Kapitel 26

Château Morel bei Carcassonne, Ende August 1902

Eine Frau als chef de cuisine? Warum nicht!

Wer bereit ist, den langen Weg nach Gruissan auf sich zu nehmen, tut gut daran, am Marktplatz einzukehren. Im Restaurant Pourquoi Pas stimmt fast alles. Schon die Begrüßung ist herzlich. Und wenn man dann zu einem der Tische begleitet wird, wo blütenweiße Tischdecken, auf Hochglanz polierte Gläser und funkelndes Tafelsilber warten, dann weiß man, dass Gastfreundschaft in diesem Haus großgeschrieben wird.

Stirnrunzelnd schaute Stéphanie von ihrer Schreibmaschine auf, die Finger noch über die Tastatur haltend. Es war halb zwei, und um zwei Uhr wollte ihr Gast kommen. Vielleicht würde sie die Restaurantbewertung bis dahin noch fertig bekommen.

Sie beugte sich erneut über die Schreibmaschine – ein Geschenk von Oscar und das erste Geschenk von ihm, das sie heiß und innig liebte – und schrieb mit beiden Zeigefingern weiter. Was Küchenchefin Fabienne Mazeau auf die Teller zaubert, sucht seinesgleichen. Gekonnt verwendet sie regionale Produkte wie Fisch, Meeresfrüchte und Oliven und überrascht dabei auch durch den Einsatz von Produkten, die selbst eine erfahrene Restaurantbesucherin nicht kennt. Bestellen Sie unbedingt den Salat mit gebratenem Ziegenkäse! Denn er ist garniert mit hauchdünnen Blättchen aus Fruchtmus, die aromatischer nicht sein könnten. Gäbe es diese Fruchtmus-Blättchen als Pralinés, wäre die Bonbonniere wahrscheinlich an einem Tag leer gegessen! Und wie eine besonders feine Schachtel Pralinen habe ich auch den Besuch im Pourquoi Pas in Erinnerung – als einen kleinen kulinarischen Schatz!

War das nicht der perfekte Schlusssatz? Zufrieden lehnte sich Stéphanie zurück. Es tat so gut, endlich wieder ihrer Arbeit nachgehen zu können!

Und wem hatte sie das zu verdanken? Fabienne! So ungern Stéphanie es sich auch eingestand, so war es doch eine Tatsache: Seit sie im Pourquoi Pas gewesen war, hatte sie nicht nur wieder Freude an ihrer Arbeit, sondern auch am Essen. Zumindest zwang sie sich seitdem, täglich mindestens zwei leichte Speisen zu sich zu nehmen – Salat, etwas Käse und Obst, gegrillten Fisch. Seitdem waren ihre Kräfte zurückgekommen. Vielleicht hatte Oscar doch recht gehabt und sie hatte unter einer Magersucht gelitten?

So gesehen hatte sie Fabienne viel zu verdanken …

Umgekehrt war das aber auch der Fall, dachte Stéphanie und betrachtete die fünf Münzen, die sie ihrer Bewertung des Pourquoi Pas angefügt hatte. Das würde den Erfolg des Restaurants noch weiter befeuern.

Fabienne würde Augen machen, wenn sie diese Zeilen las, wahrscheinlich rechnete sie nicht im Geringsten damit, dachte Stéphanie lächelnd. Wenn alles wie geplant lief, würde die nächste überarbeitete Auflage des Guide Carneval Anfang des kommenden Jahres gedruckt werden – dann würde Fabienne schon in der nächsten Sommersaison davon profitieren. Stéphanie lief ein wohliger Schauer über den Rücken. Mit dieser Bewertung bewies sie gegenüber der ehemaligen Freundin wahrlich Größe.

Ihr Blick wanderte erneut zu Uhr. Es war kurz vor zwei, gleich würde Manuel Sarda kommen. Fabiennes Sohn … Sie stand auf und schaute aus dem Fenster, während sie ein leises Rumoren in der Magengegend verspürte.

Was für ein Zufall, dass sie ausgerechnet heute die Zeit gefunden hatte, Fabiennes Restaurant zu bewerten … Oder war es gar kein Zufall? So oft, wie ihre Gedanken zu der ehemaligen Freundin wanderten, hatte Stéphanie manchmal das Gefühl, als seien ihre beiden Leben immer noch miteinander verknüpft.

Als Manuel Sarda sie an seinem Geburtstag gefragt hatte, ob er sie einmal würde besuchen dürfen, hatte sie natürlich bereitwillig zugesagt und ihm auch gleich einen Termin genannt. Statt ihm die Adresse ihrer Narbonner Stadtvilla Bellefleur zu nennen, hatte sie ihn ins Château Morel eingeladen – warum, wusste sie selbst nicht. Der Gedanke, Fabiennes Sohn an dem Ort zu begrüßen, wo er geboren wurde, war beängstigend und aufregend zugleich. Das Flattern in Stéphanies Magen wurde noch heftiger – unangenehm war es nicht.

Abrupt wandte sie sich vom Fenster ab und ging in den Salon, wo sie eine kleine Mahlzeit hatte herrichten lassen. Um draußen zu sitzen, war es einfach zu heiß. Auf einer silbernen Platte mit Fuß waren etwas Pastete und Käse angerichtet, dekoriert war das Ganze mit halbierten Aprikosen. In einem Korb lag frisch aufgeschnittenes Baguette. Auch ein paar Obsttörtchen standen auf einer Etagere bereit.

Wenn nur alles so einfach vorzubereiten wäre wie dieser Imbiss!, dachte Stéphanie. Seit sie wusste, dass Manuel sie besuchen wollte, ging sie im Geiste die Optionen durch, die sie bei diesem Gespräch hatte.

»Dass Sie als meine Patentante mehr über meine Herkunft wissen, als Sie bisher preisgegeben haben, habe ich mir schon längst zusammengereimt – ich bin schließlich nicht dumm«, hatte Manuel an seinem Geburtstag zu ihr gesagt und angefügt: »Ich habe ein Recht darauf, alles über die Frau zu erfahren, die mich geboren hat!« Sie hatte nur genickt.

Seit diesem Tag hatte sie nachts noch schlechter geschlafen, als sie es eh schon tat. Was und wie viel konnte sie sagen, ohne sich selbst zu belasten? Inwiefern sollte oder wollte sie die Sardas mit hineinziehen? Émile Sarda und seiner selbstgerechten Frau eins auszuwischen, hätte ihr die allergrößte Lust bereitet, denn schließlich hatte Sarda damals bei dem Fest ihres Vaters die ganze Lawine erst ins Rollen gebracht.

Als wäre es erst gestern gewesen, sah Stéphanie sich und Émile am Rand der Terrasse stehen, hier im Château Morel, abseits der Festgesellschaft – zutiefst verzweifelt hatte er ihr sein Herz ausgeschüttet, weil seine Frau nach dem plötzlichen Tod ihres Säuglings für niemanden mehr ansprechbar war. Sie, Stéphanie, damals noch ein junges Ding, war nach dieser Beichte völlig aufgewühlt gewesen, ständig hatte sie an Sabrine denken müssen, deren Kind gestorben war. Und im selben Moment sah sie Fabienne vor sich, die vor lauter Arbeit keine Zeit für ihr Kind hatte. Das Zusammentreffen dieser Umstände hatte sie, Stéphanie, ja erst auf den Gedanken gebracht, Fabiennes Kind in eine fremde Familie zu geben. Aber was hieß hier eigentlich fremd? Die Sardas waren ihr bestens bekannt gewesen – Freunde!

Jeder, der ihrer Geschichte gelauscht hätte, hätte erkannt, dass sie aus hehren Motiven gehandelt hatte, ja, sie hatte das Beste für alle Beteiligten gewollt! Aber war das die geeignete Erzählweise? Stéphanie bezweifelte es. Sie wusste zwar nicht, welche Gesetze im Falle einer Kindesentführung galten und ob sie nach all den Jahren überhaupt noch zu belangen wäre, aber sie wollte es erst gar nicht darauf ankommen lassen. Sie konnte Manuel die Wahrheit über seine Herkunft auch sagen, ohne sich oder die Sardas zu belasten. Denn die Wahrheit hatte viele Gesichter. Und sie, Stéphanie, kannte sie alle.

Stéphanie lächelte.

»Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe meine Eltern sehr! Aber …« Hektisch fuhr sich Manuel Sarda durch sein braunes lockiges Haar. »Nun, da ich im Begriff bin, eine eigene Familie zu gründen, habe ich das Gefühl, einfach mehr über meine Herkunft erfahren zu wollen.«

Stéphanie nickte. Je älter er wurde, desto ähnlicher sah er Fabienne. Die braunen Locken, die leichte Falte auf der Stirn, der offene Blick. »Ich kann dich gut verstehen. Allerdings – seit den damaligen Ereignissen sind einundzwanzig Jahre vergangen. Ich war damals genauso alt wie du jetzt, hatte mein eigenes Leben und eigene Träume. Ich war vernarrt in den Flamencotanz!« Sie lachte gekünstelt auf. »Ich wollte einfach nur weg von hier! Dementsprechend wenig habe ich von der ganzen Angelegenheit mitbekommen.« Sie hob entschuldigend beide Hände.

»Angelegenheit? Im Château Morel? Wollen Sie damit etwa sagen, dass meine Mutter hier lebte?« Die Stimme des jungen Mannes kippte fast vor Aufregung.

»Nun ja, es hat schon seine Gründe, dass ich dich heute hierher habe kommen lassen«, sagte Stéphanie vorsichtig. Als er daraufhin schwieg, fuhr sie fort: »Deine Mutter heißt Fabienne. Sie war eine der Bediensteten im Château. Sie –«

Weiter kam sie nicht, denn Manuel schaute sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Sie heißt Fabienne?«

»Frag mich aber bitte nicht nach ihrem damaligen Nachnamen, den habe ich längst vergessen, falls ich ihn überhaupt jemals kannte«, log Stéphanie. »Jedenfalls, deine Mutter war bei uns Küchenmagd. Als sie hier ankam, war sie schon schwanger, was sie jedoch meinen Eltern und mir verschwiegen hatte. Erst als sie die Schwangerschaft nicht mehr verbergen konnte, zog sie mich ins Vertrauen. Und ich setzte mich bei meinen Eltern dafür ein, dass sie bleiben durfte.«

Manuel schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an, als wollte er aus ihrer Miene mehr herauslesen, als ihre Worte kundtaten. Das wird dir nicht gelingen!, dachte Stéphanie und strich scheinbar gedankenverloren über die weiße Tischdecke. Sie war schon immer eine Meisterin darin gewesen, die Menschen das glauben zu lassen, was sie wollte. Aufmerksam schaute sie den jungen Mann an. »Deine Mutter war ein lebenslustiges junges Ding, gerade einmal siebzehn Jahre alt, als sie schwanger wurde. Wer dein Vater ist, hat sie mir nie verraten, und das, obwohl wir befreundet waren.«

»Sie waren mit meiner Mutter befreundet?« Er klang teils ungläubig, teils spöttisch.

Stéphanie lachte leise auf. »Das hat damals auch niemand verstanden. Aber ich bin ein Mensch ohne jeglichen Standesdünkel, bei mir zählen innere Werte. Ich mochte deine Mutter sehr! Sie war ein Freigeist, eine Rebellin. Aber dann …«

»Ja?«, kam es zögerlich.

Nervös zupfte Stéphanie an der Tischdecke herum. »Was ich dir jetzt zu sagen habe, fällt mir sehr schwer. Denn irgendwie fühle ich mich schuldig an dem Verlauf der Dinge. Ja, wenn man es genau nimmt, bin ich sogar schuld daran, dass deine Mutter dich nicht mehr wollte.«

Ein erschrockener Zischlaut ertönte, er tat Stéphanie in den Ohren weh.

»So reden Sie endlich«, drängte Manuel rau. Die gesunde Farbe war aus seinem Gesicht verschwunden, er war kreidebleich.

Stéphanie holte tief Luft, als müsse sie Kraft schöpfen für das, was sie zu sagen hatte. »Als Fabienne wegen ihrer Schwangerschaft wieder einmal völlig verzweifelt war, wollte ich sie ein wenig aufmuntern. Ich lud sie zu einem Ausflug nach Narbonne ein, gemeinsam mit Freunden von mir besuchten wir ein Restaurant. Deine Mutter hat schon immer gern gekocht, und sie schätzt gutes Essen sehr, deshalb war ich mir sicher, dass dieser Ausflug ihr Freude bereiten würde. Einmal auf andere Gedanken kommen, das tut so gut …« Sie seufzte auf. »Es war das allererste Mal, dass Fabienne ein Restaurant besuchte. Und was soll ich sagen? Sie war begeistert! Ich sehe noch vor mir, wie ihre Augen geglänzt haben. Noch auf der Heimfahrt verkündete sie mir freudestrahlend, dass es ihr Traum wäre, eines Tages selbst ein Restaurant zu führen. ›Aber du bist schwanger! Wie stellst du dir das vor mit Kind?‹, fragte ich sie entsetzt. Fabienne zuckte damals nur mit den Schultern …« Traurig schüttelte Stéphanie den Kopf. »Diese Reaktion hätte mir zu denken geben müssen. Aber wie gesagt, ich war jung und hatte mein eigenes Leben. Und sehr viel Zeit verbrachten wir wirklich nicht miteinander, deine Mutter und ich, denn schließlich war sie die Küchenhilfe und ich die Tochter des Hauses.« Sie trank einen kleinen Schluck Tee und beobachtete ihren Gast dabei unauffällig über den Rand ihrer Tasse hinweg. Manuel war angespannt, schien aber nicht aggressiv zu sein. »Als du zur Welt kamst, ließ ich es mir nicht nehmen, Fabienne einen wunderschönen Kinderwagen und eine silberne Rassel für dich zu schenken. Sie nannte dich Victor.«

»Victor?« Manuels Stimme war nur ein schwacher Hauch.

Stéphanie nickte. »Zur damaligen Zeit lebte mein altes Kindermädchen ebenfalls noch hier, wir nannten sie alle nur die alte Marianne. Meine Eltern gingen schon immer gut mit dem Personal um, von daher brachten sie es nicht übers Herz, die alte Frau am Ende ihrer Dienste wegzuschicken. Als du dann zur Welt kamst, brachte Fabienne dich täglich zur alten Marianne. Sie arbeitete tagtäglich viele Stunden in der Küche, schaute sich von unserer Köchin Sophie jeden Kniff ab, löcherte sie mit Fragen, schrieb sich Rezepte ab. Sie hatte nur noch eins im Kopf, und das war ihr Traum vom eigenen Restaurant.«

Manuel gab erneut einen erstickten Laut von sich. Stéphanie ergriff über den Tisch hinweg nach seiner rechten Hand, sie war eiskalt. »Ich möchte dich nicht quälen. Wir können das Gespräch jederzeit abbrechen!«

Doch der junge Mann wehrte grimmig ab. »Jetzt will ich alles auch erfahren!«

Stéphanie seufzte tief auf. »So viel mehr gibt es eigentlich gar nicht zu berichten. Eines Tages warst du einfach verschwunden! Ich war an diesem Tag verreist, und ich habe nie herausgefunden, was damals genau geschehen ist. Als ich an dem Tag mit der Kutsche zurückkam, waren alle im Château in heller Aufregung. Alle haben nach dir gesucht, jeder Stein wurde umgedreht. Deine Mutter behauptete, dass man dich entführt habe. Aber das war im Grunde ein Ding der Unmöglichkeit! Die hinzugezogene Gendarmerie fand für Fabiennes Behauptung auch keinerlei Hinweise, und bei der großen Suchaktion, die folgte, ergaben sich auch keine Erkenntnisse. Ehrlich gesagt bin ich schon damals davon ausgegangen, dass deine Mutter dich irgendwo ausgesetzt hat – sie wusste einfach nichts mit dir anzufangen!« Hilflos warf sie beide Hände in die Höhe.

Einen Moment lang herrschte Schweigen. Stéphanie sah, wie es hinter Manuels Stirn arbeitete.

»Und wie bin ich dann zu meinen Eltern gekommen?«, sagte Manuel und klang verloren.

Stéphanie zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Was haben dir denn deine Eltern erzählt?«, sagte sie in mitfühlendem Ton.

»Vater meinte, dass ich an einem regnerischen Tag im Oktober 1881 von einem einsamen Wanderer gefunden wurde, nur in eine Decke gewickelt, völlig durchnässt. Der Wanderer hat mich dann zu einem Pfarrer gebracht, anscheinend hing mein Leben am seidenen Faden, so unterkühlt war ich. Der Pfarrer kannte meine Eltern wohl sehr gut, von daher wusste er, dass meine Mutter kurz zuvor ihr eigenes Kind verloren hatte. Er war es dann wohl auch, der die Adoption vorschlug.«

Stéphanies Miene hellte sich auf. »Das ist doch wunderbar! Dann musst du doch nur zu diesem Pfarrer gehen, er kann dir mit Sicherheit viel mehr sagen als ich.« Das lief ja bestens, dachte sie erleichtert.

Manuel verzog den Mund. »Der Mann war wohl damals schon sehr alt und ist kurz nach meiner Adoption gestorben.«

Stéphanie nickte nachdenklich. »Das tut mir leid«, sagte sie leise. »Ich hoffe trotzdem, dass ich dir mit meiner Offenheit ein wenig weiterhelfen konnte? Wenn du magst, zeige ich dir gern noch, wo deine Mutter hier gewohnt hat.«

»Als ob mich das interessieren würde!« Manuel schien die Worte geradezu auszuspucken.

Erneut griff Stéphanie nach seiner Hand, drückte sie aufmunternd. »Du klingst so verbittert, dabei solltest du froh und glücklich sein. Fabienne war einfach ein junges, dummes Ding. Sabrine und Émile hingegen haben dich vom ersten Tag an geliebt wie ihren eigenen Sohn, mehr noch, sie haben dich in der Öffentlichkeit tatsächlich als ihren eigenen Sohn ausgegeben. Alle glaubten, dass du der leibliche Sohn der Sardas bist, ich auch! Säuglinge sehen in meinen Augen alle gleich aus, wie hätte ich da auf die Idee kommen sollen, dass du nicht Sabrines Sohn bist? Doch du wurdest älter, und eines Tages, als ich euch besuchte, da hatte ich plötzlich den Eindruck, Ähnlichkeiten zwischen Fabienne und dir zu entdecken. Damals warst du ungefähr fünf Jahre alt. Du musst dich täuschen, du reimst dir was zusammen, sagte ich mir. Doch es war nicht nur das Äußere. Du lachst auch wie Fabienne! Du runzelst die Stirn wie sie.« Stéphanie zuckte mit den Schultern. »Tja, bei so vielen Ähnlichkeiten habe ich dann irgendwann eins und eins zusammengezählt.«

»Und warum haben Sie damals meinen Eltern nicht gesagt, dass meine Mutter noch lebt? Dass Sie wissen, wo sie ist? Nicht, dass ich mir das im Nachhinein wünschen würde! Aber es wäre doch das Normalste von der Welt gewesen, oder?« Er schaute sie feindselig an.

Stéphanie lachte hilflos auf. »Zu jener Zeit war Fabienne doch schon längst nicht mehr auf dem Weingut! Sie ging nur wenige Monate nach deinem Verschwinden fort. ›Ab jetzt werde ich mich nur noch meinem Traum vom eigenen Restaurant widmen‹, sagte sie zum Abschied.«

Manuel nickte. Stéphanie sah ihm an, dass er mit den Tränen kämpfte. Das muss jetzt doch nicht sein!, dachte sie leicht verärgert. Seufzend stand sie auf. »Vielleicht können wir unser Gespräch ein andermal fortsetzen? Ich habe jetzt leider noch etwas an meinem Guide Carneval fertig zu machen, sonst zieht mir mein Verleger die Ohren lang!« Sie lachte gekünstelt.

Manuel ging nicht auf ihr Lachen ein, aber immerhin stand er auf und folgte ihr nach draußen.

Dort wand er sich ein wenig verlegen. »Vielen Dank, dass Sie so offen zu mir waren. Es ist vielleicht nicht das, was ich hören wollte, aber jetzt weiß ich wenigstens die Wahrheit«, murmelte er.

»Das ist alles vergangen und vergessen. Schau in die Zukunft, Manuel!« Sie tätschelte begütigend seinen Arm.

Er saß schon in dem brandneuen Automobil, das er von seinen Eltern zur Volljährigkeit geschenkt bekommen hatte, als seine Stimme erneut ertönte. »Eins noch, Madame de Carneval!«

»Ja?«, sagte sie, schon halb wieder im Haus.

»Haben Sie und meine Mutter noch Kontakt?«

Stéphanie runzelte die Stirn. Auf diese Frage war sie nicht vorbereitet gewesen. »Wie man’s nimmt«, sagte sie lahm. »Ich bin ihr vor Kurzem einmal über den Weg gelaufen.«

»Dann wissen Sie doch bestimmt, ob sie sich ihren Traum vom eigenen Restaurant erfüllt hat oder nicht.«

Stéphanie zögerte. Ganz gleich, was sie jetzt sagte – es würde das Leben von Manuel und Fabienne für immer und unwiderruflich verändern. Was für eine Verantwortung!, dachte sie, und ihr wurde ein wenig schwindlig.

»Deine Mutter ist eine sehr erfolgreiche Gastronomin geworden«, sagte sie gedehnt. »Ihr Restaurant liegt unten an der Küste, in einem Fischerdorf namens Gruissan, es heißt Pourquoi Pas. Warum nicht? – das passt zu deiner Mutter! Fabienne hat schon immer nur das getan, worauf sie Lust hatte …«

Noch während sie sprach, sah Stéphanie, wie ein kleines Mäuschen über den Hof huschte und im Gebüsch verschwand. Im nächsten Moment durchquerte eine der Stallkatzen den Hof, schaute sich vergeblich nach der Maus um und gab ein irritiertes Miauen von sich.

Stéphanie lächelte.