30

Willow

Ich wollte ihn verdammt noch mal umbringen. Am besten im Schlaf, wenn er sich nicht wehren konnte. Später am Abend ließ ich mich in die Badewanne sinken und zuckte zusammen, als das heiße Wasser meine schmerzenden Muskeln umfing. Alles tat weh, ein tiefer, pochender Schmerz, den ich schon seit Jahren nicht mehr gespürt hatte.

Die Bemühungen meines Vaters hatten aufgehört, ergiebig zu sein, als ich eine Teenagerin wurde und ihm schnell überlegen war. Daraufhin musste er mein Training auf andere Weise gestalten – mit anderen Gegnern, gefangen in einem Ring. Er schloss Wetten ab, ob ich gewinne oder verliere, und verdiente mit meinen Versuchen Geld.

Meistens setzte er gegen mich. Eine der größten Freuden in meinem Leben waren die Tage, an denen ich mit zerschlagenem und blutendem Körper aus dem Ring stieg, um zu sehen, wie er dem Mann, der diese Kämpfe organisierte, ein Bündel Geld überreichen musste.

Zu diesem Zeitpunkt antwortete die Erde auf meinen Ruf, wenn ich Heilung brauchte. Meine Magie war erst mit sechzehn Jahren voll erwacht, aber sie hatte mich und das Blut, das auf die Erde tropfte, schon vorher erkannt, wenn ich zum Auto meines Vaters stolperte.

Meine Verletzungen verschwanden; es gab nichts, was meine Mutter sehen konnte. Die Drohungen meines Vaters gegenüber meinem Bruder klangen mir immer in den Ohren, wenn ich ihr nicht erzählte, was genau passiert war, und brachten mich dazu, dauerhaft zu schweigen. Sie hatte nie gewusst, wie weit er für seine Rache gehen würde, hatte nie genau gewusst, was er vorhatte.

Sie hatte sich eine heimliche Suche nach den Knochen vorgestellt. Eine stille Rebellion, die so schnell zu Ende sein würde, wie sie begonnen hatte, und dann könnte ich nach Hause kommen, nachdem ich mir genommen hatte, was mir gehört.

Sie hatte meinen Vater geliebt, auch wenn er sich nie für sie interessiert hatte.

Ich lehnte den Kopf gegen die Rückenlehne der Wanne, meine Hände spielten sanft mit der Wasseroberfläche. Schaumbläschen tanzten über meine Haut und das Kribbeln lenkte mich fast von dem Gefühl ab, dass mich jemand beobachtete.

Meine Augen wollten gerade zufallen, doch ich riss sie wieder auf und setzte mich aufrecht in der Wanne hin. Es gab keine Anzeichen dafür, dass jemand mit mir im Badezimmer war. Ich schluckte und sank noch einmal tiefer ins Wasser.

Willloooowwwwwww .

Ich kam wieder hoch, das Wasser schwappte umher, als ich mich am Wannenrand festhielt. Äste kratzten am Fenster und schreckten mich auf, als ich mich drehte, um in die Richtung zu spähen. Im Bad herrschte Schweigen, während ich mucksmäuschenstill blieb.

Willllooowwwwww.

Ich schluckte und fasste nach dem Amulett meiner Mutter. Die Stimme erklang weiter, ein langsames, lang gezogenes Murmeln, das kaum Worte enthielt. Sie hatte etwas Schlangenhaftes an sich, etwas behäbig Kriechendes, das in mich einsickerte. Es begann an meinen Zehen und prickelte über mich hinweg wie die zärtlichen Finger eines Liebhabers.

Ich griff mit der freien Hand ins Wasser, tastete panisch meine Beine ab und versuchte, die Quelle der Berührung zu finden. Aber ich war allein, die Wanne war leer bis auf mich und die Blasen an der Oberfläche.

Komm zu mir, Hexxxxeeee.

Ich kniff die Augen zusammen und lehnte mich gegen die Wanne, als die Kraft dieser Stimme mich direkt in den Bauch traf. Sie kroch über mich und ich hätte schwören können, ich würde in das Gesicht eines Monsters starren, hätte ich meine Augen geöffnet.

Mit der anderen Hand hielt ich weiterhin mein Amulett umfasst und konzentrierte meinen Willen auf den Kristall, der mich vor Zwang schützte. Er schützte mich vor dem Ruf der Kreatur, die mich aus meinem Bad holen wollte.

»Es ist nicht real«, sagte ich mir und versuchte, mich zu beruhigen, während ich das Amulett umklammerte.

Die Stimme verstummte und gewährte mir eine Pause. Ich wartete einige Augenblicke darauf, dass sie wieder ertönte und sich erneut in meinem Kopf festsetzte.

Doch nichts geschah.

Ich öffnete langsam ein Auge und spähte vorsichtig umher. Das Badezimmer blieb leer und meine Lunge weitete sich vor Erleichterung, als ich das andere Auge öffnete. Ich saß in der Stille des Bades und fragte mich, ob ich mir das alles nur eingebildet hatte. Ob meine Erschöpfung ein neues Level erreicht hatte oder ob es bloß die Schule selbst war.

Ob die Geister von Hollow’s Grove gekommen waren, um mich ins Grab zu treiben.

Ich schluckte, nahm das Seifenstück und schäumte mich ein. Ich flüsterte Worte auf Latein und wärmte den Lavendel in der Seife, um das Frösteln zu lindern, das trotz des heißen Wassers eine Gänsehaut auf mir verursacht hatte.

Die Badezimmertür flog auf und ich sah Grays wilde Miene. Ich stieß einen Schrei aus und tauchte unter die Wasseroberfläche. Nur meinen Kopf hielt ich über Wasser.

»Was stimmt nicht mit dir?!«

»Bist du verletzt?«, fragte er und sein erleichtertes Seufzen ließ meine Finger zucken.

»Ich hab nur Muskelschmerzen von vorhin«, antwortete ich und runzelte die Stirn. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, warum er um diese Zeit in mein Zimmer gestürmt war. »Was ist denn los?«

»Raus«, sagte er und nahm das Handtuch vom Regal neben der Badewanne. Er ließ es auf den Waschtisch fallen und packte mich unter den Armen, als ich mich nicht schnell genug bewegte.

»Gray!«, protestierte ich und schlug seine Hände weg, als er mich auf dem Boden absetzte. Er hielt inne, ließ seinen Blick an meinem Körper hinunterwandern und musterte, was er vorher nicht hatte sehen können. Er hatte immer nur kleine Ausschnitte zu Gesicht bekommen – vor allem die delikatesten Stellen –, aber ich weigerte mich, vor ihm zurückzuweichen oder mich zu verstecken.

»Fuck«, grunzte er, schüttelte den Kopf und reichte mir ein Handtuch für meine Haare.

Ich trocknete die Längen ab, schüttelte sie und ärgerte mich über das Gewirr, das sie am nächsten Tag sein würden, weil ich sie so harsch behandelte.

Er strich mit dem Handtuch über meine Schultern und ließ es über den Rest meines Körpers gleiten, während ich versuchte, mich nicht auf die Tatsache zu konzentrieren, dass ich nackt mit ihm zusammen war.

Nackt, und wir waren nicht …

Ich schluckte. »Was ist hier los?«

»Es hat einen weiteren Mord gegeben«, antwortete Gray und fing meinen Blick auf. Das Handtuch erstarrte in der Bewegung. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, als ich an die Stimme dachte, die ich gehört hatte.

Sie rief nach mir .

»Gray«, flüsterte ich und hielt seinen Arm fest, als er sich umwandte. Ich öffnete den Mund, doch die Worte blieben mir im Hals stecken. Ich konnte es nicht riskieren, ihm von der Stimme zu erzählen. Was, wenn sie etwas mit meiner Blutlinie zu tun hatte?

Als ich nichts mehr sagte, zog er sich zurück und ging auf die Tür zu meinem Schlafzimmer zu. Ich wickelte das Handtuch um meinen Körper, folgte ihm und zog mir dann die Pyjamashorts und das T-Shirt an, die er für mich bereitgelegt hatte.

»Es gibt etwas, das du dir anschauen musst«, erklärte er, nahm meine Hand und führte mich in den Flur vor meinem Zimmer. Ich beeilte mich, auf dem Weg nach draußen in meine Kampfstiefel zu schlüpfen, stolperte ihm hinterher.

Ich blieb hinter ihm und versuchte, meine aufkommende Furcht zu verdrängen. Auf dem Flur tummelten sich Schüler und Schülerinnen, die mir einen flüchtigen Blick zuwarfen, bevor sie sich unter Grays finsterer Miene wegduckten. Wir eilten die Treppe hinunter, so schnell ich mich traute, ohne zu riskieren, auf die Nase zu fallen.

Mein nasses Haar klebte seitlich an meinem Gesicht und ließ mich bis auf die Knochen frösteln, als Gray mich zu den Türen führte. Die Menschenmenge, die den Leichnam umringte, hatte sich genau an der Stelle gebildet, an der Gray und ich vorhin noch gekämpft hatten und wo am Ende des Trainings unser beider Blut auf den Boden getropft war.

Ich erkannte den Hexer am Boden nicht, aber man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten. Blut bedeckte das Gras. Die Pflanzen ignorierten es, da es nicht freiwillig gegeben worden war. Ich schluckte, als sich die Menge teilte und die Steinmauer der Schule hinter ihnen zum Vorschein kam.

Das Blut bedeckte den Stein, klebte in den Ritzen und tropfte an den glatteren Stellen herunter.

Zwei.

Ich schluckte und starrte auf das Wort, während mein Entsetzen immer weiter wuchs. Gray hatte gewollt, dass ich das hier sehe; er hatte mich hierher geschleppt, damit ich diese mit Blut geschriebene Nachricht sehen konnte.

»Zählen sie ihre Opfer?«, fragte ich und drängte die Panik zugunsten der Vernunft nieder. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken und ich versuchte verzweifelt, sie zu bremsen.

Jede normale Person würde Antworten brauchen. Es war eine naheliegende Vermutung und sie hätte auch stimmen können. Ich schluckte und hoffte, dass dies der Fall war. Ich wandte den Blick von der Leiche ab und ließ ihn über die Menge der Beobachtenden schweifen, die nicht die Leiche, sondern mich musterten. Sie starrten auf meine Hände, als ob ich diejenige wäre, die ihm die Kehle durchgeschnitten hätte.

»Bevor Charlotte Hecate zerrissen wurde und ihre Teile verstreut wurden, weissagte sie eine Prophezeiung über die Tochter der Zwei«, fuhr Susannah dazwischen und trat neben mich. Sie schaute mir in die Augen und ich spürte die umfassende Prüfung in diesem Blick.

Mir stockte der Atem und ich zwang mich, ihrem Blick standzuhalten. Ich war nicht mehr in der Nähe der Covenant gewesen, seit sie versucht hatte, mich in den tiefen Schlaf zu zwingen. Ich hoffte, dass die letzte Interaktion meine Nervosität bei diesem Gespräch überdecken würde.

Das ging mir alles viel zu nahe.

»Was für eine Art Prophezeiung?«, fragte ich.

Ich wusste kaum etwas darüber, verstand kaum etwas von dem, wozu ich angeblich bestimmt war. Alles, was mein Vater gesagt hatte, war, dass ich die Knochen brauchte, dass sie unserer Blutlinie zurückgegeben werden mussten.

Was geschehen würde, nachdem ich sie gefunden hatte, blieb ein Rätsel. Eines, dass sich hoffentlich klären würde, sobald ich mich mit der anderen Hälfte meiner Magie verbunden hatte.

»Ich glaube kaum, dass sie heute noch relevant ist. Der Covenant hat alles in seiner Macht Stehende getan, um das zu verhindern«, sagte Gray und schnaubte, während mir das Blut in den Adern gefror.

»Ich denke, Sie haben Ihren Teil dazu beigetragen«, schnauzte Susannah und wandte ihre Aufmerksamkeit endlich von mir ab.

Ich seufzte und ein kleiner Teil meiner Erleichterung entglitt mir, sodass Gray die Aufmerksamkeit von mir ablenken konnte.

»Natürlich. Ich habe jeden Hexer zur Strecke gebracht, der versucht hat, die Wahl in Ihrem Namen zu treffen, Covenant.« Er pulte an seinen Fingernägeln herum, als ob ihn der Mord an Hexern nicht im Mindesten interessierte.

Ich schluckte.

Er hatte nicht jeden erwischt.

Ich fuhr mir mit den Händen über das Gesicht und wollte nichts mehr, als mich von diesem Gespräch fernzuhalten. Aber es gab eine Sache, die ich nicht ignorieren konnte.

Die Möglichkeit, die Antworten zu erfahren, die mir mein ganzes Leben lang vorenthalten worden waren. »Was für eine Prophezeiung?«, wiederholte ich.

»Charlotte prophezeite eine Hexe, die zwischen zwei Blutlinien geboren ist und das wiederherstellen wird, was durch die Zeit verloren gegangen ist«, sagte Susannah und verschränkte die Hände vor sich.

»Was soll das denn bedeuten?«, fragte ich und warf einen Blick zu Gray.

Er zuckte mit den Schultern. »Alle möglichen Dinge sind durch die Zeit verloren gegangen. Es könnte alles Mögliche gewesen sein. Charlotte war gegen Ende ihres Lebens … aufgewühlt. Der Lauf der Dinge hat sie oft zutiefst verunsichert«, antwortete er und nahm trotz der wachsamen Augen der Covenant meinen Arm. Sie schien von der intimen Berührung nicht überrascht zu sein, als er mich zurück zur Schule führte.

Wir betraten sie durch eine der sechs Türen und meine Füße funktionierten irgendwie, auch wenn ich das Gefühl hatte, die Welt sei von ihrer Achse gekippt worden.

»Willow, warte!«, rief Della, die uns hinterherlief. Sie holte uns ein und ging neben uns her, während Gray mich zu meinem Zimmer führte. Sie schluckte, als sie sich vor uns stellte und Gray anschaute. Sie schien zu überlegen, bevor sie weitersprach. »Habt ihr es gehört?«

»Was gehört?«, fragte ich und ballte die Fäuste.

Mir entging nicht, wie Grays Blick auf die Stelle fiel, an der mein Arm mit seinem verschränkt war, und wie er die Spannung in meinem Körper betrachtete. Er war zu aufmerksam für sein eigenes Wohl, und wenn ich ihn nicht gebraucht hätte, um die Knochen zu finden, wäre es viel besser gewesen, wenn er einfach aufhörte zu existieren.

Auch wenn der Gedanke daran mein Herz auf eine Weise schmerzte, die ich mir nicht eingestehen wollte. Er war mein Feind, und wenn ich die Knochen fand, würde ich seine Seele zurück in die Hölle schicken, wo sie hingehörte.

So sollte es sein.

»Ich habe gehört, wie etwas deinen Namen gerufen hat«, sagte sie und schluckte, als sie Gray ansah. »Ich glaube, es wollte, dass du die Nächste bist.«

Ich grub meine Nägel in Grays Haut und zwang mich zu einem Lächeln. »Ich dachte, ich hätte etwas gehört«, gab ich zu, weil mir keine andere Wahl blieb. Es zu leugnen, käme mir seltsam vor und würde seinen Verdacht nur noch verstärken, denn ich war nicht die Einzige, die den Ruf gehört hatte. »Es fühlte sich wie Zwang an.«

Gray spannte sich an, ein leises Knurren grollte in seiner Brust.

Della nickte und umklammerte ihr eigenes Amulett, während sie wieder Gray anschaute. »So war es. Ich bin dem Ruf gefolgt. Ich habe mir Sorgen gemacht …« Sie schluckte und ließ den Kopf hängen. »Ich habe ihn gefunden, aber wer immer ihn getötet hat, war schon weg, als ich ankam.«

»Wer hat die Stimme noch gehört?«, hakte Gray nach und blickte zurück zu der kleinen Gruppe in der Ferne, die mich wachsam anstarrte. Ich schluckte und fürchtete mich vor dem, was kommen würde.

»Ich weiß es nicht«, gab Della zu, aber ich hatte keinen Zweifel daran, dass die anderen meinen Namen ebenfalls gehört hatten. Die Art, wie sie mich ansahen … Sie wussten, dass es meine Leiche hätte sein sollen, die dort im Dreck lag.

»Wenigstens halten sie mich jetzt nicht für die Mörderin«, meinte ich und versuchte, den Silberstreif am Horizont zu sehen.

»Erzählen Sie niemandem etwas davon, nur für den Fall, Miss Tethys«, sagte Gray und hielt ihren Blick fest. »Solange wir nicht wissen, wem wir vertrauen können, müssen wir das für uns behalten.«

»Sie haben jemandem in Verdacht?«, fragte sie.

Er nickte. »Keine der Hüllen tut etwas ohne mein Wissen. Ich kann bezeugen, wo sich jede von ihnen heute Abend aufgehalten hat.«

»Also war es keiner von ihnen. Aber wer sonst könnte Zwang anwenden?«, entgegnete sie.

»Die Prophezeiung bezog sich auf eine Tochter der Zwei. Wenn eine dieser Blutlinien zufällig die Hecate-Linie ist … dann könnte diese Hexe Zwang anwenden, wenn sie das Unmögliche schafft und Charlottes Knochen findet«, erklärte er, aber ich runzelte die Stirn.

Das war nicht möglich. Denn ich war es sicher nicht gewesen, die den Hexer aus seinem Bett gelockt hatte.

Ich hatte kein Wort gesagt.