Die Monate vergingen in hektischer Betriebsamkeit. Neben dem Obstbaubetrieb gab es plötzlich so viel zu organisieren! Während Yves etliche Stunden mit Théo und Lily zusammensaß, um einen Pachtvertrag aufzusetzen und alles für die Übergabe der Farm zu regeln, arbeitete sich Fabienne durch alle Schränke und Schubladen. Was wollte sie mitnehmen ins neue Leben, was durfte zurückbleiben? Die dicken Winterjacken brauchte sie im Süden jedenfalls nicht! Aber ihren Messingmörser mit den Verzierungen – von dem würde sie sich nie im Leben trennen.
Als Fabienne in der Schule war, um Violaine abzumelden, überreichte deren Lehrerin ihr eine lange Liste mit Schulaufgaben, mit denen sich Violaine in den Ferien beschäftigen sollte. Hoffentlich würden sie während der Reise und Wohnungssuche die Zeit für Mathematik und Französisch finden, dachte Fabienne bang.
Und dann war plötzlich der Tag der Abreise gekommen. Es war ein heißer Sommertag, an dem die Luft stillzustehen schien. Von den Obstwiesen wehten der Duft reifer Pfirsiche und der leise Singsang der Erntehelferinnen, die sie engagiert hatten, zu ihnen herüber. Deren Hilfe war auch dringend nötig, nun, da Fabienne und Yves nicht mehr zur Verfügung standen.
Yves’ Automobil war hochbeladen, es hatte sogar einer Konstruktion aus Brettern und Stricken bedurft, um all ihre Habseligkeiten für die lange Reise sicher zu befestigen.
Alle hatten sich vor dem Haus versammelt, um Fabienne, Violaine und Yves zu verabschieden – die Familie, Violaines Schulkameradinnen, ein paar Nachbarn. Schwägerin Elena hatte sich sogar von ihrer Arbeit bei ihrem Vater, dem Tierarzt, freigemacht, um noch mal Adieu zu sagen, dabei hatten sie sich schon am Vorabend verabschiedet.
Während die Männer um das Gefährt herumliefen, hier die Spannung eines Strickes prüften, da gegen einen Reifen klopften oder einfach nur die Karosserie mit einem Taschentuch blank polierten, um etwas zu tun zu haben, standen die Frauen um den Korb mit dem Reiseproviant herum. Jede hatte etwas dazu beigesteuert: ein paar hart gekochte Eier. Eine geräucherte Forelle. Eine Flasche Cidre. Lily hatte belegte Brote gerichtet.
»Willst du nicht die Äpfel ganz obenauf legen? Bestimmt esst ihr sie noch vor den hart gekochten Eiern«, sagte Lily, und ihre Hände strichen fahrig das Papier glatt, in das die Brote eingepackt waren.
Fabienne nickte vage, während ihr Blick zu den Kindern hinüberging.
»Gerade jetzt, wo die Sommerferien begonnen haben, zieht ihr in den Süden! Soll ich ganz allein zum Schwimmen gehen? Am Weiher sind nur Jungen, und du weißt ja, wie blöd die sich benehmen können!« Halb wütend, halb anklagend kickte Lilys Tochter, die elfjährige Simone, mit der rechten Schuhspitze ein Steinchen weg.
»Du darfst dir von ihnen einfach nichts gefallen lassen«, erwiderte Violaine. »Meist sind es ja nur Martin oder Caspar, die einen ärgern, die andern sind harmlos. Aber wenn sie was Dummes sagen, wehr dich!«
Simone nickte und unterdrückte tapfer die Tränen.
Lily, die das Gespräch der Mädchen ebenfalls mitbekommen hatte, schossen jedoch die Tränen in die Augen. »Oh Gott, ich werde euch so vermissen …«, schluchzte sie. »Ich weiß, es ist gemein, das zu sagen, aber am liebsten wäre mir, wenn ihr bald wiederkommt!«
Fabienne, der auch ein Kloß im Hals steckte, biss sich so fest auf die Unterlippe, dass es wehtat. Am liebsten hätte sie gerufen: »Packt alles wieder aus – wir bleiben hier!« Noch nie in ihrem Leben war es ihr so schwergefallen, Abschied zu nehmen, wie jetzt.
Doch tief in ihrem Innersten wusste sie, dass der Umzug in den Süden richtig war. Da war die Lust auf Neues – sie wollte endlich wieder ihren großen Traum vom eigenen Restaurant verfolgen. Genauso wichtig war es ihr, die Suche nach Victor noch einmal aufzunehmen. Und trotzdem quälte sie die Frage, ob es in Ordnung war, Violaine aus der gewohnten Umgebung zu reißen. Für Yves und sie war es nicht das erste Mal, dass sie völlig neu anfingen. Sie waren schon immer unruhige Geister gewesen, konnten sich flexibel auf Neues einstellen. Aber durfte man das auch von einem zehnjährigen Kind erwarten? Violaine kannte schließlich kein anderes Leben als das hier auf der Farm!
Deine Zweifel hättest du früher aus dem Weg räumen müssen, dachte Fabienne bitter. Wer A sagte, musste auch B sagen – um alles abzublasen, war es längst zu spät.
»Wenn’s euch nicht gefällt, kommt ihr einfach wieder!«, sagte nun auch einer der Nachbarn, und die andern nickten heftig. Danach zerstreuten sie sich langsam, und auch die Kinder liefen davon. Lediglich Pierre und Simone blieben noch bei den Erwachsenen und Violaine.
Yves trat zu Fabienne und legte ihr einen Arm um die Schulter. »Tja, das war’s dann wohl …«
»Nun macht nicht so ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter! Die Farm bleibt doch immer euer Zuhause«, sagt Théo ermutigend.
»Ganz genau. Wenn es euch im Süden doch nicht gefällt, dann kommt ihr zurück«, fügte Lily hinzu.
Fabie und Yves tauschten einen Blick. Warum taten alle so, als würden sie nur einen kurzen Ausflug machen? Das, was sie vorhatten, war abermals ein Neuanfang. Nicht mehr und nicht weniger.
Kurze Zeit später saßen sie im Wagen. Während Violaine sich laut und voller Inbrunst von jedem Baum, jedem Haus und jedem Fischweiher verabschiedete, brütete Fabienne dumpf vor sich hin. Abschiede und Neuanfänge hatten ihr Leben geprägt, seit sie im Alter von siebzehn Jahren die Schleusenstation ihrer Familie verlassen hatte. Doch noch nie in ihrem Leben war ihr dabei das Herz so schwer gewesen. Dieses Mal musste es ihr gelingen, für immer Wurzeln zu schlagen, dachte sie, denn eins stand fest: Ein weiteres Mal von vorn anzufangen – dazu würde sie wohl nicht die Kraft aufbringen.
Die Reise verlief unspektakulär. Yves und Fabienne wechselten sich mit dem Fahren ab. Wenn sie beide zu müde waren zum Weiterfahren oder wenn Violaine, die so gut wie kein Sitzfleisch besaß, zu zappelig wurde, suchten sie sich ein Zimmer für die Nacht.
Nach nur vier Tagen kamen sie in Narbonne an.
»Und? Wohin möchtest du als Erstes? Ans Meer oder zu deinem Onkel Noah? Oder sollen wir nach Carcassonne fahren? Ganz gleich, wofür wir uns entscheiden – auf dich warten einige aufregende neue Erfahrungen!«, sagte Fabienne zu ihrer Tochter, als sie beide in einem Café am Rathausplatz bei einer kühlen Zitronenlimonade saßen. Gleich um die Ecke lag das Hotel, in dem sie sich für eine Woche ein Zimmer genommen hatten. Fabie hoffte, dass diese Zeit ausreichen würde, um eine Wohnung zu finden. Parallel dazu wollten sie auch schon Ausschau halten nach geeigneten Räumlichkeiten für Fabiennes Restaurant – und nach einer Schule für Violaine.
»Das Wichtigste ist, dass wir meinen Bruder finden«, bemerkte Violaine in leicht tadelndem Ton, als wollte sie sagen: Was für eine Frage!
Fabienne runzelte die Stirn. Mehr als einmal hatten Yves und sie versucht, Violaine klarzumachen, dass es völlig in den Sternen stand, ob sie Victor überhaupt jemals finden würden. Doch davon wollte Violaine nichts hören. In ihrer kindlichen Überzeugung sah sie schon vor sich, wie sie und ihr Bruder sich in die Arme fielen. Aber was, wenn nicht?, fragte sich Fabienne nicht zum ersten Mal.
»Carcassonne ist mit dem Automobil von hier aus an einem Tag gut zu erreichen. Die dortige Gendarmerie hat sich damals des Falles angenommen – da gehen wir als Erstes hin. Die Burg dort wird dir gefallen, so etwas habe ich noch nirgendwo anders gesehen. Die hohen Türme, die engen Gassen …« Fabienne lächelte.
Violaines Miene leuchtete auf. »Eine alte Burg mit engen Gassen? Da kann man bestimmt gut Fangen und Verstecken spielen.«
»Verwinkelt genug ist es jedenfalls«, antwortete Fabienne geistesabwesend. Wie oft war sie mit Noé hier auf dem Markt gewesen!, dachte sie, während ihr Blick über den Rathausplatz schweifte. Genau in dem Café, in dem sie jetzt saßen, hatten sie dann einen Mokka getrunken. Und heute saß sie mit seiner Tochter hier …
War nun die Zeit gekommen, dass sie Violaine ein bisschen mehr von ihrem Vater erzählte? Oder sollte sie damit warten, bis ihre Tochter selbst anfing, Fragen zu stellen?
Violaine wusste, dass Yves nicht ihr leiblicher Vater war und dass dieser nicht mehr lebte, das Gespräch hatte sich vor zwei Jahren einmal ergeben. Violaine hatte erstaunlich gelassen reagiert und auch nicht weiter nachgehakt. Für sie war Yves der beste Vater, den sie sich vorstellen konnte, und dafür würde Fabienne ihm auf ewig dankbar sein.
Unter niedergeschlagenen Lidern schaute Fabienne ihre Tochter an. Wie Noé war auch sie ein rebellischer Freigeist! Dass Violaine sich in den Städten, in denen sie auf ihrer Reise übernachtet hatten, nicht wohlgefühlt hatte, hatte nicht nur damit zu tun, dass sie ein Landkind war. Violaine fühlte sich innerhalb dicker Stadtmauern eingeengt, genau wie einst ihr Vater, der Voyager. Auch Noé hatte es immer wieder raus aus Narbonne und aufs Land gezogen, wo ihm der Wind der Freiheit um die Nase wehte!
Fabienne seufzte leise auf. Yves und sie würden sich ziemlich anstrengen müssen, um Violaine doch noch von den Vorzügen des Stadtlebens überzeugen zu können. Die Geschäfte, das lebhafte Treiben, der Markt, wo es alles zu kaufen gab, was das Herz begehrte …
Warum war heute eigentlich kein Markt?, dachte Fabienne stirnrunzelnd. Im nächsten Moment entdeckte sie Yves, der über den Rathausplatz hinweg auf sie zukam. Unterm Arm trug er eine zusammengerollte Tageszeitung, er hoffte, in den Anzeigen eine Wohnungsofferte zu finden.
»Du glaubst nicht, was ich gerade im Tabakladen erfahren habe!«, sagte er anstelle einer Begrüßung. Dankbar nahm er das Glas Wasser, das Fabienne schon für ihn bestellt hatte, und trank einen großen Schluck.
»Was denn?«, sagte Fabienne und fächelte sich mit ihren Händen Luft zu. Auch in den Dombes war es heiß gewesen. Aber hier in der Stadt huschte kein Windhauch durch die engen Gassen, und die dicken gelben Sandsteinmauern des Rathauses und der umliegenden Gebäude schienen die Sonnenhitze wie ein Brotbackofen zu speichern, dabei war es noch nicht einmal ein Uhr am Mittag.
»Maman, mir ist so heiß«, sagte prompt auch Violaine.
»In dem Hotelzimmer ist es schön kühl. Nachher ruhen wir uns alle ein wenig aus«, sagte Fabienne. Sie konnte es kaum erwarten, sich in dem Raum mit den geschlossenen Fensterläden auf die kühlen Laken zu legen. Nicht nur die Reise hatte sie erschöpft, sondern auch die vielen Emotionen, die in ihr aufstiegen, seit sie wieder in Narbonne war.
»Ich bin doch kein bébé, das einen Mittagsschlaf macht!«, entrüstete Violaine sich. »Ich möchte viel lieber die Wohnung sehen, in der ihr früher gelebt habt.«
Yves und Fabienne tauschten einen Blick.
»Dann lasst uns aufbrechen! So kann ich euch auch gleich zeigen, was ich so spannend finde«, sagte Yves, trank aus und legte ein paar Münzen auf den Tisch.
Bis zu ihrer alten Wohnung waren von hier aus noch mindestens fünfzehn Minuten zu gehen, und das in dieser Hitze!, dachte Fabienne verärgert, während sie über die Pont de Marchands liefen, die über den Canal de la Robine führte. Warum hatte Yves Violaines Willen schon wieder nachgegeben? So würde sie sich nie daran gewöhnen, dass die Zeiten, in denen jedes ihrer kindlichen Bedürfnisse sofort befriedigt werden konnte, vorbei waren. Der Gedanke bereitete Fabienne sogleich ein schlechtes Gewissen.
Auf der Farm hatte Violaine eine schöne Kindheit mit vielen Freiheiten gehabt. Ganz gleich, wie viel Arbeit es auf den Obstplantagen auch gab – von den Erwachsenen hatte immer jemand Zeit, um den Kindern etwas zu essen zu geben oder ihnen ein Glas Saft einzuschenken. Es war immer jemand da gewesen, der bei einem aufgeschlagenen Knie die Wunde ausgewaschen und tröstende Worte gemurmelt hatte. Waren die Hausaufgaben für die Schule fertig, dann hatten die Kinder draußen toben können, bis es dunkel wurde. Und wenn jemand müde war – ganz gleich, ob erwachsen oder nicht –, dann hatte er sich für eine halbe Stunde aufs Ohr gelegt. Doch diese Zeiten waren vorbei, und je früher sich Violaine daran gewöhnte, desto besser …
Fabiennes Gedankengänge brachen abrupt ab, und sie blieb wie angewurzelt auf der Promenade des Kanals stehen.
»Was ist das?« Stirnrunzelnd zeigte sie auf ein riesiges Gebäude zu ihrer Rechten. Es sah aus wie ein überdimensionierter Gartenpavillon aus Eisenelementen und viel Glas, dessen Ecken von steinernen Pfeilern verstärkt wurden. Auch das als Rundbogen gestaltete, majestätisch wirkende Eingangsportal war aus hellem Sandstein. In den oberen Teil hatte ein versierter Steinmetz in dicken Lettern das Wort »Marché« geschlagen.
»Darf ich vorstellen? Das ist die neue Markthalle von Narbonne!«, sagte Yves und klang dabei so stolz, als habe er am Bau mitgewirkt. »Der Mann im Tabakladen meinte, sie sei erst vor Kurzem eröffnet worden. Ich dachte, das würde dich interessieren.« Grinsend nahm er Fabiennes Hand. »Komm, lass uns reingehen!«
»Narbonne hat eine … Markthalle?« Fabienne runzelte irritiert die Stirn. »Deshalb fand heute vor dem Rathaus kein Markt statt«, murmelte sie, während sie auf das Eingangsportal zugingen.
Das Tor war schwer zu bewegen, Yves musste mit beiden Händen den Eisengriff fassen. Als sie eintraten, war Fabienne so feierlich zumute, als würde sie eine Kathedrale betreten. Im nächsten Moment blieb sie erneut wie angewurzelt stehen.
»Das gibt’s doch nicht! Schaut euch das mal an!«
Vor ihnen lag ein überdachter Markt, bei dem sich ein Stand an den nächsten reihte. Es gab einen breiten Hauptgang und links und rechts davon noch einmal je einen Gang. Zu ihrer Rechten sah Fabienne einen Stand mit Wurst und Fleisch, im Hauptgang gab es Stände mit frischem Obst und Gemüse, einen Bäcker und weiter hinten Stände mit frischem Fisch und Meeresfrüchten. Es duftete nach warmen Brioches und Essig, nach Fisch, Oliven und verschüttetem Wein.
»Und, was sagst du? Äußerst beeindruckend, nicht wahr?«, fragte Yves. »Unsere alte Wohnung liegt nicht weit von hier, dahin gehen wir auch noch«, raunte er Violaine zu, doch diese schaute sich ebenfalls mit großen Augen um.
Fabienne war auf einmal etwas schwindlig. So viele unterschiedliche Emotionen wallten in ihr auf, während sie Eindrücke in sich aufnahm!
War die Frau da hinten nicht Monique, die immer so frech mit Noé geschäkert hatte? Zur Erdbeerzeit hatte er fast täglich bei der Marktfrau eingekauft.
Violaine machte sich von Yves’ Hand los und rannte zu einem Stand, an dem es kleine Windbeutel mit Hagelzucker gab, Früchtebrot, Törtchen mit frischem Obst und sahnigen Cremes …
»Maman, bekomme ich ein Schokoladen-Eclair?«
»Ja, ja …«, sagte Fabienne geistesabwesend. Der Mann am Fischstand rechts, der gerade für eine Hausfrau Krabben in eine Tüte füllte – er hatte Noé immer »Voyager!« gerufen. Voyager – das hatte so gut zu Noé gepasst …
»Hier kannst du bei jedem Wetter die Einkäufe für dein Restaurant tätigen – ist das nicht toll?«, bemerkte Yves und wollte ihr auch ein Eclair reichen, doch Fabienne lehnte ab. Beklommen ging sie ein paar Schritte in den rechten Gang hinein, während sie um Fassung rang. Vor ihrem inneren Auge erschien plötzlich Noé, der an dem Obststand zur Rechten einen Pfirsich aß. Saft lief ihm die Mundwinkel herab, er leckte ihn mit der Zunge auf. Sie hörte sein kehliges Lachen, wenn er mit Monique scherzte. Sie sah, wie er mit seinen feingliedrigen Fingern eine Aubergine betastete oder über einen Fisch strich.
War sie verrückt geworden? Die Markthalle war nagelneu, Noé hatte nie auch nur einen Fuß über ihre Schwelle gesetzt! Das Déjà-vu, das sie zu haben glaubte, war eine irrwitzige Täuschung, mehr nicht.
»Fabienne Durant?«, hörte sie da eine dünne Männerstimme sagen. Fabienne blinzelte. War auch diese Stimme Einbildung?
»Mademoiselle bon appétit, bist du es wirklich?«
Keine Einbildung, dachte Fabienne, trotzdem dauerte es einen Moment, bis sie die Stimme orten konnte. Ihr Blick wanderte zu einem kleinen Tisch, der inmitten der großen Marktstände fast unterging. Dahinter saß ein gebeugter Greis, auf der Tischplatte vor ihm sah Fabienne ein paar Zwiebelzöpfe und eine Holzkiste mit getrockneten Pilzen.
»Monsieur Ballard?« Ungläubig schaute Fabienne den Mann an, während sie in ihrem Kopf hektisch nachrechnete. Er musste mindestens neunzig Jahre alt sein! Schon ihre Mutter hatte auf die getrockneten Pilze von Monsieur Ballard geschworen, und Noé hatte sie ebenfalls zum Würzen verwendet.
»Ich habe dich lange nicht mehr gesehen«, sagte der alte Mann krächzend. »Ist das etwa deine Tochter?« Er zeigte auf Violaine. »Sie ist deiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten …« Er wollte Violaine zu sich herwinken, doch die versteckte sich hinter Fabiennes Rücken.
Monsieur Ballard zeigte mit zitternder Hand auf seine Pilze. »Wie wäre es?«
»Aber ja! Natürlich nehme ich ein Säckchen Ihrer getrockneten Pilze«, sagte Fabienne gerührt.
Der Greis lächelte zufrieden. »Wie in den guten alten Zeiten.«
Fabienne nickte benommen. Würde es fortan immer so sein, dass die Geister der Vergangenheit sie hier derart verfolgten?