Kapitel 4

Château Angleterre bei Narbonne, Juni 1892

»Biarritz ist im Mai einfach unmöglich! Dieser schreckliche Wind! Abgesehen davon, dass er einem wirklich jede Frisur zerstört, habe ich fürchterliche Ohrenschmerzen bekommen. Der Wind war der Grund, warum ich frühzeitig wieder abgereist bin.« Noch während sie sprach, schaute Stéphanie sich unauffällig um. Ihre Mutter schien aus Château Angleterre, das sie nach dem Tod ihrer Eltern geerbt hatte, ein wahres Prunkstück gemacht zu haben! Aus ihrer Kindheit hatte sie das Familienanwesen als dunkles, bedrückendes Gebäude in Erinnerung, in dem alles irgendwie freudlos wirkte. Heute war das ganz anders. In jedem Raum, den sie durchschritten hatten, hatte Stéphanie üppige Blumensträuße gesehen. Große bunte Glaspokale standen auf den Fensterbrettern und leuchteten im hereinfallenden Sonnenlicht in strahlendem Rot, Grün und Blau. Das alles erinnerte Stéphanie an eine Italienreise, die sie mit ihren Eltern als Kind einmal gemacht hatte. Dass ihre Mutter den italienischen Stil derart schätzte, hatte sie nicht gewusst. Doch genau der setzte sich auch in dem Wintergarten fort, wo sie gerade saßen. Die hintere Wand war mit weißem Marmor verkleidet, der Boden aus Abertausenden kleiner Marmorstücke in einem komplizierten Mosaikmuster verlegt worden – sie stellten das Familienwappen dar.

»Wer fährt denn auch an den Atlantik zum Kuren?«, sagte Delphine und stellte mit einer gezierten Bewegung ihre Kaffeetasse ab. »Bei uns am Mittelmeer gibt es inzwischen auch ausgezeichnete Kurbäder. Bevor César starb, waren wir in Balaruc-les-Bains am Étang de Thau, die Thermalbäder waren so wohltuend!«

Genutzt hat es trotzdem nichts, sonst wäre dein César jetzt nicht tot, dachte Stéphanie bissig. Schon nach wenigen Minuten hatte sie gespürt, wie sich in ihrem Innern Stacheln aufstellten, wie immer, wenn sie in Delphines Gesellschaft war. Dass sie ihre Mutter trotzdem hin und wieder besuchte, hatte einzig mit der Tatsache zu tun, dass Delphine stets bestens informiert war über alles, was in der feinen Gesellschaft vor sich ging. Und dieses Wissen war für sie, Stéphanie, wichtig, wenn sie die richtigen Entscheidungen treffen wollte.

Während ihre Mutter von einem Dinner bei Freunden erzählte, zu dem sie letzte Woche eingeladen gewesen war, ließ Stéphanie ihren Blick durch die Glasfront hinausschweifen. Die Rosen, die blütenberankten Pavillons im parkähnlichen Garten, der schneeweiße Kies der Auffahrt, von keinem Ästchen, keinem Blatt verunreinigt – wie viele Gärtner beschäftigte ihre Mutter eigentlich? Sie warf dem Dienstmädchen, das an der Tür zum Wintergarten auf einen Wink ihrer Herrin lauerte, einen Blick zu. Scheinbar konnte Delphine sich von dem Geld, das ihr zweiter Mann César, der Kaffee-Importeur, ihr hinterlassen hatte, so viel Personal leisten, wie sie wollte.

»Wie fühlt es sich eigentlich an, wieder da zu leben, wo du deine Kindheit verbracht hast?«, fragte Stéphanie unvermittelt und spürte dabei so etwas wie Neid in sich aufkommen. Sie würde den Ort, an dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, einmal nicht erben! Denn Château Morel gehörte ihrer Familie schon lange nicht mehr.

»Wie soll es sich schon anfühlen? Davon abgesehen, dass ich César natürlich sehr vermisse, geht es mir gut.« Sie begann, die Vorzüge ihres Lebens an den Fingern ihrer manikürten rechten Hand aufzuzählen. »Ich bin die ehrwürdige Witwe von César Maure und niemandem für irgendetwas Rechenschaft schuldig. Ich kann tun und lassen, was ich will. Ich habe so viel Geld, dass ich es in diesem Leben nicht auszugeben vermag. Und ich habe einen ehrbaren Freundeskreis – hinter meinem Rücken tuscheln die Leute nicht«, erwiderte Delphine und zog dabei bedeutungsvoll die rechte Augenbraue hoch.

Stéphanie verzog den Mund. Das hatte ja kommen müssen! Ihre Mutter ließ keine Gelegenheit verstreichen, sie an den Finanzskandal zu erinnern, in den Jules und sie verwickelt gewesen waren.

»Die Justiz konnte mir keine Mitwisserschaft nachweisen, das weißt du ganz genau! Mein Gewissen ist so rein wie eine weiße Weste. Wenn die Leute noch immer über mich tuscheln, dann ist das einzig ihr Problem«, zischte sie.

»Du und eine weiße Weste!« Delphine schnaubte undamenhaft. »Schon der Verdacht von Betrug ist wie Teer – an wem er einmal haftet, bleibt er für immer kleben.« Sie griff wieder zu ihrer hauchdünnen Tasse, aus der sie starken Kaffee tranken. »Ich weiß, du willst das nicht hören, Kind, aber du kannst nicht ewig wie ein Schmetterling von Blüte zu Blüte fliegen. Du bist einunddreißig Jahre alt! In diesem Alter sollte man langsam wissen, was man aus seinem Leben zu machen gedenkt. Und falls du wirklich in Erwägung ziehst, wieder hierherzuziehen, dann sollten wir dringend darüber nachdenken, wie du zuallererst deinen guten Ruf wiederherstellen kannst.«

Stéphanie glaubte nicht richtig zu hören. »Damit habe ich doch längst begonnen! Ich habe die letzten eineinhalb Jahre sehr erfolgreich ein Bistro geführt – ist das etwa nicht ehrenvoll?«

»Ein Bistro! Dass es nach Jules noch schlimmer kommen konnte, vermochte ich mir nicht vorzustellen. Aber man lernt wohl immer dazu. Du mit einer Servierschürze …« Delphines Blick streifte Stéphanie von oben bis unten. »Gott sei Dank hat von unseren hiesigen Freunden niemand etwas von deinem letzten Abenteuer mitbekommen, jedenfalls hat man mir gegenüber noch keine entsprechende Bemerkung gemacht. Wer fährt schon freiwillig nach Marseille? Dennoch – wenn du deinen Ruf nicht vollends ruinieren möchtest, erwähnst du dieses … dumme Bistro mit keinem Wort!«

Stéphanie funkelte Delphine über den weiß gedeckten Kaffeetisch hinweg an. »Über Jules darf ich nicht reden, das Bistro ist auch tabu – soll ich bei gesellschaftlichen Treffen dasitzen wie ein stummer Fisch?«

»Wenn es sein muss, dann rede über das Wetter! Mach Komplimente! Lass deinen Charme spielen, oder hast du das etwa auch verlernt? Von mir aus rede auch über deinen Vater«, sagte Delphine. Sie beugte sich leicht über den Tisch zu Stéphanie. »Stell dir vor, der alte Trottel hat doch tatsächlich mit seinem Château-Morel-Wein einen wichtigen Preis gewonnen! Und natürlich ist es wie immer – jetzt, wo er als Winzer erfolgreich ist, scharen sich die alten Bekannten wieder um ihn. Es sind genau diejenigen, die damals, als wir in größter Not waren, nichts mehr von uns wissen wollten.« Der bittere Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

»Papa hat also doch Erfolg mit seinem Weinbau?« Stéphanie horchte auf. Im Château Morel hatte sie ihre Jugend verbracht, eine Jugend mit vielen Bällen und anderen gesellschaftlichen Unternehmungen. Doch dann hatte ihr Vater das Château durch seine Unfähigkeit, mit Geld umzugehen, in den finanziellen Ruin getrieben. Ausgerechnet Oscar de Carneval, Stéphanies früherer Verlobter, hatte es dann aufgekauft.

»Und nicht nur das!«, erwiderte Delphine. »Man munkelt, dass die Frauen Albert noch immer hinterherrennen. Nun, er ist immer noch ein gutaussehender, charmanter Mann – da wird es schon die eine oder andere Liebschaft geben, die bereit ist, ihn auszuhalten. Denn Geld hat dein Vater ja nach wie vor keins.«

»Geld hat er vielleicht nicht, dafür hat er seinen Traum wahr gemacht, einen Wein zu produzieren, der mit den feinen Tropfen aus dem Bordeaux mithalten kann«, hörte sich Stéphanie zu ihrer eigenen Überraschung für den Vater in die Bresche springen.

»Träume sind Schäume, das weißt du ganz genau, Kind«, wischte Delphine Stéphanies Bemerkung weg. »Das habe ich spätestens in dem Moment gelernt, als du Oscar de Carneval hast sitzen lassen, um mit Jules Grelier durchzubrennen. Damit, mein liebes Kind, hatte der gesellschaftliche Abstieg unserer Familie begonnen. Nicht, dass du dich je darum geschert hättest, wie es mir bei all dem ging.«

»Maman …«, sagte Stéphanie enerviert. »Wie oft willst du mir die alten Geschichten noch auftischen? Dass Oscar de Carneval sich rachsüchtig und aus verletztem Stolz Château Morel unter den Nagel reißen wird, konnte ich wirklich nicht ahnen, als ich meine Verlobung mit ihm auflöste. Ich war eine unschuldige junge Frau, die sich in einen anderen verliebt hatte …«

Delphine warf ihrer Tochter einen Blick zu, der besagte: Du und unschuldig? Das warst du nie. Doch sie sagte: »Du hast recht, lassen wir die Vergangenheit ruhen. Oscar de Carneval ist für mich gestorben, und zwar für immer und ewig, auch wenn er sich etwas anderes einbilden mag.« Sie schnippte mit dem Finger nach dem Dienstmädchen und wies es an, ihr von der vergoldeten Anrichte einen Briefumschlag zu holen. Kurz darauf zerrte sie eine feste Karte aus dem Umschlag und reichte sie Stéphanie mit zitternder Hand. »Hier! Da siehst du, welche Frechheit Oscar besitzt!«

Es war eine Einladung, ausgestellt für »Monsieur César Maure und Gattin«. Stirnrunzelnd überflog Stéphanie die in steifen Lettern gedruckten Worte. Das Bankhaus Carneval wurde im September 225 Jahre alt, die Narbonner Niederlassung lud zur Feier des Tages all ihre Kunden zu einem Festakt ein. Interessant, dachte Stéphanie, ihre Mutter hatte also wieder Kontakt zu Oscar de Carneval … Und noch etwas war interessant: Unter Oscars Namen stand der Titel »Generaldirektor«. Oscar hatte inzwischen also die Führung des riesigen Bankhauses übernommen. Davon hatte sie in Marseille gar nichts mitbekommen, ärgerte sie sich. Und das alles nur, weil sie gutmütig, wie sie war, Fabienne ihren Traum hatte erfüllen wollen! Sie schaute auf. »Und was ist an dieser Einladung nun frech?«

»Das fragst du noch? Eine Einladung an einen Toten!« Delphine schüttelte den Kopf. »Seit Césars Ableben war ich mindestens ein Dutzend Mal bei der Bank, um seine Konten auf meinen Namen – Madame Delphine Maure – umschreiben zu lassen und andere Dinge zu regeln. Am liebsten hätte ich das ganze Geld abgehoben und zu einer anderen Bank gebracht, aber das Bankhaus Carneval hat nun einmal den besten Ruf von allen.« Sie nahm Stéphanie die Einladung aus der Hand und zerriss sie in zwei Stücke. »Auch wenn ich meine Geldgeschäfte dort tätige – die Familie Carneval selbst kann mir gestohlen bleiben!«

Hatte ihre Mutter schon immer einen solchen Hang zur Dramatik gehabt? Stéphanies Blick blieb auf der zerrissenen Einladung haften.

»Wenn du so schaust, führst du meistens etwas im Schilde. Sag mir nicht, dass du noch mal etwas mit Oscar anfangen willst!«

Stéphanie lachte laut auf. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – hieß es nicht so? Ihre Mutter kannte sie noch immer besser als jeder andere Mensch. »Hast du nicht eben selbst gesagt, ich müsse dringend meinen guten Ruf wiederherstellen? Was wäre dafür besser geeignet als eine Heirat mit einem der renommiertesten Bankiers Frankreichs?« Als sie sah, dass Delphines Wangen kreidebleich wurden, tätschelte sie gönnerhaft ihre rechte Hand. »Beruhige dich wieder, Maman! Oder glaubst du im Ernst, ich habe vor, abgestandenen Champagner zu trinken?«

Für ihren Aufenthalt in der alten Heimat hatte Stéphanie sich bewusst kein Hotel in Narbonne ausgesucht. Solange sie noch an ihren Plänen für die Zukunft arbeitete, wollte sie nicht allzu vielen Leuten über den Weg laufen. Und so war sie in einem Hotel im ungefähr zwanzig Kilometer entfernten Béziers untergekommen. Das Hôtel St Pierre war ein großer, weißer und etwas heruntergekommener Kasten ganz in der Nähe des Rathauses und vieler Geschäfte.

Alles war besser, als im Château Angleterre bei ihrer Mutter zu wohnen, dachte Stéphanie, während der Kellner des Hotelrestaurants sie zu einem Tisch am Fenster führte, ihr den Stuhl zurechtschob und ihr danach die Speisekarte brachte. Delphine besaß die Gabe, mit jedem Satz, jeder noch so kleinen Bemerkung, ja, sogar jeder ihrer Gesten Kritik am Lebensstil ihrer Tochter zu äußern. Ob direkt oder durch die Blume – die Aussage war immer dieselbe: Sie, Stéphanie, entsprach nicht im Geringsten den Erwartungen, die Delphine an sie stellte.

Nur einmal in ihrem Leben hatte ihre Mutter zu ihr gehalten. Damals, als Stéphanie nach Jules’ Tod in die Mühlen der Justiz geraten war. Doch kaum war Stéphanie freigesprochen worden, wurde Delphine wieder ganz die Alte – unzufrieden mit allem, was die Tochter tat.

Stéphanie überflog desinteressiert die Speisekarte. Sie hatte keinen Appetit, von daher war es egal, was sie bestellte. Sie winkte den Kellner zu sich her. »Ein Glas Champagner und die pochierte Hühnerbrust!«

Es fühlte sich seltsam fremd an, wieder in einem Hotelrestaurant zu sitzen und darauf angewiesen zu sein, dass irgendein Koch ihr eine einigermaßen schmackhafte Mahlzeit zubereitete. Und wie sehr hasste sie es, erneut auf das Wohlwollen der Kellner angewiesen zu sein, die entweder arrogant waren und die Kundschaft von oben herab behandelten oder langsam wie eine Schnecke waren. Der Kellner, der sie hier bediente, schien in die zweite Kategorie zu fallen – wie es aussah, würde sie verdursten, bevor der Champagner kam!

Stéphanies Blick wanderte in Richtung Tür, wo ein elegant gekleidetes Paar nun schon minutenlang darauf wartete, an einen Tisch geführt zu werden. Der Mann schaute bereits ganz düster drein, während seine Frau ihm beschwichtigend den Arm tätschelte. Am liebsten wäre sie zu den beiden gegangen und hätte gesagt: »Wollen Sie sich diesem schlechten Service wirklich aussetzen? Glauben Sie mir – es wird nicht besser!«

Stéphanie seufzte. Seit sie vor über neun Jahren Château Morel verlassen hatte, war sie auf Restaurants angewiesen gewesen, Tag für Tag, morgens, mittags und abends. Sie hatte in guten Restaurants gegessen, in weniger guten und manchmal auch in abgrundtief schlechten. Irgendwann hatte sie aus lauter Verzweiflung angefangen, Restaurantkritiken zu schreiben und diese der Tageszeitung des jeweiligen Ortes, in dem Jules und sie sich aufhielten, zum Abdruck gegeben. Geld hatte sie dafür nicht bekommen, aber das war ihr egal gewesen. Es war ihr einzig allein um die Sache gegangen! Die meisten ihrer Beiträge waren tatsächlich ein paar Tage später erschienen. Es hatte ihr Spaß gemacht, ihre pointiert-ironisch verfassten Restauranterlebnisse in der Zeitung zu lesen, und ein bisschen stolz war sie natürlich auch. Jules hatte immer herzlich gelacht, wenn sie ihm eine Restaurantbewertung vorlas. »Bist du dir eigentlich bewusst, wie viel Macht du mit deinem Geschreibsel ausübst?«, hatte er einmal zu ihr gesagt. »Du kannst einem Restaurant mit wenigen Sätzen die Krone aufsetzen oder es vom Thron stoßen.«

Die Erinnerung daran ließ Stéphanie bittersüß lächeln. Was für eine Frage! Natürlich war ihr das bewusst gewesen.

In Marseille hatte sie all das nicht nötig gehabt. Da war sie einfach zu Fabienne in die Küche gegangen und hatte etwas genascht, wenn sie Hunger verspürte. Ein Stück Quiche, eine Omelette, manchmal nur ein gekochtes Ei und ein geröstetes Brot, das sie am Küchentisch verspeiste, während Fabienne Gemüse schnippelte oder eine Suppe kochte. Fabies Küche hatte etwas so Heimeliges an sich gehabt, die Speisen waren einfach gewesen, leicht und irgendwie … harmonisch! Bei Fabie hatte es ihr, Stéphanie, geschmeckt, oft hatte sie sogar mehr als ein paar Bissen gegessen. In dem Jahr hatte sie sogar zum ersten Mal in ihrem Leben zugenommen, das hatte sie an ihren Röcken gemerkt.

Nachdem Fabienne dann verschwunden war, hatte sie genauso schnell wieder abgenommen. Tag für Tag hatte sie sich irgendwelche Beschwerden von den Gästen anhören müssen. Das Essen war nicht heiß! Der Fisch war nicht durchgegart! Die Salatsoße schmeckte zu sauer! Die Quiche war nicht luftig genug! Was geht mich das alles an?, hätte sie den Leuten am liebsten ins Gesicht geschrien. Sie war doch nicht die Köchin und trotzdem musste sie alles ausbaden!

Genau wie damals nach Jules’ Tod hatte man sie für Dinge verantwortlich gemacht, die andere zu verantworten hatten, dachte Stéphanie, während sie noch immer auf ihren Champagner wartete. Was konnte sie denn dafür, dass Fabienne sie so bitter im Stich gelassen hatte? Hatte sie sich etwa darum gerissen, das Bistro allein zu führen? Das war Fabiennes Traum gewesen, sie, Stéphanie, hatte ihr diesen Traum lediglich erfüllt. Und als Dank dafür hatte die Freundin ihr das Messer in den Rücken gerammt …

Nie mehr sollte ihr so etwas passieren, hatte Stéphanie beschlossen. Sie wollte endlich frei sein!

Also war sie zum Basken gegangen und hatte ihm das Bistro zum Kauf angeboten. Der schlaue Fuchs hatte natürlich sofort gemerkt, wie dringlich es ihr mit diesem Verkauf war, und entsprechend hatte er ihr einen Spottpreis geboten. Stéphanie hatte dennoch eingewilligt, sie war auf sein schmutziges Geld nicht angewiesen. Im Gegenteil – Geld hatte sie im Überfluss! Und inzwischen war auch genügend Zeit vergangen, sodass sie es wagen konnte, an ihre heimlich zur Seite geschafften Gelder zu gehen. Nach der langen Zeit hatte die Gendarmerie sie bestimmt nicht mehr im Auge.

Endlich kam der Champagner. Stéphanie warf dem Kellner einen missfälligen Blick zu, verkniff sich aber eine Bemerkung und nahm stattdessen einen großen Schluck. Doch die erfrischende Wirkung, auf die sie gehofft hatte, blieb aus, der Champagner schmeckte leicht bitter. Zum Glück gab es jedoch etwas, was besser schmeckte, dachte Stéphanie und nahm einen zweiten Schluck. Nämlich Rache. Sie lächelte maliziös. Rache war immer süß.

Sobald sie Béziers verließ, würde sie eine Restaurantkritik schreiben, die es in sich hatte – und dem schlechten Service würde sie darin ein paar extra Sätze widmen.

Und das sollte nur der Anfang sein. Sie leerte das Glas in einem Zug. All die Jahre hatte sie es zugelassen, dass die Menschen ihr übel mitspielten. Ihre Mutter mit ihrer nicht nachlassenden Kritik. Ihr Vater mit seiner finanziellen Unfähigkeit. Jules, der sie in seine kriminellen Machenschaften hineingezogen hatte. Oscar de Carneval, dem jetzt Château Morel gehörte. Und schlussendlich auch der Mensch, von dem sie es am wenigsten erwartet hätte – die Köchin Fabienne.

Der Kellner kam mit einem Teller in der Hand. »Das können Sie gleich wieder mitnehmen – nach der langen Wartezeit ist mir der Appetit vergangen!« Stéphanie winkte ihn herrisch davon.

Sie solle ihren guten Ruf wiederherstellen, hatte ihre Mutter am Vormittag gefordert. Nun, genau das hatte sie vor. Stéphanie warf ein paar Geldscheine auf den Tisch. Doch warum nur eine Fliege mit einer Klappe schlagen, wenn man doch viel mehr erwischen konnte?