Kapitel 43

Die Kirche von Leucate war bis auf den letzten Platz besetzt. Die geladenen Hochzeitsgäste, Manuels und Adèles ehemalige Schulkameraden, die Austernfischer, deren Kinder, Leute aus dem Dorf – alle waren gekommen, um der Hochzeit der beiden beliebten jungen Leute beizuwohnen. Adèle hatte ein cremefarbenes, spitzenbesetztes Kleid gewählt, in dem schon ihre Großmutter geheiratet hatte. Manuel trug einen dunkelblauen Anzug und hatte vor Freude gerötete Wangen. Die beiden waren ein schönes Paar!, so lautete die einhellige Meinung aller Anwesenden.

Fabienne, die es gerade noch rechtzeitig zu Beginn der Trauung in die Kirche geschafft hatte, saß mit klopfendem Herz und nach Zwiebeln riechenden Händen in einer der vorderen Reihen links vom Gang. In derselben Reihe saßen auch Lily, Lucy und der Rest der Familie. Sabrine Sarda persönlich hatte den Platz für sie freigehalten, während die drei Schwestern in der Küche gestanden hatten.

»… und so frage ich dich, Adèle Vinet – bist du bereit, in den christlichen Stand der Ehe mit Manuel Sarda einzutreten? Dann antworte mit Ja!«, sagte der Pfarrer in einem fremdartig klingenden Akzent.

»Ja!«, ertönte es leise, aber bestimmt.

Umso lauter war das wohlgefällige Raunen aus den vorderen Reihen rechts vom Gang, wo Adèles Familie saß. Sogar ein oder zwei Pfiffe waren zu hören. Sabrine Sarda, die eine Reihe vor Fabienne saß, warf den Senfmachern sogleich einen tadelnden Blick zu.

Fabienne grinste. Gegen die lebenslustigen Vinets war ihre lebhafte Familie zahm wie eine kleine Lämmerherde, schien es ihr.

»… und so frage ich dich, Manuel Sarda – bist du bereit, in den christlichen Stand der Ehe mit Adèle Vinet einzutreten, dann antworte mit Ja!«

»Ja!«, schmetterte Manuel so laut, dass es fast allen ein Lächeln entlockte.

Fabienne drückte fest Yves’ Hand. Ihr Sohn. Ihr wunderbarer Sohn …

»Erinnerst du dich – bei unserer Hochzeit war es genauso windig«, sagte Yves.

Fabienne, deren Rocksaum ständig von Böen angehoben wurde, lachte. »Als ob ich das jemals vergessen könnte!« Aber was machte ein bisschen Wind aus, wenn die Sonne schien und das Hochzeitspaar übers ganze Gesicht strahlte?

»Fünfzehn Jahre … Langsam werden wir zu einem richtig alten Ehepaar.« Er küsste sie zärtlich auf den Mund.

Fabienne blinzelte. Auf die Wange, ja! Auch einmal einen dicken Schmatzer im Überschwang! Aber so wie gerade eben war sie schon ewig nicht mehr geküsst worden …

Bevor sich das wohlige Rumoren in ihrem Unterleib weiter ausbreiten konnte, gab sie Yves einen kleinen Schubs. »Lass uns unauffällig zurück zum Herrenhaus gehen. Ich muss bei den Vorspeisen und beim Dessert noch letzte Hand anlegen, bevor die Hochzeitsgesellschaft am Haus ankommt!«

Just als die Gäste auf der Terrasse eintrafen, flaute der Wind ab, und die Temperaturen wurden schlagartig angenehm. In der warmen Maiensonne mundeten der eisgekühlte Champagner und die ebenfalls auf Eis liegenden Austern allen umso mehr. Die Väter der Brautleute hielten jeder eine Rede – Émile Sarda wählte rührende Worte und hatte die ganze Zeit Tränen in den Augen, wohingegen Thibaut Vinets Rede mit lustigen Bonmots gespickt war.

Während die Familie in der Kirche gewesen war, hatte Sabrines Köchin Celine gemeinsam mit ein paar Helfern das Büfett auf der Terrasse aufgebaut. Jemand, wahrscheinlich der Florist, hatte große Blumensträuße zwischen den Servierplatten und Schüsseln dekoriert. Alles sah wunderschön aus, befanden Fabienne, Lily und Lucy stolz.

»Ein Wunder! Sie haben ein Wunder vollbracht!«, sagte Sabrine Sarda und faltete ihre Hände wie zum Gebet.

Die Schwestern schauten sich schmunzelnd an.

»Sie sind nicht nur eine Köchin – mir scheint, Sie können auch zaubern! Anders kann ich mir nicht erklären, wie Sie das alles in der Kürze der Zeit geschafft haben.« Sabrine Sarda, die neben den drei Frauen vor dem Büfett stand, schaute Fabienne fast andächtig an. »Wie kann ich das jemals wiedergutmachen? Ohne Sie wäre der Tag eine Katastrophe geworden!« Die letzten Worte klangen leicht hysterisch.

Bevor Fabienne etwas erwidern konnte, hakte Lily die Frau des Austernhändlers unter. »Immer, wenn man glaubt, es geht nicht weiter, dann sendet der liebe Gott einem einen rettenden Engel«, sagte sie. »Vor vielen Jahren war Fabienne mein rettender Engel. Und als Lucy einen rettenden Engel benötigte, war Fabie ebenfalls zur Stelle.«

Lucy nickte bekräftigend.

»Tja, und heute war sie eben Ihr rettender Engel«, sagte Lily.

»Jetzt ist’s aber genug!«, unterbrach Fabienne ihre Schwester peinlich berührt. »Das war doch alles selbstverständlich …«

»Selbstverständlich?« Sabrine Sarda schüttelte den Kopf. »Was Sie und Ihre ganze Familie heute geleistet haben, ist alles andere als selbstverständlich.« Sie nahm Fabienne herzlich in den Arm. »Ich danke Ihnen so sehr …«

Mit großen Augen drängten sich die Gäste bewundernd vor dem Büfett und hatten die Qual der Wahl. Ein Stückchen Gemüse-Quiche und etwas Salat? Ein paar der hübsch verzierten Häppchen? Und da, die überbackenen Austern! Wie gut sie dufteten … Mit gut gefüllten Tellern in der Hand suchten sich alle ihren Platz an den langen Tafeln. Dass es auf dem Büfett weder aufwendige Pasteten noch kalte Braten gab, dass kein Hammelrücken und auch keine Spargelspitzen dabei waren, und dass es statt einer mehrstöckigen Hochzeitstorte zum Dessert lediglich Weinschaumcreme mit Erdbeeren gab – all das schien niemanden zu stören. Allen schmeckte es, alle wurden satt – darauf kam es an!

»Einmal wieder an einem Tisch sitzen und gemeinsam feiern – wie lange mussten wir darauf warten?«, sagte Noah und hob sein Glas. »Auf euch, ihr Lieben!«

Fabienne und die andern taten es ihm gleich.

»Es tut so gut, euch wiederzusehen«, sagte Lily seufzend. »Manchmal bin ich vor Heimweh fast umgekommen …«

»Aber dass es ausgerechnet die Hochzeit von Fabiennes Sohn ist, bei der wir zusammenkommen, ist schon verrückt!« Noah lachte. »Ich muss wohl nicht fragen, ob du glücklich bist, was?«, sagte er an Fabienne gewandt.

»Glücklich? Dafür, wie ich mich fühle, gibt es gar keine Worte«, erwiderte Fabienne überschwänglich. Zum ersten Mal seit ewiger Zeit spürte sie eine tiefe Zufriedenheit in sich.

Da saß sie nun mit all ihren Lieben. Jeder von ihnen hatte so manchem Sturm getrotzt, an keinem war die Vergangenheit spurlos vorübergegangen. Und doch hatten sie das Wichtigste nicht verloren – die Fähigkeit, gemeinsam den Augenblick zu genießen! Und dass sie dank ihrer Kochkünste eine kleine Katastrophe abgewendet hatte, war ebenfalls ein gutes Gefühl.

»Fabienne! Tante Lily, Tante Lucy!« Mit großen Schritten kam Manuel auf ihren Tisch zu, im Schlepptau hatte er seine Braut. »Adèle und ich haben gerade erst erfahren, was heute in der Küche los war! Wir möchten uns von Herzen bedanken für das Wunder, das ihr vollbracht habt. Ohne euch wäre das alles nicht da …« Er nickte in Richtung Büfett. »Die überbackenen Austern – wäre es möglich, dass Adèle das Rezept bekommt? Am liebsten würde ich nichts anderes essen, dabei schmeckt alles so gut …« Er lächelte Fabienne an.

Sie hatte gewusst, dass die Austern Manuels Lieblingsgericht sein würden!, dachte Fabienne, die unter dem Lächeln ihres Sohnes fast dahinschmolz. »Natürlich bekommst du das Rezept!«, sagte sie zu Adèle. Das und noch viele mehr, fügte sie in Gedanken hinzu. Die frisch gebackene Ehefrau würde Augen machen, wenn sie später beim Auspacken der Geschenke das ganz besondere Kochbuch entdeckte, das Fabienne für sie geschrieben hatte.

Adèle schaute Manuel freudestrahlend an. »Dann kann ich dir diese überbackenen Austern ab jetzt öfter servieren! Madame Mazeau, wäre es möglich, dass ich einmal zu Ihnen komme? Vielleicht kann ich noch mehr von Ihnen lernen? Natürlich nur, wenn Sie Zeit haben …«, schob sie eilig hinterher.

»Kochunterricht? Es wäre mir eine Freude!« Das letzte Mal hatte sie den Mädchen von Anouks Freudenhaus in Marseille das Kochen beigebracht. Mia, Jade und die andern hatten große Freude dabei gehabt.

Manuel schaute Fabienne verlegen an. »Darf ich auch an deinem Kochunterricht teilnehmen? Ich glaube, es würde mir Spaß machen.«

»Ihr zwei könnt jederzeit zu uns kommen«, sagte Fabie warmherzig zu dem jungen Ehepaar. »Bitte bring dann unbedingt etwas von dem Safran mit, von dem du mir so begeistert erzählt hast! Und ein Töpfchen von Adèles Hibiskusblütensenf wäre auch nicht schlecht – für den sind mir nämlich schon ein paar schöne Rezeptideen eingefallen.«

»Senf, Safran und Austern – das ist doch klar!«, rief Manuel begeistert. »Onkel Noah, darf ich dir nachschenken?« Schon hob er die Flasche mit Weißwein, goss allen ein. »Und Großvater Guy, soll ich dir eine Decke holen?«

Violaine, die für ihre Verhältnisse bisher erstaunlich ruhig gewesen war, sagte laut: »Es wäre schön, wenn du dich nicht nur um die Erwachsenen, sondern auch mal um deine Schwester kümmerst!«

Die Tischrunde lachte.

»Aber sicher doch! Was kann ich für dich tun?«, fragte Manuel grinsend.

Violaine wies zum Garten hinter der Terrasse. »Der Hühnerstall da hinten – bisher durfte ich nicht hin.« Sie warf Fabienne und Yves einen vorwurfsvollen Blick zu. »Kannst du ihn mir mal zeigen? Ich habe besonders Interesse an dieser Hühnerrasse mit dem übertrieben großen Kamm! Weißt du zufällig, wie sie heißt?« Ohne auf Manuels Antwort zu warten, war Violaine aufgestanden. Sie strich ihren Rock glatt, dann nahm sie den großen Bruder an die Hand und zog ihn davon.

Manuel warf der Familie einen letzten verdutzten Blick zu, dann blieb ihm nichts anderes übrig, als Violaine zu folgen.

Die anderen brachen erneut in Gelächter aus. Das war so typisch für Violaine!

Auch Adèle grinste. »Im Gegensatz zu mir muss sich Manuel an Geschwister erst noch gewöhnen. Dabei gibt es nichts Schöneres, als inmitten einer großen Geschwisterschar aufzuwachsen. Wenn der liebe Gott es will, bekommen wir mindestens fünf Kinder!«

Die Schwestern schauten sich an. Genau so waren sie auch groß geworden!

»Ich glaube, du darfst dich bald aufs erste Enkelkind freuen«, tuschelte Lucy Fabienne zu, nachdem Adèle einen Tisch weitergegangen war.

Fabienne stieß einen wohligen Seufzer aus. »Enkelkinder – wie schön das klingt!«

»Und – fühlt sich dein neues Jahrzehnt gut an?«, fragte Yves, als sie sich zu einem langsamen Walzer hin und her bewegten. Viel Bewegungsfreiheit hatten sie nicht, die Tanzfläche war klein, und die allermeisten Gäste hatten nach dem Essen Lust auf ein kleines Tänzchen. Fabienne machte die Enge nichts aus, sie genoss es, an Yves geschmiegt über die Tanzfläche zu schweben.

Verträumt lächelte sie. »Mit zwanzig habe ich meinen Sohn verloren, mit vierzig wiedergefunden – was kann es Schöneres geben? Und die Jahre dazwischen …« Sie zuckte leicht mit den Schultern. »Es waren viele gute Jahre dabei.« Sie schaute Yves prüfend an. Empfand er das genauso? Was, wenn nicht?, fragte sie sich und verspürte auf einmal große Angst. Yves war – neben ihren Kindern – der wichtigste Mensch für sie auf der ganzen Welt.

Anstatt zu antworten, zog er sie nur noch enger an sich heran. Und Fabienne spürte, dass es gut war.

Mal spielte das kleine Orchester laute, fröhliche Weisen, mal wurde die Musik leise und besinnlich. Zwischendurch schnappte einer der Musiker sein Akkordeon und sang dazu – die Texte handelten vom Meer und der Fischerei und waren manchmal ein wenig frivol. Fabienne und Yves tanzten und tanzten. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, wie auch ihre Schwestern zum Tanz aufgefordert wurden und mal mehr, mal weniger willig folgten – je nachdem, wer ihnen gerade die Hand reichte. Violaine saß neben Guy und redete eindringlich auf ihn ein. Wahrscheinlich sprach sie über Hühner, dachte Fabienne lächelnd.

»Vater kommt mir so müde vor. Wahrscheinlich erschöpft ihn die Feier doch mehr, als wir dachten«, sagte sie, als sie bemerkte, wie Guys Kopf mehr als einmal nach vorn kippte.

»Meinst du?«, sagte Yves und folgte ihrem Blick in Richtung der Tische. »Ehrlich gesagt finde ich, dass Guy heute ziemlich gut durchhält. Zwischen zwei und vier macht er doch sonst immer ein ausgedehntes Mittagsschläfchen.«

»Ach ja?« Fabienne senkte schuldbewusst den Blick. Nicht einmal das wusste sie. Doch im nächsten Moment stimmte der Akkordeonspieler ein besonders fröhliches Tanzlied an, und ihr schlechtes Gewissen verflog.

»Das war einer der schönsten Tage meines Lebens!«, rief Fabienne, als sie gegen zwei in der Nacht endlich in ihrem Zimmer waren. Ausgelassen ließ sie sich auf das Bett fallen. Wenn sie jetzt nur schon ihr Nachthemd anhätte und die tausend Nadeln in ihrem Haar gelöst …

Um nach Hause zu fahren, war der Weg zu weit, und so hatte Sabrine Sarda auf Manuels Wunsch hin ein paar Gästezimmer herrichten lassen. Fabie und Yves hatten ein Zimmer bekommen, Lily, Lucy und Violaine teilten sich ein weiteres, genau wie Noah, Elodie und deren kleine Tochter Marie. Noahs erwachsene Söhne übernachteten bei der Familie des Senfmachers.

»Womöglich noch schöner als der Tag unserer eigenen Hochzeit?«, fragte Yves mit gespieltem Entsetzen. Zu Fabiennes Erstaunen öffnete er eine Flasche Roséwein, die Sabrine oder eine der Hausmägde ihnen zusammen mit zwei Gläsern ins Zimmer gestellt hatte. Jetzt noch ein Glas Wein? Es war weit nach Mitternacht! In ein paar Stunden mussten sie sich schon wieder zum Frühstück einfinden. Doch als Fabienne in sich hineinhörte, stellte sie zu ihrem Erstaunen fest, dass sie eigentlich gar nicht müde war, im Gegenteil – so lebendig wie heute hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt.

»Auf dein Wohl!« Grinsend wie ein junger Kerl hielt Yves ihr eins der Gläser hin.

Als Fabienne danach greifen wollte, kam ihr eine kleine Wolke Schweißgeruch aus ihrem Achselbereich entgegen. Sie verzog den Mund. »Die heiße Küchenschlacht am Vormittag, die Stunden auf der Tanzfläche – ich rieche, als hätte ich mich seit Wochen nicht gewaschen!« Sie presste die Arme an den Leib, dann trank sie einen Schluck.

Yves, der sich zu ihr aufs Bett gesetzt hatte, schaute sie nur lächelnd an.

»Lachst du mich etwa aus?« Spielerisch verpasste Fabienne ihm einen kleinen Schubs. »Hättest du dreißig Quiches gebacken, wäre dir der Schweiß auch heruntergelaufen, garantiert!«

»Ich lache dich nicht aus, ich freue mich einfach an dir und deiner Gesellschaft. So gelöst und froh habe ich dich schon lange nicht mehr erlebt, und daran ändert auch ein wenig Achselschweiß nichts«, erwiderte er. Er stellte sein Glas ab, dann begann er, ihre Schuhbänder aufzunesteln. Er zog ihr die Schuhe aus, massierte sanft ihre geschwollenen Füße.

Mit geschlossenen Augen gab sich Fabienne dem angenehmen Gefühl hin. Doch schon im nächsten Moment spürte sie, wie Yves’ Hände gemächlich an ihren Beinen hinaufwanderten. Ihre Lider flatterten. Was hatte er vor? Sie spürte, wie er das Rockbändel löste. Als er an dem Rock zog, hob sie ein wenig die Hüften, um ihm zu helfen. Als Nächstes war der Unterrock dran. Fabienne hielt die Augen noch immer geschlossen, als er danach einen Knopf nach dem anderen von ihrer Bluse öffnete.

»Eine zweite Hochzeitsnacht – wäre das nicht ein würdiges Geburtstagsgeschenk?«, sagte Yves, und seine Stimme war rau vor Lust.

Sie schluckte. Sie wollte diesen Mann, hier und jetzt, mit Haut und Haaren, stellte sie erstaunt fest. Sie öffnete die Augen, lächelte ihn an, dann zog sie unter seinem Blick auch noch ihr dünnes Leibchen aus. So, wie er sie entkleidet hatte, begann sie dann, ihn auszuziehen. Ihre Bewegungen waren jedoch nicht gemächlich wie die seinen. Sie waren fahrig und hektisch – nun, da feststand, dass sie miteinander schlafen würden, konnte es ihr nicht schnell genug gehen. Ruckartig warf sie seine Hosen auf den Boden, das Unterhemd folgte.

Sein nackter Körper, so bekannt und doch so fremd. Yves war ihr Freund, ihr Seelengefährte, und das seit über zwanzig Jahren! Sie waren Freunde gewesen, Kollegen, ein Liebespaar, Bruder und Schwester. Sie kannten gute Zeiten und sie kannten schlechte Zeiten.

Fabiennes Hand zitterte, als sie seine Wange berührte. »Ich liebe dich«, flüsterte sie mit großer Zärtlichkeit. »Ich liebe dich so sehr …«

Er zog sie zu sich heran, küsste sie lange und intensiv. Sein Zungenspiel entzündete ihre Leidenschaft wie ein Streichholz die Flamme auf einem Gasherd. Fabienne drängte sich an ihn, wollte ihn spüren, jetzt, ganz tief in ihrem Inneren.

Das Frühstück am nächsten Morgen war eine entspannte Angelegenheit, bei der die Hausgäste nach und nach auf der Terrasse eintrudelten. Natürlich war das wunderschöne Fest vom Vortag Gesprächsthema Nummer eins! Irgendwann kam auch das Hochzeitspaar Händchen haltend dazu. Die beiden hatten die Nacht in der ehemaligen Fischerhütte verbracht, die Manuel in den letzten Monaten eigenhändig renoviert hatte und die ihr neues Zuhause sein sollte. Selbstredend mussten die jungen Leute sich die eine oder anzügliche Bemerkung hinsichtlich der Hochzeitsnacht gefallen lassen, was sie stoisch über sich ergehen ließen.

Adèle bedankte sich herzlich für Fabiennes Geschenk. Und Manuel bedankte sich nochmals bei der ganzen Familie für die Hilfsaktion bei der Verköstigung der Gäste.

Die Croissants schmeckten, und Celine brachte eine Kanne tiefschwarzen Kaffee nach der andern.

Es war windstill und warm, die Vögel zwitscherten in den Oleanderbüschen. Der Himmel war strahlend blau mit ein paar verwischten Wölkchen, gerade so, als habe ein Maler seinen Pinsel ausgestrichen. So kann das Leben weitergehen, dachte Fabienne und tauschte mehr als einmal einen verstohlenen Blick mit Yves.

Sie war gerade dabei, die letzten Croissant-Krümel von ihrem Teller aufzutupfen, als Yves sagte: »Noah und seine Familie wollen den Tag noch in Leucate verbringen. Ich habe mit ihm ausgemacht, dass ich deinen Vater nach Hause fahre. Kommst du mit?«

Sie schaute erstaunt von ihrem Teller hoch. »Und was ist mit Violaine, Lily und Lucy?«

»Manuel hat angeboten, sie nach Gruissan zu bringen.«

Einige Stunden mit Yves allein, wenn ihr Vater wieder zu Hause war … Fabienne spürte, wie ihr Herz fröhlich zu hüpfen begann. »Wäre es nicht besser, ich fahre meine Schwestern und Violaine?«, lag es ihr auf der Zunge zu sagen. Doch dann beschloss sie, ihrem praktischen Ich Redeverbot zu erteilen. Ihr Blick war herausfordernd, als sie sagte: »Monsieur Mazeau – ich bin bereit!«