Willow
Ich schwenkte meine Hand vor den Türen des Tribunals und lächelte leicht, als sich die Mechanismen verschoben und mir erlaubten, sie zu öffnen. Der Covenant mochte einer Hexe nicht erlauben, einen Platz in dem Rat einzunehmen, der unsere Leute regierte, bevor sie ihre Ausbildung abgeschlossen hatte. Nur bedeutete das nicht, dass die Magie mich hier nicht als das anerkannte, was ich war.
Mit meiner doppelten Blutlinie gehörte mehr als einer dieser leeren Sitze mir.
Ich schritt durch die Türen und ging zu dem Raum, in dem das Tribunal tagte, wenn es etwas zu besprechen gab. Er war leer, bis auf Susannah und George, die in der Mitte des Kreises standen und leise etwas besprachen.
»Willow«, sagte George mit einer Stimme, die weitaus höflicher wirkte als der finstere Blick, mit dem Susannah mich – wie ich es mir ausmalte – vermutlich anfunkelte. »Ist alles in Ordnung?«
»Nein. Es ist alles andere als in Ordnung«, fauchte ich. Ich ballte die Fäuste an den Seiten, denn ich konnte meine Wut nicht unterdrücken, obwohl ich wusste , dass ich dieses Thema nicht zornig angehen konnte. Es hing viel zu viel davon ab, dass sie es verstanden.
Er seufzte und ließ seinen Schädel einen Moment lang nach vorne hängen, während er seine Fingerknochen in die Taschen seines schwarzen Gewandes schob. »Deine Mutter hat dir die alten Bestattungsmethoden beigebracht, nehme ich an?«, fragte er, aber Susannah ignorierte das Gespräch, um sich neu zu positionieren. Sie ging nicht zu ihrem Thron, sondern bewegte sich, bis sie vor dem Podium stand, das bedrohlich im Hintergrund dräute.
Als ob mir das irgendetwas bedeuten würde. Ich würde sie eher zu Asche verbrennen, bevor ich ihr erlaubte, die Hexen von Crystal Hollow weiter zu verderben.
»George, lässt du mich einen Moment mit meiner Enkelin allein?«, fragte sie.
Das andere Mitglied des Covenant nickte und schlüpfte durch die Türen in ihren privaten Bereich.
»Da fehlen noch etliche ›Ur‹ vor dieser Enkelin «, sagte ich und verzog angewidert die Lippen. In ihrem Gesicht war keine Reue zu sehen, nicht einmal eine Entschuldigung für das, was sie der Hexe angetan hatte.
Für das, was sie ihr genommen hatte.
»Das spielt keine Rolle, wenn nur du und ich übrig sind. Wir sind nicht so weit voneinander entfernt, wie es die meisten in unserer Situation wären«, sagte sie und verschränkte die Hände vor sich, während sie mich musterte.
»Ich bin froh über diesen Abstand. Ich schäme mich, dass ich überhaupt eine Beziehung zu dir habe. Was du hier tust …«
»Ist zum Wohle des Coven«, sagte Susannah und neigte ihren Kopf. Es war unheimlich, wie viel Gefühl ihre Knochen ausdrücken konnten. Hätte sie noch Haut gehabt, hätte sich sicherlich ihre Oberlippe vor Abscheu verzogen. »Ich würde nicht erwarten, dass jemand in deinem Alter das versteht.«
»Wie kann das zum Wohle des Coven sein? Die Erde stirbt um dich herum und du bist zu kleingeistig, um das zu sehen! Wenn das schon mit der Erde passiert, was passiert dann erst mit den Kristallen? Mit den Sternen und der Luft um uns herum? All diese Dinge brauchen Opfergaben. Sie brauchen unsere Körper, damit sie ihnen zurückgegeben werden können, wenn wir sterben. Du schwächst genau die Leute, die Charlotte Hecate um jeden Preis beschützen sollte«, sagte ich und schnappte nach Luft, als meine Augen vor unvergossenen Tränen brannten.
So sehr ich es auch hasste zu weinen, wenn ich traurig war, die Wutschreie waren das Allerschlimmste. Sie waren etwas, was manche wohl als Schwäche auslegten, obwohl ich nichts mehr wollte, als jemanden umzubringen.
Ihr Brustkorb sackte ein, als sie einen Schritt auf mich zuging. Eine dieser knochigen Hände hob sich, berührte mein Gesicht und umfasste meine Wange in einem Moment entsetzlicher Zuneigung.
»Du bist so jung. Du verstehst noch nicht, wie die Welt funktioniert, Willow. Lass mich dich führen.«
Ich lachte und wich einen Schritt zurück. »Ich werde nie so sein wie du. Ich werde mich nicht von der Magie abwenden, wie du es getan hast.«
Sie ließ ihre Hand sinken und verschränkte sie wieder mit der anderen vor sich. »Ohne die Hecate-Linie besitzen die Hüllen viel mehr Macht, als sie sollten. Wir haben keine Möglichkeit, sie zu töten, während die Hexen des Coven sehr sterblich sind. Sie leben und sterben, und wie wir gestern Abend bei der jungen Hexe gesehen haben, sind sie sehr wohl in der Lage, ermordet zu werden.«
»Aber was hat das mit dem Aushungern der Quelle zu tun? Was willst du denn damit erreichen, dass die Hexen schwächer werden?«, fragte ich und meine Frustration stieg, während ich sie anstarrte.
»Wenn wir schwächer werden, werden sie es auch. Sie ernähren sich von uns. Die Quelle versorgt ihre Hüllen, aber sie können wiederum nicht direkt auf sie zugreifen. Sie können die Magie nur durch unser Blut berühren, Willow. Wenn wir diese Magie nicht mehr in unserem Blut haben, gibt es nichts mehr, was sie am Leben erhält«, sagte sie und ihre Knochen klapperten, als sie die Hände bewegte. Ihr Kiefer spreizte sich zu etwas, von dem ich annahm, dass es ein Lächeln sein sollte.
»Aber wir werden keine Magie mehr haben«, wisperte ich und stolperte einen Schritt zurück, als ihre Worte mich erreichten, als sie den Schleier meiner Wut durchdrangen.
»Einige von uns schon. Hüllen ist es verboten, sich vom Tribunal zu ernähren. Sie praktizieren die alten Methoden im Geheimen, um die Massen davon abzuhalten, so effizient auf die Quelle zuzugreifen. Das Tribunal bleibt stark, weil es das muss, und wenn die Zeit gekommen ist, werden wir eine neue Ära der Hexen einläuten. Wenn es sein muss, werden wir einen neuen Handel abschließen. Einen, an dem diese Parasiten, die von unserem Leid leben, nicht beteiligt sind«, sagte sie mit einem Hauch von Sehnsucht in ihrer Stimme.
»Und was passiert mit dem Rest von uns, wenn du diesen neuen Handel abschließt? Verlieren wir unsere Magie?«, fragte ich und gestikulierte in Richtung des Hauptteils der Schule.
»Du musst dir keine Sorgen machen, Willow. Du gehörst zu diesem Tribunal, auch wenn du deine Schulzeit noch nicht beendet hast. Du oder dein Kind werden ein Teil des neuen Zeitalters der Hexen sein«, sagte sie und trat vor, um meine Hände in ihre zu nehmen. Ihre Knochen waren rau von jahrhundertelangem Gebrauch und ungeschützt den Elementen ausgesetzt.
»Deshalb hast du also zugelassen, dass deine Blutlinie verkümmert. Die ganze Zeit hast du gewusst, dass es keine Rolle spielt. Eine ist genug für dich, denn das ist alles, was du in deine neue Welt mitnehmen willst«, sagte ich, während mir der Atem stockte.
»Und du wirst diese Tradition fortsetzen, indem du eine einzige Tochter zur Welt bringst, damit du nie den Schmerz erleben musst, ein Kind zu verlieren«, sagte Susannah und drückte unsere Hände nach vorne. Ich befreite mich aus ihrem Griff und zuckte zurück, als sie den Stoff meiner Bluse dort berührte, wo sie meinen Bauch bedeckte.
»Das mache ich nicht mit«, flüsterte ich und ging einen Schritt von ihr weg. »Du wirst sie umbringen, nicht wahr? Jede Einzelne und jeden Einzelnen von ihnen. Was hat es für einen Sinn, sie überhaupt zu unterrichten? Wozu die Mühe?«
»Unsere Leute kennen diese Pläne nicht. Wenn sie davon erfahren würden, würden wir nur Panik und Rebellion auslösen. Diese Schule bleibt einfach bestehen, weil sie muss«, erklärte sie, drehte sich um und lief auf und ab. Susannah ging um mich herum, ihr Schritt war langsam und entspannt, während sie ihre Hände an ihre Wirbelsäule führte und sie auf der Wölbung ihres Beckens ablegte.
»Es war ein Fehler, es mir zu sagen«, erwiderte ich und schnaubte spöttisch angesichts ihrer Gewissheit, dass ich nicht allen erzählen würde, was ich wusste.
Dass ich es Gray nicht verraten würde.
Wir hatten vielleicht ein gemeinsames Ziel, die Hüllen zu beseitigen, aber ich würde niemals einen ganzen Coven dafür opfern.
»Du wirst es niemandem erzählen, denn du weißt so gut wie ich, dass die Aufdeckung dieses Geheimnisses den Coven in zwei Teile spalten wird. Die Hüllen werden gegen die Hexen in den Krieg ziehen und wir werden nicht gewinnen. Du wirst lediglich ihren Tod beschleunigen«, sagte Susannah und blieb an meiner Seite stehen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die Sonne durch die Fenster hinter den Thronen fiel und das matte Weiß ihrer Knochen heller leuchten ließ. »Eines Tages wirst du es verstehen. Das Überleben des Coven ist wichtiger als jedes einzelne Leben.«
»Das ist kein einzelnes Leben!«, schrie ich und riss den Kopf hoch, um Susannah in die Augenhöhlen zu sehen. »Es geht um das Leben eines ganzen Coven . Du verdammst die Seelen unserer Leute in die Hölle, weil du ihnen ihren Todesritus verweigerst.«
Ihre Hand schoss vor und packte mich am Kinn. Die Spitzen ihrer Fingerknochen gruben sich in meine Haut und versanken im Fleisch. An der Stelle, an der sie mich verletzt hatte, quoll Blut hervor und tropfte über meine Haut. Wütend funkelte ich sie an.
»Es ist ein Opfer, das gebracht werden muss«, warnte sie und ihre Stimme wurde tiefer, als sie sich mit Magie füllte. Sie stieß ihren Arm vor und ihre Finger ließen mich im selben Moment los. Einen Augenblick lang war ich schwerelos und die Zeit schien stillzustehen, während ich beobachtete, wie Susannah sich immer weiter von mir entfernte.
Mein Körper schlug auf dem Steinboden auf und mir wurde die Luft aus der Lunge gepresst. Ich keuchte, hustete und wartete darauf, dass der Atem zurückkehrte, während ich mich vor Schmerzen auf dem Boden krümmte.
Scheiße!
Ich rollte mich auf den Bauch, die Hände unter mir. Die Ranken des Bray-Throns wanden sich ebenfalls und sahen aus, als wollten sie sich einmischen. Als wollten sie helfen.
Aber sie konnten den Covenant nicht angreifen. Keine Magie würde sie berühren, eine Gabe, die ihnen gewährt worden war, um zu verhindern, dass sie von abtrünnigen Mitgliedern ihres Coven angegriffen wurden. Der Covenant war mit dem Überleben des Coven selbst verbunden, dem Oberhaupt der Magie und Hüter unserer Wege. Susannah schob den Fuß unter ihrem Gewand hervor, ihre Zehenknochen erwischten mich an der Schulter und warfen mich auf den Rücken.
Keuchend rang ich nach Luft und es fühlte sich an, als wäre etwas in mir gebrochen. Schmerz durchfuhr mich, als sie den Fuß auf meine Brust setzte und mich gegen den Stein drückte. Finster starrte ich sie an.
»Du wirst dich an deinen Platz erinnern.«
»Darin war ich noch nie besonders gut«, gab ich zurück und mein Atem wurde zu einem rasselnden Gurgeln, während sich mein Mund mit Feuchtigkeit füllte.
Sie nahm ihren Fuß von meiner Brust und hockte sich neben mich, ihre Hand legte sie um meine Kehle. Sie quetschte, bis der Druck zu groß wurde, und starrte auf meinen Mund.
»Ich brauche dich vielleicht lebend, aber ich brauche dich nicht wach, Willow. Das solltest du dir merken, wenn du mich das nächste Mal infrage stellen willst«, warnte sie. Ihre Finger krallten sich in meine Kehle und rissen sie auf.
»Ich hoffe, du verbrennst«, röchelte ich und packte ihr Handgelenk.
Ich schlug ihr gegen Elle und Speiche und freute mich etwas zu sehr darüber, wie sie zurückfuhr, als ihr Knochen brach . Ihre Finger schnitten über meine Kehle und drohten mir mehr Schaden zuzufügen, als ich überleben konnte. Im letzten Moment spreizte Susannah sie, denn sie schien zu merken, wie nahe sie daran war, die Letzte ihrer Blutlinie zu verlieren.
»Hat dir deine Mutter vom tiefen Schlaf erzählt, Willow?«, fragte sie und starrte erstaunt auf ihren gebrochenen Knochen. Es war, als wäre sie nie verletzt worden, als hätte es nie jemand gewagt, sie zu schlagen. »Du wirst leben, gefangen im Reich der Träume, bis ich beschließe, dich zu wecken. Wenn Iban den … unappetitlichen Aspekt überwinden könnte, sich mit dir zu paaren, während du bewusstlos bist, wäre das ein viel einfacherer Weg, dich dazu zu bringen, die eine Sache zu tun, die von dir erwartet wird.«
Ich schluckte. »Du bist ekelhaft.«
»Falls er der Aufgabe nicht gewachsen ist, kann ich jemand anderen finden, der es ist. Am Ende spielt es keine Rolle, wer der Vater ist. Deine Blutlinie ist auf jeden Fall stark genug«, sagte sie und kam noch einmal auf mich zu. Sie starrte auf mich hinunter, während ich mich mühsam aufsetzte. Ich hielt meinen Oberkörper fest umschlungen und kämpfte gegen das schmerzhafte Grunzen an, das mir zu entkommen drohte.
Ich schob mich rückwärts und versuchte, Abstand zwischen uns zu bringen, als sie nach mir griff. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass ich nicht wieder aufwachen würde, wenn sie ihre Hand an mich legen konnte. Ich würde im Schlummer verharren, und sobald ich ihr gegeben hatte, was sie wollte, würde sie mich aus dem Weg schaffen.
»Rühren Sie sie noch einmal an, und ich werde Ihnen den Schädel von der Wirbelsäule reißen, Susannah«, knurrte Gray mit tiefer, bedrohlicher Stimme. George stand neben ihm und rang die Hände vor sich, als Susannah ihren Kopf zu ihnen umwandte.
»George«, flüsterte sie, ihre Stimme erbarmungslos.
»Du gehst damit zu weit, Susannah. Das geht zu weit«, sagte er und warf einen Blick auf Gray, der neben ihm stand.
Die Hülle schritt vorwärts, kam an meine Seite und starrte meine Vorfahrin an.
»Sie ist ein Mitglied meines Coven und ich kann mit ihr tun, was ich will«, sagte sie und reckte das Kinn.
Gray schob seine Arme unter meinen Körper und hob mich hoch.
Ich keuchte auf, als Schmerz durch meinen Oberkörper schoss, und die Intensität in Grays finsterem Blick ließ mich an Ort und Stelle zusammenschrumpfen.
»Nur über meine Leiche. Sie gehört mir und das wissen Sie genauso gut wie ich«, knurrte er und ich hatte zu große Schmerzen, um diese Worte infrage zu stellen. »Machen Sie mit dem Rest Ihrer Hexen, was Sie wollen, aber wenn Sie sie das nächste Mal anrühren, werde ich die Hölle entfesseln. Sie haben mein Recht missachtet. Was denken Sie, würde Er tun, wenn Er das erfährt, Covenant?«, fragte er.
Ich beobachtete, wie George nickte. »Er hat recht, Susannah«, sagte er flehentlich. »Du hast dich von deiner Wut übermannen lassen. Wenn ich dich nicht aufgehalten hätte …«
»Halt die Klappe, George«, schnauzte sie, drehte sich um und winkte Gray weg. »Schaffen Sie sie mir aus den Augen und sagen ihr, sie soll mir aus dem Weg gehen.«
Gray zögerte nicht lange und schritt auf die Türen der Tribunalräume zu. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter und erlaubte mir, einen Moment lang Trost zu empfinden, während mein Oberkörper von stechenden Schmerzen durchbohrt wurde. Vielleicht hatte er nur eingegriffen, weil er geschworen hatte, mich zu beschützen, aber das war jetzt egal.
Alles, was jetzt zählte, war die Tatsache, dass ich wach war.