28

Gray

Die Hexe knetete ihre Hände, als sie in der Tür stand. Sie klopfte an den Türrahmen, als würde ich sie nicht ohnehin schon ansehen.

»Sie wollten mich sprechen, Direktor?«, fragte Della. Ihre Nerven lagen ganz offensichtlich blank.

»Schließen Sie die Tür und nehmen Sie Platz, Miss Tethys.« Ich wandte mich wieder den Papieren auf meinem Schreibtisch zu. Das anstehende Gespräch verlangte Fingerspitzengefühl und mir war klar, dass ich es vorsichtig angehen musste, wollte ich mich den Hexen gegenüber nicht selbst verraten.

Nur Susannah wusste von meinem Dominium über Willow und der Tatsache, dass keiner der anderen sich von ihr ernähren würde, bis ich meinen Besitz an ihr aufgab. Ich hoffte, Willow zusehen zu können, wie sie sich wand; ich hoffte, sie quälen und ihr deutlich machen zu können, dass sie nicht davor gefeit war, sich an den Kreaturen zu erfreuen, die sie hasste.

Ich musste wissen, ob nur ich es gewesen war, der eine derart tiefsitzende Reaktion bei ihr ausgelöst hatte, oder ob sie schlicht einen starken Sexualtrieb hatte und Berührungen brauchte. »Ich möchte, dass Sie mir erzählen, was gestern Nacht passiert ist.«

Die Hexe nahm mit blassem Gesicht Platz, sah auf ihren Schoß hinab und spielte weiter nervös mit ihren Fingern. »Ich ... ich habe meine Pflicht bei der Ernte erfüllt. Ich schwöre, ich habe all das getan, was von mir erwartet wurde.«

»Ich rede nicht von Ihnen, sondern von Miss Madizza. Die Hülle, die sich von ihr ernährt hat, hat angegeben, sie sei außerordentlich verstört gewesen, mehr als er bei einer ersten Ernte für normal erachtet.« Ich ließ den Füller fallen und lehnte mich im Stuhl zurück. Della schluckte und kniff die Augen fast vollständig zu. »Als Direktor ist es meine Aufgabe, sicherzustellen, dass er keine roten Linien überschritten hat. Sollte er ihr Angst eingejagt haben ...«

»Nein. Nein, ich denke nicht, dass es überhaupt an der Hülle lag«, sagte sie und richtete sich auf. Ich erkannte in ihrem Gesicht, wie schwer sie sich mit einer Entscheidung tat und wie heftig in ihrem Kopf der Kampf tobte, ob sie mir sagen sollte, was sie wusste oder nicht. »Sie bat mich, nichts zu sagen, aber Willow wirkte verstört, sobald sie die Fesseln sah, und bekam noch größere Angst, als ihr klar wurde, dass ich ihr die Augen verbinden würde.«

»Haben Sie ihr den Ablauf erklärt? Falls sie ihn nicht verstanden hat …« Ich beendete den Satz nicht, sondern ließ die Worte unausgesprochen in der Luft hängen.

»Ja, habe ich. Sie wusste, was auf sie zukommt. Ich glaube nicht, dass irgendjemand etwas zu ihrer Beruhigung hätte tun können«, erwiderte Della und wendete den Blick ab. Sie biss sich in die Unterlippe. »Ich habe noch nie jemanden derart verängstigt erlebt.«

Alles in mir beruhigte sich. Als ich gestern ihr Zimmer erreicht hatte, hatte ihre Angst bereits den Raum erfüllt. Eine deutliche Kälte lag in der Luft, als hätte Willow versucht, das Grab anzurufen, damit es sie verschlang. Solche Dinge waren unmöglich, aber das hatte mich nicht davon abgehalten, kurz innezuhalten, bevor ich ihr Zimmer betreten hatte.

Der deutlich wahrnehmbare Geschmack von Magie hatte in der Luft gelegen, aber dort war nur sehr wenig pflanzliches Leben vorhanden, auf dessen Hilfe Willow hätte zurückgreifen können.

»Willow Madizza?« Ich tat, als wüsste ich nichts, um mehr von ihr zu erfahren.

»Ich weiß. Sie hat sonst nie Angst. Sie so zu sehen …« Della verstummte, dann sah sie mich langsam wieder an. »Ich glaube, ihr ist etwas passiert. Etwas Furchtbares.«

Der Füller, den ich unbemerkt wieder hochgenommen hatte, zerbrach in meiner Hand, und Dellas Augen weiteten sich, als die Tinte über die Papiere auf dem Schreibtisch spritzte. »Versuchen Sie, mehr für mich herauszufinden.«

»Ich … Was?« Ihr Mund blieb vor Schreck offen stehen. »Sie können mich doch nicht auffordern, meine Freundin auszuspionieren und Ihnen Bericht zu erstatten? Wenn ihr etwas zugestoßen ist, dann sollte sie selbst entscheiden, wem sie von ihrem Trauma erzählt.«

»Ich bin für die Schülerinnen und Schüler dieser Schule verantwortlich, Miss Tethys. Wenn es etwas gibt, was ich wissen muss, um für die zukünftigen Ernten bei Miss Madizza besondere Vorkehrungen zu treffen, dann möchte ich informiert sein. Und ich glaube nicht, dass ich ihr zutrauen kann, so ehrlich zu sein«, erwiderte ich und stand auf. Ich ging zur Tür hinüber und sah zu, wie Della eilig ihren Bücherstapel ergriff und sich ihre Tasche über die Schulter warf.

»Sie wissen doch jetzt, dass sie nicht gern im Dunkeln ist und nicht gern gefesselt wird. Reicht das nicht?«, wollte sie wissen und streckte die Hand aus, um mich am Unterarm zu berühren. »Bitte. Lassen Sie ihr ihre Geheimnisse.« Die Tatsache, dass Della es gewagt hatte, mich zu berühren, sprach für ihre Verzweiflung, Willow helfen zu wollen, und ich erkannte, dass das Hexenmädchen nicht nur mir unter die Haut gekrochen war.

Sie hatte eine mögliche Freundin gefunden, nach meinem Eindruck eine ehrliche sogar, auch wenn ich geglaubt hatte, so etwas sei in Hollow’s Grove unmöglich.

Ich streifte ihre Berührung ab, ging zu meinem Schreibtisch zurück und schüttelte ablehnend den Kopf.

»In Crystal Hollow kann es keine Geheimnisse geben.«