Kapitel 5

 

»Alles klar, Data, drücken Sie auf den Knopf«, sagte Geordi unter dem geöffneten Schaltpult.

»Bestätigung«, kam die Antwort des Androiden, der auf der anderen Seite des Kontrollraums stand.

Der Chefingenieur glitt unter der Konsole hervor und nahm seinen Platz neben Data, Barclay und O'Connor ein, die sich allesamt um den Monitor drängten – um denselben, der vor dem Energieanstieg funktioniert hatte. Geordi rechnete mit einer weiteren Enttäuschung, sah statt dessen aber überrascht ein Flimmern auf dem Bildschirm. Kurz darauf bildete sich ein wackliges Bild, verblich wieder und nahm dann endlich feste Formen an. Das Bild zeigte ein Sonnensystem, das LaForge nicht kannte, aber es erfreute ihn trotzdem, es zu sehen.

»Ausgezeichnet«, sagte er und lächelte breit. »Sie alle haben ausgezeichnete Arbeit geleistet.«

Das war das erste Gerät, das sie mit der Energie der Station selbst hatten in Betrieb nehmen können. Mit Barclays und O'Connors Diagnoseprogramm hatten Data und Geordi die Schaltkreise des Monitors ausfindig machen können. Das Problem mit diesen Schaltkreisen war, dass sie – wie fast alle elektronischen Schaltungen der Station – in die Vertäfelungen, Wände und Schotte eingebaut waren.

Daher war es äußerst schwierig, sie überhaupt aufzuspüren. Die Aufgabe wurde noch durch den Umstand erschwert, dass viele der Schaltkreise von der Energiewelle beschädigt worden waren.

Doch zumindest bei diesem Monitor hatten sie Überbrückungen einsetzen können, um die beschädigten Schaltkreise zu umgehen. Nachdem die Energieversorgung wiederhergestellt worden war, bekam der Bildschirm Zugriff auf das große Subraumsensor-Netzwerk, das wie die Schaltkreise in die Bestandteile der Station eingebaut zu sein schien. Da nur so wenig Saft verfügbar war, hätten weder der Monitor noch die Sensoren überhaupt funktionieren dürfen.

Bei einer anderen Gelegenheit hätte dieses Geheimnis Geordi fasziniert. Nun war es lediglich ein Ärgernis. Denn wie sollten er und sein Team jemals die Geräte so umfassend in Betrieb nehmen können, dass sie den Captain finden und zurückholen konnten, wenn die fremde Technik schlicht und einfach nicht den physikalischen Gesetzen gehorchte, wie er sie verstand?

Unter den Blicken der anderen bediente der Androide die Kontrollen der vorderen Schaltfläche. Während er stumm arbeitete, wechselte das Bild auf dem Monitor von einem Sonnensystem zum nächsten. Geordi trat hinter ihn. »Wie machen Sie das, Data?«

»Ich glaube nicht, dass ich das mache«, erwiderte der Androide. »Wie zuvor scheint es keinen Zusammenhang zwischen den Kontrollen hier und den Bildern auf dem Monitor zu geben. Ganz bestimmt gibt es keinen direkten oder quantifizierbaren Zusammenhang.«

Der Androide stellte seine Bemühungen ein, und das Bild verharrte einen Augenblick lang – und wurde dann von dem eines anderen Systems ersetzt. »War das ein Zufall?«, fragte Barclay hinter ihnen.

»Möglicherweise«, erwiderte Data. »Auf jeden Fall folgt es keinem von mir feststellbaren Muster.«

»Könnte eins dieser Systeme das Ziel des Captains gewesen sein?«, fragte nun O'Connor.

»Möglicherweise«, sagte Data erneut, nahm seinen Tricorder und führte damit Messungen durch. »In das System scheinen Speicher eingebaut zu sein, aber sie sind leer.«

»Von dem Energieanstieg gelöscht«, vermutete Geordi. »Wir müssen uns darauf verlassen, dass Commander Riker mit den Koordinaten rüberkommt. Doch auch dann müssen wir imstande sein, den Captain zurückzuholen, sobald die Enterprise seine Position bestimmt hat. Und wir haben nicht die geringste Ahnung, wie diese Geräte funktionieren.«

»Sir«, sagte Barclay zögernd, »wie wäre es, wenn wir den Versuch aufgeben, die grundlegenden Prinzipien zu verstehen, und uns lediglich darauf konzentrieren, die Betriebsparameter der Geräte ausfindig zu machen?«

Der Lieutenant hatte natürlich recht. Geordi hatte stundenlang herauszufinden versucht, warum die Dinge hier funktionierten, und war schließlich mit leeren Händen dagestanden. Der Monitor war ihr erster Erfolg – nachdem sie den Versuch aufgegeben hatten, unbedingt herauszufinden, warum er funktionierte, und sich einfach darauf konzentrierten, ihn ans Laufen zu bringen.

Der Chefingenieur nickte. »Na schön, was wissen wir bislang über die Betriebsparameter der Station?« Die Frage war an alle Angehörigen des Teams gerichtet.

Data ergriff als erster das Wort. »Wir wissen, dass die gesamte Station als Subraumfeldspule funktioniert. Des weiteren wissen wir, dass die Station über eine Reihe von Knotenpunkten verfügt, wie zum Beispiel den in diesem Bereich, die das größere Subraumfeld zusätzlich einstellen – offensichtlich zu Transportzwecken.«

»Und wir können davon ausgehen«, fügte O'Connor hinzu, »dass man mit diesen Geräten irgendwie den Knotenpunkt kontrollieren kann.«

»Na schön«, sagte Geordi, »dann sollte es unser Ziel sein, die Energieleitungen zu den Kontrollgeräten in diesem Raum zurückzuverfolgen. Wenn wir alle Geräte zum Laufen gebracht haben, können wir herausfinden, was sie bewerkstelligen.«

Das war logisch. Es war ein Plan der Tat; jetzt konnten sie aktiv werden, statt sich über theoretische Probleme den Kopf zu zerbrechen, die – wenn nicht per se unlösbar – zumindest nicht in ein paar Tagen zu klären waren.

»Also, an die Arbeit«, sagte der Chefingenieur zu seinem Team.

Als einen Augenblick später das Licht aufflackerte, fuhr Geordi zusammen. Er richtete sein VISOR auf die Leuchtkörper an der Decke und sah, wie sie sich kurz aufhellten und dann wieder das übliche schwache Licht ausstrahlten.

Alle vier Mitglieder des Außenteams hatten die Tricorder gezückt und sondierten. Data war als erster fertig.

»Eindeutig ein Energieanstieg«, erklärte er. Die Daten, die Geordis Tricorder zeigte, bestätigten das Ergebnis. »Eine schwächere Ausprägung als die, die vor dem Verschwinden des Captains auftraten.«

»Haben wir das bewirkt, indem wir die Geräte hier in Betrieb genommen haben?«, fragte Geordi.

»Ich glaube nicht«, erwiderte der Androide. »Ich vermute, dass die ursprüngliche Störung, die durch unsere Transporter entstanden ist, die Energiegeneratoren instabil werden ließ.«

»Dann müssen wir also immer stärker werdende Energiewellen erwarten, bis die Station schließlich wieder völlig von ihnen umhüllt wird und …« Der Chefingenieur beendete den Satz nicht.

Data antwortete nicht, und einen Moment lang war das Team still. Geordi hatte diese Gefahr erwartet, aber gehofft, sie würde erst eintreten, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig waren – oder zumindest beträchtliche Fortschritte gemacht hatten.

»Wie lange?«, fragte er.

»Das ist schwer zu sagen«, erwiderte der Androide. »Man kann wohl kaum von einer gleichmäßigen Zunahme des Energieniveaus ausgehen. Zumindest beim letzten Mal schien ein Zufallselement beteiligt zu sein, und so wird es mit großer Sicherheit auch diesmal sein. Doch angesichts des relativ geringen Anstiegs würde ich sagen, mindestens einige Stunden. Vielleicht auch mehr, aber wir sollten darauf vorbereitet sein, die Station schnell zu verlassen.«

Verdammt, dachte Geordi. Er berührte seinen Kommunikator, der an ihr tragbares Subraumfunkgerät angeschlossen war.

»LaForge an Enterprise

Einen Augenblick später hörte er klar und deutlich die Antwort: »Hier Riker.«

»Commander, wir haben ein Problem«, sagte der Ingenieur in ruhigem Ton.

 

»Eine Meldung von Lieutenant Commander LaForge«, meldete der Klingone.

»Legen Sie sie auf meinen Kommunikator«, sagte der Erste Offizier und berührte das Starfleet-Abzeichen. »Hier Riker.«

»Commander, wir haben ein Problem«, sagte Geordi.

Irgendwie war Riker nicht überrascht. Bislang hatte diese Mission nur aus Problemen bestanden. Nach drei Tagen hatte das Schiff zweiundzwanzig Systeme abgesucht und achtunddreißig andere mit Hilfe der Fernsensoren abgetastet. Über ein Drittel der Suche war abgeschlossen, aber sie hatten keine Spur vom Captain gefunden, und ihnen blieben noch knapp zwei Tage.

»Was ist los, Geordi?«, fragte Riker.

»Wir haben in der Station gerade einen kleinen Energieanstieg verzeichnet, Sir. Er war sehr gering, aber jetzt ist klar, dass die Station instabil ist.«

»Sind Sie im Augenblick in Gefahr?«, fragte der Erste Offizier. Er rechnete schnell im Kopf nach. Selbst mit Höchstgeschwindigkeit war die Station fast einen Tag entfernt.

»Nein, Sir. Machen Sie sich keine Sorgen um uns. Auch im schlimmsten Fall müsste die Vorwarnzeit für eine Evakuierung reichen. Wir haben alle Türen in diesem Bereich und die Luftschleuse mit unabhängigen Energiequellen und Kontrollen ausgestattet. Bevor es wieder zu einer Energieschwankung wie der kommt, die den Captain erfasst hat, sind wir längst draußen.«

»Können Sie abschätzen, wann das sein wird?«

»Schwer zu sagen, Commander. Data rechnet mit mindestens einigen Stunden, aber es könnte auch noch länger gut gehen. Es tut mir leid, aber die Energieschwankungen scheinen keinem regelmäßigen Muster zu folgen.«

Riker räusperte sich. »Werden die Geräte einen weiteren kritischen Energieanstieg überstehen?«

Er musste einen Moment lang auf die Antwort warten; wahrscheinlich beratschlagte Geordi sich mit seinen Kollegen.

»Negativ, Sir«, kam dann die gemessene Antwort des Ingenieurs. »Wenn die Station noch einen Energieanstieg von der Größenordnung wie zuvor erlebt, wird es laut Data zu schweren Schäden sowohl an den noch funktionsfähigen Geräten als auch an der Struktur der Station selbst kommen. Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten, Commander.«

Na prima, dachte der Erste Offizier. Ohne die fremden Geräte konnten sie es vergessen, den Captain aus der Vergangenheit zurückzuholen, selbst wenn es ihnen gelingen sollte, ihn zu finden. Obwohl eine Zeitreise theoretisch auch mit einem Raumschiff möglich war, brachte sie große Risiken für das Schiff und die Besatzung mit sich, ganz zu schweigen von der Gefahr, die Vergangenheit zu verändern.

»Haben Sie mit der fremden Technologie Fortschritte gemacht?«, fragte Riker schließlich.

»Nur geringe, Commander. Wir haben die Subraumsensoren und einen Monitor in Betrieb nehmen können, doch wie wir schon befürchtet haben, scheinen die Speicher von der Energiewelle gelöscht worden zu sein. Und bislang waren wir nicht imstande, manuelle Kontrollen zu isolieren oder zu bedienen.«

Riker hörte die Frustration in Geordis Stimme; er wusste genau, wie der Chefingenieur sich fühlte. Bislang waren seit dem Augenblick, da sie die verdammte fremde Station betreten hatten, fast alle ihre Pläne durchkreuzt worden.

»Tun Sie Ihr Bestes, Geordi. Und melden Sie sich weiterhin in regelmäßigen Abständen. Wenn Sie Grund zur Annahme haben, dass die Energiewellen zu einer Bedrohung werden, bringen Sie das Außenteam rechtzeitig von der Station. Keine Heldentaten – ich kann es mir nicht leisten, einen von Ihnen zu verlieren.«

Fast hätte Riker ›wie den Captain‹ hinzugefügt, aber er weigerte sich, den Zweifeln nachzugeben, die in ihm emporstiegen. Wenn er die Hoffnung verlor, würde zweifellos auch die Moral der Crew sinken. Und ohne Hoffnung konnten sie das Unmögliche nicht vollbringen.

»Verstanden. LaForge Ende.«

»Wir fliegen in das System, Commander«, meldete Worf hinter ihm.

Während des Gesprächs mit Geordi hatte Riker leise gesprochen, damit die Brückenbesatzung ihn nicht hören konnte. Doch er wusste, dass sein Sicherheitschef alles mitbekommen hatte. Trotzdem klang Worfs Stimme so sicher wie am Anfang der Suche. Es entsprach dem Klingonen nicht, einfach aufzugeben.

Riker erteilte den Befehl, und das Schiff beendete den Warpflug. Sie schafften die Orbitsondierungen in neununddreißig Minuten – volle sieben Minuten unter der Schätzung. Nun, zumindest das klappte auf dieser Mission. Die Crew und das Schiff vollbrachten auch weiterhin mehrmals pro Schicht kleine Wunder.

»Die Zeit bis zum nächsten System?«, fragte er Worf.

»Fünf Stunden«, antwortete der Klingone.

In diesem Fall, dachte Riker sich, war es für ihn an der Zeit, etwas zu schlafen. Ro hatte zur Zeit dienstfrei, doch Worf war durchaus imstande, während des Warpflugs zum nächsten Sonnensystem mit allem fertig zu werden.

Riker wandte sich an seinen Sicherheitschef. »Lieutenant, Sie haben das Kommando. Ich bin in meinem Quartier.«

Worf nickte, und der Erste Offizier ging zum Turbolift. Er hatte ihn fast erreicht, als die Türen sich öffneten und Ro herausstürmte. Ihrem angespannten Blick entnahm Riker, dass sie während ihrer Ruhephase wohl nicht geruht hatte.

»Commander, kann ich kurz mit Ihnen sprechen?«, fragte sie.

Riker ging an ihr vorbei, betrat den Turbolift und drehte sich um. »Wenn Sie nichts dagegen haben, mich zu begleiten.«

Ro gesellte sich sofort zu ihm in den Lift.

»Deck sieben«, sagte Riker zum Computer. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Bajoranerin. Er hatte damit gerechnet, von ihr aufgesucht zu werden. Eigentlich hatte er dieses Gespräch schon viel früher erwartet. Er entschloss sich, das Unvermeidliche noch etwas aufzuschieben. »Sie hatten den Befehl, sich auszuruhen, Fähnrich.«

Sie runzelte die Stirn. »Ich habe neue Untersuchungen betrieben, die ich für unsere Mission als lebenswichtig ansehe. Das kam mir wichtiger vor als mein Ruhebedürfnis.« In ihrer Stimme lag nicht mal ein Anflug von Entschuldigung.

Ro beobachtete ihren Commander, wartete auf eine Erwiderung oder, wie Riker vermutete, einen Tadel. Aber der Fähnrich wartete nur kurz und nahm das Schweigen ihres Vorgesetzten offensichtlich als Zeichen, mit dem fortzufahren, was sie auf dem Herzen hatte. »Sir, ich habe eine Möglichkeit gefunden, wie die Enterprise in der uns zur Verfügung stehenden Zeit die Suche abschließen kann.«

»Fähnrich, ich verstehe vollkommen …« Riker verstummte. Er hatte erwartet, dass Ro Einwände dagegen erhob, die offensichtlich hoffnungslose Suche nach dem Captain fortzusetzen. Er hatte ihr geradeheraus befehlen wollen, ihre Anweisungen auszuführen und ihn nicht in sinnlose Streitereien zu verstricken. Statt dessen hatte ihre Erklärung ihn kurz aus der Bahn geworfen.

»Was meinen Sie?«, fragte Riker.

Ro fuhr mit der Zunge über ihre Lippen. »Ich habe Kontakt mit einem Konsortium bajoranischer Handelsschiffe in der Nähe aufgenommen, die eingewilligt haben, sich an der Suche zu beteiligen. Es stehen sechs Schiffe zur Verfügung, und wenn wir sie vernünftig einsetzen, können wir vor Ablauf der Frist alle Systeme im Suchgebiet abdecken.«

War das möglich?, dachte Riker. Befanden sich Handelsschiffe in der Nähe? Und falls ja – warum hatte Starfleet Command sie nicht um Hilfe gebeten? »Fähnrich, wie heißt dieses Konsortium?«

Nun zögerte Ro einen Moment lang. »Sie sind von der Handelsgruppe Bon Amar …«

»Piraten«, fauchte Riker.

»Sir, sie sind …«

»Sie sind Piraten, Fähnrich.« Nun war er ernsthaft verärgert. Ihr Schiff führte eine gewaltige Suchaktion mit astronomisch geringen Erfolgsaussichten durch und musste danach zu einem Gipfeltreffen fliegen, dessen Scheitern von Minute zu Minute wahrscheinlicher wurde – und Ro sprach mit Piraten.

Die Bon Amar wurden in mehreren Sektoren von den örtlichen Behörden und denen der Föderation gesucht. Wenn Riker ein Bon Amar-Schiff auch nur sah, war er verpflichtet, die Mannschaft zu verhaften und das Schiff zu beschlagnahmen.

»Die Bon Amar wurden unfair behandelt, seit …«, begann Ro, doch Riker unterbrach sie.

»Sie können uns bei dieser Mission nicht helfen«, sagte er.

»Sie sind bereit dazu!«, beharrte der Fähnrich.

Riker sprach bewusst etwas lauter als die Bajoranerin. »Diese Art von Hilfe können wir nicht gebrauchen.«

Ro drehte sich zur Computerschalttafel um. »Computer, den Turbolift anhalten«, fauchte sie. Dann wandte sie sich wieder Riker zu. »Sir, es ist die einzige Hilfe, die wir bekommen können«, sagte sie. »Es trifft zwar zu, dass die Bon Amar auf ungewöhnliche Handelsmethoden zurückgegriffen haben …«

»Sie haben auf offiziellen Handelsrouten geplündert«, erinnerte er sie.

Ro schüttelte den Kopf. »Sie taten, was sie tun mussten, um den bajoranischen Widerstand mitfinanzieren zu können. Die meisten Beschlagnahmungen, die sie vorgenommen haben, richteten sich gegen Schiffe der Cardassianer oder deren Verbündete. Es stimmt, dass sie nicht befugt wurden, auf Handelswegen der Föderation zu operieren, doch sie wurden lediglich deshalb nicht amnestiert und von der Föderation vollständig anerkannt, weil sie nicht aufgehört haben, nachdem die Cardassianer Bajor verließen.

Sie versuchen noch immer, einen Bruchteil des Schadens wiedergutzumachen, den die Cardassianer bei meinem Volk angerichtet haben. Und der Umstand, dass sie noch immer aktiv sind, bringt die Föderation in politische Verlegenheit. Sie will sie nicht anerkennen, um die Cardassianer nicht gegen sich aufzubringen.«

Riker runzelte die Stirn. »Ich überlasse Politik den Politikern, Fähnrich. Wenn es um die Bon Amar oder irgendwelche anderen gesuchten Verbrecher geht, ist meine Pflicht und die dieses Schiffes klar. Ihr Kontakt mit unbestrittenen Verbrechern wirft eine Menge Fragen auf … die ich aber übersehen werde, wenn es zu keiner Wiederholung dieses Kontakts kommt.«

Aber Ro wollte nicht aufgeben. »Sir, was auch immer Sie von den Bon Amar halten, sie sind bereit, uns zu einem fairen Preis zu helfen. Und ehrlich gesagt bin ich nicht der Ansicht, dass wir irgendwelche Hilfe zurückweisen können, ganz gleich, woher sie kommt.«

Riker atmete tief ein, um zu antworten, aber die Bajoranerin war offensichtlich nicht zufrieden, bis sie ihren Spruch aufgesagt hatte.

»Bei allem gebührenden Respekt, Commander, ich habe zugesehen, wie Sie während dieser Mission gegen alle Vorschriften verstoßen haben, um eine Suche fortzusetzen, die jeder vernünftige Mensch als unmöglich bezeichnen würde. Während dieser Zeit haben ich und diese Crew alles getan, was in unserer Macht stand, um Sie zu unterstützen. Und nun, da der Erfolg greifbar nah ist, behaupten Sie, die Pflicht hielte Sie davon ab, das zu beenden, was Sie angefangen haben.«

Riker hatte genug gehört. »Computer, die Fahrt fortsetzen.« Er sah Ro an. »Fähnrich, Sie überschreiten Ihre Befugnisse. Ihnen steht die Entscheidung nicht zu, was für die Erfüllung unserer Mission akzeptabel ist und was nicht. Als ich Starfleet beitrat, habe ich den Eid geleistet, die Gesetze der Föderation zu wahren – und für den Fall, dass Sie es vergessen haben, Sie haben diesen Eid auch abgelegt. Dieses Gelübde ist nicht dehnbar oder veränderlich, wenn es unbequem wird. Captain Picard hat es respektiert, und ich werde nicht einmal dagegen verstoßen, um ihn zu finden. Ich schlage vor, Sie sehen sich diesen Diensteid noch einmal an – und denken dann lange und ausführlich über Ihre Zukunft bei Starfleet nach.«

Die Türen des Turbolifts öffneten sich, und der Erste Offizier trat hinaus. Er drehte sich noch einmal zu Ro um, und sein Gesichtsausdruck verriet, dass er keinen weiteren Wortwechsel über das Thema Bon Amar akzeptierte. »Und, Fähnrich, ruhen Sie sich aus. Das ist ein Befehl.«

Mit diesen Worten ging er zu seinem Quartier.

Als er es betreten hatte, spürte er die Anspannung in seinen Schultern und der Stirn, und ihm wurde klar, dass er in dieser Schicht keinen Schlaf bekommen würde.

Einen Augenblick später fand er sich hinter seiner Computerkonsole wieder. »Computer, Zugriff auf die Dateien über ein Handelskonsortium namens Bon Amar.«

 

Als Lieutenant Harold ging, spürte Picard bereits die Anstrengungen des Tages. Er wusste, er brauchte Ruhe. Sowohl sein Kopf als auch die Schulter schmerzten schon, und er fühlte, wie die Erschöpfung in seine Knochen kroch. Wenn ihm die Flucht gelingen sollte, musste er bei Kräften bleiben. Vielleicht konnte er jetzt ein paar Stunden schlafen, um danach die Küche zu besuchen und sich in der Nacht davonzuschleichen.

Genau in diesem Augenblick summte sein Interkom. Der Captain kämpfte gegen den Drang an, »Hier Picard!« zu sagen. Statt dessen antwortete er: »Dixon Hill.« Es erfolgte jedoch keine Antwort; lediglich das Pfeifen des Interkoms wiederholte sich.

Natürlich, dachte er und schalt sich, weil er vergessen hatte, in welcher Zeit er sich befand – der Interkom war noch nicht stimmaktiv. Er fand das Gerät auf dem Schreibtisch und drückte auf den Knopf.

»Ja?«, antwortete er.

»Dixon, hier ist Julia«, erklang die Stimme der Ärztin. »Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie heute Abend mit mir essen möchten. Der Commodore hält heute sein wöchentliches Diner ab, und ich habe ihn überreden können, Sie einzuladen.«

»Julia, ich fürchte, ich …«

»Der Commodore unterhält eine ausgezeichnete Tischrunde. Es ist allgemein bekannt, dass Schiffe große Umwege fliegen und hier Vorräte an Bord nehmen, nur um seine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen zu können.« Die Ärztin zögerte kurz. »Ich fürchte«, fuhr sie dann fort, »uns ist es nicht gelungen, bei Ihnen den Eindruck zu erwecken, dass Sie uns willkommen sind. Bitte geben Sie uns Gelegenheit, das zu ändern.«

Julia klang aufrichtig betroffen, und Picard konnte es sich nicht leisten, die Einladung des Commodores auszuschlagen, wollte er dessen Argwohn nicht noch steigern. »Ich würde mich freuen«, sagte er schließlich.

»Ausgezeichnet«, erwiderte sie erfreut. »Ich werde Sie um halb acht abholen. Bis dann, Dixon.«

Kurz darauf stand Harold mit einem zivilen Anzug vor der Tür. Zweifellos war das wöchentliche Diner des Commodore zu formell für Picards schlichten Overall.

Halb acht. Bis dahin konnte der Captain noch fast zwei Stunden lang schlafen. Ohne auch nur eine Sekunde zu verschwenden, legte er sich hin, um die Zeit zu nutzen.

 

Julia kam pünktlich um halb acht. Als Picard die Tür öffnete, erkannte er die Ärztin zuerst gar nicht. Statt des schlichten Kittels und der Hosen trug sie ein schlichtes, aber bemerkenswertes grünes Kleid. Die Farbe passte genau zu ihren Augen.

Ihr kurzes, schwarzes Haar war toupiert, was sie recht elegant aussehen ließ. Picard war ihr plötzlich dankbar, dass sie Lieutenant Harold mit formellerer Kleidung zu ihm geschickt hatte.

»Julia, Sie sehen wunderbar aus«, sagte er zu ihr.

Sie lächelte. »Und Sie sehen sehr stattlich aus, Mr. Hill.«

Picard erwiderte das Lächeln und nickte. »Ich danke Ihnen für den Anzug. Er passt ausgezeichnet.«

»Das freut mich. Wollen wir gehen?«

Draußen sah der Captain, dass die Sonne allmählich über den niedrigen, fernen Bergen unterging und den Himmel blutrot färbte. Die Sonne selbst war von leicht unterschiedlich gefärbten Halos zwischen Rot und Orange umgeben.

»Es ist eine wunderbare Welt, nicht wahr, Dixon?« Julia seufzte. »Nach unserer Ankunft habe ich ein halbes Jahr lang jeden Abend den Sonnenuntergang beobachtet. Ich versuche noch immer, zu dieser Tageszeit draußen zu sein, wenn es mir irgendwie möglich ist.«

»Es ist spektakulär«, sagte Picard ehrlich.

Julia ging ganz langsam, zweifellos, damit sie beide das Naturschauspiel genießen konnten. Der Captain fand ihren Eifer, einem Fremden ihre Welt zu zeigen, sehr erfrischend.

Die Ärztin sah ihn an. »Dixon, falls Sie mir diese Bemerkung gestatten … Sie sehen nicht gerade wie der Captain eines Handelsraumers aus.«

»Warum sagen Sie das?«, erwiderte Picard und hielt seine Stimme dabei neutral.

»Nun, zum einen sind Sie zu würdevoll. Die meisten Raumfahrer auf Handelsschiffen, die ich kennengelernt habe, sind … nun ja, etwas rauer.«

Der Captain nickte. Die Handelsschifffahrt zog in der Tat ruppigere und derbere Raumfahrer an als Starfleet.

Er zuckte mit den Achseln. »Ich wollte immer Raumfahrer werden. Meinem Vater gehörte ein Weinberg, und er drängte meinen Bruder und mich, das Geschäft zu übernehmen. Mein Bruder tat es, aber für mich war das wirklich nichts. Ich wollte immer ins All.«

»Warum nicht Starfleet?«, fragte Julia.

Er lächelte. »Ich habe die Aufnahmeprüfung der Akademie nicht bestanden«, erwiderte er.

»Das kann ich mir kaum vorstellen.«

»Es ist trotzdem wahr, wie ich leider sagen muss.« Es war zumindest eine Halbwahrheit. Der Captain war beim ersten Versuch gescheitert, auf die Starfleet-Akademie zu gehen. Doch dieser Fehlschlag hatte seine Entschlossenheit lediglich verstärkt. Nachdem er im folgenden Jahr seine Anstrengungen verdoppelt hatte, war er aufgenommen worden.

»Doch das hat Sie nicht davon abgehalten, den Weltraum zu Ihrer Heimat zu machen«, stellte die Ärztin fest. »Es ist selten, dass jemand seinen Idealen so treu bleibt.« Julia betrachtete ihn einen Augenblick lang. »Aber über Sie ist noch mehr zu sagen, nicht wahr?«

Die Frage bereitete Picard Unbehagen. »Wie meinen Sie das?«, erwiderte er ruhig.

»Sie haben Geheimnisse, auch wenn ich noch nicht genau weiß, welche.« Julia bewahrte den leicht erheiterten Gesichtsausdruck.

»Aber Sie halten mich im Gegensatz zum Commodore nicht für eine Gefahr?«, stocherte der Captain.

»Nein«, sagte sie. »Das tue ich nicht. Nennen Sie es den ärztlichen Instinkt, aber ich halte Sie für einen guten Menschen. Wenn auch für einen rätselhaften. Zum Glück wird es noch eine Weile dauern, bis Sie uns verlassen können, und das gibt mir Gelegenheit, der Sache auf den Grund zu gehen. Das ist etwas, das wir hier mitten im Nichts im Überfluss haben – Zeit.«

Picard antwortete auf diese Bemerkung nicht. Er dachte darüber nach, wie wenig Zeit Julia und den anderen in Wirklichkeit noch blieb, und wusste nichts darauf zu sagen. Einen Augenblick später hatte sie das Gebäude des Commodore erreicht. Es war eins der drei freistehenden Häuser in der Mitte der Anlage.

»Nach Ihnen«, sagte Julia und zeigte auf den Eingang.

Picard trat durch die automatischen Türen in eine kleine Diele. Julia führte ihn zu einer weiteren Tür, und dann befanden sie sich in einem gut ausgestatteten Speisesaal. Travers, der am Kopf des Tisches saß, erhob sich, als sie eintraten. Die fünf Personen, die bei ihm waren, folgten augenblicklich seinem Beispiel.

Der Commodore räusperte sich. »Captain Dixon Hill, ich glaube, Sie kennen Lieutenant Harold bereits.«

Picard griff auf das Lächeln zurück, das er für heikle diplomatische Empfänge reserviert hatte, und nickte dem jungen Lieutenant zu. Harold lächelte unbehaglich, und der Captain vermutete, dass auch er zum ersten Mal an Travers' Tisch saß. Der Captain nahm des weiteren an, dass Harold in erster Linie hier war, um ihn im Auge zu behalten.

Der Commodore zeigte auf die anderen Anwesenden. »Darf ich Ihnen auch meinen Ersten Offizier und Sicherheitschef Hans Schmitter vorstellen … meinen Chefingenieur Michael Hronsky, den Sie ebenfalls bereits kennengelernt haben … meinen wissenschaftlichen Offizier Rhonda Healy und meinen Kommunikationsoffizier Benjamin Washington.«

Travers wartete, bis seine Leute Picard der Reihe nach mit einem Nicken begrüßt hatten. Dann zeigte er auf die beiden leeren Stühle neben dem seinen. »Bitte nehmen Sie Platz«, sagte der Commodore.

Picard setzte sich neben Lieutenant Harold, während Julia den Stuhl neben Sicherheitschef Schmitter nahm.

Einen Augenblick später brachten Kellner die Suppe – eine ausgezeichnete kalte Gazpacho, die der Captain problemlos mit einer Hand löffeln konnte. Travers richtete seine Aufmerksamkeit auf Picard und brach das unbehagliche Schweigen.

»Nun, Mr. Hill, welche Route sind Sie denn mit Ihrem Handelsschiff geflogen?«, fragte der Commodore in beiläufigem Plauderton.

Der Captain überlegte schnell und schätzte die Grenzen des legitimen Handelsverkehrs in diesem Bereich während dieser Epoche ab. »Wir haben uns auf den Sektor einhundertfünfundvierzig beschränkt, bis zum Chrysalis-System hinaus, und hauptsächlich seltene Mineralien transportiert.«

Travers tupfte seinen Mund mit einer Serviette ab. »Wirklich? Und da draußen hatten Sie dann Schwierigkeiten mit Orionern? Was haben die denn nur so weit draußen gewollt?«

»Das kann ich wirklich nicht sagen«, erwiderte Picard. »Es hat uns völlig überrascht, ihnen dort zu begegnen, und sie haben mir keine Erklärungen abgegeben. Sie haben lediglich unsere Fracht geraubt … Benzorit … und sind weitergeflogen.« Der Captain sah, dass Julia ziemlich aufgebracht war, bemühte sich aber, genauso beiläufig wie der Commodore zu sprechen.

»Was uns zu der Frage führt, was sie hier wollten, nachdem sie im Chrysalis-System Ihr Benzorit gestohlen haben.« Travers wartete auf eine Antwort.

»Auch dazu haben sie sich mir gegenüber nicht geäußert«, sagte der Captain.

Der Commodore lächelte. »Verzeihen Sie mir, Mr. Hill. Aber wir bekommen nur selten Besuch, und noch nie ist jemand auf so geheimnisvolle Art und Weise aufgetaucht wie Sie.«

Er ließ die Bemerkung in der Luft hängen, während die Kellner den Hauptgang brachten, ein Fischgericht, das Picard als Lachs in einer Cognacsahnesauce erkannte. Dann schenkten die Kellner Weißwein aus Glasflaschen ein.

Seltsam, dachte Picard. Travers' offensichtlich ausgezeichneter Geschmack schien in seltsamem Gegensatz zu seinem derben Äußeren zu stehen. Zweifellos würde der Commodore sich als interessanter Mann erweisen, wenn man Zeit und Gelegenheit bekam, ihn näher kennenzulernen.

Erneut musterte Travers ihn. »Kennen Sie sich mit dem Zweiten Weltkrieg auf der Erde aus, Mr. Hill?«

»Ich erinnere mich an einiges, was ich in der Schule darüber gelernt habe«, erwiderte der Captain.

Der Commodore legte das Besteck auf den Tisch und sah Picard an. »Es heißt, die amerikanischen Streitkräfte wären oft gezwungen gewesen, ziemlich schnell entscheiden zu müssen, ob andere Soldaten deutsche Infiltranten waren oder nicht. Die Amerikaner haben den betreffenden Soldaten dann angeblich gefragt, welchen Wein man zu Fisch trinkt. Wenn die Person die richtige Antwort gab, konnte es sich nicht um einen Amerikaner handeln.« Travers beugte sich leicht vor. »Dr. Santos hat mir gesagt, dass Sie aus Frankreich stammen. Kennen Sie sich mit Wein aus, Mr. Hill?«

»Ich habe zu Hause so einiges aufgeschnappt«, erwiderte Picard. »In meiner Heimat war es schwierig, nichts mitzubekommen.«

»Was halten Sie von diesem Wein?«, fragte der Commodore geradeheraus.

Der Captain war sich genau des Schweigens bewusst, das sich in dem Raum ausgebreitet hatte. Er schaute gleichmütig drein, griff nach seinem Glas und trank einen Schluck. Nachdem er sich festgelegt hatte, nickte er diplomatisch. »Angesichts Ihrer relativen Abgeschiedenheit ist ein guter Wein bestimmt selten«, sagte er.

»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Travers.

»Nun, wenn ich mich nicht irre, handelt es sich um einen Chateau Briar, Jahrgang einundzwanzig-einundneunzig. Im Prinzip ein gutes Jahr. Doch ein Viertel der Briartrauben wurden in diesem Jahr von Frost beschädigt. Daher gilt der entsprechende Teil dieses Jahrgangs als ziemlich farblos. Ich befürchte, Ihr Händler war nicht völlig gewissenhaft.«

Das Gesicht des Commodores zeigte das erste echte Gefühl an diesem Abend: Überraschung. Die anderen am Tisch schauten sorgsam unbeteiligt drein – bis auf Julia, die hinter ihrer Serviette grinste.

»Verzeihung«, sagte Picard zu Travers. »Ich wollte Ihre Wahl nicht diskreditieren. Aber …«

»Ich habe Sie gefragt«, erwiderte der Commodore. Er lächelte, aber der Captain hatte den Eindruck, dass seine gute Laune sich nicht auf seine Augen ausdehnte. »Sie sind schon ziemlich rätselhaft, Mr. Hill. Sie kommen mir wirklich nicht wie der Kommandant eines Handelsraumers vor.«

Picard warf Julia einen Blick zu. »Das habe ich schon einmal gehört. Trotzdem bin ich es, oder war es bis vor kurzem.«

»Außerdem sind Sie bemerkenswert gesund. Hat Dr. Santos Ihnen das gesagt?«

Der Captain war augenblicklich auf der Hut. »Nein«, antwortete er.

Travers bedrängte ihn weiterhin. »Außer diesem geheimnisvollen Kunstherz, das meine Leute noch immer vor Rätsel stellt, weisen Sie nicht die geringste Spur einer Krankheit auf.«

Picard schaute in sein Weinglas. »Die Anerkennung dafür gebührt bestimmt eher meinen Ärzten als mir.«

Der Commodore räusperte sich. »Dann müssen Ihre Ärzte wirklich außergewöhnlich sein, Mr. Hill. Bei unseren Untersuchungen konnten wir absolut keine Spuren vergangener Verletzungen entdecken – kein sichtbares Narbengewebe, keine geheilten Brüche, nicht einmal die chirurgischen Narben, die man bei einer Herzoperation erwarten kann. Außerdem sind Ihre Lungen und Ihr Blut völlig frei von den Schadstoffen und Gasen, denen Besatzungsmitglieder von Raumschiffen regelmäßig ausgesetzt sind.«

Eine unerwartete Wendung, dachte der Captain. Er hatte gewusst, dass sein künstliches Herz ihm Schwierigkeiten bereiten würde, aber gehofft, dass seine Geschichte von der fremden Herkunft des Objekts Travers zumindest vorübergehend zufriedenstellen würde. Dennoch war es schwierig, die Unterschiede in seinem Körper zu erklären, die ein Jahrhundert der medizinischen Fortschritte bewirkt hatte. In seiner Zeit waren Techniken zur Heilung von Wunden und Knochen wesentlich ausgeklügelter als in der des Commodores.

Picard warf einen verstohlenen Blick auf Julia und erkannte an den Falten um ihren Mund, dass sie immer wütender wurde, wahrscheinlich auf Travers. Sie hatte bestimmt die gleichen Fragen, wollte aber abwarten und sich unter vier Augen bei Picard nach dessen medizinischer Vorgeschichte erkundigen. Die öffentlichen Fragen des Commodore waren sowohl eine Verletzung seiner Privatsphäre als auch unpassend für eine Unterhaltung bei Tisch.

Aber Travers schien sich nichts aus diesem Verstoß gegen den guten Ton zu machen. Er hatte den Blick auf seinen Gast gerichtet und würde nicht nachgeben. »Und wissen Sie«, fuhr der Commodore fort, »warum Sie gegen eine ganz normale Erkältung immun sind?«

Picard kämpfte gegen den aufsteigenden Ärger an und widerstand dem Drang, energisch gegen Travers' anklagenden Tonfall zu protestieren. Er rief sich in Erinnerung zurück, dass der Commodore lediglich versuchte, seine Leute zu schützen, und blieb still. Er musste Travers' Untersuchungsmethoden nicht mögen, den Standpunkt des Mannes aber respektieren.

Picard erwiderte offen den Blick des Commodores. »Nein, von dieser Immunität habe ich nichts gewusst«, erwiderte er. »Und was die anderen Eigentümlichkeiten betrifft, die Ihnen aufgefallen sind, kann ich nur sagen, dass ich mich von Ärzten anderer Spezies behandeln ließ, die anscheinend bessere Arbeit geleistet haben, als mir klar war.«

Die Atmosphäre im Speisesaal blieb bedrückt. Sie beendeten den Hauptgang und das Dessert schnell. Als sie fertig waren, dankte Travers allen, dass sie gekommen waren. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Picard.

»Mr. Hill, würden Sie noch einen Moment bleiben? Ich möchte etwas unter vier Augen mit Ihnen besprechen.«

»Kann das nicht warten, Commodore?«, warf Julia sofort ein. »Mr. Hill muss erschöpft sein. Er möchte bestimmt in sein Quartier zurück und sich ausruhen.«

Travers betrachtete sie demonstrativ. »Nein, Doktor, ich glaube nicht, dass es warten kann. Mr. Hill?«

»Natürlich«, erwiderte der Captain.

Picard und Travers standen auf, während die anderen den Raum schnell verließen. Als sie allein waren, wandte der Commodore sich seinem Gast zu. »Wer sind Sie wirklich, Mr. Hill?«

»Ich verstehe nicht«, erwiderte Picard ruhig.

»Ich glaube, Sie verstehen mich sehr gut. Julia hält Sie für charmant und in gewisser Hinsicht rätselhaft. Dieser Ansicht bin ich auch, aber ich glaube, Sie sind gefährlich. Sehr gefährlich.«

»Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, Commodore, aber ich bin ein einfacher …«

»Verdammt noch mal!«, rief Travers. »Ich weiß nicht, wer oder was Sie sind, aber Sie sind kein Captain eines Handelsraumers. Sie treiben irgendein undurchsichtiges Spiel mit mir, und das heißt, dass Sie das Leben aller Bewohner dieser Kolonie in Gefahr bringen. Sie gehören nicht hierher, Mister. Das fühle ich!«

Der Commodore riss sich zusammen. »Als ich auf der Akademie war«, fuhr er dann fort, »haben wir Sternenkarten von diesem und den benachbarten Sektoren studiert. Wissen Sie, was darauf stand? ›Hier lauern Drachen.‹ Da hat sich natürlich jemand einen Scherz gemacht und auf das Vokabular alter Kartographen zurückgegriffen, aber es gibt noch immer Gerüchte über diesen Teil des Weltalls. Legenden über Drachen, Gestaltwandler und alle möglichen Ungeheuer, die man sich vorstellen kann.

Der Offizier in mir erkennt, dass es sich bei diesem Gerede zum Großteil nur um alte Mythen handelt, wie sie schon in Umlauf waren, als mit dem Begriff Schiff ein Ding bezeichnet wurde, das auf dem Wasser schwimmt. Aber ich bin seit achtunddreißig Jahren bei Starfleet, und ich habe genug gesehen, um zu wissen, dass die meisten Geschichten, die im All entstanden sind, irgendeinen wahren Kern haben. Und manchmal ist dieser Kern unangenehm.«

Travers trat ganz dicht vor Picard. »Es ist meine Aufgabe, wann immer möglich friedlichen Kontakt mit fremden Rassen herzustellen, und ich nehme diese Aufgabe ernst. Doch es fällt auch unter meine Verantwortung, die fünfhundertundzwölf Menschen unter meinem Kommando zu schützen. Sie verstehen vielleicht nicht, wie das ist, aber glauben Sie mir eins: Wenn Sie mich belogen haben, werde ich es herausfinden. Wenn Sie in friedlicher Absicht hier sind, wunderbar. Aber wenn Sie irgendeine Gefahr für meine Leute darstellen, werden Sie sich wünschen, nie von Cestus Drei gehört zu haben.

Derweil verstecken Sie sich hinter einer guten Ärztin, die Ihnen aus irgendeinem Grund vertraut. Ich fordere Sie auf, aus Ihrem Versteck zu kommen, Mr. Hill, und mir die Wahrheit zu sagen. Falls Sie den Mut dazu haben, heißt das.«

In dem nachfolgenden Schweigen betrachtete der Commodore Picard noch einen Moment lang. Der Captain verspürte den Drang, Travers zumindest einen Teil der Wahrheit zu sagen. Aber wie zuvor bewahrte er Stille.

»Also nicht«, stellte der Commodore fest. »Sie dürfen wegtreten.«

Draußen wartete Julia auf ihn. »Es tut mir leid, Dixon. Wenn ich geahnt hätte, dass er sich so benimmt …«

»Schon gut«, erwiderte er. »Ob Sie es mir glauben oder nicht, ich verstehe den Commodore sehr gut.«

Sie gingen zum Wohnbereich. »Ich bin mir nicht sicher, ob diese Aufgabe gut für ihn war«, sagte die Ärztin. »Obwohl er als Commodore für Dutzende von Familien verantwortlich ist, hat er selbst nie eine gegründet. Ich glaube, er hätte eine gebraucht. Das hätte ihn zu einem besseren Menschen gemacht.«

Picard nickte. »Das gehört zu den Dingen, auf die viele von uns verzichten, um ein Leben im Weltraum zu führen.«

»Ich weiß, was Sie meinen«, sagte Julia nachdenklich. »Ich bedaure meine Entscheidungen nicht, aber eine Laufbahn an der Grenze unserer Zivilisation lässt nicht viel Platz für anderes.« Sie betrachtete den Captain und schwieg noch einen Augenblick. »Es ist komisch«, sagte sie dann. »Ich erinnere mich gar nicht, die Entscheidung getroffen zu haben, auf ein Familienleben zu verzichten. Ich habe mich einfach in meine Arbeit vertieft und die Sache immer weiter hinausgeschoben, bis die Entscheidung auf einmal gefällt war.«

Picards Gesicht drückte Unglauben aus. »Es tut mir leid, Julia, aber ich kann nicht glauben, dass es nie einen besonderen Menschen für Sie gab.«

Die Ärztin lächelte schief. »Oh, es gab da schon einige, und manche waren etwas Besonderes für mich, aber keiner von ihnen ragt heraus. Ich habe mich schon gefragt, ob es die Person, auf die ich warte, überhaupt gibt.« Julia unterstrich ihre Worte mit einem kurzen Lachen. »Aber falls es ein Alien sein sollte, ist das der perfekte Ort, um ihm zu begegnen. Was ist mit Ihnen? Gab es jemals eine Zeit …?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, das schien nie möglich zu sein. Außerdem war ich nie lange genug an einem Ort.«

Julia blieb unter einem Laternenpfahl stehen und drehte sich zu ihm um. »Wissen Sie, Dixon, ich glaube, ich hatte recht, was Sie betrifft.«

Er erwiderte ihren Blick. »Inwiefern?«

Sie zuckte mit den Achseln. »Mein erster Eindruck war, dass Sie wie ein guter Mensch aussehen.«

Picard schaute in ihre Augen, die so offen und verletzlich waren. »Ich glaube, auch mein erster Eindruck von Ihnen war richtig.«

»Und der war?«

»Ich dachte, dass Sie wunderschön sind«, sagte er.

Julia lächelte erneut. »Wie ich mich entsinne, litten Sie unter einer leichten Gehirnerschütterung, die Ihre Sehfähigkeit beeinträchtigte.«

»Nun, in diesem Fall«, fuhr er fort, »hat mein nüchternerer Geisteszustand diesen ersten Eindruck bestätigt.«

Julias Lächeln verblich, und sie beugte sich zu ihm, so nah, dass er die Wärme ihres Gesichts spürte. Dann kam der Kuss, fest und zärtlich. Picard erwiderte ihn kurz, und sie lösten sich gleichzeitig voneinander.

Einen Augenblick lang blieb ihr Gesicht offen, dann bewölkte es sich, als ihr klar wurde, was sie getan hatte. »Es tut mir leid. Das war nicht sehr professionell von mir. Schließlich sind Sie noch mein Patient.« Sie trat einen Schritt zurück und riss sich zusammen. »Ich werde morgen nach Ihnen schauen, wie es Ihnen geht. Sie finden allein zurück, nicht wahr?«

Picard nickte und sah ihr nach, wie sie davonging. Dankbar für ihren Rückzug machte er sich auf den Weg zu seinem Quartier. Julia war genau die Art von Komplikation, die er vermeiden musste. Er durfte keine gefühlsmäßigen Verbindungen mit Leuten eingehen, die so bald …

Nicht, wenn diese Verbindungen eine Vergangenheit verändern konnten, die er nicht verändern durfte.

»Mr. Hill«, erklang hinter ihm eine Stimme.

Der Captain drehte sich um und sah Lieutenant Harold, der schnell ausschritt, um ihn einzuholen. »Tut mir leid, Sir, aber ich soll dafür sorgen, dass Sie … äh …«

»Schon gut, Lieutenant. Sie haben Ihre Befehle«, beruhigte Picard ihn.

In Begleitung des Lieutenants kehrte der Captain zu seinem Quartier zurück. Obwohl er nicht sicher war, vermutete er, dass Harold vor der Tür Wache hielt, bis er dann irgendwann von einem anderen abgelöst werden würde. Nun, da Travers seinem Argwohn unmissverständlich Ausdruck verliehen hatte, bezweifelte Picard, dass der Commodore noch Skrupel hatte, seinem Gast deutlich zu zeigen, wie sorgfältig er bewacht wurde. Diese Lage erschwerte das Vorhaben des Captains beträchtlich.

Und Julia war eine weitere Komplikation. Er musste seine Urteilsfähigkeit unbedingt bewahren. Letzten Endes würde er tun, was er tun musste.

Doch Picard konnte sich nicht für die Idee erwärmen, sich wie ein Dieb in der Nacht aus dem Vorposten zu schleichen. Bislang war sein Unbehagen über diesen Plan lediglich eine dunkle Strömung in seinem Hinterkopf gewesen. Doch nun, da seine Flucht unmittelbar bevorstand und er sie in die Tat umsetzen musste, wurde es ihm völlig klar: Er würde diese Leute einfach im Stich lassen.

Julia und die anderen Kolonisten waren nicht einfach historische Gestalten – zumindest noch nicht. Sie waren Menschen aus Fleisch und Blut, Starfleet-Angehörige, die zu beschützen Picard geschworen hatte. Und dieser Eid beschränkte sich nicht auf die Epoche, in der diese Menschen lebten.

Erneut sah er Julias Gesicht … ihr Vergnügen dabei, einem Fremden etwas zu zeigen, dem sie mit Argwohn hätte begegnen können, statt dessen aber vertraute. Dann dachte er an Travers' Worte.

Der Captain war nie zuvor als Feigling bezeichnet worden – und ganz bestimmt nicht von einem Offizierskollegen. Und trotz der Jahre, die ihren Dienst in Starfleet voneinander trennten, war Travers ein Offizierskollege.

Dennoch konnte Picard nicht die geringste Entrüstung darüber aufbringen – denn er war sich nicht völlig sicher, dass Travers nicht doch recht hatte.