Gray
Ich fletschte die Zähne und schlug so gut es ging um mich, während die Wurzeln sich immer enger zogen. Eine wickelte sich um meinen Hals und schnürte mir dabei die Luftröhre ab, auf die Willow vor nur einer Stunde auf der Veranda schon gezielt hatte. Auch wenn meine Kehle sich von dem Angriff bereits wieder erholt hatte, so traf mich der vertraute Schmerz mitten ins Herz, hätte ich denn eines gehabt.
Ich zerrte an einer Wurzel und konnte meinen Arm befreien, doch die anderen pressten mich unnachgiebig weiter auf den Boden. Meine Rippen knackten und mein Körper gab unter dem Druck nach, als die um meinen Oberkörper gewickelte Wurzel mich nach unten zwang. Sobald ich meine Hand befreit hatte, packte ich die Wurzel um meinen Hals, riss das würgende, bedrohliche Gewächs heraus und ignorierte den Schrei, der just in dem Moment von der Rinde zu kommen schien, als ich sie abriss.
Über mir tauchte ein Schatten auf und nahm mir das letzte Sonnenlicht, sodass Dunkelheit über uns hereinbrach. Meine Haut kribbelte gereizt, und die Heilung, die mein Körper gebraucht hatte, brannte sich viel zu schnell durch das Hexenblut in meinem Körper. Ohne es würde die Sonne mehr sein als nur eine kleine Irritation.
Sie würde mich bei lebendigem Leib verbrennen.
Juliet hieb mit dem Schwert auf die dicke Wurzel um meinen Bauch. Ich widerstand dem Drang zurückzuzucken, da ich darauf vertraute, dass sie nicht auch mich zerteilen würde. Der Teil von Willows Baum erschauderte und seine Ausläufer zitterten beim Kampf gegen den Schmerz.
Juliet ließ ihr Schwert zur Seite herabsausen, da sich ihr ein Ast genähert hatte, den sie mit einem Schlag von sich fernhielt. Im selben Augenblick traf sie ein zweiter Angriff, sodass sie nun eher damit beschäftigt war, sich selbst zu verteidigen, als mich zu befreien. Da die Bäume von dieser größeren Bedrohung, die sich langsam durch das Holz schlug, abgelenkt waren, konnte ich die Wurzel an meinem Oberkörper packen.
Juliet sah zu mir herunter und hob spöttisch ihre Augenbrauen, während sie mir bei meinen Befreiungsbemühungen zusah. »Du hast sie schon wieder unterschätzt«, höhnte sie.
Ich knurrte eine Warnung, dabei hatte sie recht. Ich hatte nicht erwartet, dass sie ihre Magie derart beherrschte. Obwohl sie, solange ihr Bruder seine Kräfte noch nicht entwickelt hatte, die Letzte ihrer Linie war, hatte ich doch erwartet, ein halb ausgebildetes Hexenmädchen vorzufinden, das noch eine Menge über das zu lernen hatte, wozu es fähig war. Ich hätte es besser wissen sollen.
Flora Madizza war eine dickköpfige, aufsässige Plage von Hexe gewesen, bevor sie ihren eigenen Tod vortäuschte, um dem Covenant zu entgehen. Sie hatte weit mehr Zeit in den Gärten verbracht als in den Reihen ihres Coven.
Kairos tauchte auf dem Schlachtfeld auf, dort noch mit Blut beschmiert, wo er mit dem Kopf gegen die Hausseite gekracht war. Es gab bloß wenig, was ich tun konnte, um seinen Zorn zu besänftigen, sollte er Willow vor mir in die Finger bekommen. Für ihn gab es nur ganz oder gar nicht. Ihm war es gleichgültig, dass Willow für das Leben ihres Bruders kämpfte, er würde sie ganz unabhängig davon seine Vergeltung spüren lassen.
Juliet durchtrennte rasch die letzten meiner Fesseln. Schnell stand ich auf und knackte mit dem Nacken, um alle Knochen wieder an ihren richtigen Platz zu bringen. Mein Körper heilte sich selbst, während die Sonne mich mit jedem Augenblick stärker niederdrückte.
Ein Teil von mir wollte Willow bluten lassen für das, was sie getan hatte, für die Erniedrigung, von einem einzigen Hexenmädchen niedergestreckt worden zu sein. Doch ein anderer Teil von mir wusste, dass das Schicksal etwas für sie vorgesehen hatte, was meine Rache noch viel süßer werden ließ.
Ich ging einen Schritt tiefer in den Wald hinein.
»Du willst ihr doch nicht allen Ernstes dort hinein folgen?«, fragte Juliet. Ich kehrte um und holte mein Schwert, das auf dem Rücksitz des am Rande des Hofs geparkten Autos gelegen hatte.
Ich sah Juliet über die Schulter hinweg an und bemerkte, dass sie das leichte Erröten meiner Haut erkannt hatte. Die Sonne würde schon bald untergehen, doch niemand wusste, ob wir es vor dem Morgen sicher nach Crystal Hollow zurückschaffen würden.
Davon abgesehen wollte ich keine der Hexen, die dort auf mich warteten.
Ich wollte sie .
»Ich bin hungrig«, gab ich zurück und lauschte auf das Geräusch, das Willow bei ihrer Flucht durch den Wald machte. Die Bäume schienen sich mit ihr zu bewegen und unter ihrem Lauf zu rascheln, als wollten sie ihren Weg geheim halten.
»Man spielt aber nicht mit seinem Essen«, erwiderte Juliet und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Finde einfach den Jungen«, befahl ich und folgte meinem Abendessen in den Wald.