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Gray

Dass sie sich in die erste Reihe neben Margot setzte, überraschte mich. Sie lächelte der mürrischen jungen Frau zu, hielt aber Abstand und bedrängte sie nicht – und gab ihr damit den Raum, den die meisten den Roten nicht zugestanden.

Willow nahm eine Traube, schob sie sich in den Mund und kaute langsam, ohne meinem Blick auszuweichen. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass eine Frau sogar Essen zu einem sinnlichen Spiel machen könnte, doch das Wissen, dass sie das von mir organisierte Frühstück nicht ablehnte, nahm mir etwas von meiner Irritation, die durch ihren Flirt mit dem Bray-Jungen entstanden war.

Willow war die schlimmste Art von Gefahr, eine Versuchung, die mich zu dummen, läppischen Dingen treiben würde, nur um meinen Schwanz feucht zu bekommen. Denn um etwas anderes konnte es nicht gehen. Da mein wahrer Körper und mein Herz in den Untiefen der Hölle verschlossen waren, hatte ich an nichts anderem mehr Interesse.

Der Covenant würde ohnehin eher versuchen, mich zu kastrieren, als zuzulassen, dass ich mit Susannahs kostbarer Enkelin etwas anderes anstellte als die Ernte. Ich lachte über den Gedanken, da ich wusste, dass Hexen und Hüllen sich niemals freiwillig auf diese Art und Weise begegneten. Die Ernte war aus gutem Grund eingeführt worden, um den Hüllen geordneten Zugang zum benötigten Hexenblut zu ermöglichen, ohne dass sich eine Beziehung bildete.

Hüllen und Hexen konnten ficken, doch alles, was darüber hinausging, hatte der Covenant streng verboten. Daher verbanden wir den Hexen die Augen, wenn wir uns von ihnen ernährten, damit sie niemals erfuhren, wen genau sie fütterten oder fickten, falls sie sich für Letzteres entschieden. Einfach nur unverbindlicher Sex, ohne all die Komplikationen bei Sonnenaufgang.

Willow kreuzte die Beine unter dem Tisch, was meine Aufmerksamkeit auf die Springerstiefel an ihren Füßen lenkte. Sie hatte die Schuhe stehen gelassen, von denen ich wusste , dass man sie ihr hingestellt hatte, schließlich waren sie mir gestern Nacht in ihrem Zimmer aufgefallen, als ich ihr die Hose ausgezogen hatte. Ob sie wusste, dass jemand bei ihr gewesen war, oder redete sie sich ein, sie hätte die Jeans am Abend zuvor selbst ausgezogen und das nur vergessen?

Ihr Gesicht war ruhig, ihr Puls ging normal. Auch wenn sie sich als begabte Lügnerin erwiesen hatte, so glaubte ich nicht, dass sie die Anzeichen der Angst würde verbergen können, sobald sie erkannt hätte, dass in der Nacht jemand in ihrem Zimmer gewesen war.

Ich lächelte süffisant, hob eine Augenbraue und trat mit dem Schulbuch in der Hand auf sie zu. Die anderen Schülerinnen und Schüler hatten bereits alle Materialien für den Unterricht bekommen, nur Willow war bei der Einführung nicht anwesend gewesen.

»Wir haben hier eine Kleiderordnung, Miss Madizza.« Ich überreichte ihr das Buch.

Sie beugte sich vor und nahm mir das Buch aus der Hand. Ihre Finger streiften meine und ich wusste, der Kontakt war nicht unbeabsichtigt. Es hatte nicht sehr lange gedauert von ihrer Behauptung, sie würde es mir nie erlauben, sie zu berühren, bis zu ihrer Andeutung dessen, was sie tatsächlich wollte. Der Verdacht, der mich bereits beschlichen hatte, wuchs mit jedem längeren Blick und jeder flirtenden Bemerkung.

»Werden Sie mich nachsitzen lassen, Herr Direktor?«, fragte sie und legte den Kopf schief.

Margot drehte sich zu ihr um, während Willow das Schulbuch aufschlug und abwesend ein paar Zeilen überflog.

»Wir haben hier kein Nachsitzen«, erklärte ich ihr, verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte zu erkennen, welches Spiel genau sie hier spielte.

Wieder trafen ihre Augen meine und unter der gespielten Tapferkeit konnte ich sie erkennen: die Unsicherheit . Ich schürzte die Lippen und nickte verständnisvoll. Willow nutzte den Flirt, um ihr Unbehagen zu verbergen, um ihre Zähne in alles Vertraute zu schlagen.

In mich. In Iban Bray.

Wir waren die beiden einzigen Männer, denen sie begegnet war, abgesehen von Kairos, und selbst mit dem hatte sie geflirtet.

Es ging nicht um mich. Es war ihr nie um mich gegangen, was mich jedoch nicht davon abhalten sollte, von ihr genau das zu bekommen, was ich wollte.

»Wie schade«, sagte sie mit einem Schmollmund, was irgendwie niedlich war.

»Nicht besonders«, erwiderte ich, ohne mir die Mühe zu machen, den Schmerz zu verbergen, den ich nicht fühlen wollte. Dass sie sich nicht wirklich für mich interessierte, hätte mich nicht weiter kümmern sollen. Mit wem sie fickte, ging mich nichts an, solange ich einer von ihnen war.

Aber irgendwie kümmerte es mich doch.

»Sollten Sie nach dem Unterricht noch persönliche Betreuung brauchen, Miss Madizza, so bin ich sicher, dass Mister Bray sich mehr als glücklich schätzen würde, diese Bedürfnisse zu stillen«, erklärte ich und ließ meine Augen über ihren Körper wandern. Ich wollte sie genießen, zwang mich aber zu Abscheu und Gleichgültigkeit in meinem Ausdruck, damit sie diesen Stachel der Zurückweisung spürte.

Ihr Mund klappte ein klein wenig auf.

»Entschuldigung?«, fragte sie. Ihr Erröten bestätigte mir, was ich vermutet hatte. Sie wollte gar nicht irgendjemanden in ihr Bett bekommen, doch aus einem bestimmten Grund konnte sie das Sticheln gegen mich nicht lassen.

Ich zwang sie dazu, Farbe zu bekennen. »Wenn Sie einen Fick brauchen«, sagte ich mit so leiser Stimme, dass nur die Mitschülerinnen und Mitschüler in der unmittelbaren Umgebung meine Worte verstehen konnten, doch ihre Wangen verdunkelten sich und betonten damit nur noch ihre dunklen Sommersprossen, »bin ich sicher, das Mister Bray Ihnen zu Diensten steht.«

Sie schloss den Mund und aus ihrer Verlegenheit wurde Zorn. Ihr Kiefer spannte sich an. Doch im Augenblick darauf war diese Reaktion bereits wieder verschwunden, als sie mich mit einem Lächeln traf, das sich so scharf und gefährlich anfühlte wie eine Tollkirsche.

»Da haben Sie recht. Ich bin sicher, das wird er.«

Ich sah sie an und mein süffisantes Grinsen erstarb, während Willow sich in ihrem Stuhl zurücklehnte. Sie verschränkte die Arme, womit sie die Wölbungen ihrer Brüste betonte, und wandte sich lächelnd Margot zu, als sei sie von meinen barschen Worten nicht im Mindesten getroffen.

Zur Hölle, verdammt noch mal.

»Schlagen Sie Seite drei auf«, fauchte ich und trat zurück an die Tafel. Meine Stimmung war deutlich gesunken, doch Willow stichelte weiter, in dem sie genüsslich das Obst aß, das ich ihr hatte bringen lassen.

Jeder Mann genoss eine Herausforderung, doch Willow war etwas anderes. Sie war etwas Schlimmeres.

Sie war unmöglich .