25

Willow

Ich ging ihm aus dem Weg.

Er wusste es. Ich wusste es. Ich war mir ziemlich sicher, dass es mittlerweile die ganze Schule wusste. Zwei Tage waren vergangen, seit er mich in seinem Büro aus meinem Elend befreit hatte, und ich weigerte mich, auch nur an ihn zu denken.

Daran, wie er sich angefühlt hatte, als er in mich geatmet hatte.

»Morgen Abend findet unsere erste Ernte statt«, sagte Susannah, während sie vorne im Raum auf und ab ging. Iban saß neben mir und sein kokettes Lächeln trug nicht dazu bei, die aufsteigende Panik in mir zu unterdrücken.

Von allen Dingen, die ich über Hollow’s Grove wusste, bevor ich hierhergekommen war, war es die Ernte, die mir am meisten Angst gemacht hatte. Es hätte keine Rolle mehr spielen sollen, da Gray sich bereits mehrmals von mir ernährt hatte, aber irgendwie war es doch noch bedeutsam. Ich konnte ihm nicht ausweichen, falls er nachts in mein Zimmer kommen wollte.

»Als Teil der Abmachung zwischen unseren Arten mussten die Hexen uns mit Blut versorgen, um unsere körperliche Form zu erhalten. Das ist ein Aspekt, der gefördert und als heilig betrachtet wurde über all die Jahrhunderte hinweg trotz der Schwierigkeiten zwischen uns«, erklärte Gray, die Hände in die Taschen gesteckt, während er sich gegen den Türstock hinter uns lehnte. Das Klassenzimmer, das sie gewählt hatten, war größer als sonst, um alle der gut siebzig Schülerinnen und Schüler unterzubringen.

Ich schluckte, als Iban meine aufkommende Angst, Gray nicht ausweichen zu können, als Unbehagen wegen der Fütterung selbst interpretierte. Er legte seine Hand auf mein Knie und drückte es beruhigend. »Es ist nicht so schlimm«, flüsterte er und ließ mir keine andere Wahl, als ihn anzulächeln. Ich ignorierte Grays finsteren Blick, mit dem er mein Gesicht musterte, und tat so, als würde er nicht existieren.

Das schien jetzt meine bewährte Methode zu sein.

»Sie meinen, sie ernähren sich von den Schülern? Ich dachte, sie würden es sich von den Menschen in der Stadt nehmen«, sagte eine der anderen Hexen. Ich erkannte sie als eine der verbliebenen elf anderen Neuen, auf die ich nach der Beerdigung der verstorbenen Hexe hingewiesen worden war.

»Die Hüllen, die Sie in Hollow’s Grove sehen, sind an die Schule gebunden. Sie bleiben hier und ernähren sich von denen, die sie wollen, solange sie sich in diesen Mauern aufhalten. Nur Minderjährige sind laut der Abmachung tabu«, führte Susannah aus.

»Wenn Ihnen für diese Ernte eine Hülle zugewiesen wurde, finden Sie morgen Abend, wenn Sie vom Unterricht zurückkommen, eine rote Markierung an Ihrer Zimmertür. Wenn nicht, müssen Sie trotzdem ab acht Uhr in Ihrem Quartier bleiben. Wenn Sie noch nie an einer Ernte teilgenommen haben, wird Ihnen jemand bei den Vorbereitungen helfen, sollten Sie ausgewählt werden«, fuhr George fort, wobei seine Stimme einen viel mitfühlenderen Klang annahm, als die neuen Schüler und Schülerinnen besorgte Blicke austauschten. »Es gibt nichts zu befürchten. Wenn Sie es wünschen, kann die Fütterung ganz schnell und schmerzlos vonstattengehen.«

Ich schluckte, als ich Iban anschaute. »Wann werden sie uns die Verpaarung mitteilen?«, fragte ich und beobachtete, wie er die Lippen schürzte.

»Was meinst du?«, fragte er und legte den Kopf schräg.

»Die Hülle, die uns auserwählt hat, damit wir sie das Jahr über versorgen. Wann werden wir erfahren, wer es ist?«

Der Schock auf Ibans Gesicht trug nicht dazu bei, meine wachsende Panik zu lindern. »Es hat seit Jahrzehnten keine Paarbindung mehr gegeben, Willow. Nach dem Massaker vor fünfzig Jahren haben sie damit aufgehört. Sie wollten damit verhindern, dass Hexen und Hüllen unnatürliche Beziehungen miteinander eingehen. Das wusste deine Mutter sicher«, flüsterte er und lehnte sich dabei an meine Seite.

Ich spürte Grays Blick in meinem Rücken, als ob der Bastard sich nicht mit dem Wissen zufriedengeben wollte, dass ich das Zusammensein mit Iban nie würde genießen können. Distanz wäre die einzige Möglichkeit, ihn zu beschwichtigen, aber ich würde verdammt sein, wenn ich ihm diese Genugtuung gäbe.

»Wovon sprichst du?« Meine Mutter hatte nach dem Massaker die Universität besucht. Sie hatte allerdings nie angedeutet, dass man von dem ursprünglichen Weg, die Ernte zu handhaben, abgewichen war. »Einmal in der Woche kommt die Hülle, die uns auserwählt hat, zur Fütterung.«

»Einmal in der Woche kommt die Hülle, die uns zugewiesen wurde, aber jedes Mal ist es eine andere«, erklärte er schulterzuckend.

Meine Mutter hätte so was ganz sicher gewusst, doch es war mein Vater, der diesen Teil meiner Ausbildung übernommen hatte. Meine Mutter wusste nichts von meiner Absicht, eine Hülle zu verführen, um das Ziel zu erreichen, und mein Vater …

Sein letzter Informant über die Wege des Coven war bei dem Massaker gestorben.

»Jede Woche eine andere?«, fragte ich und fühlte mich, als hätte man mir den Atem geraubt. Es hätte keine Rolle spielen sollen. Wenn sich eine Hülle von mir ernährte, war das sicher genug. Sie waren alle gleich, alles Monster, die sich unter menschlicher Haut verbargen, die aus der Erde geschaffen worden war.

Das würde es mir allerdings erschweren, Grays Besitzanspruch zu meinem Vorteil zu nutzen. Ich hätte weniger Zeit, um ihn von mir, meinem Blut und meinem Körper abhängig zu machen. Ganz zu schweigen davon, dass Gray sich dann von einer anderen Hexe ernähren würde. Ich knurrte halblaut vor mich hin, schüttelte den Kopf und lächelte, als Iban mich schockiert ansah.

Fuck!

***

Die rote Markierung an meiner Tür ließ mich atemlos zurück. Ich hätte wissen müssen, dass ich das Pech haben würde, in der ersten Woche ausgewählt zu werden, aber ich hatte gehofft …

Ich wusste nicht, was ich gehofft hatte.

»Es ist nicht so schlimm«, sagte Della und trat unaufgefordert in mein Zimmer. Sie ging zum Bett und hob das hellgraue, bodenlange Slipdress auf, das auf der Bettdecke abgelegt worden war. »Und es kann angenehm sein, wenn du willst.«

Sie schob den dünnen Seidenstoff zur Seite und enthüllte ein kurzes Kleid aus Spitze. »Warum sind da zwei?«, fragte ich und setzte mich auf die Bettkante.

»Das hier trägst du«, sagte sie, nahm das Spitzenkleid und hielt es an ihren Körper, während sie sich drehte, »wenn du dich offen dafür zeigen willst, deine fleischlichen Gelüste zu stillen.«

»Wenn ich mich offen dafür zeige, mich von der Hülle vögeln zu lassen?«, fragte ich und stieß den Atem aus. Ich wusste ja nicht einmal, wer es sein würde.

Della zuckte mit den Schultern, ergriff das seidene Nachthemd und reichte es mir. »Du musst niemanden lieben, um mit ihm Sex zu haben. Du musst ihn nicht einmal mögen.«

»Wie soll ich die Entscheidung treffen, ob ich ihn will oder nicht? Ich weiß ja nicht einmal, wer durch diese Tür kommt«, sagte ich und seufzte, während ich aufstand und meinen Blazer von den Schultern rutschen ließ. Ich faltete ihn zusammen und legte ihn auf meine Kommode, dann lenkte ich meine Finger zu der Schleife an meinem Hals und entknotete sie.

»Du wirst nie erfahren, wer er war, und ich denke, das macht einen Teil des Reizes aus. Es ist eine Nacht voller Spaß, ohne Konsequenzen für morgen, denn du wirst nicht einmal seinen Namen kennen«, sagte sie lachend. »Oder stehst du mehr auf Frauen? Es war nur eine Vermutung, dass du auf Männer stehst, so wie du mit Iban flirtest. Wenn du auch auf Frauen stehst, kann ich es Direktor Thorne ausrichten. Es gibt ein paar weibliche Hüllen, die weibliche Gesellschaft bevorzugen.«

»Nein, das ist es nicht. Aber Hexen hassen die Hüllen, warum sollten sie also zulassen, dass Hüllen sie berühren?«, fragte ich und dachte daran, wie verzweifelt ich den verbotenen Aspekt vermeiden wollte. Ich hatte Angst vor dem Urteil, wenn ich einer Hülle erlaubte, mich intim zu berühren.

Anscheinend waren jedoch mehr Hexen bereit, es zuzulassen, als ich erwartet hatte, nur eben im Schutz der Dunkelheit und unter der Geheimhaltung der Ernte.

»Du redest wie eine Frau, die noch nie Hass-Sex hatte«, erwiderte sie lachend, stand auf und half mir, meine Bluse aufzuknöpfen. Ich protestierte weder gegen die seltsame Intimität noch gegen die Tatsache, dass am Ende mein BH offen sichtbar für sie war. Es fühlte sich an, als ob sie sich um mich kümmerte. Und als sie mir eine Haarsträhne hinters Ohr strich, schien das wie etwas, was einer Freundschaft am nächsten kam.

Ich fühlte mich jünger, als ich war, als ich jemals sein durfte.

Ich dachte an Grays Hände auf mir, an seinen Mund, der mich verschlang, als könne er sich nicht entscheiden, ob er mich hassen oder mit seinem Gesicht zwischen meinen Beinen leben wollte.

Vermutlich hatte diese Vorstellung von Hass-Sex durchaus ihre Vorteile.

»Noch nicht mal richtigen Sex«, sagte ich, als mich die Erkenntnis traf.

Della grinste und Verständnis erhellte ihr Gesicht. Wir wussten beide, dass mich jemand mit weniger als guten Absichten berührt hatte, dass er mehr genommen hatte, als ich hätte zulassen sollen.

Und dass es mir gefallen hatte.

»Niemand außer uns muss das wissen. Ich helfe dir, dich fertig zu machen. Dein Geheimnis ist bei mir sicher, wenn du dich entscheidest, die Spitze anzuziehen. Es gibt keine Garantie dafür, dass er dein Angebot annimmt, aber so oder so gehört das Geheimnis dir«, sagte sie und ging, während ich meine Bluse auszog und sie in den Wäschekorb in der Ecke warf. Mein Rock und meine Strümpfe folgten, sodass ich nur noch meinen BH und meinen Slip trug, während ich nach dem seidenen Nachthemd griff.

So verlockend es auch war, einer anderen Hülle das zu geben, was Gray für sein Eigentum hielt, es würde Jahre der Vorbereitung zunichtemachen. Jahrelang hatte mein Vater darauf bestanden, dass es eine Hülle bis zur Besessenheit treiben würde, wenn ich unberührt blieb.

Vor allem, wenn ich beim ersten Mal bluten würde.

Ich erstarrte, ballte die Faust und der Stoff zerknitterte in meiner Hand. »Lehnen die Hüllen oft Angebote ab?«, fragte ich und das Grauen stieg in meiner Kehle auf. Ich versuchte zu schlucken und hatte das Gefühl, dass sich meine Lunge plötzlich mit Graberde füllte.

»Meiner Erfahrung nach nicht«, sagte sie und betrachtete mein Gesicht viel zu genau.

Alle Hüllen ernährten sich von der Ernte. So viel wusste ich. Wenn es keine Paarbindung gab – wenn Gray nicht derjenige war, der in dieser Nacht zu mir kam – würde er dann mit einer anderen zusammen sein? Allein der Gedanke, dass er sich von einer anderen ernährte, brachte mich dazu, ihm die Kehle herauszureißen.

Shit.

Das sollte mich eigentlich nicht kümmern. Er gehörte mir nicht und würde es auch nie tun.

Fuck. Fuck. Fuck.

Ich ließ das seidene Nachthemd fallen und meine Hand einen Moment lang über dem Spitzenkleid schweben, während ich nachdachte. Der kleinliche, rachsüchtige Teil von mir wollte, dass sich derjenige, der durch meine Tür kam, alles nahm. Ich wollte das, was für Gray bestimmt war, weggeben und ihm zeigen, wie wenig er mir bedeutete.

Die Hexen würden es vielleicht nie erfahren, aber ich hatte keinen Zweifel daran, dass Gray mich an einem anderen Mann riechen würde. Er würde genau wissen, was ich getan hatte, und das würde ihm verdammt recht geschehen.

Ich schluckte, verdrängte diesen Teil von mir und hob das Seidenkleid auf.

»Vielleicht beim nächsten Mal«, sagte Della und lächelte freundlich. »Das erste Mal ist überwältigend. Ich glaube, das war die richtige Wahl für heute Abend.«

Ich zog mir den Stoff über den Kopf und ließ ihn meine Kurven umschmeicheln. Er schmiegte sich an jede Linie und Rundung meines Körpers und saß wie eine zweite Haut, als ob er für mich gemacht wäre.

»Ich werde noch genug Zeit haben, um an den anderen Vergnügungen teilzuhaben«, warf ich ein und schob den Teil von mir beiseite, der sich Sorgen machte.

»BH und Unterhose müssen aus«, sagte sie, während sie die Lippen schürzte und die Nase kraus zog. »Das sind die Regeln. Egal, welche Kleidung …«

»Das ist fies«, murmelte ich, griff aber hinter meinen Rücken und öffnete den BH .

Ohne die Stütze sanken meine Brüste tiefer, der Stoff klebte an ihnen und ließ in der halbtransparenten Seide nichts mehr der Fantasie übrig. Ich streifte meine Unterhose über die Beine, warf sie zur Seite und trat in die Mitte des Raumes, als ich bereit war.

»Du hast zwei Möglichkeiten. Ich kann dich entweder am Bett oder am Haken befestigen«, führte Della aus und deutete über meinen Kopf. Tatsächlich hing an der Decke ein winziger Haken, den ich noch gar nicht bemerkt hatte.

»Mich befestigen?«, fragte ich und sah zu, wie sie zum Schrank ging. Sie holte ein Paar gepolsterte Handschellen aus dem obersten Regal und nahm dann meine Hände in ihre. Sie umschloss jedes meiner Handgelenke mit einer der Handschellen und ließ mir Zeit, mich an das Gefühl des gepolsterten Leders auf meiner Haut zu gewöhnen.

Als jedes meiner Handgelenke gebunden war, hakte sie die Fesseln mit winzigen Verschlüssen zusammen, sodass sie vor mir zusammenhingen. »Ist das wirklich nötig«, wollte ich wissen und meine Augen weiteten sich, als Della wieder zum Schrank ging. Sie kam mit einer Kette zurück, führte sie durch die Schlaufen im Leder und wickelte sie um meine Handgelenke.

»Dir ist es nicht gestattet, ihn zu sehen«, sagte sie und ließ die Kette auf den Boden fallen. Sie hielt mir ein Stück Stoff vors Gesicht, dessen Bedeutung offensichtlich war. Ich schluckte.

»Nein«, sagte ich und schüttelte meinen Kopf. »Ich weigere mich, gefesselt und mit verbundenen Augen zu sein.«

Sie seufzte und nahm meine fixierten Hände in ihre. Die Wärme ihrer Haut durchdrang das plötzliche Frösteln, das mich ergriffen hatte, und brachte mich an den einen Ort zurück, an den ich nicht gehen wollte.

Der Ort, von dem ich mir geschworen hatte, ihn um alles in der Welt zu meiden.

Mein Brustkorb pumpte und die Panik kam schnell und unvermittelt. Ich konnte nicht mehr atmen. Dunkelheit sammelte sich an den Rändern meines Sichtfelds.

»Bitte. Bitte nicht«, flehte ich und schüttelte meinen Kopf hin und her.

Della erstarrte, ihr Gesicht verzerrt, als sie merkte, dass etwas nicht stimmte. »Willow, ich muss das machen. Wenn ich es nicht tue, werden sie dich zwingen. Verstehst du mich? Das ist nicht freiwillig. Die meisten von uns finden einen Weg, es zu genießen – sogar Spaß daran zu haben. Es muss keine Quälerei sein, aber wir alle müssen trotzdem unseren Teil dazu beitragen. Sonst schultern einige die Last des Coven, während andere nichts tun.«

Ich wimmerte und wog meine beiden Möglichkeiten ab, während ich um die Fähigkeit weiterzuatmen kämpfte. »Ich kann nicht …«

»Ich hole Direktor Thorne«, sagte sie plötzlich und seufzte, als sie mich ansah. »Vielleicht kann er ein besonderes Entgegenkommen zeigen, wenn er es mit eigenen Augen bezeugt.«

»Nein!«, schrie ich und ließ sie augenblicklich erstarren. »Der Haken. Tu es einfach«, sagte ich und versuchte, das Zittern in meinen Fingern zu beruhigen. Mein Kiefer schmerzte, als ich die Zähne zusammenbiss und versuchte, die Panik zu unterdrücken.

Der Schmerz half. Er holte mich immer in die Gegenwart zurück – er erinnerte mich daran, dass ich nicht in dem Loch im Boden gefangen war, aus dem es keinen Ausweg gab. Ich war nicht mehr hilflos, egal was die Fesseln sagten, und ich konnte und würde mich wehren, wenn es nötig wäre.

Was ich nicht tun würde, war, Thorne meine Schwachstelle zu zeigen. Das wäre so, als würde ich mich auf den Rücken drehen, damit er auf den weichen Teil meines Bauches losgehen und diese vermeintliche Schwäche gegen mich verwenden konnte.

Della holte eine Fernbedienung aus dem Schrank und drückte einen Knopf, bis sich der Haken vor mir absenkte. Ich starrte ihn an, während sie den roten Stoff der Augenbinde verdrehte und übereinanderlegte, bis ich sicher war, dass ich nicht mehr hindurchsehen konnte. Bis ich wusste, dass alles, was bleiben würde, die Dunkelheit war, die nie zu enden schien.

»Bist du sicher?«, fragte sie und streckte eine Hand aus.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich weinte, bis ihr Finger durch die Nässe auf meiner Wange glitt und sie mit einer Sanftheit wegwischte, die ich nicht verdient hatte. Ich schniefte die anderen Tränen zurück und verdrängte die Scham.

Ich nickte und ließ meine Lider zufallen, als sie den Stoff über meine Augen legte. In dem Moment, als er meine Haut berührte, riss ich die Augen auf. Ich sah nichts als undurchdringliches, ewiges Schwarz. Nichts als die Abwesenheit von jeglichem Licht und Leben.

Als wäre ich lebendig begraben.

Ich wimmerte, kniff die Augen wieder zu und versuchte mir einzureden, dass es nur die Rückseite meiner Augenlider war. Dass ich nicht schon wieder dort war.

Ich war in Hollow’s Grove. Mein Vater konnte nicht Hand an mich legen.

Er konnte mich nicht bestrafen, wenn ich an den Wochenenden, an denen er mich in seine Hütte brachte, ungehorsam war.

Della befestigte meine Handgelenke an dem Haken und schlang die Kette darum. Nur ihr Klirren war zu hören, übertönt von meinem eigenen rauen, abgehackten Atem.

Ich spürte, wie sich Della entfernte. Die Kette bewegte sich aufwärts und hob mich auf die Zehenspitzen, während meine Arme stramm über den Kopf gezogen wurden.

»Es ist bald vorbei, Willow«, sagte sie und ihre Schritte verklangen.

Dann war sie weg und ich war wieder allein.

Allein in meiner eigenen persönlichen Hölle.