E in sanfter Landregen fiel auf das Glasdach des Wintergartens. Nur ein Hintergrundgeräusch, als wolle er das Gespräch nicht stören und dennoch Dr. Stotz, der den Regen liebte, die Ehre erweisen.
Tom hatte Mariella, Laura, Frau Favre und Roberto zu einer »Besprechung der Zukunft« gebeten. Sie würde beim traditionellen Sherry-Aperitif stattfinden, dem ein Mittagessen und anschließend ein Kamingespräch folgen sollten.
»Und wer kocht«, hatte Mariella gefragt, »wenn ich auch esse?«
»Ich dachte, Sie kochen etwas Einfaches.«
Sie überlegte kurz. »Orangenravioli zur Vorspeise und danach ein Sampietro aus dem Ofen, das könnte gehen. Aber wer serviert, wenn Roberto auch am Tisch sitzt?«
»Wir alle, wie in einer normalen Familie.«
Roberto hatte für alle Sherry eingeschenkt. Sie stießen an auf Dr. Stotz.
Tom eröffnete das Gespräch: »Dr. Stotz hat mich zum Willensvollstrecker bestimmt. Ich habe heute das Testament zum Bezirksgericht gebracht, es wird in den nächsten Wochen schriftlich eröffnet. Er hat auch ein paar andere letztwillige Verfügungen hinterlassen. Über diese darf ich euch informieren.«
Tom verteilte Kopien der Verfügungen. Die Anwesenden lasen. Nur noch der Regen war zu hören.
Mariella war die Erste, die sprach: »Einverstanden. Aber nur bis zu meinem Ruhestand im nächsten Jahr.«
Roberto, der sich eigentlich längst im Ruhestand befand, sagte: »Ich, solange Sie mich brauchen.«
Frau Favre, die ganz in Schwarz erschienen war, nickte: »Selbstverständlich stehe ich zu Ihrer Verfügung.«
Laura stand auf. »Dann helfe ich dir jetzt in der Küche, Mariella.« Damit war die kleine Wintergartenrunde aufgehoben.
Dr. Stotz’ Platz am Kopfende des Esszimmertisches war nicht gedeckt, was dazu führte, dass ein Gast kein Gegenüber erhielt. Roberto und Mariella zankten sich kurz um diesen Platz, beide mit dem Argument, dass sie ohnehin immer wieder aufstehen müssten. Mariella gewann.
Es wurde ein seltsames Essen, das nicht sehr an die Mittagstafeln mit Dr. Stotz erinnerte.
Das Kamingespräch wurde noch ungewohnter. Fünf Sessel unterschiedlicher Machart drängten sich um das Feuer. Die Runde suchte noch erfolgloser nach Konversationsthemen als beim Mittagessen.
Laura versuchte, ab und zu ein Gespräch in Gang zu bringen: »Das mit dem Kaminfeuer bei laufender Klimaanlage sollten wir, obwohl es uns an Onkel Peter erinnert, in Zukunft bleiben lassen. Es ist nicht sehr zeitgemäß.«
Alle waren froh, als es klingelte. Es war Fausto Contarelli. Tom hatte den Anprobetermin vergessen.
Er führte ihn die Treppe hinauf zu seiner Wohnung und öffnete die Tür. An der Garderobe hing ein Jackett, das Tom als das von Laura erkannte. Im Wohnzimmer stand Gepäck. Ein Koffer, eine Reisetasche und zwei Handtaschen.
Tom probierte den anthrazitfarbenen Anzug an. Contarelli zupfte da und dort, steckte ein paar Stellen ab und fragte mitfühlend: »Wie geht es Ihnen, Signor Elmer, jetzt, nach dem Tod des armen Dottore?«
Mit einem Blick auf die Gepäckstücke antwortete Tom: »Ich muss leider ehrlich gestehen, heute geht es mir trotzdem wunderbar.«
Als er Contarelli wieder nach unten begleitete, fiel ihm im Vorbeigehen auf, dass die Tür zu Melodys Stickzimmer noch offen stand. Er brachte den Schneider zum Ausgang und ging zurück in den Salon.
Die zusätzlichen Sessel standen wieder bei der kleinen Sitzgruppe, die Beistelltischchen waren abgeräumt, im Kamin verglühte das Feuer, die Klimaanlage war stumm.
Mariella streckte den Kopf herein. »Tutti andati.«
Tom eilte die Treppe hinauf. Laura saß auf dem Sofa im Stickzimmer und las. »Das ist ein hübscher Raum. Man sollte ihn benutzen. Nicht nur als Mausoleum.«
Er setzte sich neben sie, und sie küssten sich. »Ich habe dein Gepäck gesehen.«
»Ach das? Die Freundin, bei der ich wohne, wenn ich hier in der Stadt bin, brauchte das Extrazimmer. Da dachte ich … Ich hoffe, das ist okay?«
»Mal sehen.«
Sie küssten sich wieder.
Sie lag mit ausgebreiteten Armen und etwas gespreizten Beinen auf dem Rücken, öffnete die Augen und sah ihn, wieder ruhig atmend, dort unten liegen.
»Schaust du mir gerade zwischen die Beine?«
»Ja.«
»Dazu kennen wir uns zu wenig.«
»Das versuche ich gerade zu ändern.«
Laura lachte. Doch sie behielt ihre Stellung bei.
Nach ein paar stillen Minuten kroch er neben sie.
Sie legte den Kopf auf seine Schulter, er hielt sie fest.
»Dein Großonkel hat mich einmal gefragt, ob ich schon mal so verliebt gewesen sei, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte. Dass ich mit dem ersten Gedanken an sie aufwache und mit dem letzten an sie zu Bett gehe.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Damals habe ich Nein gesagt. Das würde ich jetzt nicht mehr.«