Klaus Fischer

König der Fallrückzieher

Klaus Fischer liegt mit 268 Toren auch nach Jahrzehnten (hinter dem unerreichbaren Gerd Müller, 365 Tore) noch auf Platz zwei der ewigen Torjäger-Hitparade der Bundesliga. Berühmt sind vor allem Fischers legendäre Fallrückzieher. Einer davon wurde Tor des Monats, des Jahres und des Jahrzehnts und landete hinter Helmut Rahn auf dem zweiten Platz beim Tor des 20. Jahrhunderts.

»Mein erstes Fallrückziehertor erzielte ich in der Saison 1975/
76 im Spiel gegen Karlsruhe. Bis dahin kannte die Bundesliga diese spektakuläre Art, Tore zu schießen, so gut wie gar nicht. Später in der Kabine war für alle klar: Das wird das Tor des Monats.

Allerdings muss man wissen, dass einiges dazugehört, solche Fallrückzieher zu machen. Wichtig ist, man darf keine Angst haben, denn das Verletzungsrisiko ist hoch, wenn man schlecht oder falsch landet. Richtig trainiert habe ich diese Dinger nie, aber trotzdem, Fallrückzieher ist nicht gleich Fallrückzieher, man benötigt schon eine gewisse Technik.

In Schalke unter den Trainern Rausch und Horvath habe ich trainiert, die Seitfallzieher – Bälle von links und rechts, egal wie sie kamen, hoch, halbhoch oder flach – immer mit dem Spann zu nehmen. Und daraus entstand dann irgendwann der Fallrückzieher. Man muss natürlich auch ein bisschen Glück haben, aber damit alleine ist es nicht getan. Der entscheidende Punkt ist die Intuition, und irgendwann hatte ich diese Technik verinnerlicht. Klar, die Flanke muss auch stimmen, nicht zu hoch, aber auch nicht zu steil, und Platz braucht man. Wenn ein Gegenspieler zu nahe ist, pfeift der Schiri ab.

Mein wohl schönster Fallrückzieher wurde genau deswegen leider nicht gegeben. Das war im Freundschaftsspiel gegen die UdSSR. Nachdem ich bereits abgesprungen war, näherte sich von hinten ein Spieler der Russen, der den Ball köpfen wollte. Wir haben uns nicht mal berührt, der Ball landete im Tor, aber der Schiedsrichter pfiff wegen gefährlichen Spiels ab. Sehr schade.

v.l.: Klaus FISCHER Deutschland, PRIGODA  Deutschland - UdSSR 1:0

»Wichtig ist, man darf keine Angst haben.«

Geradezu lehrbuchartig war auch das Fallrückziehertor 1977 gegen die Schweiz, das spätere Tor des Jahrzehnts. Die Flanke kam von Abi Abramczik, der genau wusste, wie ich die Vorlage haben wollte. Und in der Nacht von Sevilla, dem Halbfinale gegen Frankreich bei der WM 1982 in Spanien, konnte ich in der Verlängerung mit einem Fallrückzieher zum 3:3 ausgleichen, dieses Mal nicht ganz so spektakulär, dafür aber superwichtig – wir gewannen das anschließende Elfmeterschießen und kamen ins Finale.

Bis vor ein paar Jahren habe ich so ein Ding immer mal wieder in meiner Fußballschule gezeigt. Danach gefragt haben meine Schützlinge aber nie. Die waren einfach zu jung und wussten nichts von meiner alten Spezialität. Ich hab’s für die Väter gemacht, die an der Außenlinie standen.«

Die hohe Kunst der Fallrückzieher

Mannis Kommentar

Einen Fallrückzieher selber zu machen ist nicht einfach, aber ihn zu erklären, das ist fast noch schwerer. Isi und Jessi (11) versuchen es auf einer Internetplattform für Kinder so: »Wenn jemand zu fallen droht, und es kommt ein anderer Spieler und zieht ihn weg.« Das ist genauso knapp neben der Wahrheit wie die Definition von Nico (12): »Wenn einer schießen wollte und rutscht aus und fällt auf den Po und schießt den Ball noch weg.« Irgendwas mit Wegschießen ist es wohl, das hat Peer (10) am besten begriffen: »Wenn ein Spieler sich hintenrüber fallen lässt und dabei den Ball wegschießt.«

Also: Sich einfach hintenrüber fallen lassen und schießen, schon rauscht die Kugel ins Tor. Das klingt nicht sehr kompliziert, aber die perfekte Durchführung gelingt wegen der hohen Fehlerquote selten: die Koordination der Körperbewegungen, der Flugwinkel des Balles, der richtige Zeitpunkt des Schusses – Klaus Fischer hat die Probleme beschrieben.

Der Fallrückzieher ist eben Kunst, hohe Schule, eine spektakuläre Aktion, die sich aus der Tiefebene des missglückten Flachpasses über acht Meter erhebt. Noch mehr als andere Varianten der Ballbehandlung birgt der Fallrückzieher das Risiko des grausamen Scheiterns, ja die Gefahr, sich furchtbar lächerlich zu machen: Der Spieler fliegt perfekt, trifft aber den Ball nicht, oder er hämmert ihn in Richtung Eckfahne, oder er landet auf dem Rücken wie ein strampelnder Maikäfer und verletzt sich vielleicht noch dabei.

Mitteleuropäische Trainer schätzen das Risiko nicht, sie wollen Kontrolle, Effizienz und perfekt choreografierte Systeme; deshalb würden manche den Fallrückzieher am liebsten verbieten. Artistik und geniale Kunst stören die »wissenschaftliche« Planbarkeit des modernen Fußballs und wurden von den Minderbegabten schon immer als »Hacke, Spitze, eins, zwei, drei« verhöhnt. Nur die ganz Großen, die sich vielleicht auch noch »in den Dienst der Mannschaft« stellen, dürfen sanktionsfrei tricksen und zaubern.

Die Champions-League-Saison 2017/18 bot zwei besonders gelungene Beispiele für schulbuchmäßige Fallrückzieher, die selbstverständlich von Ausnahmeprofis vorgeführt wurden. Cristiano Ronaldo traf im Spiel gegen seinen späteren Arbeitgeber Juventus Turin, und im Finale gegen den FC Liverpool segelte der für Real Madrid spielende Waliser Gareth Bale spektakulär durch den Strafraum. Bale war 2013 für 100 Millionen Euro von Tottenham nach Madrid gewechselt und saß anschließend, mehr als ihm lieb war, auf der Reservebank. Ein Traumtor als Protest gegen mangelnde Wertschätzung? Damit hatte der alte Klaus Fischer nie was am Hut. Er nahm die Bälle einfach so, wie sie kamen.