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Es war zwei Wochen später, Cavelli überlegte gerade, ob er zu Hause zu Abend essen oder in ein Ristorante gehen sollte, als das Telefon klingelte. Am anderen Ende der Leitung meldete sich der wachhabende Gardist am Sant’Anna-Tor, dem Haupteingang zur Vatikanstadt.

»Hier ist eine Dame, die zu Ihnen möchte, Signor Cavelli. Ihr Name ist Cecilia Volpi.«

Der Name sagte Cavelli gar nichts. Er wollte schon antworten, dass es sich wohl um einen Irrtum handeln musste, als ihm aufging, dass er den Nachnamen kannte. Das musste eine Verwandte von Aldo Volpi sein, allerdings konnte er sich nicht vorstellen, warum sie ihn besuchen wollte. Aber der Grund würde wahrscheinlich kein angenehmer sein. Cavelli verzog unwirsch das Gesicht.

»Geben Sie mir die Dame mal bitte.«

Es vergingen einige Sekunden, dann drang eine Frauenstimme an sein Ohr. »Hier ist Cecilia Volpi, Sie kannten meinen verstorbenen Mann, Aldo. Entschuldigen Sie bitte die späte Störung, Signor Cavelli, wäre es wohl möglich, dass ich kurz mit Ihnen sprechen kann? Persönlich? Es wird nicht länger als fünf Minuten dauern. Bitte, es ist sehr wichtig.«

Cavelli zögerte. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, aber leider fiel ihm kein akzeptabler Grund ein, abzulehnen.

»Ja gut, aber wirklich nur kurz, ich habe wenig Zeit.«

»Vielen Dank, Signor Cavelli.«

»Schon gut, geben Sie mir nochmal den Gardisten, bitte.«

Wieder wurde der Hörer gewechselt.

»Sie darf durch.« Resigniert legte Cavelli den Hörer auf.

Ein paar Minuten später klingelte es an seiner Wohnungstür im dritten Stock des Palazzos. Cavelli öffnete. Cecilia Volpi war Anfang vierzig und hatte ein sympathisches Gesicht mit braunen Haaren und Augen, die allerdings vom Weinen gerötet waren. Sie trug ein schwarzes Kostüm mit ebensolchen Strümpfen und Schuhen. Trauerkleidung. Cavelli bat sie herein und führte sie auf seine riesige Terrasse. Abgesehen von der kalten Jahreszeit hielt er sich lieber hier als in der Wohnung auf. Wie jeder Gast, der diese Terrasse zum ersten Mal betrat, blieb auch Cecilia Volpi einen Moment verblüfft stehen, um die atemberaubende Aussicht in die Vatikanischen Gärten in sich aufzunehmen. Allerdings enthielt sie sich, anders als die meisten, jeglichen Kommentars. Cavelli bot ihr einen Gartenstuhl und etwas zu trinken an. Sie nahm Platz, lehnte das Getränk aber höflich ab.

»Was kann ich für Sie tun, Signora Volpi?«, fragte Cavelli, während er sich ebenfalls setzte. Er legte bewusst etwas Geschäftsmäßiges in seinen Tonfall.

Sie sah ihn mit großen Augen an und suchte einige Augenblicke nach Worten. »Noch einmal vielen Dank, dass Sie mich empfangen, Signor Cavelli. Sie wundern sich wahrscheinlich, was ich hier will. Ich möchte Sie auf keinen Fall belästigen, es geht um meinen verstorbenen Mann Aldo, und ...«

»Mein herzliches Beileid nachträglich, Signora Volpi.«

»Danke sehr. Die Sache ist die ... Maria Bazoli sagte mir, wie gut Sie über meinen Mann gesprochen haben und ...«

»Maria wer?«

»Bazoli.«

»Verzeihung, aber wer soll das sein?«

»Oh, natürlich, wie dumm von mir. Maria ist Sekretärin im Governatorat. Sie hat Ihre Befragung protokolliert.«

Langsam ging Cavelli ein Licht auf. »Klar, verstehe. Der Name sagte mir nichts.«

»Natürlich nicht, warum auch? Und ich hoffe, Sie sind nicht böse, dass Maria mir davon erzählt hat, das hätte sie natürlich nicht tun dürfen, aber wir beide kennen uns vom Improtheater und sind sehr gut befreundet.«

»Improtheater?«

»Improvisiertes Theater. Ohne feste Texte. Die Schauspieler improvisieren Szenen, die von den Zuschauern vorgeschlagen werden. Wir sind natürlich nur Laien, es ist nur zum Spaß. Aber daher kenne ich Maria. Bitte sagen Sie keinem weiter, dass sie mir das verraten hat.«

»Schon gut, kein Problem.«

»Danke! Also, ich weiß nicht recht, wie ich anfangen soll. Es gibt diese Ermittlungen in der Vatikanbank, man dreht das Unterste zuoberst, und auf einmal heißt es nun, mein Mann soll in irgendwelche krummen Transaktionen verwickelt sein, aber ich versichere Ihnen, Signor Cavelli, das stimmt nicht, so etwas hätte mein Aldo nie getan! Ich glaube, dass man einen Sündenbock sucht, und da kommt mein Mann gerade recht, weil er sich nicht mehr wehren kann.«

»Wirft man ihm denn etwas Konkretes vor?«

Cecilia Volpi schluckte. »Man hat mir Papiere gezeigt, die alle Aldos Unterschrift tragen, irgendwas mit Immobiliengeschäften, offenbar geht es dabei um zig Millionen, was genau damit nicht in Ordnung sein soll, weiß ich nicht, es ist alles voller juristischer Fachbegriffe, die ich nicht verstehe, ich weiß nur eins: Das ist nicht Aldos Unterschrift. Zugegeben, auf den ersten Blick ist sie schon sehr ähnlich, aber ich kenne seine Unterschrift in- und auswendig, und ich bin sicher, die Unterschriften auf all diesen Dokumenten sind Fälschungen. Darum bin ich zu einem Anwalt gegangen, der hat verlangt, dass das IOR Kopien von diesen Dokumenten rausrückt. Die können nicht einfach meinen Mann beschuldigen und mir keine Möglichkeit geben, ihn zu verteidigen. Dachte ich. Aber die haben sich geweigert, von wegen Datenschutz und Sicherheitsbedenken und internen Bestimmungen und was weiß ich noch alles. Aber schließlich hat mein Anwalt das durchgesetzt. Ich hab die Papiere nun, also Kopien natürlich. Und die habe ich einem vereidigten Graphologen vorgelegt, zusammen mit anderen Unterschriften, die ich auf Dokumenten von meinem Mann besitze. Und der Graphologe ist zu dem eindeutigen Ergebnis gekommen, dass die Unterschriften auf den IOR-Dokumenten alle falsch sind. Gut gemacht, aber dennoch falsch. Ich habe das Gutachten dabei, wenn Sie es sehen wollen ...?«

Cavelli winkte ab. »Nicht nötig, ich glaube Ihnen auch so, aber, ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, warum Sie mir das alles erzählen.«

Cecilia Volpi zögerte, bevor sie mit leiser Stimme weitersprach: »Nun, wie gesagt, Maria Bazoli sagte mir, wie gut Sie über meinen Mann gesprochen haben und dass Sie sich nicht vorstellen können, dass er etwas Kriminelles getan hätte. Das hat mich sehr gefreut, weil Sie der Einzige waren, von dem ich sowas gehört habe, auch wenn ich gar nicht wusste, wer Sie sind. Das hat mir erst Maria erzählt. Dass Sie hier leben und Ihre Familie großen Einfluss im Vatikan hat und dass Sie mit dem Ersten Sekretär des Heiligen Vaters, Monsignore Mattlin, befreundet sind und all das ...«

Cavelli hatte die Hand gehoben, um Cecilia Volpi in ihrem Redefluss zu bremsen, aber die ließ sich nicht aufhalten: »Und ich hab gedacht, gegen diese Revisoren, oder was immer das für Leute sind, kann ich nichts ausrichten, aber letztlich sind die ja auch nur im Auftrag des Heiligen Vaters tätig, aber ich vermute mal, der weiß gar nicht genau, was dort genau vorgeht und was die da machen, und wenn Sie jetzt Ihren Einfluss geltend machen würden und mit dem Ersten Sekretär des Heiligen Vaters reden und ihn darauf aufmerksam machen, dass versucht wird, einen Unschuldigen zum Sündenbock zu machen, dann würde das bestimmt sehr helfen, und ich wäre Ihnen überaus dankbar.« Etwas außer Atem stoppte Cecilia Volpi und sah Cavelli mit ängstlichen Augen an.

Cavelli verzog unbehaglich das Gesicht. »Ich weiß nicht recht, ich zweifle nicht, dass sich alles genauso verhält, wie Sie sagen, Signora Volpi, und ich bin auch gerne bereit zu helfen, aber was sollte ich Monsignore Mattlin denn sagen? Ich habe doch nichts Konkretes in der Hand.«

Cecilia Volpi öffnete ihre Handtasche und zog einen Stoß gefalteter Papiere hervor. »Das sind die Kopien vom IOR, dann die Kopien von den privaten Dokumenten, die Aldo unterschrieben hat, und das Gutachten des Graphologen. Das ist etwas Konkretes, und der Heilige Vater muss das zu sehen bekommen, und ich bin sicher, er will das auch sehen, schließlich geht es ihm bei dieser ganzen Untersuchung darum, endlich die Wahrheit herauszufinden. Und die Wahrheit ist das.« Mit einer ruckartigen Bewegung hielt sie Cavelli die Papiere hin.

Cavell zögerte; dann nahm er sie mit einem unguten Gefühl an sich. Er hatte nicht die geringste Lust, in diese Angelegenheit verwickelt zu werden, aber es war zu spät. Die Entscheidung war in dem Moment gefallen, in dem er Cecilia Volpi die Tür geöffnet hatte.