Gray
Ich drehte mich von Willow weg, als der letzte der Wölfe hinter mir auftauchte. Den Arm nach vorne stoßend, bohrte ich ihn in die Brust des Monsters und packte mit der anderen Hand sein Maul. Ich hielt die Schnauze fest im Griff und drückte sie zusammen, während ich mich knurrend vorbeugte und meine eigenen Zähne zeigte.
»Sie gehört mir«, stieß ich wütend aus.
Ich hielt dem Blick der Kreatur stand, als ich meine Hand aus ihrer Brust riss und dabei das Herz mitnahm. Den toten Körper und das noch pumpende Stück Fleisch warf ich auf den Waldboden. Hinter mir bewegte sich Willow und kam auf die Füße.
Ich drehte mich rasch und konnte noch erkennen, wie sie auf die Überbleibsel des Grauens hinabsah. Sie stieg über das geronnene Blut des Wolfs, den ich in zwei Teile zerrissen hatte, doch ich konnte nicht sagen, ob sie auf mich zuging oder von mir fort – um Abstand zwischen uns zu bringen.
Einem der verbliebenen Werwölfe steckte ein Messer in der Brust, was ihn aber nicht davon abhielt, sich aufzurichten und Willow ein weiteres Mal zu attackieren. Augenblicklich trat ich zu ihr, packte die Kreatur noch in der Luft an der Kehle und zerfetzte sie. Als ich das Monster zu Boden warf, waren Willows Arme noch stärker mit Blut bespritzt. Ich wischte mir das Blut der Kreatur aus dem Gesicht.
»Gray«, murmelte sie unter meinem starren, zornigen Blick. Ich richtete meinen Anzug und ging einen Schritt auf sie zu, während sie langsam zurückwich.
»Was. Hast. Du. Dir. Dabei. Gedacht?« , fragte ich und artikulierte jedes Wort ganz langsam. Ich streckte die Hand aus und berührte die Wunde auf ihrer Wange.
»Ich …« Sie verstummte. Dieses eine Mal schien sie keine Worte mehr zu haben.
Sie entzog sich langsam meiner Berührung, kniete sich hin und nahm eine Handvoll Erde auf. Dann drückte sie die Krümel in die Schnittwunde und überließ ihrer Magie die Heilung. Ich sah zu, wie ihre Haut sich wieder schloss.
Etwas an ihrer Entscheidung, Erde statt mein Blut dafür zu verwenden, reizte mich.
»Du hättest getötet werden können.« Ich griff nach ihrer Hand. Während ich sie zur Schule zurückführte, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Willow sich umsah und Richtung Salem blickte.
»Wie viele von diesen Dingern leben hier?«, wollte sie wissen und blickte über die Schulter zurück. Sie hielt offenbar nach ihnen Ausschau. Die in meiner Brust angestaute Spannung ließ etwas nach.
»Ich habe nie genau nachgezählt.« Ich zog Willow an mich heran. Ihre Schritte waren langsam und gemessen, als würde ihr das Gehen alle Energie rauben.
»Was sind sie?«, fragte sie.
Ich seufzte, als ich sie in meine Arme schloss. Sie legte ihre um meinen Nacken, doch die Bewegung und der Kontakt waren viel zögerlicher als sonst. Als wäre sie nicht sicher, wie sie mich berühren sollte, wo sie doch in der Vergangenheit nie gezögert hatte, mich anzufassen.
Um mich zu quälen und zu reizen.
Ich hatte ihr verdammtes Leben gerettet und sie tat so, als sei ich das Monster.
»Die Verfluchten«, sagte ich und sah in diese seltsamen, nicht zusammenpassenden Augen. Sie war ein einzigartiges Rätsel, meine Hexe der zwei Blutlinien.
Jemand, auf den ich sehr, sehr lange hatte warten müssen.
»Wer hat sie verflucht?« Willow schluckte und hielt meinem Blick stand. Ich beugte mich zu ihr und rieb meine Nase an ihrer, um sie zu trösten. Schreckhaft zuckte sie bei der Berührung zurück, anstatt mir das Trostspenden zu erlauben.
»Charlotte Hecate«, antwortete ich und sah zu dem hinüber, was von den in Charlottes ersten Momenten der Macht erschaffenen Monstern noch übrig war. »Als sie das Geschäft mit Ihm abschloss, konnte sie die plötzlich erworbene Magie noch nicht kontrollieren. Die Männer aus Salem jagten sie durch den Wald, weil sie sie einsperren und schlussendlich hängen wollten. Diese Männer waren die ursprünglichen Verfluchten und ich vermute, sie können Charlottes Blut in dir riechen.«
»Ich habe nie verstanden, wieso die Hexenprozesse begannen, noch bevor Charlotte die Vereinbarung abgeschlossen hatte.« Willow sah aus dem Wald hinaus nach Hollow’s Grove, wohin ich sie zurückbrachte. Ich hatte noch nicht einmal die Stadt erreicht, als Kairos mich anrief und erzählte, er habe Willow in den Wald stürmen sehen, als hinge ihr Leben davon ab.
»Die Angst ahnungsloser Menschen ist ein mächtiges Ding. Charlotte war entschlossen, dass, sollte man sie wegen Hexerei töten, obwohl sie unschuldig war, sie zuvor genau das tun würde, was man ihr vorwarf«, erklärte ich und blickte in den Wald, während ich mich daran erinnerte, wie Charlotte ihre Lebenserfahrungen zusammengefasst hatte. »Sie sorgte dafür, dass die Menschen ihre Worte und Überzeugungen noch einmal überdachten.«
Willow öffnete den Mund und wollte die nächste Frage stellen, um mich weiter abzulenken. »Ich ...«
»Wie lange willst du eigentlich noch meiner Frage ausweichen? Was hast du überhaupt im Wald gesucht, Willow?« Ich sah, wie sie ihre Augen zusammenkniff.
Schweigen.
»Susannah hat mir im Garten aufgelauert. Sie weiß, was ich bin, Gray«, erwiderte sie schließlich und alles in mir wurde still.
Nun, das änderte die Lage erheblich. Ich antwortete ihr nicht, während wir uns dem Eingang von Hollow’s Grove näherten. Ich würde mich genauer erkundigen, sobald das Hexenmädchen sicher in meinem Büro untergebracht war, ohne Pflanzen, die sie zu Hilfe rufen konnte.