowieso an ihrer eigenen Unzulänglichkeit abschleppte. Ich schmiss das Manuskript in einen Schrank, fertig mit Genet und seinen blödsinnigen angeblichen Einsichten.

Zwei Tage später rief Max Glanville an.

»Maya, wir wollen dich bei dem Stück dabeihaben.« Dem Stück? Ich hatte Genet und sein schlecht ausgedachtes Drama längst vergessen.

Glanvilles Stimme umschmeichelte mich durchs Telefon. »Es gibt zwei mögliche Rollen, wir sind noch nicht ganz sicher, welche am besten für dich passt. Komm doch mal vorbei und lies uns vor.«

Ich lehnte dankend ab und legte auf. Vus erzählte ich von dem Anruf nur, weil ich damit ein Thema fürs Abendessen hatte. Erschütternderweise lachte er mich rundweg aus. »Amerikaner sind entweder ziemlich schwer von Begriff oder fürchterlich arrogant. Sie haben keine Ahnung, oder es ist ihnen egal, dass es eine Welt außerhalb der ihren gibt, in der Traditionen noch zählen. Die Frau eines afrikanischen Wortführers hat auf der Bühne nichts zu suchen.« Er lachte wieder. »Stell dir doch mal vor, die Frau von Martin King oder Sobukwe oder Malcolm X steht auf der Bühne und wird von weißen Männern begafft?« Allein bei der Vorstellung schüttelte er den Kopf. »Nein. Nein, du trittst mir nicht öffentlich auf.«

Zwar hatte ich Glanvilles Einladung bereits abgelehnt, aber bei Vus’ Reaktion kitzelte es in all meinen Zellen. Ich war eine gute Schauspielerin, nicht großartig, aber immerhin kompetent. Bevor ich Vus kennenlernte, hatte ich von der Schauspielerei jahrelang meine Miete bezahlt, meinen Sohn und mich mit Essen und Kleidern versorgt. Als ich Vus meine Treue geschworen und meinen Körper hingegeben hatte, hatte ich doch nicht sämtliche Rechte an meinem Leben verwirkt. The Blacks war mir herzlich egal, da es mich nicht beeindruckt hatte, aber Vus’ Haltung der umfassenden Kontrolle ärgerte mich. Ich schwieg.

Abbey hatte man ebenfalls eine Rolle angeboten. Ich erzählte ihr, dass Vus mir nicht erlauben wollte zu spielen. Sie hatte die Idee, da Max das Stück so wichtig fand und Vus vor Max Respekt hatte, sei es vielleicht am besten, wenn die beiden sich unterhielten. Sekunden nachdem Abbey aufgelegt hatte, rief Max an und wollte meinen Mann sprechen.

Ich hörte Vus im Wohnzimmer auflegen; dann kam er in die Küche. »Ich treffe mich mit Max zu einer Besprechung.« Bei Vus war jedes Treffen eine Besprechung und jedes Gespräch eine Diskussion übers Wesentliche. Ich nickte und spülte weiter ab.

Als Vus wiederkam, wollte er das Manuskript sehen. Ich barg das Stück aus den Tiefen des Schranks und überreichte es ihm. Während Guy und ich Scrabble spielten, saß Vus nun im Wohnzimmer unter einer Leselampe. Von Zeit zu Zeit stand er auf und holte sich aus der Küche einen frischen Drink, anschließend zog er sich stumm wieder aufs Sofa zurück.

Guy ging ins Bett, und Vus las immer noch. Mir war klar, dass er im Textbuch hin und her blätterte, immer wieder bestimmte Stellen nachlas. Als ich Gute Nacht sagte, blickte er kaum hoch.

Ich wurde aus dem Tiefschlaf wachgerüttelt. »Maya, wach auf. Ich muss mit dir reden.« Er setzte sich auf die Bettkante, die zerknitterten Seiten neben sich.

»Das Stück ist großartig. Wenn sie dich noch wollen, musst du mitspielen.« Ich kam nach dem Vorbild von Vivian Baxter zu mir: auf einen Schlag hellwach.

»Ich bin aber mit dem Fazit nicht einverstanden. Schwarze werden nie so werden wie Weiße. Nie im Leben.«

»Maya, du bist so jung, so, so jung.« Er ließ den Gönner heraushängen, als wäre ich das kleine Hirtenmädchen und er der alte Mann vom Kilimandscharo.

»Mein liebes Weib, das ist eine Form von umgekehrtem Rassismus. Schwarze sind Menschen, nicht mehr und nicht weniger. Unser geschichtlicher Hintergrund hat dazu geführt, dass wir uns anders verhalten.«

Streitlustig griff ich mir eine Zigarette vom Nachttisch und führte unseren Respekt, unsere Barmherzigkeit und unsere Spiritualität ins Feld. Vus’ Replik bremste mich. »Wir sind einfach Menschen. Die Hauptursache für Rassismus und die hauptsächliche Folge davon sind, dass Weiße uns einfach nicht als ganz normale Menschen betrachten wollen.«

»Aber in dem Stück wird behauptet, wenn Schwarze die Gelegenheit hätten, würden sie sich genauso niederträchtig verhalten wie Weiße. Und das glaube ich einfach nicht.«

»Maya, das ist sehr gut möglich, und genau davor müssen wir uns hüten. Weißt du, meine liebe Gattin« – er sprach langsam und beugte sich mit seinem massigen Körper zu mir – »weißt du, die meisten Schwarzen Revolutionäre, die meisten Schwarzen Radikalen, die meisten Schwarzen Aktivisten wollen gar keinen echten Wandel. Sondern einfach tauschen. Das Stück weist auf diese Wahrscheinlichkeit hin. Und wir Schwarze müssen diese Versuchung ernst nehmen. Du musst bei The Blacks mitspielen.«

Er redete im Liegen weiter und ich schlief in seinen Armen ein.

Am nächsten Morgen fuhren Abbey und ich zum St. Marks Playhouse auf der Second Avenue. Schauspielerinnen und Schauspieler saßen stumm in den spärlich beleuchteten Sitzreihen, und Gene Frankel lief geschäftig auf der Bühne herum. Max Glanville hatte uns hereinkommen sehen. Er nickte uns zu und flüsterte Gene ins Ohr. Der hob den Kopf und blickte in den Zuschauerraum.

»Maya Make. Maya Angelou Make. Abbey Lincoln. Kommt bitte mal nach vorn.« Wir suchten uns Plätze in der ersten Reihe.

Glanville setzte sich zu uns. »Abbey, wir hätten gern, dass du die Rolle von Snow übernimmst. Und bei dir, Maya, haben wir uns noch nicht entschieden, ob du die Schwarze oder die weiße Königin spielen sollst.«

»Die Schwarze natürlich«, sagte ich.

»Lies uns mal ein Stück aus beiden Rollen.« Er stand auf und kam mit einem offenen Manuskript in den Händen wieder.

»Lies mal diesen Abschnitt.« Er blätterte. »Und dann diesen unterstrichenen Teil.«

Ich erklomm die niedere Bühne und fing ohne einen Blick ins Publikum an zu lesen. Der Abschnitt war kurz, ich schlug das Manuskript bei der zweiten Stelle auf und las ohne stimmliche Interpretation den nächsten Monolog.

Vereinzelter Applaus hinterher, und eine vertraute rauchige Stimme rief: »Alles drin, Baby, alles dran.« »Klar, aber jetzt zeig mal Bein«, kicherte eine weitere.

Godfrey Cambridge hatte sich in einen Sitz in der dritten Reihe gefläzt, und neben ihm saß Flash Riley.

Ich gesellte mich zu den beiden, und wir tuschelten über Cabaret for Freedom, während Frankel, Bernstein und Glanville auf der Bühne die Köpfe zusammensteckten.

»Licht«, rief Frankel, und die Lichter im Zuschauerraum gingen an. Er trat an den Bühnenrand. »Meine Damen und Herren, ich möchte euch einander vorstellen, und bitte schreibt im Skript mit. Godfrey Cambridge ist Diouf. Roscoe Lee Browne ist Archibald. James Earl Jones ist Village. Cicely Tyson ist Virtue. Jay Riley ist der Gouverneur, Raymond St. Jacque der Richter. Cynthia Belgrave ist Adelaide. Maya Angelou Make ist die White Queen. Helen Martin ist Felicity oder die Black Queen. Lou Gossett ist Newport News. Lex Monson ist der Missionar. Abbey Lincoln ist Snow und Charles Gordon der Diener. Max Roach ist der Komponist, Talley Beatty der Choreograf und Patricia Zipprodt die Kostümbildnerin. Ethel Ayler ist die Zweitbesetzung für Abbey und Cicely, Roxanne Roker für Maya und Helen.«

Ich sah mich um. Ethel und ich grinsten uns zu; wir hatten uns vor Jahren bei der Europatournee von Porgy and Bess angefreundet.

Die Proben begannen in ausgelassener Schulhofstimmung und verdichteten sich innerhalb von Tagen zum Ernst eines ausgewachsenen Krieges. Freundschaften und Cliquen formierten sich rasant. Roscoe Lee Browne, der die Hauptrolle spielte, hatte nach einer Woche auch außerhalb der Bühne die Rolle des Chefs. Zum Glück paarten sich seine gewählte Ausdrucksweise und die tadellosen Manieren mit Esprit. Er war durch nichts aus der Fassung zu bringen.

James Earl Jones, ein beigehäutiger, gutaussehender Bulle von Mann, beobachtete Frankel mit grimmigem Blick, hing an seinen Lippen, studierte seinen Haaransatz, Kinn, Hals und Ohrläppchen. Und dann verkroch er sich von einer Sekunde auf die andere mit der Endgültigkeit einer zugeknallten Tür in sein Inneres.

Der junge, knackige Lou Gossett kam jedes Mal unschuldig und offen für alles auf die Bühne gespurtet. Bei allem jugendlichen Ungestüm hatte er bereits das Zuhören zu einer Kunst verfeinert und neigte seinem Gegenüber mit teilnehmendem Blick und aufmerksamer Haltung sein Ohr zu.

Godfrey und Jay »Flash« Riley wetteiferten um den Titel als Ensemble-Clown, und als Flash gewonnen hatte, machte Godfrey eine Wandlung durch. Der Komiker verblasste, und von Tag zu Tag nüchterte er sich zu einem grauen, lerneifrigen Schauspieler aus.

Cicely, zart und schön wie eine schwarze Rose, war ernst und zugeknöpft. Sie saß in der hintersten Reihe, die Nase im Skript vergraben, und hob sich alle Wärme für ihre Figur und jegliches Lächeln für die Bühne auf. Raymond, der aussah wie ein Filmstar, und Lex waren alte Freunde, die ihre Rollen gemeinsam einstudierten und sich mit völlig überzogenen Lesungen gegenseitig wegschmissen vor Lachen. Helen und Cynthia waren Profis; allein vom Zusehen her war mir klar, dass sie ihre Texte können, die vom Regisseur beschlossene Positionierung auf der Bühne behalten und sich die Schritte von Talleys Choreografie fehlerlos und schneller einprägen würden als alle anderen. Charles Gordone, ein kleiner, hellhäutiger, piekfein gekleideter Mann, machte sich unterschwellig über alles und jeden lustig und ließ auch sich selbst als Ziel für Spott nicht aus.

Frankels Regie wurde in Teilen des Ensembles ein gewisser Widerstand entgegengebracht, mit der Begründung, als Weißer sei er einfach nicht in der Lage, schwarze Beweggründe zu begreifen. In anderen Teilen herrschte ein Gehorsam, der schon an Kriechertum grenzte und bei dem einem die Sketche von Stepin Fetchit in den Sinn kamen.

Tagtäglich empfing uns im Theater eine Spannung, die sich zäh wie Morgennebel in den Sitzreihen hielt.

Abbey und ich lasen und lernten mit der Solidarität einer gewachsenen Freundschaft zu zweit oder mit Roscoe und gingen in einem nahegelegenen Restaurant zum Mittagessen, wo es dann um die tagesaktuellen politischen Turbulenzen ging. Wir drei hätten uns auch nicht allein als Schauspieler bezeichnet: Abbey war Jazzsängerin, ich Aktivistin und Roscoe hatte zwar Shakespeare-Rollen gespielt und Theaterwissenschaft unterrichtet, war aber auch schon Sprint-Champion und Geschäftsführer einer großen Spirituosenfirma gewesen. Wir waren uns früh einig, dass The Blacks zwar ein wichtiges Stück war, für uns aber »das Stück« nicht zum alleinigen Lebensinhalt werden sollte.

Meine Ehe war erst ein paar Monate alt, Vus war nach wie vor ein ungelöstes Rätsel für mich, und dieses Rätselhafte hatte sexuellen Reiz. Ich war verliebt. Guys Noten hatten sich verbessert, allerdings war er selten zu Hause, und als ich ihm anbot, die Eltern seiner neuen Freunde zu uns zum Abendessen einzuladen, lachte er mich aus.

»Mom, das ist so was von out. Wir sind doch nicht in Los Angeles, das hier ist New York. Da macht man so was nicht.« Als ich erwiderte, auch New Yorker hätten Eltern, und Eltern hätten manchmal Hunger, lachte er noch einmal.

»Von den meisten kenne ich die Eltern nicht mal. Echt, Mom, manche von denen sind schon siebzehn und achtzehn. Wie sehe ich denn aus, wenn ich ankomme mit einem ›Meine Mom will deine Mom kennenlernen‹? Wie der letzte Trottel.«

Die Harlem Writers Guild sah ein, dass ich nun hauptsächlich am Theater zu tun hatte, das entband mich jedoch nicht von meiner Verpflichtung, zu den Treffen zu erscheinen und weiter zu schreiben.

Am Ende der ersten Woche hatte Frankel die Inszenierung fertig und Talley studierte mit den Schauspielern seine Choreografie ein, das Bühnenbild wurde in Auftrag gegeben und ich büffelte meinen Text.

Raymond, Lex, Flash, Charles und ich spielten die »Weißen«.

Wir trugen übertriebene Masken und agierten auf einem knapp drei Meter über die Bühne aufragenden Podest. Zu unseren Füßen inszenierten die »Negroes« (der Rest des Ensembles) vor unseren Augen einen Lustmord durch einen Schwarzen Mann (dargestellt von Jones) an einer weißen Frau (ein maskierter Godfrey Cambridge). Aus Rache brachen wir, die Kolonialmacht – das Königshaus (die White Queen), die Kirche (Lex Monson), das Gesetz (Raymond St. Jacques), das Militär (Flash Riley) und der aalglatte Liberale (Charles Gordone) –, über Afrika herein, um die Schwarzen für das Verbrechen büßen zu lassen. Nach einem Duell zwischen den beiden Königinnen triumphierten die Schwarzen und brachten die Weißen einen nach dem anderen um. Anschließend stiegen die siegreichen Schwarzen in einer sarkastischen Imitation der bezwungenen »Weißen« die Rampe hinauf und besetzten das Podest ihrer früheren Herrscher.

Das Stück zerging uns auf der Zunge. Zwar schauspielerten wir nur, aber immerhin waren wir Schwarze Schauspieler im Jahr 1960 und stellten auf dieser kleinen New Yorker Bühne die Konfrontationen dar, die sich im echten Leben auf Amerikas Straßen tagtäglich abspielten. Weiße lebten tatsächlich auf einer höheren Warte, sie hassten uns, hatten Angst vor uns und waren eine Bedrohung für unsere schiere Existenz. Schwarze belächelten hinter ihrer Maske tatsächlich die Machthaber, denen sie Abscheu genauso entgegenbrachten wie Neid. Wir würden das weiße Joch abschütteln, das uns in einen ewigen Kniefall zwang.

Ich begann meine Rolle zu genießen. Mit der White Queen konnte ich niederträchtige weiße Frauen und brutale weiße Männer herrlich lächerlich machen, die mich und meinesgleichen allzu oft verletzt hatten. Jede dumme Pose und arrogante Haltung, die mir je begegnet waren, fand Eingang in meine White Queen.

In mindestens einer Hinsicht hatte Genet recht gehabt: Man sollte Weiße von Schwarzen darstellen lassen. Jahrhundertelang hatten wir ihre Gesichter studiert, ihre Körperhaltungen, den Klang ihrer Stimmen, ja, sogar ihre Gerüche. Oft hatte unser Überleben davon abgehangen, das Lachen eines weißen Mannes oder die herablassende Handbewegung einer weißen Frau richtig zu deuten. Andersherum wussten Weiße immer, dass ihnen nichts groß passieren konnte, wenn sie Schwarze missverstanden. Weiße waren von unseren Belangen sicher abgeschottet. Wenn es ihnen beliebte, konnten sie den ethnischen Vorhang, der uns trennte, lüften. Sie konnten sich sexuelle Eskapaden leisten, unsere Familien um Mulattenbastarde erweitern, mit unserer Musik ein Vermögen machen und aus unseren Männern Waschlappen, und im nächsten Moment konnten sie kehrtmachen und spurlos in ihre makellose Sicherheit zurückkehren. Das Klischee der Weißen, die von Schwarzen keine Ahnung hatten, war nicht nur wahr, sondern auch nachzuvollziehen. Ach, aber wir kannten sie mit der Intimität eines Chirurgenskalpells.

Ich zog mir die verhassten Gesten an und ließ die White Queen verächtlich auf all die miesen, stinkenden, strohdummen Schwarzen herabblicken, die zwar nichts verbrochen hatten, aber doch zu verabscheuen waren wie Bestien.

Es war nicht zu übersehen, dass die anderen Schauspieler sich auch motivieren konnten. Das Stück wurde zu einer so grausamen Parodie der weißen Gesellschaft, dass mir ein Flop sicher schien. Weiße waren doch nicht gar so masochistisch veranlagt, dass sie sich ein Stück gern anschauen würden, in dem sie lächerlich gemacht und beleidigt wurden, und Schwarze Theaterbesucher waren einfach rar.

James Baldwin, der mit Gene Frankel befreundet war, kam häufig in die Proben. Er lachte laut und beifällig über unsere Darbietungen, und ich unterhielt mich oft mit ihm. Als ich ihn mit Vus bekanntmachte, fanden die beiden allergrößtes Gefallen aneinander.

Bei der Generalprobe am Vorabend der Premiere jubelten und trampelten Schwarze Freunde, Verwandte und eingeladene Sponsoren die ganze Aufführung hindurch. Ich hielt das für normal: Als Schwarze wie wir, Schwarze Mitfühlende oder Geldgeber waren sie uns ja zugetan.

Vus und Guy versicherten mir hinterher strahlend, ich sei die beste Schauspielerin auf der Bühne gewesen, und ich ließ mir ihre Komplimente gern gefallen.

Am Morgen der Premiere versammelte sich die Besetzung im Foyer, und jeder reichte sein Lampenfieber an die anderen weiter wie ein rohes Ei. Ich sah mich nach Abbey um, aber sie war noch nicht da.

Als wir den dunklen Theaterraum betraten, bellte Gene Frankel von der Bühne.

»Alle zu mir nach vorn. Alle.«

Er hatte zerrüttetere Nerven als wir, die wir am Abend doch vor dem Publikum stehen würden. Ich kicherte. Roscoe Browne drehte sich mit Erz-Unschuldsmiene zu mir um.

Während wir die ersten Reihen füllten, tigerte Frankel die Bühne auf und ab. Dann blieb er stehen und blickte hinaus auf die Truppe.

Seine Stimme zitterte. »Wir haben keine Musik. Keine Musik, und Abbey Lincoln spielt bei der Premiere heute Abend nicht mit. Max Roach hat seine Musik zurückgezogen.«

Er warf uns das vor die Füße und wartete, bis seine Worte bei uns ankamen.

In der ersten Reihe wurden verunsicherte Blicke gewechselt.

»Abbeys Cover ist bereit. Sie probt schon den ganzen Morgen.«

Wir drehten uns nach rechts, wo Ethel vorne an der Bühne saß. »Wir können es durchziehen«, fuhr Frankel fort. »Wir müssen es sogar durchziehen, aber für den Song und die Tanzeinlage haben wir keine verdammte Note.«

Ächzen und Stöhnen wurde laut. Wir hatten alles erduldet, die Proben, die spätnächtliche und frühmorgendliche Konzentration, die langen U-Bahn-Fahrten, die vernachlässigten Familien, Talley Beattys komplexe Choreografie und die herausfordernde Inszenierung des Regisseurs.

Max Roach war ein Genie, ein verantwortungsbewusster Musiker und mein Freund. Er machte so etwas doch nicht ohne Grund.

Ich stand auf und ging nach draußen zur Telefonkabine im Foyer.

Max nahm ab und posaunte ins Telefon. »Diese Arschlöcher haben ihr Wort gebrochen. Wir hatten eine Abmachung und sie haben sich nicht daran gehalten.«

»Und Abbey ist draußen?«

»Worauf du dich verlassen kannst.«

»Max, wenn ich bleibe, sind wir dann Feinde?«

»Quatsch. Aber meine Frau geht mir nicht auf diese Bühne.«

Frankel hatte gesagt, die Premiere würde mit oder ohne Musik stattfinden.

»Max, wäre es in Ordnung, wenn ich die Stücke schreiben würde? Mit zwei Stücken kommen wir einigermaßen hin.«

»Das ist mir scheißegal. Ich will bloß nicht, dass dieser Dreckskerl meine Musik verwendet.«

»Ich wäre dann immer noch deine Schwester?«

Max war ein aufmerksamer Bruder, aber als Feind wollte man ihn nicht haben.

»Klar. Klar bist du meine Schwester.«

Der Hörer wurde auf die Gabel geknallt.

Wenn ich jetzt überlegte, redete ich es mir womöglich wieder aus. Unter Schwarzen gab es den Spruch: »Folg deinem ersten Instinkt.«

Von der Seite aus machte ich Ethel ein Zeichen; sie stand auf und wir gingen gemeinsam aus dem Zuschauerraum. Ethel hatte eine musikalische Vorbildung, und ich hatte sowohl für Guy als auch für mein Album schon Stücke geschrieben. Zusammen konnten wir locker zwei läppische Stücke komponieren.

Ethel hatte die Ausstrahlung einer hinreißend schönen Frau. Die jahrelange Bewunderung in der Familie, die Komplimente von Wildfremden und der Neid nicht ganz so schöner Frauen hatten ihr eine große Portion Selbstbewusstsein beschert.

»Klar können wir das, Maya. Es sind ja bloß zwei Stücke. Komm, setzen wir uns ans Klavier.«

Wir gingen auf Frankel, Talley und Glanville zu, die sich auf der Bühne besprachen.

»Wir schreiben die Musik.«

»Wie bitte?«

»Wir schreiben sie heute Nachmittag.«

»Und studieren sie mit den Leuten ein«, ergänzte ich.

Frankel wäre Sidney Bernstein fast auf den Schoß gesprungen. »Hast du das gehört?«

Bernstein wiegte beglückt den Kopf.

»Hab ich, hab ich. Dann sollen sie machen. Wenn sie sagen, sie schaffen das, dann sollen sie machen. Tolle Mädels. Tolle Frauen. Lass sie machen.«

Sidneys schmächtige Gestalt zappelte vor Aufregung. »Schick die Schauspieler in die Pause. Sollen im Theater ausschwärmen.«

Frankel nickte.

Ethel und ich setzten uns nebeneinander auf den Klavierhocker, und sofort war die alte Kameradschaft von Porgy and Bess wieder da. Wir einigten uns auf C-Dur, ohne Kreuze und Bs, das wäre für musikalisch Ungeübte am einfachsten zu lernen. Ethel spielte eine Melodie im oberen Register und ich spielte ein paar Bässe dazu. Wir sprachen den Text und richteten die Melodie daran aus. Innerhalb von einer Stunde hatten wir die zwei Stücke zusammen. Das Ensemble kam von der Pause zurück, stellte sich ums Klavier und hörte sich unsere Melodien an. Beim ersten Lacher fuhr ich herum, um unser Werk zu verteidigen, merkte aber dann, dass das Lachen nicht böse gemeint war, eher vielsagend und anerkennend. Ethel Ayler und ich hatten kein Hexenwerk vollbracht, bloß wieder einmal bestätigt, dass Schwarze clever, schlau und verdammt schnell sein mussten.

Am Abend dann setzte das Stück in den höchsten Tönen von Hohn, Spott und Verachtung ein. Das Theater verwandelte sich in eine Kultstätte des Sarkasmus, in der wir weiße Heilige verhöhnten und auf weiße Götter spuckten. Die meisten Schwarzen im Publikum reagierten amüsiert auf unsere blasphemischen Tiraden, ein paar hüstelten oder schnaubten missbilligend. Ihnen war unsere Unverfrorenheit peinlich, sie hätten es lieber gehabt, dass wir Schwarze unsere Wut hinter diversen Masken verbargen und wie üblich unter dem Deckel hielten.

Die Weißen dagegen schlossen The Blacks sofort ins Herz. Am Ende der Vorstellung sprang das Publikum auf, klatschte tumultartig und brüllte »Bravo, Bravo!«. Das Ensemble hatte abgemacht, sich weder zu verbeugen noch zu lächeln. Wir blickten hinaus über die blassen Gesichter, nicht länger Schauspieler, die von einem Tausende von Meilen entfernten Franzosen geschriebene Rollen verkörperten, sondern mutige Schwarze, die dem Feind beherzt ins Auge blickten. Unsere Unverschämtheit heizte dem Publikum nur umso mehr ein. Noch lange nachdem wir von der Bühne gegangen waren, hielt der lärmende Applaus an.

In den Umkleiden johlten und brüllten wir. Wenn das Publikum die penetrante Botschaft des Stücks nicht kapiert hatte, dann waren diese Cracker einfach heillos unsensibel. Und wenn sie sie kapiert hatten und ihnen das Stück trotzdem gefiel, waren sie psychisch krank, was wir ohnehin immer vermutet hatten.

Wir hatten einen Hit und waren glücklich.

Schwarze begriffen und goutierten das Stück, aber Abend für Abend waren viermal so viele Weiße im Theater wie Schwarze, was einem ernsthaft zu denken gab. Weiße mussten doch nicht extra in die Lower East Side von New York pilgern, um zu erfahren, wie unbarmherzig, ungerecht und unlauter sie waren. Schwarze Redner, eloquenter als Genet, hatten Weiße doch seit Jahrhunderten darauf hingewiesen, dass unsere Lebensumstände unerträglich waren. 1830 hatte David Walker und 1850 Frederick Douglass deutlich gemacht, welchen Terror und welche Qualen ein Leben in den Vereinigten Staaten für Schwarze bedeutete. Martin Delaney und Harriet Tubman, Marcus Garvey und Dr. Du Bois, Martin King und Malcolm X hatten zornig, leidenschaftlich und überzeugend dargestellt, dass wir gefährlich auf einer Mauer balancierten und dass, sollten wir fallen, das ganze Gebäude, das uns den Raum zum Leben verwehrt hatte, womöglich mit einstürzte.

Im Jahr 1960 hätten weiße Amerikaner also längst alles wissen können, was sie über Schwarze Amerikaner wissen sollten.

Warum kamen sie dann ins St. Mark’s Playhouse geströmt und hörten sich staunend an, wie Schwarze Schauspieler ihnen Schimpfwörter an den Kopf warfen? Diese Frage beschäftigte mich, zwickte wie ein Sandkorn zwischen den Zähnen: nicht schmerzhaft, aber eine ständige Irritation.

Schließlich, einen Monat nach der Premiere, bekam ich meine Antwort. Das Ensemble hatte sich nach der Vorstellung schon umgezogen und kam ins Foyer, um Freunde zu treffen. Eine junge Weiße um die dreißig, teuer gekleidet, packte meine Hand.

»Maya? Mrs Make?« Die Tränen liefen ihr übers Gesicht, die ganze Nasengegend war rot. Ich hatte spontan Mitleid mit ihr.

»Ja?«

»Oh, Mrs Make.« Sie fing an zu schluchzen, und ich fragte, ob sie mit in meine Garderobe kommen wolle. Die Einladung wirkte wie eine kalte Dusche.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, das ist es nicht. Natürlich nicht, alles in Ordnung.«

Die Röte verschwand aus ihrem Gesicht und beim nächsten Satz klang ihre Stimme klarer.

»Sie sollen nur wissen … ich wollte nur sagen, ich habe das Stück fünf Mal gesehen.« Sie wartete.

»Fünf Mal? Wir spielen doch erst seit vier Wochen.«

»Ja, aber viele Freunde von mir …« – sie hatte sich wieder in der Gewalt – »viele von uns haben das Stück mehr als einmal gesehen. Eine Frau bei mir im Haus geht zweimal in der Woche.«

»Und warum? Warum kommen Sie immer wieder?«

»Also« – sie gab sich einen Ruck – »also, wir unterstützen Sie. Ich meine, wir verstehen, was Sie sagen.«

Die Geräuschkulisse waberte um uns herum, aber wir standen wie in einer Blase, ein Inbild der amerikanischen Gesellschaft: Weiß und Schwarz reden aneinander vorbei.

»Wie viele Schwarze wohnen bei Ihnen im Haus?«

»Ähm, keine. Aber das heißt ja nicht …«

»Wie viele Schwarze Freunde haben Sie? Also, Ihr Dienstmädchen nicht mitgezählt?«

»Huch.« Sie wich einen Schritt zurück. »Sie wollen mich beleidigen.«

Ich machte einen Schritt nach vorn. »Von mir als Bühnenfigur lassen Sie sich meine Beleidigungen gefallen, aber nicht von mir als Mensch, stimmt’s?«

Der Blick, den sie mir zuwarf, war so hasserfüllt, dass mein Herz stockte. Ich streckte die Hand aus.

»Fassen Sie mich nicht an!« Ihr Ton war so scharf, dass einige Umstehende aufhorchten. Prompt erschien Roscoe und deutete, noch ganz in der Rolle, einen Diener vor mir an. »Hallo, Königin.«

Die Frau wollte davonstampfen, aber ich fasste sie am Ärmel. »Würden Sie mich zu Ihnen nach Hause einladen? Würden Sie sich mit mir anfreunden?«

Sie riss sich los und spuckte aus. »Schwarze. Typisch.« Und lief weg.

»Was war denn das, meine Holde?«, fragte Roscoe.

»Das ist eine von unseren Fans. Sie kommt ins Theater, um sich von uns beschimpfen und kleinmachen zu lassen, und das ist dann ihr Beitrag zu unserem Kampf.«

Roscoe schüttelte ganz bedächtig den Kopf. »Auwei. Eine von denen.«

Und damit war das Thema beendet.