Da Fabiennes Rückkehr auf einen Samstag fiel, hatte das Pourquoi Pas für Gäste geschlossen. Bestimmt waren ihre Lieben alle unterwegs, dachte Fabienne. Doch kaum war Alain – er hatte sich angeboten, sie wieder aus Vichy abzuholen – mit dem Wagen auf den Marktplatz eingebogen, sah Fabie vor dem Restaurant ein kleines Grüppchen stehen. Yves, Lucy und Violaine, Bruno, Marie-Claire und ihre Kinder, Suzanne mit der kleinen Monalie im Kinderwagen – alle hatten sich eingefunden, um die Heimkehrerin zu begrüßen!
Eilig lief Alain um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür, um Fabie aussteigen zu lassen, während die Versammelten »Herzlich willkommen!« riefen.
»Hört bitte sofort auf!«, schimpfte Fabienne mit Tränen in den Augen. »Ich kehre doch nicht von einer Schlacht zurück …« Lachend stolperte sie einen Schritt rückwärts, als Violaine sich mit voller Wucht in ihre Arme warf.
»Im Gegenteil, du siehst eher aus, als wärst du in einen Jungbrunnen gefallen«, sagte Lucy. »Ach Schwesterherz, wir haben dich so vermisst!«
Yves trat auf sie zu, drückte sie fest an sich. »Willkommen zu Hause«, murmelte er Fabie ins Ohr, dann drückte er ihr zärtlich einen Kuss auf die Wange.
»Du hast mir gefehlt«, flüsterte sie zurück, dann löste sie sich aus seiner Umarmung, schaute mit in die Taille gestemmten Händen in die Runde und fragte gespielt streng: »Habt ihr an diesem schönen Tag nichts Besseres zu tun, als auf eure alte Köchin zu warten?«
Die anderen lachten.
»Was kann es Besseres geben, als dich nach all den Wochen mit Champagner und Austern zu begrüßen?«, rief Yves überschwänglich.
Austern … Nie mehr würde sie das Wort hören können, ohne sogleich an die Familie Sarda zu denken. Unwillkürlich wanderte Fabiennes Blick hinauf zu ihrem Restaurantschild. Hier hatte sie ihrem Sohn im letzten Herbst gegenübergestanden. Verächtlich hatte er auf das Schild gezeigt und gesagt: »Ich wollte mir lediglich einmal die Frau anschauen, die es fertiggebracht hat, ihr Kind aufzugeben wegen irgendwelcher Träume …«
»Maman, komm, wir haben eine Überraschung für dich!«, rief Violaine und riss Fabienne damit aus ihren Erinnerungen.
Yves schnappte sich ihre Reisetasche, und gemeinsam folgten sie ihrer Tochter ins Restaurant, wo in der Mitte des Raumes eine festlich gedeckte und mit Blumen geschmückte Tafel wartete.
»Das sieht ja aus wie an Weihnachten!«, rief Fabie gerührt.
»An Weihnachten gibt es doch keine Tulpen«, sagte Violaine tadelnd.
Lachend ließen sich alle um den Tisch herum nieder.
»Bruno hat gekocht, und ich habe ihm geholfen«, sagte Lucy und strahlte den Koch an. »Es gibt Käsepasteten, Salat und gebratenes Hühnchen.«
»Wie wunderbar«, erwiderte Fabienne. »Ich habe einen Riesenhunger!«
»Du siehst richtig gut erholt aus«, stellte Yves fest, während Lucy und Bruno sich in der Küche zu schaffen machten. »Ich bin so froh, dass es dir wieder besser geht …« Er strich Fabienne zärtlich über die Wange.
Einen Moment lang gab sie sich seiner Liebkosung hin. »Und ich bin dankbar, dass ihr mir das ermöglicht habt«, sagte sie dann.
»Vielleicht war es ganz gut, dass du einmal fort warst. So haben wir anderen endlich verstanden, wie viele Aufgaben neben dem Kochen noch auf deinen Schultern liegen! Kein Wunder, dass du völlig erschöpft warst.« Er verzog das Gesicht.
»Ach was …«, sagte Fabienne abwehrend. Doch tief im Inneren freute sie sich über seine Worte.
»Die Gäste werden sich freuen, sie haben oft nach dir gefragt«, erzählte Yves. »Versteh mich nicht falsch – Bruno hat vorzüglich gekocht, aber du bist nun mal nicht zu ersetzen.«
»Jeder Mensch ist zu ersetzen –«, wollte Fabienne gerade widersprechen, als Violaine sagte: »Maman, stell dir vor, Lucy hat mir mit dem Herbarium geholfen! Wir haben keine Kräuter dafür genommen, sondern verschiedene Algen. Monsieur Decasse hat uns die Namen der Algen genannt. Mademoiselle Truffle war sehr beeindruckt!«
»Das war aber nett von Lucy und Monsieur Decasse«, sagte Fabienne lächelnd und schaute Yves mit hochgezogenen Brauen an. »Von wegen – ich bin nicht zu ersetzen …«
Am nächsten Morgen stand Fabienne pünktlich um neun in der Küche. Die Speisekammer war gut gefüllt – bis morgen, wenn wieder Markt war, würde ihnen weder Fisch noch Fleisch oder Gemüse ausgehen, dachte sie zufrieden, als die Tür geöffnet wurde und Bruno hereinkam. Als er sie sah, strahlte er übers ganze Gesicht.
»Madame Mazeau – Chef – willkommen zurück in Ihrer Küche!«
Sie lächelte, dann fragte sie geschäftig: »Was steht denn heute auf dem Plan?«
»Die gesamte Speisekarte! Und als Tagesgericht habe ich eine Seezunge auf baskische Art eingeplant.«
Fabienne krempelte ihre Ärmel hoch. »Dann wollen wir mal!«
Sie schnitten und sautierten Schalotten. Sie brieten Knochen und Wurzelgemüse dunkel und setzten damit einen Soßenfond an. Sie filetierten die Seezungen.
Immer wieder wanderte Fabiennes Blick in Richtung der Küchenuhr. War sie während ihrer Abwesenheit dermaßen aus der Übung gekommen, oder lief der große Uhrzeiger heute schneller als sonst? Sie hatte das Gefühl, für jeden Handgriff doppelt so lange wie sonst zu benötigen. Wenn sie für den Mittagsservice pünktlich mit ihren Vorbereitungen fertigwerden wollten, mussten sie sich sputen!
»Mir kam in der Kur ein Gedanke«, sagte Fabienne, während sie die Zutaten für den Quiche-Teig zusammenrührte. »Was würdest du davon halten, wenn wir einmal pro Woche einen Suppentag einführen?«
Bruno, der gerade Möhren schälte, schaute erstaunt von seiner Arbeit auf. »Ein Suppentag?«
»Ja! Wir würden zwei, drei verschiedene Arten von Suppe anbieten und dann eine Terrine auf den Tisch stellen, aus der sich jeder bedienen kann. Gemeinsam Suppe zu löffeln macht Spaß!« Und an einem Suppentag würden sie wesentlich weniger Arbeit als sonst haben, dachte sie bei sich.
Der sous-chef runzelte die Stirn. »Aber kommen unsere Gäste nicht extra wegen unserer besonderen Speisen zu uns? Eine Suppe kann schließlich jeder zu Hause bekommen. Das Pourquoi Pas ist doch keine Suppenküche!«
Oje, wenn Bruno sich schon so echauffierte, würde ihre Idee bei den Gästen wohl erst recht nicht gut ankommen, dachte Fabienne. »Du hast recht, das war kein guter Gedanke«, sagte sie enttäuscht.
Am Montagfrüh ging Fabienne auf den Markt, tauschte hier ein paar Worte, erzählte da ein wenig von Vichy. Alle Händler freuten sich, sie wiederzusehen. Und Fabienne erging es nicht anders – das Einkaufen gehörte noch immer zu ihren liebsten Tätigkeiten!
»Was gibt es heute als Tagesgericht?«, wollte Bruno wissen, kaum dass Fabienne später die Küche betreten hatte.
»Was würdest du vorschlagen?«, fragte sie spontan zurück.
Er schaute sie verwundert an. Sein Blick fiel auf das Bündel dicker Lauchstangen, das sie gerade gekauft hatte. »Wie wäre es mit feinem Lauchgemüse, Krevetten und einer sämigen Béchamelsoße?«
Fabienne nickte. »Perfekt!«
»Ich finde es gut, dass du Bruno weiterhin das Tagesgericht bestimmen lässt«, flüsterte Lucy, die während des Gesprächs in die Küche gekommen war, ihr zu. »Er ist so ein vorzüglicher Koch und hat dich in deiner Abwesenheit herausragend vertreten.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Fabienne lächelnd. Einen Suppentag konnte sie zwar nicht einführen, aber eine Aufgabe hatte sie zumindest schon mal delegiert!
»Können wir kurz die Tischreservierungen für die kommende Woche durchgehen?« Geschäftig blätterte Lucy in dem Notizbuch, in dem sie sämtliche Termine das Restaurant betreffend notierten. »Es sieht nämlich so aus, dass …«
Fabiennes Kopf schwirrte bald schon vor lauter Namen, Zeiten und Tischplatzierungen, während sie die dicken Lauchstangen wusch und in feine Ringe schnitt. »Hör auf! Es reicht, wenn du den vollen Überblick hast«, hätte sie am liebsten gesagt. Doch nach ihrer wochenlangen Abwesenheit war es nur fair, wenn sie Lucy mit Rat und Tat zur Seite stand.
»Fabienne, ich –« Yves streckte den Kopf in die Küche. »Oh, ihr seid beschäftigt. Ich will gar nicht lange stören, hab nur eine kurze Frage. Und anschließend fahr ich nach Sallèles d’Aude!«
»Du fährst zu Vater? Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte Fabienne erschrocken.
»Soweit ich weiß, geht es ihm gut. Aber ich hab mir angewöhnt, einmal die Woche nach ihm zu schauen – einen Tag kommt Suzanne auch mal gut allein zurecht. Und dein Vater freut sich immer sehr über Besuch …«
Fabienne schwieg. Da war sie gerade erst zurück, und Yves fuhr zu ihrem Vater an den Canal du Midi! Und fragte sie nicht einmal, ob sie mitkommen wollte …
Er war gerade wieder von dannen gezogen, als Suzanne in der Küche erschien. »Madame Mazeau, draußen steht ein Herr von der Narbonner Tageszeitung, er sagt, Sie hätten mit ihm schon einmal über eine Reklameanzeige gesprochen und ob Sie das immer noch wollten?«
»Sag ihm, ich komme gleich.« Fabienne seufzte auf. Anscheinend war es für sie doch nicht so leicht, Aufgaben zu delegieren …
Für einen Montag Ende März war das Restaurant zur Mittagszeit gut besucht. Fabienne und Bruno hatten in der Küche gut zu tun, genauso wie Suzanne vorn im Restaurant. Der Lauch-Auflauf duftete verführerisch und wurde bis auf die letzte Portion bestellt.
»Oh Gott, ich bin so kaputt, als würde mir ein Zehn-Stunden-Tag in den Knochen stecken«, sagte Fabienne, als sie mit den anderen zu einem späten Mittagessen zusammensaß. »Ich bin die viele Arbeit einfach nicht mehr gewöhnt …« Sie lachte hilflos auf.
»Warum ruhst du dich dann nicht ein bisschen aus?«, sagte Lucy. »Bruno kann das Abendessen bestimmt auch ohne dich vorbereiten.«
Fabienne schaute ihren Hilfskoch fragend an. »Ginge das?«
»Natürlich, Madame!«, erwiderte Bruno.
»Und ich kann ihm helfen«, warf Lucy eilig ein.
Wie still es hier war, dachte Fabienne, als sie kurze Zeit später hinten im Garten war. Und wie angenehm warm. Auf dem Marktplatz und in den Straßen des Dorfes pfiff ein unangenehm kalter Wind, doch hier, vor der schützenden Mauer, hatte die Märzensonne schon eine wärmende Kraft. Wie im Kurpark von Vichy linsten die ersten Blumen aus der Erde und mit ihnen auch les mauvaises herbes – die schlechten Kräuter. Löwenzahn, Gartenmelde und sogar ein paar Disteln wucherten inmitten des von ihr im letzten Jahr so liebevoll angelegten Kräuterbeets.
Kurz entschlossen holte Fabienne die kleine Hacke, die immer auf der Fensterbank lag. Dann begann sie an einer Seite des Beetes den Boden zu lockern, bis sie die schlechten Kräuter vorsichtig herausziehen und in einen kleinen Korb legen konnte.
Wie angenehm die Sonne auf ihren Rücken schien, dachte sie, während sie an einer besonders kräftigen Löwenzahnwurzel zog. Und wie gut es hier roch! Nach Erde, nach Kräutern, nach altem Laub und jungen Trieben. Fabienne atmete tief ein und aus.
Seit über einem Jahr gehörte das Haus ihr, und heute fand sie zum ersten Mal Zeit, sich ausführlich dem Garten zu widmen! Keine Zeit, keine Zeit – es war wirklich ein Graus, dachte sie kopfschüttelnd.
Dabei hatte sie es schon als junges Mädchen geliebt, mit ihrer Mutter im Garten zu arbeiten. Wenn sie Seite an Seite Unkraut jäteten, hatte sie sich an dem leicht metallischen Geruch der rostroten Erde, der in ihre Nase gestiegen war, regelrecht berauscht. Unkraut entfernen und den steinigen Boden auflockern war eine ihrer täglichen Pflichten gewesen, damit die Gemüsepflanzen, die ihre Mutter alljährlich in tönernen Töpfen im Schutz der wärmenden Hauswand vorzog, später im Beet genügend Wasser und Nährstoffe aufnehmen konnten.
Unwillkürlich fiel Fabiennes Blick auf die Rückwand ihres Hauses. Eigentlich hatte sie vorgehabt, dieses Frühjahr auch ein paar Gemüsepflanzen vorzuziehen. Aber bisher hatte sie weder die Töpfe noch die Sämereien besorgt. Dabei hatte es ihr und Violaine in den Dombes immer so viel Freude bereitet, zu sehen, wie aus ein paar winzigen Samen plötzlich die ersten grünen Triebe entstanden! Woche für Woche hatten sie beobachtet, wie die Pflänzchen kräftiger wurden, bis sie, Fabienne, eines Tages im Mai entschied, dass die jungen Zucchini-, Gurken- und Paprikapflanzen nun ins Beet gesetzt werden konnten.
Schöne Pflanzgefäße gab es bei der Töpferei in Richtung Béziers, hatte sie auf der Heimfahrt gesehen. Und Sämereien wurden in kleinen braunen Tütchen auf dem Markt verkauft. Das Problem war, dass sie spätestens dann, wenn die ersten Urlaubsgäste in Gruissan eintrafen, keine Zeit mehr für den Garten haben würde! Dann würde sie wieder Tag für Tag von früh bis spät in der Küche stehen, und die zarten Pflänzchen in ihren Kübeln würden verdursten.
Violaine kümmerte sich schon um die Hühner, von ihr konnte sie nicht auch noch erwarten, dass sie die Gemüsepflanzen wässerte.
Fabienne ging mit dem Körbchen voll schlechter Kräuter zu den Hühnern. Nach und nach warf sie alles bis auf die Disteln über den Zaun, wo sich die Tiere sogleich gierig auf das frische Grün der Melden und des Löwenzahns stürzten. So war allen geholfen, dachte Fabienne gerade schmunzelnd, als sie ein leises Piepen hörte. Stirnrunzelnd öffnete sie die Gehegetür. Die Hühner pickten genüsslich weiter, ohne sich von ihr stören zu lassen. Als Fabienne den kleinen Stall am hinteren Ende des Geheges betrat, traute sie ihren Augen kaum. In einer Holzkiste, dick mit Stroh ausgelegt, saß ein gutes Dutzend Küken und piepste vor sich hin! Mit ihrem gelben flauschigen Gefieder sahen sie allerliebst aus, sodass Fabienne nicht anders konnte, als sich hinzuknien und eins der Küken in die Hand zu nehmen und zu streicheln. Noch nie hatte sie etwas derart Zartes gehalten.
Trotzdem – hatten sie nicht ausgemacht, auf Nachwuchs im Hühnerstall zu verzichten?, dachte sie stirnrunzelnd, während sie das kleine Wesen wieder zu den anderen in die Kiste setzte. Wer von den Erwachsenen hatte Violaine in ihrer Abwesenheit erlaubt, die Küken ausbrüten zu lassen? Was Fabienne zu einem weiteren Gedanken brachte: Spielte sie im Leben ihrer Tochter überhaupt noch eine tragende Rolle?
Schon jetzt ging Violaine mit einem aufgeschlagenen Knie zu Lucy, damit diese die Wunde auswusch. Ihr Herbarium hatte sie mithilfe von Monsieur Decasse erstellt, weil sie, Fabienne, dafür keine Zeit gehabt hatte beziehungsweise abwesend war. Und für Besuche bei der Familie war Yves zuständig – Violaine liebte die Ausflüge mit ihm an den Canal du Midi! Was die Hühner anging, war Bruno der Experte – hatte er womöglich Violaine die Küken geschenkt?
Fabienne spürte plötzlich einen dicken Kloß im Hals. Dass Violaine sich in vielen Dingen lieber an jemand anderes wendete als an ihre Mutter, brauchte sie nicht zu wundern. »Ich hab gerade keine Zeit! Geh zu Lucy, chérie!« – wie oft musste sich Violaine etwas in dieser Art anhören?
Auf einmal überfiel Fabienne fast panische Angst.
War sie dabei, noch ein Kind zu verlieren? Das wäre kein Restaurant der Welt wert!
»Manchmal denke ich, das Thermalwasser in Vichy hat mir doch nicht so gutgetan, wie ich gedacht habe«, sagte Fabienne mit bemüht scherzhaftem Ton.
Wie jeden Abend nach Restaurantschluss saßen Yves und sie zusammen. Fabienne hatte den Stapel der heutigen Tischrechnungen in der Hand, las Yves die einzelnen Summen vor, und er trug sie ein Buch ein.
Jetzt legte er seinen Stift aus der Hand und schaute sie kritisch an. »Wie meinst du das?«
Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich weiß nicht, ob ich es überhaupt in Worte fassen kann. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, ich finde nicht in meinen Alltag zurück. Eigentlich habe ich gehofft, dass ich mich nach der Kur mit neuer Energie in die Arbeit stürze! Ich wollte neue Gerichte erfinden, ein Dessert mit Erdbeeren, das es so noch nicht gibt, zum Beispiel. Aber jetzt habe ich plötzlich gar keine Lust darauf, schlimmer noch – mir fällt jeder Handgriff schwer.« So, jetzt war es heraus.
Anstatt entsetzt zu reagieren, wie sie es befürchtet hatte, winkte Yves gelassen ab. »Du bist gerade mal eine Woche zurück! Du musst dir einfach ein wenig mehr Zeit für die Eingewöhnung geben.«
Ich will mich aber gar nicht eingewöhnen, dachte Fabienne unwillkürlich. Der ständige Kampf gegen die Küchenuhr, das hektische Bemühen, alle Gerichte an einem Tisch zur selben Zeit servieren zu können, das ewige Streben nach Perfektion – sie hatte das alles plötzlich so satt!
Stirnrunzelnd schaute sie ihren Mann an. »Ich wollte nie werden wie meine Eltern! Meine Mutter, verhärmt und aufgefressen von zu viel Arbeit, mein Vater, ein Sklave seiner Schleusenstation, der von früh bis spät zahllosen Herren dienen musste. Aber genauso sieht mein Leben inzwischen auch aus, oder etwa nicht?« Sie schaute Yves herausfordernd an. Als er schwieg, fuhr sie fort: »Alles hat sich dem Pourquoi Pas unterzuordnen! Arbeit, immer nur Arbeit – genau wie bei meinen Eltern … Wie oft muss ich Violaine wegschicken, weil irgendetwas im Restaurant wichtiger ist als ihre Belange? Wie oft habe ich dich und Violaine allein zu Noah und der Familie fahren lassen, nur weil ich glaubte, hier nicht abkömmlich zu sein? Und wann haben wir zwei das letzte Mal etwas allein zusammen gemacht?«, fragte sie fast anklagend.
»Das liegt aber wirklich nicht an mir. Ich habe häufig einen Bootsausflug oder etwas anderes vorgeschlagen, aber das Restaurant ging immer vor.« Es lag kein Vorwurf in Yves’ Stimme, eher Mitleid. Er nahm Fabiennes Hand, drückte sie aufmunternd. »Wenn du dir wieder mehr Zweisamkeit wünschst, von mir aus gern …«
»So einen guten Mann wie dich habe ich gar nicht verdient«, flüsterte Fabienne und vergrub das Gesicht schamvoll in ihren Händen. »Ich habe immer mehr das Gefühl, viel zu viel für meinen Lebenstraum geopfert zu haben! Wo sind die süßen Tage hin? Manchmal denke ich, es gibt immer mehr bittere Stunden …« Sie begann leise zu weinen.
»Das stimmt doch so auch wieder nicht«, entgegnete Yves. »Auch wenn wir viel arbeiten müssen, so liegt in jedem Tag immer noch ein bisschen Süße. Denk an den Garten, wo das erste Grün der Karotten sprießt! Denk an Violaines Lachen heute früh, als ihr das Croissant in die Milch gefallen ist. Denk an all die Gäste, die so glückliche Stunden bei uns im Restaurant verleben! Vielleicht fällt es dir gerade schwerer als sonst, die Süße des Lebens zu schmecken, aber das heißt noch lange nicht, dass sie nicht mehr existiert …«
Fabienne schwieg.
»Und was das Restaurant angeht – wir könnten einen zweiten freien Tag einführen! Du könntest auch wieder einen zweiten Hilfskoch einstellen. Ich bin mir sicher, dass deine Lust am Kochen irgendwann zurückkommt. Du bist die geborene Köchin, Fabienne! Ach was, du bist die Königin der Köchinnen!« Yves, von ihrem Schweigen ermutigt, versuchte sich an einem fröhlichen Tonfall. »Und das Pourquoi Pas ist dein Königreich.«
Fabienne schaute ihn spöttisch an. »Und für wen oder was habe ich dieses ›Königreich‹ aufgebaut? Einzig für mich allein, wie es scheint. Dein Herz hängt nicht an einem eigenen Restaurant, du wärst genauso gern – vielleicht noch lieber – wieder irgendwo in Anstellung gegangen. Und Violaine hat an meiner Arbeit auch keinerlei Interesse, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich später hier im Restaurant einbringt. Was also ist dieses Königreich wert?« Sie seufzte abgrundtief auf, ehe sie leise hinzufügte: »Vielleicht hatte Victor recht, als er sagte, für meinen Traum vom eigenen Restaurant hätte ich alles andere geopfert, was wichtig ist im Leben.«