Der Lippenstiftfleck stammte nicht von mir und das Parfum aus keinem meiner Flakons. Ich legte Vus’ Hemd über den Stuhl und seinen Anzug an den Türknauf. Dann setzte ich mich und wartete, bis er aus der Dusche kam.

Wir hatten nie über Untreue geredet; ich hatte daran einfach nicht gedacht. Aber als sich auf Vus’ Kleidung zum dritten Mal Make-up-Spuren anderer Frauen fanden, musste ich mich der Möglichkeit stellen.

Er band sich den Gürtel seines karierten seidenen Morgenmantels zu und kam ins Schlafzimmer.

»Mein Herz, sollen wir frühstücken gehen? Ich habe eine Besprechung downtown. Wir könnten doch zum Broadway und dann –«

»Vus, wer ist die Frau? Besser gesagt, wer sind die Frauen?«

Er wandte sich um und ließ die Hände sinken, seine Miene stumm wie ein Stück Holz.

»Frauen? Welche Frauen?« Die runden Augen, die ich so liebte, waren verschleiert, und ich blieb außen vor. »Was soll denn der Quatsch?«

Ich sprach ganz leise weiter. Ich fragte, weil ich als Tochter meiner Mutter eigentlich mutig und ehrlich sein sollte, aber ich wollte keine ehrliche Antwort. Ich sehnte mich danach, dass er alles abstritt oder mir eine gedrechselte Ausrede vorsetzte.

»Der Lippenstift. Farbe Fuchsia. Der gehört mir nicht. Diesmal ist das Parfum Tweed, und das habe ich noch nie aufgelegt.«

»Ach so.« Er lächelte, dass sich seine schönen Lippen auseinanderzogen und mir ein Blitzen ebenmäßiger Zähne vergönnt war. »Ach so, mein Schatz, du bist eifersüchtig.« Er kam zu mir her, zog mich an den Händen hoch und drückte mich an sich. Sein Bauch wackelte. Er lachte mich aus.

»Meine liebe Frau ist ein bisschen eifersüchtig.« Stimme und Körper dröhnten. Er ließ mich los und sah mir in die Augen.

»Mein Herz, es gibt keine anderen Frauen. Du bist die einzige Liebe in meinem Leben. Du bist die einzige Frau, die ich je wollte, und alles, was ich habe.«

Genau das hatte ich hören wollen, aber als Schwarze Amerikanerin hatte ich eine Geschichte zu achten und eine Pflicht zu erfüllen. Ich blickte ihn direkt an.

»Vus, wenn du dich in Abbey oder Rosa oder Paule verliebt hättest, könnte ich das verstehen. Ich wäre verletzt, aber nicht gekränkt. Das sind Frauen, die mich nie absichtlich verletzen würden, und die Liebe ist wie ein Virus, sie kann jeden jederzeit treffen. Aber wenn du einfach fremdgehst, dann zieh dich lieber warm an, und das ist mein voller Ernst.«

Vus wich zurück. Wir standen uns gegenüber, aber er hatte eine Mauer um sich.

»Untersteh dich, mir zu drohen. Ich bin Afrikaner. Ich bin nicht leicht zu erschrecken, und ich laufe nicht weg. Stell mich bloß nie wieder in Frage. Du bist meine Frau, mehr brauchst du nicht zu wissen.«

Er zog sich an und verließ das Haus, ohne seine Frühstückseinladung zu wiederholen.

Ich wanderte durch die Wohnung und überlegte, welche Möglichkeiten ich hatte. Eine Trennung kam nicht in Frage. Zu viele meiner Freunde hatten mir von der Heirat abgeraten und mein Stolz erlaubte mir nicht, ihnen recht zu geben. Guy würde mir nie verzeihen, wenn wir schon wieder umziehen würden, und den einzigen Menschen zu verlieren, der mich wirklich liebte, konnte ich nicht riskieren. Wenn ich Vus in flagranti erwischte, würde ich mir eine Pistole besorgen und ihm den Hintern wegblasen oder warten, bis er schlief, und ihm dann kochende Lauge in den Mund schütten. Gift würde ich nie nehmen, das wirkte womöglich zu langsam.

Ich hängte seinen Anzug an ein offenes Fenster und wusch den Lippenstiftfleck aus seinem Hemd.

Dass ich in dem verstaubten Theater glücklicher war als in unserer hübschen Wohnung an der Central Park West, entbehrte nicht einer gewissen, traurigen Ironie.

Über alle kulturellen Differenzen hinweg bauten Guy und Vus eine Freundschaft auf. Mein Sohn strengte sich sehr an, »Dad« zu verstehen. Es interessierte ihn, wie es für Vus wohl gewesen war, als Schwarzer Mann in Afrika aufzuwachsen. Vus freute sich über Guys Interesse und konnte mit seiner freien Erziehung zur Wissbegier umgehen, auch wenn sie so ganz anders war als die seine. Wenn Guy die Dekrete seines Stiefvaters in Zweifel zog, legte ihm Vus geduldig auseinander, dass ein afrikanischer Jugendlicher niemals einen Erwachsenen fragen würde, warum er dies oder jenes gesagt oder getan hatte. Jugendliche in Afrika würden vielmehr Behauptungen von Erwachsenen höflich akzeptieren und dann auf eigene Faust losziehen, um sich die Antworten zu holen, die ihnen passten. Die beiden saßen lachend zusammen im Wohnzimmer, unterhielten sich und spielten Schach. Meine Kochkünste fanden ihren Zuspruch, aber wenn ich sie auf die frischen Blumen auf dem Tisch oder ein neues Kleid hinwies, reagierten beide nach demselben Muster.

»Sehr schön, meine Liebe.«

»Hübsch, Mom. Wirklich sehr hübsch.«

»Guy, deine Mutter macht es uns hier wirklich sehr gemütlich.«

Sie behandelten mich wie das freundliche, kompetente Familienfaktotum.

Vergessen waren für Guy die Jahre, in denen ich ihn ermuntert hatte, mich zu löchern, meine Regeln in Frage zu stellen, jede Schlussfolgerung von mir auseinanderzunehmen. Es war ja kein Vater da gewesen, der meinen Erziehungsstil hätte ausbalancieren können, das gab Guy das Recht, Fragen zu stellen, und mir die Pflicht, zu erklären. Und jetzt brachte Vus ihm bei, was es heißt, ein afrikanischer Mann zu sein, und Guy war ein begabter Schüler. Ich war zerrissen. Einerseits sehnte ich mich nach unserer alten Vertrautheit – und seiner Abhängigkeit, andererseits war mir klar, dass er einen Vater brauchte, ein männliches Vorbild, einen Mann in seinem Leben. Ich war selbst in einem vaterlosen Zuhause aufgewachsen, daher hatte ich keine Ahnung, worüber Väter mit ihren Töchtern sprachen, geschweige denn, was sie ihren Söhnen beibrachten.

Klar war nur eines: Guy behandelte mich anders und auf eine unerfreuliche Art. Vorbei die Zeit, da er in meiner Miene nach Zustimmung oder in meinem Tonfall nach Ärger geforscht hatte. Er lachte mit Vus und bat Vus um Rat. Angeblich hatte ich das ja so gewollt, aber nun war ich, das musste ich mir eingestehen, für meinen Sohn zur verlässlichen Annehmlichkeit mutiert. Zu einem Etwas ohne großen Belang.

Zu Hause las Vus amerikanische, europäische und afrikanische Zeitungen und schnitt Artikel aus, die er anschließend kopiert an Kollegen in Übersee schickte. Den ganzen Vormittag verbrachte er bei den Vereinten Nationen, verwickelte Delegierte in Gespräche, konspirierte mit anderen afrikanischen Freiheitskämpfern und versuchte die Presse davon zu überzeugen, dass eine Revolution in Südafrika den siebenjährigen Algerienkrieg aussehen lassen würde wie ein Sonntagsschulpicknick. Er redete mit jedermann, den er für einflussreich hielt – mit Bankern, Anwälten, Geistlichen und Börsenmaklern. Ich entschloss mich, das Make-up an seinen Krägen und die süßen Düfte in seinen Kleidern Zufallsberührungen im Vorbeigehen mit den Sekretärinnen mächtiger Männer zuzuschreiben.

Ich begann, früh ins Theater zu gehen und ungern nach Hause zu kommen.

Backstage agierten Roscoe Lee Browne und ich ein Zweipersonenstück aus, das in mein allmählich verblassendes Leben etwas Farbe brachte. Unser stärkster Ausdruck lag im Schweigen, und körperliche Berührungen beschränkten sich auf flüchtige Küsschen auf die Wange. Eher rührend als sonst etwas, waren seine Aufmerksamkeiten leider oder zum Glück nicht auf Intimität ausgerichtet. Während die anderen Ensemblemitglieder nicht im Ansatz merkten, wie unglücklich ich war, merkte er es sehr wohl, stellte mich aus Diskretion aber nicht mit Fragen bloß.

Wenn ich in meiner Garderobe saß und Kreuzworträtsel löste oder ein Gedicht in Form bügelte, erklang Roscoes leichtfüßiger Schritt hinter der Tür.

»Hallo, meine Beste. Liegt draußen. Vor der Tür.«

Ich sprang jedes Mal auf, um noch einen Blick auf ihn zu erhaschen, aber der Korridor war jedes Mal leer – bis auf ein hübsches Sträußchen an der Wand oder eine einzelne, in dünnes grünes Papier gewickelte Blume.

Die Kontinuität und der Takt in Roscoes Sorge um mich machten ihn zum idealen Fantasiehelden und nötigen Kontrast zu meinem wirklichen Leben. Er war Vergnügen ohne Delikt, Reiz ohne Reue. Hätten wir uns je umarmt oder auch nur einmal die Tortur meiner Ehe angesprochen, wäre unser heimliches Ritual einer Romanze überfordert von der Alltäglichkeit gescheitert. Mit ein bisschen Glück kann eine einzige Fantasie tausend Wirklichkeiten verwandeln.

Mein Wahn auf Raten führte dazu, dass ich den Ernst eines Anrufs, den ich eines Abends erhielt, nicht erfasste.

Als ich den Hörer abnahm, raunte eine heisere Männerstimme: »Maya Make? Vusumzi Make kommt nicht nach Hause.«

Die Feststellung wunderte mich, aber beunruhigt war ich nicht. »Hat er Sie gebeten, mir das auszurichten? Wieso ruft er nicht selber an? Wer sind Sie überhaupt?«

»Vusumzi kommt nie wieder nach Hause«, sagte der Mann und legte auf.

Ich lief im Wohnzimmer herum und versuchte, die Botschaft zu enträtseln. Das Englisch war schwerfällig gewesen, aber ich konnte den dicken Akzent nicht verorten. Vus kannte so viele Ausländer, der Mann konnte aus jedem Land der Welt stammen. Außerdem kannte er viele Frauen, und vielleicht hatte ja irgendein afrikanischer Diplomat den Verdacht, seine Frau und Vus hätten eine Affäre. Mit seinem Anruf wollte er gar nicht mal Vus drohen, sondern mich argwöhnisch machen. Aber da hatte er seine Zeit und sein Geld verschwendet. Als ich ins Theater aufbrach, war Vus immer noch nicht da.

Während der Aufführung rumorte der Anruf dicht unter meinem auswendig gelernten Text vor sich hin. Erst als Helen Martin und ich ins abschließende Duell des Stücks verwickelt waren, dämmerte mir, dass Vus vielleicht in Gefahr war. Der rasende Ehemann hatte ihm womöglich schon etwas angetan. Vielleicht hatte er die beiden in flagranti erwischt und war mit dem Messer auf Vus losgegangen oder hatte gar auf ihn geschossen. Ich spielte brav zu Ende, und nur Roscoe fiel meine Zerstreutheit auf, denn jedes Mal, wenn sich unsere Blicke trafen, hob er eine Braue, spitzte die Lippen oder sah mich fragend an.

Nach dem abschließenden starren Blick ins Publikum von Seiten des Ensembles drehte ich mich um und stürzte auf meine Garderobe zu, doch direkt hinter der Bühne hatte Roscoe mich schon eingeholt.

»Maya, ist alles in Ordnung?«

Sein teilnehmender Blick ließ mich weinen. »Es geht um Vus. Ich habe Angst.«

Er nickte. »Aha, verstehe.« Von wegen aha, er konnte unmöglich verstehen und ich unmöglich erklären. Auf dem Weg zu den Garderoben durchquerten wir das Foyer, und Vus trat aus einem Knäuel von Theaterbesuchern heraus auf uns zu.

»Guten Abend, mein Schatz.« Er war wohlbehalten und ganz, und er sah umwerfend aus.

Roscoe schüttelte ihm freundlich die Hand. »Mr Make, unsere Queen ist eine großartige Schauspielerin, und heute Abend hat sie sich selbst übertroffen.« Mit einem angedeuteten Nicken in meine Richtung zog er sich zurück. Da ich wusste, dass Vus die öffentliche Zurschaustellung von Emotionen nicht guthieß, drückte ich ihn nur kurz und ging mich umziehen.

Ich konnte meine Erleichterung nicht verhehlen. Auf der Taxifahrt streichelte ich seinen dicken runden Schenkel und legte ihm den Kopf an die Brust, um seinen lebendigen Duft einzuatmen. »Du liebst mich heute Nacht.« Er lachte in sich hinein, und der Klang polterte lieblich in meinem Ohr.

Zu Hause machte er uns Drinks und wir setzten uns aufs gute Sofa. Er nahm meine Hand.

»Du bist sehr nervös. Irgendetwas hat dich verstört. Was war im Theater los?«

Ich erzählte ihm von dem Anruf. Sein Gesichtsausdruck verwandelte sich; er kaute an seiner Unterlippe, sein Blick wurde abwesend.

Gekünsteltes Lachen von mir. »Ich dachte, ein erzürnter Ehemann hat dich mit seiner Frau erwischt und hat womöglich …«

Ich hielt den Mund. Das klang selbst mir zu albern. Vus war weit, weit entfernt.

Als er den Mund wieder aufmachte, war sein Ton kalt und seine Diktion noch knapper als sonst.

»Wir müssen die Telefonnummer ändern lassen. Erstaunlich, dass sie so lang gebraucht haben.«

Ich verstand nicht, und er erklärte. »Das war jemand von der südafrikanischen Polizei. Die machen sowas. Rufen die Frauen von Freiheitskämpfern an und behaupten, ihr Mann oder ihre Kinder sind umgebracht worden.« Er schnaubte. »Eigentlich müsste ich beleidigt sein, dass sie dich erst jetzt auf dem Schirm haben. Das heißt ja, sie nehmen mich nicht ernst.« Er drehte sich zu mir. »Morgen lasse ich unsere Nummer ändern. Und dann kämpfe ich bei den Vereinten Nationen umso härter.«

Der Vorfall brachte mir die Realität der südafrikanischen Politik näher als alle Reden, die ich bisher gehört hatte. Die Stimme des Anrufers setzte sich in mir fest wie die geistlose Melodie eines Werbespots. Wenn ich am wenigsten darauf gefasst war, knurrte sie: »Maya Make? Vusumzi Make kommt nie wieder nach Hause.«

Am liebsten wäre ich Vus nicht mehr von der Seite gewichen. Auf die Straße, ins Taxi, bis ins UN-Gebäude, überallhin begleitete ihn meine Besorgnis. Selbst zu Hause war ich erst zufrieden, wenn wir beide uns im selben Zimmer aufhielten. Vus’ Versuche, mich zu beruhigen, waren fruchtlos. Die Angst hatte sich bei mir eingenistet, klebte mir wie Schweiß an den Handflächen und kehrte wieder, selbst wenn ich sie abgewischt hatte.

Zwei Wochen später kam der zweite Anruf.

»Maya Make? Wissen Sie, dass Ihr Mann tot ist?« Selber Akzent, andere Stimme. »Man hat ihm die Kehle durchgeschnitten.« Ich knallte den Hörer auf, nahm ihn im selben Augenblick wieder hoch und brüllte das Freizeichen nieder. »Du Lügner! Schwein! Rassist! Du apartheidsfanatisches Kindermörderarschloch!« Als ich auflegte, hatte ich jegliche Unflätigkeit verwendet, die ich kannte, und zwar in allen erdenklichen Kombinationen. Als ich Vus davon erzählte, sagte er nur, er würde unsere Nummer noch einmal ändern lassen. Er machte sich Sorgen, dass mich das so aus der Bahn warf, damit sei doch zu rechnen, auch mit Schlimmerem. Ich beschloss, mit allen weiteren Anrufen, so sie denn kamen, fertigzuwerden, und zwar allein.

Einen im Haus wohnenden Vater zu haben, hatte sichtbare Auswirkungen auf meinen Sohn. Guy war seinem Äußeren sein Leben lang indifferent bis vollkommen gleichgültig gegenübergestanden, unter Vus’ Einfluss jedoch interessierte er sich plötzlich für farblich abgestimmte Outfits. Vus ließ ihm bei einem Schneider zwei Maßanzüge mit Weste anfertigen und kaufte meinem Fünfzehnjährigen sündteure Schuhe und Button-down-Hemden, und Guy reagierte, als hätte er auf diese Eleganz sein Leben lang gewartet.

Die Anrufe kamen wieder. Man erklärte mir, ich könne die Leiche meines Mannes im Bellevue Hospital abholen, oder er sei in Harlem erschossen worden. Wenn ich allein zu Hause war, beäugte ich das Telefon wie eine zusammengerollte Kobra. Sobald es läutete, packte ich ihren Kopf und hielt ihn fest. Ich meldete mich nie, sondern wartete, bis der Anrufer etwas sagte. Falls »Maya Make« kam, erklärte ich mit leiser Stimme, dass Südafrika eines Tages frei sein würde und alle weißen Rassisten lieber jetzt schon Schwimmen üben oder sich gut bestückte Rettungsboote zulegen sollten, denn die Afrikaner würden sie garantiert bis an den Ozean treiben. Danach legte ich behutsam den Hörer auf und dachte: Jetzt hast du’s ihnen aber gezeigt. Meist konnte ich mir ungefähr eine Stunde lang zu meiner fantastischen Selbstbeherrschung gratulieren, bevor die Angst wieder angekrochen kam. Dann versuchte ich mit demselben Telefon, Vus Aufenthaltsort zu bestimmen.

Mburumba Kerina von der South-West Africa People’s Organisation war mit ihm befreundet und wohnte in Brooklyn. Dort rief ich zum Beispiel an, und Kerinas afroamerikanische Frau Jane nahm dann ab.

»Hi Jane, hier ist Maya.«

»Ach, hallo, Maya. Wie geht’s denn so?«

»Alles okay, und bei dir?«

»Ach, schon in Ordnung. Und bei dir?«

»Alles gut.« Und dann ließ sie meine Hoffnung, Vus sei vielleicht bei ihnen, zerplatzen. »Wie geht’s Vus?«

»Ach, gut. Und Mburumba?«

»Bestens. Wir müssen uns bald mal wieder treffen.«

»Ja, ganz bald. Also dann, mach’s gut.«

»Du auch. Tschüss.«

»Tschüss.«

Jane hatte keine Ahnung, wie sehr ich sie um ihre ungewöhnliche Selbstsicherheit beneidete. Sie war jünger als ich und hatte Kerina kennengelernt, während sie bei den UN als Touristenführerin arbeitete. Die beiden verliebten sich und heirateten, und sie schlüpfte in die nervenaufreibende Rolle der Frau eines Freiheitskämpfers so ungerührt, als hätte sie den Pfarrer einer Baptistengemeinde in der Kleinstadt geheiratet.

Wenn ich Vus nach zahlreichen Telefonaten dann aufspürte, sog ich mir Gründe für die Unterbrechung aus den Fingern.

»Wollen wir heute nach der Aufführung zum Essen gehen?«

»Wollen wir heute nach der Aufführung gleich nach Hause gehen?«

»Wollen wir heute nach der Aufführung mal in eine Bar?«

Als Meister der Intrige ließ Vus sich vermutlich von meinen Amateurversuchen nie in die Irre führen, sondern tat einfach großzügigerweise so. Eines Tages versetzte mich ein Anruf so in Angst und Wut, dass mir Hören und Sehen verging.

»Hallo, Maya Make?« In der weißen Frauenstimme tummelten sich Reste eines Südstaatenakzents.

»Ja? Hier ist Maya Make.« Ich hielt die Frau für eine Journalistin oder Theaterkritikerin, die die Schauspielerin Maya Make interviewen wollte.

»Ich rufe wegen Guy an.« Sofort schaltete mein Gehirn von angenehmer Vorfreude auf Anspannung um.

»Sind Sie von seiner Schule? Was ist denn los?«

»Nein, ich bin im Midtown Hospital. Es tut mir leid, aber es ist ein schwerer Unfall passiert. Am besten kommen Sie sofort. In die Notaufnahme.«

Sie legte auf. Ich riss meine Handtasche und die Schlüssel von der Ablage, knallte die Tür zu, rannte die Treppe hinunter, und erst unten auf der Straße fiel mir ein, dass ich die Adresse des Krankenhauses gar nicht hatte. Zum Glück hielt an der Ampel gerade ein Taxi. Ich rannte hin und fragte den Fahrer, ob er wisse, wo das Krankenhaus sei, und als er nickte, stieg ich ein. »Schnell, bitte. Es geht um meinen Sohn.«

Auf meiner Uhr war es elf Uhr vormittags, Guy war also in der Schule und konnte nicht bei einem Autounfall verletzt worden sein. Vielleicht Gangs. Obwohl der Taxifahrer andere Autos schnitt, Hupkonzerte ertönten, Reifen quietschten, schienen sowohl die Zeit als auch das Taxi zu kriechen.

Ich bezahlte mit Scheinen, die ich nicht sah, und raste zur Notaufnahme. Die junge Schwarze an der Anmeldung schickte mir einen müden Blick.

»Ja, bitte?«

Ich erklärte ihr, mein Sohn sei verletzt eingeliefert worden, ich wüsste gern, wie schwer, und wo er sei und ob ich zu ihm könne? Sie fuhr mit dem Finger eine Liste ab, dann die zweite Seite, doch Guys Name tauchte nicht auf. Man habe mich angerufen, sagte ich, darauf sie: Ein Guy Johnson sei hier nicht Patient, ob ich auch das richtige Krankenhaus hätte? Die Stimme der Anruferin war mir noch präsent: »Ich bin im Midtown Hospital …«

Sie hatte gelogen. Sie arbeitete für Südafrika. Die Erkenntnis rammte sich in mein Bewusstsein. Zum ersten Mal, seit ich das »Ich rufe wegen Guy an« gehört hatte, konnte ich wieder klar denken.

Von einem Münztelefon aus rief ich in Guys Schule an. Ein paar Minuten später hatte ich erfahren, dass er wohlbehalten im Geschichtsunterricht saß.

Ich ging zu Fuß die Central Park West hinauf nach Hause, zu wütend, um mich an meiner Erleichterung zu freuen. Mir kamen die unmoralischen Giersäcke in den Sinn, die sich gewaltsam eines Landes bemächtigten und anderen Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe das Existenzrecht absprachen. Bisher hatte ich aus Prinzip gegen das rassistische Regime opponiert, weil es einfach hässlich, brutal, erniedrigend und mörderisch war. Mein Mann hatte seine eigenen Gründe, weshalb er die Regierung Verwoerd stürzen wollte, und ich hatte ihn darin unterstützt. Doch als ich nun unter den grünen Bäumen entlanglief und den Duft junger Sommerblüten einatmete, krampfte mir Hass die Kehle zu. Einfach so einer Mutter das Herz zu brechen war das Niederträchtigste, was ich mir vorstellen konnte. Von nun an wurde mein Widerstand persönlich.

Ethel Ayler verließ das Ensemble, weil sie eine große Rolle in einem Broadway-Stück an Land gezogen hatte. An ihrem letzten Abend unterhielten wir beide uns backstage.

»Maya, Sidney müsste uns für die Musik eigentlich etwas bezahlen«, sagte sie, und ich konnte nur zustimmen.

Wir hatten schon bei ein paar Gelegenheiten versucht, ein bisschen Geld aus dem Produzenten herauszuleiern, aber jedes Mal wenn wir ein Honorar für unsere beiden Songs auch nur erwähnten, hatte er uns ausgelacht und zum Essen eingeladen. Da Ethel nun aber einen Schlussstrich zog, wollten wir es ein letztes Mal probieren. Wir zogen uns rasch um und eilten ins Foyer, wo Sidney Bernstein allein herumstand.

Ethel sprach ihn an. »Sidney, du weißt ja, dass heute meine letzte Vorstellung war. Morgen fange ich mit den Proben zu Kwamina an.«

Sidney gönnte Ethel ein fades Lächeln. »Stimmt, Ethel, gratuliere. Ich hoffe, es wird ein Hit.«

»Das hofft sie auch, Sidney«, sagte ich. »Aber wir würden gern über Geld reden. Du musst uns für die Musik zu The Blacks was bezahlen.«

Er reckte das Kinn, blickte mir ins Gesicht und machte sich nicht einmal die Mühe, seine Geringschätzung irgendwie zu verpacken.

»Jetzt macht aber mal nen Punkt. Ihr habt doch nichts komponiert. Ich hab’s ja gesehen, ihr habt euch einfach ans Klavier gesetzt und ein bisschen rumgeklimpert.«

Ethel und ich gafften erst Sidney an, dann uns gegenseitig. Die Leute, auf die Sidney gewartet hatte, kamen an, lasen ihn auf und gingen lachend mit ihm die Treppe hinunter.

Ich beobachtete, wie Ethel ihre Miene unter Kontrolle brachte. Sie biss sich auf die Lippen und setzte einen teilnahmslosen Blick auf. Als sie die Achseln zuckte, konnte ich mir schon denken, was jetzt kam.

»So ein Idiot, Maya, vergessen wir’s.« Ich hatte richtig geraten. Sie drückte ihr Schminkköfferchen an sich und winkte mir mit der anderen Hand vornehm zu. »Mach’s gut, Maya. Wir hören uns, ja?« Weg war sie. Mit einem zukünftigen Broadway-Erfolg konnte sie Sidneys unfaires Verhalten leicht wegstecken, ich konnte das nicht; außerdem vernebelte die Bemerkung, ich hätte gar nichts komponiert, sondern nur ein bisschen am Klavier herumgeklimpert, mir den Verstand.

Am Fuß der Treppe warteten Vus und James Baldwin, meine Verstörtheit bekamen sie unmittelbar ab.

Was das bitte schön solle? Das Arschloch sei doch genauso gestrickt wie all die anderen arroganten Diebe, die Schwarzen Künstlern alles klauten, ohne überhaupt die Pistole zücken zu müssen. Aber ich war mit The Blacks nicht verheiratet.

Da Vus immer noch die meisten Rechnungen beglich, war ich auf den Job nicht angewiesen, und da ich keine weiteren Theaterambitionen hatte, musste ich auch nicht befürchten, dass mich die beiden Produzenten den Broadway rauf und runter schlechtmachten. Vus und Jim blieben stumm.

Vus fasste mich an den Schultern und drückte mir die Daumen ins Gelenk. Der Schmerz ließ mich Sidney Bernstein, Ethel Ayler, die Musik und The Blacks vergessen; ich hörte auf zu heulen, und er ließ mich los.

»Mein Schatz. Du kommst nie wieder in dieses Theater zurück, du hast dein Engagement soeben beendet.«

Ich warf Jim Baldwin einen Blick zu. Vus’ Feststellung hatte mich ebenso schockiert wie Bernsteins Abfuhr. Jim würde sicher verstehen, dass ich nicht einfach wegbleiben konnte, er konnte sicher erklären, dass ich als Mitglied der Schauspielergewerkschaft Equity eine Kündigungsfrist von mindestens zwei Wochen einhalten musste. Jim schwieg. Ungeachtet der Tatsache, dass wir drei in Armeslänge Abstand voneinander dastanden, beobachtete er uns, als wären wir Filmschauspieler und er weit weg im Publikum.

»Ich kann nicht einfach so abhauen. Meine Gewerkschaft wird eine Strafe verhängen und Bernstein kann mich verklagen ...«, sagte ich.

Vus trat an den Bordstein und rief uns ein Taxi. Ich flüsterte Jim zu: »Erklär du ihm, dass ich das nicht machen kann. Bitte. Er versteht es nicht.«

Jim grinste, dass die großen Augen vor Freude blitzten. »Er versteht absolut, Maya. Er versteht besser als du, was Bernstein dir angetan hat. Denk dir nichts, das geht alles in Ordnung.«

Wir schichteten uns zu dritt auf den Rücksitz des Taxis, und Vus beugte sich nach vorn zum Fahrer.

»Zur nächsten Western-Union-Filiale bitte.«

Der Fahrer zögerte kurz, ließ dann den Motor an und fuhr uns zum Broadway. Während der Fahrt regten sich Vus und Jim mit mir über die unglaubliche Arroganz der Weißen auf. Ausgerechnet der Produzent eines Stücks, in dem die weiße Gier beredt entlarvt wurde, musste so ein Ausbeuter sein, das war ja der Hohn. Es war doch immer dasselbe, ob in den südafrikanischen Minen oder in einem liberalen New Yorker Theater: Die Weißen konnten den Hals nicht voll kriegen, fanden einfach, ihnen stünde alles zu. Dass sie sich sämtliche Rohstoffe der Erde unter den Nagel reißen mussten, gab einem an sich schon zu denken, dass sie sich aber auch noch als Herren über die Seele und den Stolz anderer Menschen aufspielten, überstieg jedes Fassungsvermögen.

Wir betraten das Western-Union-Büro; Vus füllte ein Formular aus, und Jim und ich unterhielten uns.

Vus reichte dem Telegrafisten den Zettel. Als der Mann die Nachricht übertragen hatte, bezahlte Vus und las uns vor, was da stand. »Mrs Maya Angelou Make wird weder zu The Blacks noch zum St. Marks Playhouse zurückkehren. Sie wehrt sich gegen die Ausbeutung ihrer Person und ihrer Ethnie. Sie hat ihr Engagement beendet. Unterschrift Vusumzi Linda Make, Pan African Congress, Johannesburg, South Africa. Derzeit Beschwerdeführer vor den Vereinten Nationen.«

»Von denen hörst du nie wieder«, ergänzte Vus. »Es sei denn, Bernstein ist auf internationale Komplikationen erpicht.«

Jim lachte laut. »Siehst du, Maya Angelou, ich hab’s dir gesagt, denk dir nichts.«

Wir verließen das Gebäude und schlenderten Arm in Arm in die nächste Bar.

Der dicke Xhosa, der dünne New Yorker und die lange Südstaatenlady tranken die ganze Nacht und erzählten sich die alten Storys über weiße Aggression und Schwarze Vulnerabilität. Und lachten wie üblich.

Am nächsten Tag saß ich neben dem Telefon. Mit meinem Kater und all der Aufregung über mein abruptes Ausscheiden war ich so geladen, dass ich Bernstein, Frankel, Glanville oder wer es sonst wagte anzurufen, ordentlich die Meinung geigen würde. Das Telefon sagte keinen Ton.